"Von Italien nach Auschwitz" ... (Detmold, 10.-11.11.2001)

"Von Italien nach Auschwitz" ... (Detmold, 10.-11.11.2001)

Organisatoren
Staatsarchiv Detmold
Ort
Detmold
Land
Deutschland
Vom - Bis
10.11.2001 - 11.11.2001
Url der Konferenzwebsite
Von
Ewers, Niko

"Von Italien nach Auschwitz"
Eine Tagung zu einem noch zu wenig beachteten Kapitel der deutsche Besatzer in Italien 1943-45. Staatsarchiv Detmold, 10./11.11.2001

"Das war Folter sadistischer Art, Folter von Psychophaten. Das ging soweit, dass man Gefangenen die Ohren abgerissen hat, um sie ihnen danach wieder anzunaehen, oder Alkohol in ihre Zungen gespritzt hat..." Erlebt und erlitten von italienischen Antifaschisten wie Vittore Bocchetta, der im Herbst 1944 festgenommen und in das Gefangenenlager Bozen gesteckt wurde. "Ich habe nie verstanden, aus welchem konkreten Grund ich verhaftet und von Bozen aus dann ins Konzentrationslager Flossenbuerg deportiert wurde", meint der heute 83-Jaehrige. Aber vielleicht reichte dafuer allein die Zugehôerigkeit zum 'Comitato di liberazione nazionale' (CLN), zumal er bereits 1940, damals noch als Student der Philosophie, ein paar Wochen im Gefaengnis sass.

Vittore Bocchetta war der einzige Zeitzeuge, der von Verona ins ostwestfaelisches Detmold gereist war, um an der Fachtagung "Von Italien nach Auschwitz" teilzunehmen. Ein beeindruckender Mann, fuer den, wie er sagt, "die Lagererfahrung wie eine politische Impfung" war: resistent gegenueber allen bis heute waehrenden faschistischen, nationalistischen und rassistischen Tendenzen. Vor einiger Zeit hatte er seine Erinnerungen an die Verfolgung 1940-45 publiziert: "Quinquennio infame" - "Die schaendlichen fuenf Jahre". Sie sind zwar bereits ins Deutsche uebersetzt worden, haben aber noch keinen Verlag dafuer gefunden. Vielleicht symptomatisch fuer das hier vergleichsweise geringe Interesse an den Naziverbrechen in Italien und deren Opfern. Das gilt besonders fuer die Justiz im Nachkriegsdeutschland, bei der lange Zeit von einer konsequenten Strafverfolgung nicht die Rede sein konnte. Deshalb auch der ôeffentliche Wirbel, wenn mehr als 50 Jahre danach gegen einzelne noch lebende Taeter in Uniform ermittelt oder Anklage erhoben wird - oder eben nicht. So auch im Falle Carl-Friedrich Titho, SS-Kommandant des Lagers Fossoli di Carpi, von wo aus Tausende in die Vernichtungslager deportiert wurden. Zwar bereits 1951 wegen "Mitwirkung an der Erschiessung von 70 sowjetischen Kriegsgefangenen" im Lager Amersfoort von einem hollaendischen Gericht verurteilt, hat er mehrere erfolglose Ermittlungsverfahren in Sachen Fossoli - zuletzt noch 1996 - unbehelligt ueberstanden.

Dass dieser vor kurzem verstorbene Titho seit 1953 im lippischen Horn-Bad Meinberg lebte, war der Auslôeser fuer eine intensive Auseinandersetzung (siehe dazu: www.agfossoli.de) mit den deutschen Kriegsverbrechen und der Judendeportation vor allem in Norditalien. Auslôeser auch fuer diese Tagung im benachbarten Detmold. Dabei "haette Fossoli mir im Grunde genommen schon sehr viel frueher ein Begriff sein muessen", so Ingrid Schaefer, eine der InitiatorInnen, "kannte ich doch Giorgio Bassanis 'Die Gaerten der Finzi Contini' und ebenso das Buch 'Ist das ein Mensch?' von Primo Levi." Beide haben auch ueber Fossoli geschrieben, die erste Station auf dem Weg in die Vernichtung, die Levi selber hatte beschritten muessen: "Jetzt hatten wir also vor unseren Augen und unter unseren Fuessen einen jener beruechtigten deutschen Transportzuege, die nicht wiederkehrten und von denen wir, erschaudernd und immer etwas unglaeubig, schon so oft gehôert hatten. Es stimmte bis in alle Einzeleinheiten: von aussen verriegelte Gueterwagen und drinnen Maenner, Frauen und Kinder, erbarmungslos zusammengedraengt wie Dutzendware, auf der Fahrt ins Nichts, auf der Niederfahrt in die Tiefe. Drinnen sind dieses Mal wir."

Primo Levi war im Dezember 1943 von der Polizei der mit Nazideutschland verbuendeten Salo-Regierung (die von Mussolini gefuehrte Gegenveranstaltung zu der im Juli vom Kôenig eingesetzte Regierung um Badaglio) nach Fossoli eingeliefert worden, um dann am 21.2.44 vom Lager Bozen aus nach Auschwitz deportiert zu werden. Einer von insgesamt 54 Transporten vornehmlich von Juden aus Italien im Rahmen der "Endlôesung". Dass dabei die italienische Administration und Polizei aktiv mitwirkten, ruehrte "nicht nur aus Buendnistreue", wie der Berliner Historiker Klaus Voigt in seinen Einleitungsreferat betonte. Immerhin hatte das Mussolini-Regime 1938 ein aehnliches Rassengesetz gegen die Juden wie das der Nazis verfuegt, wenn auch nicht so rasseideologisch untermauert und erst recht nicht mit dieser liquidatorischen Tendenz. Es war im wesentlichen ein "Staatsantisemitismus", der die Juden kollektiv verdaechtigte, nicht loyal zu dem Staat stuenden, ohne aber ueber eine feste Verwurzelung in der politischen Kultur Italiens verfuegte. Aber er radikalisierte sich dann bis hin zu der offiziellen Zustimmung, die einheimischen Juden Deutschland auszuliefern. Und dafuer, so Voigt, schien "kein unmittelbarer Druck von Hitler ausgeuebt" worden zu sein.

Nachdem vor 1938 bereits mehrere tausend deutsche Juden nach Italien emigriert hatten, um hier ihre Haut zu retten, verliessen in den Folgejahren bis 1943 rund 6000 Juden das fuer sie zunehmend unsichere Land. Die Verfolgung eskalierte dann, nachdem die Deutschen Rom und weite Teile von Norditalien besetzten: Razzien, Internierung in Lagern mit anschliessender Deportation in die Vernichtungslager. Insgesamt mehr als 7000 in Italien lebende Juden, knapp ein Sechstel der juedischen Bevôelkerung, haben dies nicht ueberlebt. Darunter befanden sich schaetzungsweise 2000, die sich in den Jahren zuvor hier erst niedergelassen hatten.

Unter den insgesamt 21 Lagern im besetzten Italien war Fossoli di Carpi (naehe Modena) das grôesste. Zunaechst als Lager fuer englische Kriegsgefangene eingerichtet, wurden nach Uebernahme durch die SS die Zelte durch Baracken ersetzt und ausgebaut bis zu einer Kapazitaet von 4000 Haeftlingen: Juden wie auch Angehôerige der Resistenza, Partisanen, streikende Arbeiter, Wehrdienstverweigerer und andere "discriminati". 14.000 Namen sind auf den Waenden des kommunalen Museums in Carpi verzeichnet - durchweg ohne naehere Angaben wie Geburtsdatum, Herkunft oder Haftgrund, vielfach auch nicht ganz zuverlaessig und erst recht ohne Anspruch auf Vollstaendigkeit. "Das ist der Erkenntnisstand von Anfang der 60er Jahre", erklaerte Roberta Gibertoni auf der Detmolder Tagung. Sie leitet seit zehn Jahren die Gedenkstaettenarbeit in Fossoli, wo das am Standrand liegende Lager gerade teilweise rekonstruiert wird: das Verwaltungsgebaeude mitsamt Toreinfahrt, eine exemplarische Haeftlingsbaracke und die Umzaeunung. Immerhin ist das Interesse an den Untaten der Faschisten deutlich gestiegen. "Wir haben heute ueber 30.000 Besucher im Jahr, hauptsaechlich Gruppen von Schulen, die unsere Angebote an Informationen, Veranstaltungen und Gespraeche mit Ueberlebenden nutzen."

Auch das Lager Bozen ist laengst eine Gedenkstaette, deren Leiterin Carla Giacomozzi mit einer kleinen Ausstellung zur Lagergeschichte ins Staatsarchiv gekommen war. Errichtet aufgrund eines Fuehrerbefehls vom 8.9.1943 Bozen, wurde nach Auflôesung von Fossoli im Zuge des Kriegsverlaufs (August 1944) zum zentralen Durchgangslager ausgebaut und - wie schon bei Fossoli - die fuer die KZs typische Klassifizierung der Gefangenen eingefuehrt. , von wo aus man binnen gut eines Jahres - bis zum 3.5.1945 - rund 11.000 Haeftlinge deportiert hatte. Von den 13 Transporten gingen fuenf nach Mauthausen, drei nach Flossenbuerg und die anderen nach Auschwitz, Dachau und Ravensbrueck. Wie gesagt: die Mehrheit der Opfer waren Juden. Das weiss man, wohingegen man ueber die nicht-juedischen Opfer "noch wenig wissen", wie Giacomozzi gesteht - und noch viel weniger von den im Lager Bozen verbliebenen Haeftlingen, die nach der Befreiung nur zum Teil erfasst werden konnten.

Wie Primo Levi und Vittore Bocchetta aus eigener Erfahrung, beschaeftigen sich derweil juengere Historiker intensiv mit den Verbrechen nicht nur in Fossoli und Bozen. Zwar "kein Ort des Massenmords", so Roberta Gibertoni, und auch nicht mit solch menschenverachtenden Lebens- und Arbeitsbedingungen, wie man sie von deutschen Konzentrationslagern kennt, gab es sehr wohl Misshandlungen, Folter und Exekutionen. Und dann jenes Massaker am 12.7.1944, ueber dessen Hintergruende man immer noch zu wenig weiss. War es eine Vergeltungsaktion fuer einen Partisanenueberfall am 25. Juni, wie es seitens des deutschen Wehrmachtskommandos hiess? Oder eine gezielte Ermordung von diesen 67 Gefangenen in Fossoli, die alle zur 'Elite' der politischen und militaerischen Resistenza gehôerten und nach der sich damals schon abzeichnenden Niederlage sicherlich eine wichtige Rolle gespielt haetten? Das vermuten die anwesenden Fachleute und auch Demos Malavasi, Buergermeister von Carpi, der an der Detmolder Tagung ebenfalls teilnahm.

Es kann beides zusammengekommen sein, denn zu jener Zeit spielte bei der Kriegfuehrung der Deutschen die Partisanenbekaempfung eine zunehmend akute Rolle. Pluenderungen, Zerstôerungen und Geiselerschiessungen standen auf der Tagesordnung. Dutzende von kleineren oder grôesseren Massakern - teilweise mit Beteiligung einheimischer Schwarzhemden-Brigaden - fanden als "Vergeltung" statt. Besonders brutal in Sant'Anna di Strazzema (naehe Lucca), wo am 12.8.44 rund 560 Bewohner erschossen wurden, sowie in Marzabotto (naehe Bologna), das aufgrund der Ermordung von 1836 Dorfbewohnern am 28.9. zu trauriger Beruehmtheit geworden ist. Insgesamt fielen schaetzungsweise 9000, ein Drittel der im Krieg getôeteten italienischen Zivilbevôelkerung, den Gewalttaten der Besatzer zum Opfer, bilanzierte der Historiker Carlo Gentile.

Die Taeter kamen insbesondere aus den SS-Divisionen, die im Auftrag des OKW die Wehrmachtsverbaende hier verstaerkten - zwar nicht dem Kommando unterstellt, aber vom ihm toleriert bis hin zu einem faktischen 'Freibrief' fuer Untaten der SS, die alle Konventionen der Kriegfuehrung sprengten. "Die Verantwortung dafuer lag eindeutig beim Oberkommando der Wehrmacht", meinte Gentile. Der in Kôeln taetige Historiker hat eine dieser Einheiten, die 6. SS-Panzergrenadierdivision, n"her erforscht: Teilweise zwangsweise in die SS ueberfuehrt und ohnehin recht heterogen zusammengesetzt einschliesslich 'Volksdeutscher' aus Ungarn und dem Banat, ueberrascht es, wie viele Junge dabei waren: 17-, 18-, 19-Jaehrige. Sie hatten den "bedingungslosen Gehorsam" verinnerlicht, wollten "sich bewaehren" und "Staerke zeigen mit grosser Ruecksichtslosigkeit" und "Verachtung gegenueber den 'Verraetern'", seitdem grosse Teile Italiens (die Regierung von Badoglio) mit den Alliierten einen Waffenstillstand geschlossen hatten. Angetrieben wurden sie von Fuehrern und Unterfuehrern, die vielfach aus den Totenkopf-Divisionen kamen und/oder den Terror an der Ostfront bzw. in Konzentrationslagern bereits geuebt hatten. Ein erschreckendes Beispiel fuer die "Brutalisierung der Kriegfuehrung" und die "Verrohung der Soldaten". Und: "Ich habe keine Belege dafuer gefunden, dass einer sich diesem Terror widersetzte oder einer bestraft wurde, wenn er sich nicht an den Geiselerschiessungen beteiligen mochte", so Gentile. Dafuer umso mehr fuer Verbrechen "unter dem Deckmantel der Kameradschaft" und damit der Verschwiegenheit. Ein Aspekt, der in der alten wie neuen Fassung der Wehrmachtsausstellung im Mittelpunkt steht.

Nach dem Krieg wurde dann ohnehin kaum einer bestraft - "auch aus Ruecksicht auf den Nato-Partner Italien", wie die Journalisten Christiane Kohl und Roberto Giardini sagten. Tausende Ermittlungsakten gegen Wehrmachts- und SS-Angehôerige und ihre italienischen Vasallen waren in den 50er Jahre in den "Schrank der Schande" weggeschlossen worden. Deshalb auch diese bisher lueckenhafte historische Aufarbeitung dieses Kapitels der deutsch-italienischen Geschichte. Umso notwendiger solche Tagungen wie in Detmold, zumal mit dem Novum, dass die Geschichtswissenschaft ebenso praesent war wie die Gedenkstaettenarbeit und die Publizistik - und dies in einer Zusammenarbeit der Regionen der Opfer und der der Taeter.

(Erweitere Fassung eines Artikels im "Bielefelder StadtBlatt", 48/2001)


Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
Sprache des Berichts