Friedrich Spee: der Reformer der Poesie und die Revolution des katholischen Kirchengesangs

Friedrich Spee: der Reformer der Poesie und die Revolution des katholischen Kirchengesangs

Organisatoren
Friedrich-Spee-Gesellschaft Trier und Lehrstuhl für Kirchengeschichte Mittelalter/Neuzeit der Theologischen Fakultät Trier
Ort
Trier
Land
Deutschland
Vom - Bis
27.04.2007 - 29.04.2007
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Von
Antje Bräcker, Theologische Fakultät Trier

Mit der so genannten kulturalistischen Wende finden in den letzten Jahren auch solche Gegenstände breiteres geschichtswissenschaftliches Interesse, die bis dahin eher marginalisiert worden waren. Das gilt nicht zuletzt auch für die Beschäftigung mit Kirchenliedern und Gesangbüchern wie das vor Kurzem ausgelaufene Mainzer Graduiertenkolleg zum „Geistlichen Lied“ und die in Verbindung damit entstandene Buchreihe „Mainzer hymnologische Studien“ zeigen. In diesen Horizont fügt sich auch die Tagung ein, über die hier zu berichten ist. Sie fand in Kooperation der Friedrich-Spee-Gesellschaft Trier, des Lehrstuhl für Kirchengeschichte des Mittelalters und der Neuzeit an der Theologischen Fakultät Trier sowie der Katholischen Akademie Trier statt. Gefördert mit Mitteln der Arbeitsgemeinschaft literarischer Gesellschaften und der Stadt Trier war di Tagung Teil der Veranstaltungen zum Kulturhauptstadtjahr Luxemburg und Großregion 2007. Im Zentrum standen Friedrich Spee und das katholische Kirchenlied im konfessionellen Zeitalter. Den äußeren Anlass bot das Erscheinen des vierten Bandes der historisch-kritischen Ausgabe der Werke Spees, "Auserlesene, Catholische, Geistliche Kirchengesäng". Der Herausgeber dieses Bandes, Theo G.M. van Oorschot (Mehren), hielt den Eröffnungsvortrag der ersten Sektion "Analyse und Interpretation von Spee-Liedern". Darin legte van Oorschot dar, anhand welcher Kriterien Spee die Verfasserschaft einzelner Kirchenlieder zugeschrieben werden könne, wie z.B. ein stimmiges Metrum mit schwebenden Betonungen, das Zusammenfallen von Reim- und Wortakzent sowie die konsequent durchgehaltene Perspektive der Lieder. Auch folgte er der These des Kirchenliedforschers Josef Gotzen, nach der alle im Brachelschen Gesangbuch von 1623 auftauchenden Lieder Spee zuzuschreiben sind. Auf diese Weise sei ein Bestand von rund 130 Liedern rekonstruierbar, deren Verfasserschaft mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit Spee zugeschrieben werden könne. Karl-Heinz Weiers (Trier) äußerte gegen van Oorschot Zweifel an Spees Verfasserschaft bei einigen wenigen Liedern und führte unter anderem einen starken Dialektgebrauch und andere bei Spee nicht gebräuchliche philologische Besonderheiten sowie das Fehlen der für Spee typischen Abstufung der Betonungsakzente an.

Cornelia Rémi (Germanistin an der LMU München) zeichnete die Prozesse nach, mit denen es Spee gelang, komplizierte theologische Sachverhalte in schlichte Lieder der Kinderkatechese umzuwandeln. Sie stärkten den eigenen Glauben durch Eindeutigkeit und Klarheit der Darstellung komplexer Glaubensinhalte und legten großen Wert auf affektive Zugänge zu den Glaubensinhalten, um die Tiefenwirkung und Wirkungsdauer des Vermittelten zu verlängern. Einen Einblick in die Werkstatt des derart geforderten Lieddichters gewähren die manchen Liedern beigefügten lateinischen Anmerkungen: sie benennen Quellen (Kirchenväter, exegetische Texte, Bibel etc.), deren sich Spee bediente, und fügen den Liedern so Deutungsebenen hinzu, die unmittelbar aus dem Text nicht zu erschließen sind. Nach der Verwendung von Speeliedern, näherhin nach ihrer Liturgiefähigkeit, fragte der Trierer Liturgiewissenschaftler Andreas Heinz. Er legte dar, dass aufgrund der Bestimmungen des Tridentinums, das volkssprachliche Lieder nur in den engen Grenzen des status quo der vorreformatorischen Zeit zuließ, Spees Kirchenlieder wie überhaupt alle Kirchenlieder seiner Zeit überwiegend zum Gebrauch in der Katechese bestimmt waren. Sofern sie überhaupt im Kontext der Eucharistiefeier Verwendung fanden, stellten sie keine Beziehung zum Messgeschehen her. Anhand von Beispielen auch des Trierer Raumes konnte Heinz nachweisen, dass Speelieder sich dennoch als Elevationsgesänge oder Predigtlieder ihren Platz in der Liturgie erobert haben. Im 20. Jahrhundert halfen die Einheitsgesangbücher für Deutschland bzw. den nordwestdeutschen Raum, einen Kernbestand von circa 25 Speeliedern auszubilden, die somit ihre Liturgiefähigkeit bis in die heutige Zeit bewiesen haben. Heinz wagte die Prognose, dass die Innigkeit, Gemüthaftigkeit und Schöpfungsfrömmigkeit der Speelieder diesen angesichts einer eher rational bestimmten römischen Liturgie auch in Zukunft einigen Zuspruch sichern werde, vor allem auch außerhalb der Liturgie der Messfeier.

Die zweite Sektion war der "Wirkungsgeschichte der Lieder Spees" gewidmet. Der tschechische Germanist Jan Kvapil konnte den überraschenden Befund einer ausgeprägten böhmischen Speerezeption präsentieren. Dabei handelte es sich jedoch vielfach um unbewusste Rezeption, da die cica 100 Speelieder in den deutschen Gesangbüchern anonym überliefert wurden. Greifbarer ist Spees Einfluss im Falle des „Güldenen Tugendbuchs“, das Christophorus Todtfeller für die Marianischen Kongregationen rezipierte, und in zahlreichen weihnachtlichen Hirtenspielen. Im tschechischen Sprachkreis wurden die Kirchenlieder hingegen kaum rezipiert, da die Gesangbücher wie im deutschen Sprachraum auch eher Editions- als Übersetzungsarbeit leisteten. Eine beachtliche Wirkungsgeschichte war allerdings der tschechischen Übersetzung der Trutznachtigall beschieden. "Zur Rezeption von Friedrich Spees Liedern in Nordwestdeutschland im 17. Jahrhundert" sprach die Hymnologin Erika Heitmeyer (Dortmund) und zeigte, wie dem Zeitverlauf folgend, die Anzahl der rezipierten Speelider in den Gesangbüchern Paderborn 1628, 1630/1646, 1671/1682, Corvey 1675 und Münster 1677 stetig zunahm, wobei sich in letzerem eine Singordnung für eine nahezu durchgehend deutsche Singebegleitung der sonntäglichen Missa cantata mit Speeliedern findet. Am Paderborner Gesangbuch von 1628 zeigte sie exemplarisch, dass die Rezeption von Kirchenliedern im Allgemeinen durch textgetreue Übernahme stattfand. Überarbeitungen des vorgefundenen Textes spiegeln veränderte theologische Akzentsetzungen oder Funktionen wider. So bei dem bis heute gesungenen Passionslied "O Traurigkeit, o Herzeleid", dessen von einer eher ruhig-meditativen Grundstimmung durchzogene Fassung Paderborn 1628 einer Fassung Würzburg 1628 weichen musste, die eher für den neu aufkommenden Brauch der Grablegung zu verwenden war. Beide Versionen sind wohl Spee zuzurechnen. Als "Werkstattbericht", inspiriert von dem Bemühen, Melodien von Speeliedern heute mit Anspruch auf Authentizität erklingen zu lassen, präsentierten sich die Überlegungen des Musikpädagogen und Kirchenmusikers Hans Hermann Jansen (Paderborn). Als bewährte Mittel, eine solche Authentizität herzustellen, nannte er vor allem Instrumentenwahl, die Verwendung des Kornetttons und Stilkopien. Forschungsbedarf zeigte Jansen bei Interpretationsaspekten der Neumen- und Mensuralnotation an. Eine weitere Problemanzeige betraf die Übertragung der Mensural- auf die heutige Notation, da Schlüsselung, Notation, Takt, Pausen und Tempi im 17. Jahrhundert wesentlich unverbindlicher ausgelegt wurden als in der jüngeren Musiktradition.

Die dritte Sektion war "Kirchengesang und Gesangbuch als Medium und Kulturträger" gewidmet, um ein außerhalb der speziellen Hymnologie lange von der Forschung vernachlässigtes Medium in den Blick zu nehmen, das im wahrsten Sinn des Wortes Gebrauchsliteratur war. Für den Zeitraum von etwa 1530 bis 1630 zeichnete Andreas Scheitgen, Mitarbeiter am Mainzer Projekt einer Gesangbuchbibliographie, das katholische Bemühen nach, dem volkssprachlichen Gemeindegesang der Reformation ein ebenbürtiges katholisches Pendant zur Seite zu stellen. Wegen ihrer Breitenwirkung war diese Gesangsform nicht zu ignorieren, obwohl sie auf protestantischer Seite als Ausdruck des allgemeinen Priestertums galt, dessen besondere Wertschätzung auf katholischer Seite abgelehnt wurde. Übernahm man zunächst evangelische Vorbilder und passte sie an katholische Glaubenslehren an (Beispiel: Michael Vehe), führten erste genuin katholische Versuche volkssprachlichen Kirchengesangs im Rahmen der Kompromisstheologie etwa bei Johann Leisentrit(t) zu einer Art Volksmessbuch mit einem deutschen Hochamt, das wegen seiner engen Anlehnung an lutherische Vorbilder jedoch auf Widerstand stieß. Erst im Zuge der Konfessionalisierung entdeckte man dann den volkssprachlichen Kirchengesang der Vorreformation wieder und machte ihn für die Darstellung des Katholischen im Bereich außerhalb der Liturgie der Meßfeier etwa bei Wallfahrten und Prozessionen fruchtbar. Noch am reformatorischen Liedgut orientiert, aber bereits deutlich katholische Akzente setzte der Ulenbergpsalter, der auch Spee beeinflusst haben dürfte. In Conrad Vetters "Paradeißvogel" ist der kämpferisch-offensive, missionarische Impetus der "Gegenreformation" unübersehbar: dieser neue Typus katholischen geistlichen Gesangs ist von barocker Ästhetik geprägt und ohne den Einfluss des Jesuitenordens und dessen ignatianische Spiritualität nicht vorstellbar. Den "Frömmigkeitspraktische[n] Zielsetzungen in katholischen Gesangbüchern" ging die Hymnologin und Liturgiewissenschaftlerin Maria Kohle (Dortmund) in ihrem Beitrag nach. Ihre Analyse hauptsächlich von Paderborner, aber auch Corveyer und Münsteraner Gesangbüchern zeigt auf, wie die Zunahme von Liedern zu konfessionstypischen Anlässen wie Prozessionen, Wallfahrten, Kreuzestrachten, katholischen (Heiligen-) Festen das Programm der Rekatholisierung widerspiegelte. Besonders eindrücklich wird dies im Paderborner Gesangbuch von 1671/1682, in dem sich deutsche Lieder zu allen Kloster- und Kirchenpatronen der Stadt finden lassen sowie zu solchen Heiligen, deren Verehrung von den Erzbischöfen gefördert wurde. Interessant ist, dass die Anordnung der Heiligenlieder in diesem Gesangbuch obendrein der Anordnung der Patrozinien in der Stadt entspricht, so dass das Buch zugleich als "virtuelle Pilgerfahrt" verstanden werden konnte. Der katholische volkssprachliche Kirchengesang in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts im Kontext der für diese Zeit charakteristischen Entfaltung einer Laienfrömmigkeit in Frankreich war das Thema des französischen Historikers Philippe Martin (Nancy). Wegen Erkrankung des Referenten trug der Organisator der Tagung, der Trierer Kirchenhistoriker Bernhard Schneider, eine zusammenfassende Übersetzung vor. Obwohl nicht unumstritten, waren Kirchenlieder in der Volkssprache im Frankreich des 17. Jahrhunderts eine "Modeerscheinung", die oft auf weltliche Melodien zurückgriff und zu der auch nicht wenige und zum Teil bekannte Laien wie etwa Pierre Corneille oder Jean Racine Beiträge leisteten. Neben dem Gruppengesang in Volksmission, Katechese oder Chören bei prozessionsbegleitenden theatralischen Inszenierungen boten sich diese Lieder auch zur privaten Andachtslektüre, zu Vermittlung christlichen Tugendlebens und Glaubenswissens an.

Die Tagung konnte den im Titel formulierten Sachverhalt nachhaltig unterstreichen. Friedrich Spee hat – aufbauend auf seinem poetischen Reformprogramm – die katholische Kirchenlieddichtung wesentlich beeinflusst und durch die intensive Rezeption seiner vielen Kirchenlieder eine Grenzen überschreitende und lange andauernde Wirksamkeit erreicht. Gleichzeitig wurde deutlich, wie sehr die innerkirchlichen katholischen Reformkräfte für ihre Reform- und Konfessionalisierungsbemühungen das neue Medium Gesangbuch adaptierten und zunehmend eigenständig nutzen. Es wurde, wie Philippe Martin mit Blick auf Frankreich formulierte, tatsächlich zu einer „pastoralen Waffe“. Angesichts der riesigen Fülle von Gesangbüchern steht der Forschung hier trotz wichtiger Fortschritte noch ein weites Feld offen. Das gilt auch für die speziellen Forschungen zu den Liedern Spees. Mit Band 4 der historisch-kritischen Edition, der bewusst als Untertitel die Bezeichnung „Ein Arbeitsbuch“ trägt, stützen diese sich immerhin auf ein wesentlich stabileres Fundament.

Vom Fortwirken der Lieder Spees konnten sich die Teilnehmer der Tagung und die interessierte Öffentlichkeit im Rahmen eines gut besuchten Konzerts in der ehemaligen Trierer Jesuitenkirche überzeugen. Während der Trierer Speechor unter Leitung von Martin Folz eine Auswahl aus Spees Kirchenliedern und Liedern der Trutznachtigall, zum Teil in moderner Bearbeitung, präsentierte, stellte das auf die Musik des 17. Jahrhunderts spezialisierte Prager Ensemble "Ritornello" unter der Leitung von Michael Pospíšil Lieder aus der tschechischen Übersetzung der Trutznachtigall vor und illustrierte insofern eindrücklich den Vortrag von Jan Kvapil zur böhmischen Speerezeption. Einblick in ihre praktische Arbeit gaben beide Ensembleleiter am nächsten Morgen in einem musikalischen Workshop. Anhand von Liedbeispielen aus dem Repertoire seines Ensembles stellte Pospíšil charakteristische Züge der Musik des 17. Jahrhunderts dar, wie etwa Tonfiguren als Illustration von Liedtexten und Zahlensymbolik bei Takt- und Notenwerken. Inhalte und Botschaft der Musik Spees in den Erfahrungshorizont des Menschen im 21. Jahrhundert, insbesondere auch in den von Kindern und Jugendlichen zu transportieren, definierte Folz als Zentrum seines musikalischen Schaffens. An praktischen Beispielen unter Einbeziehung des Publikums veranschaulichte er, wie mit Hilfe von Improvisationen ein ganz persönlicher Zugang zu den Liedern Spees geschaffen werden kann. Die Neuvertonung des Speeliedes "O Heiland, reiß' die Himmel auf" in dem 2004 ur- und anlässlich des Katholikentages Saarbrücken 2006 erneut aufgeführten Oratoriums "Der Prophet" machte dieses Verfahren in Perfektion hörbar. Alternativ zum Workshop stand der Besuch der Ausstellung "Kaiser - Gelehrte - Revolutionäre. Persönlichkeiten und Dokumente aus 2000 Jahren europäischer Kulturgeschichte" an. Die von der Stadtbibliothek Trier im Rahmen der Kulturhauptstadt Europa 2007 Luxemburg und Großregion ausgerichtete Ausstellung gedenkt unter anderem auch des Wirkens Friedrich Spees.

Kontakt

Prof. Dr. Bernhard Schneider
Lehrstuhl für Kirchengeschichte Mittelalter/Neuzeit
Theologische Fakultät Trier
Universitätsring 19, 54296 Trier
0651/201-3534//3530
e-mail: schneider-sirzenich@arcor.de


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