Visibilität des Unsichtbaren

Visibilität des Unsichtbaren

Organisatoren
Anja Lutz, Gunnar Mikosch, Historisches Seminar der Universität Basel
Ort
Basel
Land
Switzerland
Vom - Bis
08.03.2007 - 09.03.2007
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Von
Anja Lutz, Gunnar Mikosch, Historisches Seminar der Universität Basel

Am 8. und 9. März fand in Basel die Arbeitstagung „Visibilität des Unsichtbaren“ veranstaltet von Anja Lutz und Gunnar Mikosch (beide Historisches Seminar der Universität Basel) statt. Sie diente der Vorbereitung einer interdisziplinären Publikation gleichen Titels, an der die Fächer Geschichte, Kunstgeschichte, Germanistik und Theologie beteiligt sind, sowie der ersten Verständigung über ein Konzept von `Visibilität´.

Fragen nach Repräsentation von Herrschaftsansprüchen, nach der Sichtbarkeit dieser Repräsentationen, ihrer Wahrnehmung und Wirkung wurden und werden in den beteiligten Disziplinen schon verschiedentlich gestellt. In ihrer Einleitung erläuterten Anja Lutz und Gunnar Mikosch die für diesen Workshop relevanten Fragen und Ansätze und wiesen auf den Charakter der Veranstaltung als interdisziplinäres Experimentierfeld hin. In den Diskussionen über das Konzept der Visibilität sollten die bisher angedachten Möglichkeiten gebündelt und für die jeweils anderen Fächer fruchtbar gemacht sowie „Visibilität“ als interdisziplinärer Rahmen etabliert werden.

Den Beiträgen lag die Überlegung zugrunde, dass Geltungsansprüche innerhalb eines sozialen Systems wahrnehmbar und verstehbar werden müssen – indem sie visibel (gemacht) werden. Dabei beschränkten sie sich nicht auf das Medium des Bildes, sondern thematisierten vielfältige Formen gegenständlicher und sprachlicher Sichtbarkeit.

Im Mittelpunkt der Betrachtungen Miriam CZOCKS (Bochum) „Heiliger Raum-Geschändeter Raum. Zur Versprachlichung von Raumwahrnehmung im Spiegel der Kirchenschändung im Frühmittelalter“ stand die Konfiguration des Kirchenraumes in karolingischer Zeit. In der Kirchweihe besteht ein Ritual, das den Kirchenraum als heilig definiert. Aus anderen Quellen geht wiederum geht hervor, dass die Kirche nicht nur liturgisch genutzt wurde. Die Heiligkeit des Kirchenraums, die durch die rituell ausgeführte Normierung vorgegeben war, wurde also nicht immer wahrgenommen. Die Visualisierung eines Heiligen Raumes (in architektonischer Gestalt und Ritual), die einen bewussten Akt der Sichtbarmachung des unsichtbaren Gehalts eines Gegenstandes bezeichnet, konnte sich nicht immer verwirklichen. Gerade hier kann ein Konzept der Visibilität nach Ansicht CZOCKS ansetzen; indem es eben nicht nur das Visualisierte und dessen vermeintliche Eindeutigkeit in den Blick geraten lässt (den Raum, den die Kirchweihe herstellt), sondern verschiedene Deutungsmöglichkeiten in die Analyse miteinbezieht. Der Begriff Visibilität verweist auf die nur potenziell bestehenden, noch unsichtbaren Bedeutungen, die erst im subjektiven Deutungsakt (z.B. nicht-liturgische Nutzungen des Kirchenraums) hervortreten.

Der Beitrag von Cornelia LOGEMANN (München) beschäftigte sich mit der Frage, wie die unsichtbaren Eigenschaften eines Herrschers visuell kommuniziert werden können. So ließ sich an Bildbeispielen aus dem spätmittelalterlichen Frankreich zeigen, wie tugendhaftes Verhalten mittels raffinierter Überblendungstechniken dem Souverän auf den Leib geschrieben werden konnte. Es erwies sich immer wieder als Herausforderung, jene Tugenden simultan ins Bild zu setzen, deren mühevolle Erlangung in Fürstenspiegeln sukzessiv vermittelt werden konnte. Durch interpikturale Bezüge aus den verschiedensten Kontexten, durch das Zitieren literarischer Vorlagen im Bild wurden für den gebildeten Betrachter Tugenden sichtbar gemacht und auf die Figur des Herrschers transferiert. Dabei dominierten im Frankreich des 14. Jahrhunderts offenbar Bildkonzepte, die sich an exklusive – höfische – Rezipientenkreise richteten. Doch das Verfahren muss als entscheidender Schritt zu den mythologischen Rollenspielen gesehen werden, in denen vor allem die Monarchen späterer Zeit sich gefielen und der Öffentlichkeit präsentierten.

Gunnar MIKOSCH (Basel) untersuchte in seinem Beitrag über "Ekklesia und Synagoga - Allegorie zwischen heilsgeschichtlichem Machtanspruch und christlichem Identitätsprozess" die Verdrängungsprozesse, die im Rahmen des theologischen Modells der Heilsgeschichte von Synagoga zu Ekklesia entstehen. In den bildlichen Allegorien der beiden Figuren wird einerseits der heilsgeschichtliche Machtanspruch des Christentums gegenüber dem Judentum sichtbar gemacht, zugleich weist die in den Bildern zum Ausdruck kommende Gewalt gegenüber der Figur der Synagoga auf einen christlichen Identitätskonflikt hin, der sich in der Gewalt entlädt: Ein Identitätskonflikt, der sich aus der traumatischen Erfahrung speist, dass gegen alle theologische Vernunft der universale Herrschaftsanspruch des Christentums ausgerechnet durch die schlichte Weiterexistenz des Judentums seine Grenze zu finden scheint. Mit dem Konzept der Visibilität kann Mikosch zeigen, dass dieser Identitätskonflikt allein im Medium des Bildes, nicht aber auf der Textebene erscheint bzw. erscheinen kann. Denn theologisch ist in der Christologie der Herrschaftsanspruch unhintergehbar formuliert.

Christina LECHTERMANN (Berlin) zeigte in ihrem Vortrag „Anspruch und Spur“, dass höfische Texte ebenso wie christliche Bilder neben den vielfachen symbolischen und ikonischen Inszenierungen der Repräsentation des Sichbaren wie des Unsichbaren eine ganze Reihe von Spuren kennen: Neben dem slac – also der Hufspur des Pferdes, zeugen Kampfesspuren an der Rüstung vom muot und erlittener arbeit, Narben am Körper von der êre und die Spur der minne erscheint in den sich rötenden Wangen. Solche Spuren – teils Hinterlassenschaften von Ereignissen teils Indizierungen des Unsichtbaren – sind aber unwillkürliche, prädiskurisve und vorsemantische Phänomene: Sie „sagen uns nichts, sondern sie zeigen uns etwas.“ (KRÄMER) Damit sie visibel – sowohl phänomenal diskriminierbar wie auch bedeutsam – werden, bedürfen sie transkriptiver Prozesse (JÄGER) und ebenso einer hermeneutischen Kompetenz. Der Beitrag versuchte an einem Text des 13. Jahrhunderts, dem Prosalancelot, zu zeigen, wie nicht nur die Figuren der Erzählung, sondern auch die Rezipienten des Textes systematisch in die Kunst höfischer Spurenlektüren eingeführt werden.

Vom Bemühen um Visibilität, dem prekären Status einmal erreichter Visibilität und dem Umgang mit dem Wissen um die Macht des Sichtbarseins handelte der Vortrag „Übernehmen, Übertragen, Verschweigen – Zur Nutzung von Bildwissen im England des frühen 14. Jahrhunderts“ von Anja LUTZ (Basel). Am Beispiel des Umgangs Philipps IV. mit der memoria seines Großvaters Ludwigs IX. d. Hl., von Frankreich konnte sie zeigen, wie vielfältige „images“ des neuen Heiligen entstanden, die verschiedentlich politisch und dynastisch instrumentalisiert werden konnten. Die Wirksamkeit der in Interaktion mit unterschiedlichen Rezipientengruppen entstandenen Visibilität Ludwigs und damit der Ansprüche und Vorstellungen Philipps wiederum zeigt sich u. a. in den Reaktionen Isabellas von England, der Tochter Philipps. Im Bewusstsein der Wirkmächtigkeit der „images“ und ihrer Verbreitung bemühte sie sich darum, sie für ihren Sohn Edward und seine Frau Isabella von Hennegau invisibel werden zu lassen, um sie ihnen dann reduziert und in neuer Weise gefasst zu präsentieren. Somit entstand ein komplex verwobenes Netz von Sichtbarem und Unsichtbarem, verschwiegenen und zu verschweigenden Aspekten, übernommenen und modifizierten „images“, dessen Fäden Isabella bei weitem nicht alle in der Hand hielt, an dessen Struktur sie jedoch maßgeblich beteiligt war.

Im Beitrag von Lucas BURKART „Schätze und die Visibilität des Unsichtbaren“ wurden die Bedingungen von Sichtbarkeit eines mittelalterlichen Sakral- und Reliquienschatzes untersucht. In einer der Palastkapellen im mittelalterlichen Papstpalast beim Lateran, in der bis heute erhaltenen Sancta Sanctorum, werden die ältesten Reliquien verwahrt, die sich im Besitz des Papsttums befinden. Hier sind sie eingeschlossen im Altar und umgeben von wertvollen Reliquiaren dem Blick entzogen, gleichsam unsichtbar. Diese Unsichtbarkeit ist aber zugleich Thema der Kapellenausstattung. In Prozessionen werden die Reliquien in ihren Reliquiaren, also immer noch ‚unsichtbar’ durch die Stadt geführt, um umgehend in die Kapelle zurückzukehren; und das Freskenprogramm, das auf eine Stiftung Nikolaus III. (um 1280) zurückgeht, zeigt einen Zyklus von Martyrien, deren materielle Beweise nicht nur als Reliquien im Altar liegen, sondern den spirituellen Primat Roms und des römischen Bischofs bezeugen. Die schriftlichen Quellen machen zur Sichtbarkeit und Zugänglichkeit des Schatzes widersprüchliche Aussagen. In den päpstlichen Zeremonienbüchern wird der exklusive Aspekt unterstrichen, die Kapelle als spirituelles Zentrum dem Papst vorbehalten; das steht nicht zuletzt auch im Zusammenhang mit der Verwahrung der Salvatorikone in der Sancta Sanctorum. Reise- und Pilgerbücher, die in ihrem Ursprung auf die Libri indulgentiae zurückgehen, hinterlassen einen anderen Eindruck. Hier ist vom Schatz die Rede, als ob er deutlicher sichtbar, und die Kapelle weniger beschränkt zugänglich wäre. Möglicherweise, so eine zentrale These, lässt sich dieser Widerspruch, der sich nicht zuletzt eher aus den Quellen selbst als aus dem darin verhandelten Gegenstand (Schatz) erklärt, damit auflösen, dass man sich von der Vorstellung einer funktionalen Sichtbarkeit trennt. Vielleicht gehörte der Schatz zu denjenigen Dingen, die gar nicht gesehen werden mussten, um ihre Bedeutung zu entfalten. In der Dysfunktionalität liegt das eigentliche Geheimnis verborgen; nur der quasi unsichtbare Schatz überragt die anderen Schätze an Heiligkeit. In Analogie zu der von BATAILLE formulierten These einer Sakralisierung ökonomischer Güter durch den Entzug aus der Warenzirkulation, also der Betonung ihrer Dysfunktionalität, formuliert der Beitrag die These einer Sakralisierung des Schatzes durch den Entzug aus dem „Blick“ des Publikums, ohne dass er dadurch in Vergessenheit zu geraten drohte.

In der angeregten abschließenden Debatte zeigte sich, dass das Konzept der 'Visibilität' durch die Vorträge und Diskussionen, in denen neben der Thematisierung begrifflicher und methodischer Fragen vor allem auch die Operationalisierbarkeit des Konzeptes auf dem Prüfstand war, präzisiert werden konnte: Ein Geltungsanspruch, der `visibel´ ist, muss nicht im materiellen Sinn `sichtbar, sehbar, schaubar´ sein, er ist sinnlich, intellektuell, emotional und/oder sozial wahrnehmbar und verstehbar und wandelt sich „im Auge des Betrachters“ zudem ständig. `Visibilität´ operiert mit Verbergen und Verschleiern als Verweis auf Sichtbares sowie mit inneren Bildern, die wechselseitig erzeugt und durch Vorwissen und Kontexte beeinflusst werden können. Die geplante Veröffentlichung der Beiträge verspricht, einige neue Fragen und Blickwinkel für die weitere interdisziplinäre Arbeit bereit zu halten.