Die schlesischen Piasten in der Kultur und Geschichte Europas

Die schlesischen Piasten in der Kultur und Geschichte Europas

Organisatoren
Veranstalter: Societas Scientiis Favendis Silesiae Superioris, Instytut Górnośląski, Urząd Miejski w Zabrzu, Polskie Towarzystwo Historyczne. Oddział w Katowicach, Komisja Historyczna Polskiej Akademii Nauk. Oddział w Katowicach Wissenschaftliche Leitung: Prof. Dr hab. Antoni Barciak, Ks. Prof. Dr hab. Kazimierz Dola, Prof. Dr hab. Wojciech Iwańczak
Ort
Hindenburg (Zabrze/Polen)
Land
Poland
Vom - Bis
16.11.2006 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Rafael Sendek, Abteilung Geschichte der Frühen Neuzeit / Projektbereich Schlesische Geschichte, Universität Stuttgart

Vom 16. bis zum 17. November 2006 fand im oberschlesischen Hindenburg (Zabrze/Polen) die internationale Tagung „Die schlesischen Piasten in der Kultur und Geschichte Europas“ (Piastowie śląscy w kulturze i europejskich dziejach) statt. Die Konferenz wurde von Prof. Dr. hab. Antoni Barciak geleitet und war die zehnte Veranstaltung im Rahmen der seit 1997 jährlich tagenden Reihe „Die Kultur Mitteleuropas“ (Kultura Europy Środkowej), deren Fokus sich stets auf die unterschiedlichen Aspekte der mitteleuropäischen Kultur mit besonderer Berücksichtigung Oberschlesiens richtet. Die Bandbreite reicht dabei von kirchen- und rechtshistorischen Themen bis zur Bildungs- und Wirtschaftsgeschichte.

Im Zentrum dieser von zahlreichen polnischen Institutionen unterstützten Tagung, an der sowohl polnische als auch tschechische Wissenschaftler teilnahmen, standen die schlesischen Piasten und deren Bedeutung für die mitteleuropäische Kultur aus politik-, kirchen- und beziehungsgeschichtlicher Perspektive. Das dichte Programm umspannte einen zeitlichen Rahmen vom Mittelalter bis zur Frühen Neuzeit, wobei der Schwerpunkt der insgesamt 23 Referate auf mittelalterlichen Themen lag. Die zweitägige Konferenz gliederte sich in vier Sektionen: Die erste Sektion widmete sich dem politischen und kulturellen Wirken der Piasten in Schlesien, vor allem deren Bedeutung für die schlesische Kirche. Die zweite Sektion beleuchtete die auswärtigen Beziehungen des schlesischen Herzogsgeschlechts, während für die dritte das Bild der Piasten in der schlesischen, polnischen, tschechischen und deutschen Geschichtsschreibung im Vordergrund stand. Die vierte Sektion befasste sich schließlich mit gemischten Themen, darunter mit einzelnen, für die Geschichte der Piasten bedeutenden Quellen.

Nach einer kurzen Einführung wurde die erste Sektion von Sławomir GAWLAS mit dem Vortrag „Die schlesischen Piasten als Pioniere der Modernisierung“ eröffnet, in dem er auf die Bedeutung dieses Geschlechts für die gesellschaftlichen Veränderungen im Schlesien des 13. Jahrhunderts einging und einen Zusammenhang mit dem Ausbau der Landesherrschaft im römisch-deutschen Reich herstellte. Gleichzeitig plädierte er für eine weite Definition dieses Transformationsprozesses, der nicht nur auf die deutsche Siedlungsbewegung beschränkt bleiben, sondern als ein gesamtgesellschaftlicher Prozess mit siedlungsgeschichtlichen wie auch sozialen, ökonomischen und rechtlichen Dimensionen angesehen werden sollte. In seinem Referat betonte Marcin PAUK die zentrale Rolle der Klosterstiftungen für die Herrscherideologie der schlesischen Herzöge im 12. und 13. Jahrhundert und stellte einen zeitlichen Zusammenhang zwischen Klostergründungen einerseits und den piastischen Herrscherwechseln andererseits fest, wobei die Zisterzienser für die schlesischen Herzöge von besonderer Bedeutung waren. Bogdan KLOCH untersuchte die Beziehungen zwischen den Piasten und den lokalen Pfarrkirchen am Beispiel ausgewählter Kirchenstiftungen der oberschlesischen Herzöge zu Beginn des 13. Jahrhunderts, während Rościsław ŻERELIK die politische Tätigkeit Konrads II. von Oels anhand des um 1375 entstandenen Oelser Kopialbuches rekonstruierte. Jan KOPIEC sprach über die Ad-limina-Berichterstattung der Breslauer Bischöfe und die darin enthaltene Beurteilung der Piasten. In den als Reaktion auf die Reformation eingeführten Berichten wurden ab dem Ende des 16. Jahrhunderts die einzelnen Diözesen nicht nur in regelmäßigen Abständen quantitativ erfasst, sondern auch deren allgemeiner Zustand und das Verhältnis zum Herrscher beschrieben. Zum einen stellen diese Berichte eine aus der Frühen Neuzeit stammende Quelle zur Geschichte der schlesischen Kirche im Mittelalter dar, zum anderen spiegeln sie den damaligen Zustand der Kirchenprovinz wider. Auch das Bild der Piasten habe sich darin verändert. Dem für das Mittelalter geltenden Lob auf die Herzogsdynastie folgte aufgrund der Einführung der Reformation eine scharfe Kritik der frühneuzeitlichen Piasten und statt dessen ein Lob auf die Habsburger. In seinem Vortrag „Die Piasten und die Kartographie“ befaßte sich Bogusław CZECHOWICZ mit den Widmungen an die Piastenherzöge von Liegnitz-Brieg, die auf Karten niederschlesischer Herzogtümer aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts zu finden sind. Diese Funktion übernahm nach dem Aussterben der Herzöge die Familie von Schaffgotsch, was auch auf kartografischen Werken sichtbar wurde.

Den auswärtigen Kontakten der Piasten widmete sich die zweite Sektion: Während Marie BLÁHOVÁ auf die dynastischen und politischen Beziehungen zwischen den schlesischen Piasten und den letzten Přemysliden einging, stellte Kazimierz DOLA diejenigen Vertreter des schlesischen Geschlechts vor, denen es gelungen war, außerhalb Schlesiens einen Bischofsstuhl zu erlangen. Die Bandbreite der insgesamt sechs historisch nachgewiesenen und eines nur in der Historiografie existierenden Piasten reichte von Konrad von Glogau, der Mitte des 13. Jahrhunderts Bischof von Passau war, bis Heinrich von Liegnitz, der in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts zum Bischof von Cambrai gewählt wude. Przemysław WISZEWSKI hob die engen sozialen Kontakte zwischen Mieszko I. von Polen und den geistlichen Eliten des römisch-deutschen Reiches hervor, die er aus der Bezeichnung des Piastenherzogs als „comes“ und „marchio“ in den Handschriften des Fuldaer Klosters ableitete. Martin ČAPSKÝ behandelte den Zusammenschluss der schlesischen Herzöge im Kampf Kaiser Sigismunds gegen die Hussiten, während Jan TĘGOWSKI den Blick auf die sowohl von familiären Bindungen als auch von kriegerischen Auseinandersetzungen gekennzeichneten Beziehungen Wladislaw Jagiellos mit den oberschlesischen Piasten richtete. Die Sektion schloss mit einem Beitrag von Maciej SALAMON über die Verbindungen Wladislaws II. von Oppeln, der sich in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts am ungarischen Hof aufgehalten hatte, zum byzantinischen Kulturkreis und die orthodoxen Einflüsse auf die kirchlichen Stiftungen des Herzogs. Besonders dieser Vortrag zeigte die weitreichenden Beziehungen der oberschlesischen Piasten und den daraus folgenden Kulturtransfer.

Mit einem Referat von Lucyna HARC über das Bild der schlesischen Piasten in der Aufklärung begann die dritte Sektion. An den im 18. Jahrhundert verfassten Gesamtdarstellungen zur Geschichte Polens bzw. Schlesiens von Adam Naruszewicz, Samuel Benjamin Klose und Karl Ludwig von Klöber zeigte die Breslauer Frühneuzeit-Historikerin, welchen Einfluss der politische Standpunkt des Verfassers auf das Bild der Piasten hatte. Marek CETWIŃSKI unterstrich in seinem Vortrag „Die europäischen Kontakte der schlesischen Piasten aus der Sicht schlesischer Chroniken“ die Bedeutung der schlesischen Chronisten für die Schaffung eines historischen Bewusstseins in Schlesien und stellte fest, dass darin besonders die familiären Bindungen der schlesischen Piasten zu den böhmischen Königen sowie den römisch-deutschen Königen und Kaisern betont wurden, was für ihn die Schlussfolgerung zuließe, die schlesischen Herzöge hätten zur europäischen Elite gehört. Nachdem Ivan HLAVÁČEK die Stellung der Piasten in der schriftlichen Tradition Böhmens im 12. und 13. Jahrhundert thematisiert hatte, wandte sich Antoni BARCIAK den mittelalterlichen böhmischen Chroniken zu, die vor allem zu Beginn des 14. Jahrhunderts ein großes Interesse an Schlesien zeigten. Für die Chronisten stand der Übergang der schlesischen Herzogtümer an Böhmen im Mittelpunkt, wobei hier vor allem die persönlichen Beziehungen zu den böhmischen Königen und die Lehenshuldigungen, weniger die Inkorporation Schlesiens in die Krone Böhmen, betont wurden. Entsprechend negativ stellten die böhmischen Chronisten diejenigen schlesischen Piasten dar, die sich – wie z. B. Bolko II. von Schweidnitz-Jauer – Böhmen nicht unterstellt hatten. Anschließend verglich Piotr BOROŃ das Bild Heinrichs IV. von Breslau in der polnischen und deutschen Historiografie. Vor allem die Charaktereigenschaften und ab dem 19. Jahrhundert auch die nationale Identität des Herzogs führten zu zahlreichen Kontroversen, die jedoch anhand der vorliegenden Quellen nicht ausreichend gelöst werden könnten. Wojciech IWAŃCZAK zeigte, wie die schlesischen Herzöge in der Synthese von František Palacký dargestellt wurden, in dessen Geschichtsbild Schlesien stets ein wichtiger Bestandteil des böhmischen Länderverbandes gewesen war.

Die vierte Sektion wurde mit einem Vortrag von Jacek MATUSZEWSKI über den Einfluss des Testaments von Boleslaw III. Schiefmund auf die Nachfolgeregelungen der schlesischen Piasten eingeleitet. Stanisław ROSIK sprach über die in Vergessenheit geratene Frömmigkeit und Heiligkeit Herzog Heinrichs I. des Bärtigen, der von einigen mittelalterlichen Chronisten in den Schatten seines Sohnes, Heinrichs II. des Frommen, und vor allem seiner Frau, der Hl. Hedwig, gestellt wurde. Dabei berichten die Chronisten auch von einer eigenen Frömmigkeit des Herzogs, der nicht nur unter dem Einfluss seiner Frau gestanden haben soll. Nach einem Beitrag von Jan LIBOR über die schlesischen Piasten und den Johanniterorden wandte sich Wacław GOJNICZEK der Korrespondenz der Bischöfe von Olmütz aus dem 16. Jahrhundert zu, die als eine wichtige Quelle zur Geschichte und Genealogie der Teschener Piasten herangezogen werden können. Anhand des Schriftverkehrs der mährischen Bischöfe können auf diese Weise zahlreiche biografische und genealogische Daten ermittelt werden. Schließlich informierte Roman STELMACH über den derzeitigen Forschungsstand und die Quellenlage zu spätmittelalterlichen Kanzleien der schlesischen Piasten.

Der letzten Sektion folgte eine abschließende Diskussion, in der die wichtigsten Ergebnisse der Tagung resümiert wurden. Besonders hervorgehoben wurde dabei die Fähigkeit einzelner Piasten, Beziehungen mit zahlreichen auswärtigen Herrschern zu knüpfen und dadurch die kulturelle Entwicklung im eigenen Land zu fördern. Unterstrichen wurde auch der Wandel des Bildes, das sich Zeitgenossen wie auch spätere Geschichtsschreiber über die schlesische Dynastie vom Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert machten.

Der Konferenz ist es durch die große thematische Vielfalt gelungen, die Bedeutung der schlesischen Piasten für die Kultur Mitteleuropas herauszuarbeiten. Auch wenn neun von ursprünglich 32 geplanten Referaten nicht gehalten werden konnten, boten das dichte Programm und die lebhaften Diskussionen einen höchst interessanten Einblick in die Thematik. Es bleibt zu hoffen, dass die seit zehn Jahren sehr erfolgreiche Tagungsreihe auch in Zukunft fortgesetzt werden kann. Die Beiträge werden – wie auch bei den vorangehenden Konferenzen – in einem Tagungsband publiziert werden.


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Deutsch
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