Religion als Weg zum guten Leben?

Religion als Weg zum guten Leben?

Organisatoren
Alfried Krupp Wissenschaftskolleg Greifswald Wissenschaftliche Leitung: PD Dr. Johann Hinrich Claussen PD Dr. Andreas Urs Sommer
Ort
Greifswald
Land
Deutschland
Vom - Bis
14.03.2007 - 16.03.2007
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Von
Andreas Urs Sommer

Vom 14. bis 16. März 2007 fand im Alfried Krupp Wissenschaftskolleg Greifswald, gefördert von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung Essen, die interdisziplinäre und internationale Tagung „Religion als Weg zum guten Leben?“ unter der wissenschaftlichen Leitung von Johann Hinrich Claussen (Hamburg) und Andreas Urs Sommer (Greifswald) statt. Bei der Auswahl der Referenten wurden einerseits Experten eingeladen, andererseits mit call for papers auch gezielt Nachwuchswissenschaftler angesprochen. Ziel der Tagung war es eine möglichst umfassende Antwort auf die im Titel gestellte Frage zu geben, ob und wie Religion ein Weg zum guten Leben sein kann. Dabei war die Definition vom "guten" Leben Teil der Fragestellung.

Die Tagung hatte fünf inhaltliche Schwerpunkte, die zugleich als Gliederungsprinzip fungierten. Im ersten thematischen Block „Historische Konzepte religiös guten Lebens“ wurde erhoben, wie die monotheistischen Religionen des okzidental-mediterranen Kulturraums gutes Leben in der Vergangenheit konzeptualisiert haben. Judentum, Christentum und Islam waren dabei paritätisch vertreten. Im zweiten Block „Gegenwärtige Konzepte religiös guten Lebens“ wurde gefragt, welche Konzepte guten Lebens in den modernen Theologien dieser Religionen diskutiert und gebraucht werden. Der dritte Block legte den Akzent auf den „Streit um das gute Leben zwischen Religion und Philosophie“ – sofern es einen solchen Streit überhaupt zu geben braucht. „Ende der Religion, Ende des guten Lebens?“, sollte im vierten Block erschlossen werden, gerade auch im Hinblick auf das Problem der Säkularisierung (IV). Der fünfte und letzte Block widmete sich schliesslich dem Problem, ob und wie gutes Leben neu zu denken sein könnte.

Eröffnet wurde die Tagung mit einem Vortrag von Karl E. Grözinger (Universitäts Potsdam) zu „Menschensbildern und Lebenszielen im Judentum“. Grötzinger stellte zunächst klar, dass im Judentum an sich von einem „religiösen Apriori“ ausgegangen werde, das die Frage nach Religion als Weg zum guten Leben als eine von aussen herangetragene Frage von vornherein unplausibel mache. Ausgehend von der biblischen Sicht, dass alles, das heißt die Schöpfung Gottes „sehr gut war“ und somit die Welt in positivem Licht erscheint, begann man in der rabbinischen Sicht Diesseits und Jenseits zu unterscheiden. Danach wurde im mittelalterlichen Judentum unter dem Einfluss der griechischen Philosohie Ebenbildlichkeit durch Erkennntnis hergestellt. In der Renaissance schließlich sah etwa Leone Modena die Schöpfung zum Vergnügen Gottes eingerichtet und die Haskala wähnte im Judentum eine Vernunftreligion zu erkennen. Bei aller Diversität erscheinen in den unterschiedlichen jüdischen Antworten auf die Frage nach dem guten Leben Gotteslehre, Schöpfungslehre und Menschenbild als eine Einheit. Stets sei, so Grözinger, der Versuch prägend, den Menschen in eine Totalität einzubinden. Anhand des Ansatzes von Thomas von Aquin erörterte Rochus Leonhardt (Universität der Bundeswehr, Hamburg) anschliessend die „Grösse und Grenzen mittelalterlicher Glückstheologie“. Zunächst differenzierte er die verschiedenen Schaffensphasen im Werk des Aquinaten und legte sodann den Hauptakzent auf die theologische Aufwertung des Glücks im Diesseits. Das irdische Glück konnte dabei als ein Vorgeschmack des himmlischen erscheinen. Dabei kam es Leonhardt insbesondere darauf an, die systematische Problematik dieses Ansatzes aus protestantischer Sicht bei aller Anerkennung seiner Relevanz herauszuarbeiten. Eine konzise Darstellung der Annäherungen an gutes Leben im Islam gab Reinhard Schulze (Universität Bern), indem er zunächst das Vorurteil ausräumte, der Islam habe in seiner vorgeblichen Sinnlichkeitsfixierung nichts zum Thema „gutes Leben“ zu sagen. Eine genauere Betrachtung erwies im Gegenteil, dass im Islam nicht nur wie in Judentum und Christentum eine grosse Vielfalt möglicher Positionsbezüge versammelt zur Diskussion standen. Vielmehr kritstallisierte sich gerade in der frühen Neuzeit eine innerweltliche Perspektive heraus, wonach jenseits religiöser Pflichten jeder Mensch individuelle Lebenspläne auszuleben im Stande sei. Gerade hier und in Parallelität zu westeuropäischen Erscheinungen (Puritanismus) eröffnet sich nach Schulze ein noch weitgehend unerforschtes Feld islamwissenschaftlicher und komparativer Betrachtungen.

Unter dem Titel „Modernes Glücksstreben und christliches Gegenglück“ nahm Johann Hinrich Claussen (Universität Hamburg) Rudolf Hennebergs monumentales Gemälde „Jagd nach dem Glück“ und Albrecht Dürers Kupferstich „Ritter, Tod und Teufel“ zum Anlass, über die Transformation des Glücksbegriffs in der Moderne nachzudenken – und darüber, wie unter christlichen Vorzeichen eine Begrenzung des prinzipiell unbeschränkten Glücksstrebens möglich ist. Nina Redl (City College New York) exemplifizierte anhand der Halacha das „Judentum als Weg zum guten Leben“. Ganz egal, welche Interpretation man der Halacha angedeihen lässt, wurde nach Redls Darstellung deutlich, dass eine rein intellektuelle Lebensweise nicht halachisch sein kann und ein gutes Leben mithin stets eine Praxisform darstellt. Ebenfalls in der Tradition des Judentums und auf eigentümliche Weise mit der Tradition der Metaphysik verknüpft ist das philosophische Werk von Franz Rosenzweig, das Olivia Mitscherlich (Universität St. Gallen) in ihrem Vortrag „Die göttliche Wahrheit verbirgt sich dem, der nur mit einer Hand nach ihr langt“ vorstellte.

Christoph Horn (Universität Bonn) stellte sich im ersten Abendvortrag, zu der auch die Greifswalder Öffentlichkeit eingeladen war, dem Tagungsthema auf grundsätzliche Weise: „Wem gehört die Lebenskunst? Der Philosophie oder der Religion?“. Dabei arbeitete er im Geiste eines epistemischen Pluralismus heraus, dass die Lebenskunst zwar keiner religiösen Begründung bedürfe, sehr wohl aber religiöse Inhalte haben könne. In einem gemeinsam vorgetragenen Beitrag stellten Christoph Hardmeier und Konrad Ott (beide Universität Greifswald) am zweiten Tagungstag die fruchtbare Zusammenarbeit von historischer Bibelwissenschaft und Philosophie/Umweltethik unter Beweis: Der scheinbare Herrschaftsauftrag in der Genesis wurde hierbei einer kritischen Revision unterzogen, wodurch sich das Konzept des guten Lebens gerade auch als ein ökologisch verantwortbares Leben erweisen sollte. Auch Sebastian Maly (Universität Giessen) zeigte sich in seinen Überlegungen zum Begriff des guten Lebens einer christlichen Ausdeutung nicht abgeneigt, zumal spirituelle Praxis sich angesichts der Verwundbarkeit und Unvollkommenheit des Lebens als hilfreich erwiese. Dezidiert die Position eines Katholiken nahm Nikolaus Lobkowicz (Katholische Universität Eichstätt) in seinen Ausführungen „Was wäre ein gelungenes Leben?“ ein, in denen er betonte, dass die philosophischen Ethiken dazu tendierten, die Schattenseiten des Daseins auszuklammern, während er auf der anderen Seite Religion als Kontingenzbewältigung stark machte. Eine bloss innerweltliche Begründung von Normen erscheint unzureichend, so dass die Religion auch in pädagogischer Hinsicht einem gelingenden Leben diene. Andreas Urs Sommer (Universität Greifswald) stellte demgegenüber in Frage, ob ein gutes Leben Religion als Voraussetzung oder als Ingredienz benötige und schlug vor, Religion nicht mehr als Zentrum, sondern nur noch als Ornament eines guten Lebens zu betrachten.

Gegen einen solchen "lauen" Standpunkt wandte sich Michael Bongardt (Freie Universität Berlin) mit einem „Plädoyer für die Empörung“. Darin verband er den Absurditätsbefund Albert Camus’ mit Søren Kierkegaard und befürwortete eine trotzige Sisyphos-Theologie des „Dennoch“ und der Freiheit. Michael Steinmann (Universität Freiburg) erörterte aus philosophischer Perspektive das gern verkannte Problem der „Bedeutung des Lebensendes für die Frage nach dem guten Leben“, ausgehend von der aristotelischen Bestimmung des Glücks als Tätigkeit. Gutes Leben wurde von Steinmann aber nicht länger als Vervollkommnung, sondern als Kontingenzbewältigung verstanden, die in einer Diskontinuität von Erwartung und Enttäuschung verbleibe, so dass der Hoffnung eine zentrale Funktion zukomme. Sabine A. Harting (Universität Graz) zog ihrerseits soziologische Gegenwartsdiagnosen heran, um einerseits bei allen Phasenwechseln von Entzauberung und Wiederverzauberung die Persistenz und Erklärungskraft des Säkularisierungsmodells zu erhärten, und andererseits zu zeigen, dass für diese Gegenwartsdiagnosen Religion keine prominente Rolle mehr spielt, wenn es darum geht, Muster guten Lebens zu analysieren.

Im zweiten Abendvortrag, der zugleich ein Exkurs in die Literaturwissenschaft darstellte, behandelte Rüdiger Görner (Queen Mary College, University of London) mit „Das Zuviel des Guten“ ein „moralisches Problemfeld bei Goethe“. Dabei wurde deutlich, wie stark Goethe das Verhältnis des Guten zum Schönen problematisierte – bis hin zur dialektischen Vermittlung der Bipolarität des Guten und Bösen in der Mephisto-Figur des Faust. Die Gutmütigkeit kann dabei leicht in eine ‚Gutmüdigkeit’ umschlagen. Christiane Borchel (Universität Dortmund) eröffnete den letzten Tagungstag mit einer Fundamentalreflexion auf den Begriff und den Stellenwert der Hoffnung sowohl in der religiösen Tradition (des Christentums) wie in der Philosophie. Dabei trat heraus, wie wenig das Gelingen des Lebens in unserer Hand liegt, so dass die Hoffnung auf dieses Gelingen als Ausweg bleibt. Jörg Lauster (Universität Marburg) lotete im Anschluss an Schleiermachers Reden die Zusammenhänge von Glückserfahrung und religiöser Erfahrung aus. Dabei betonte er die Unverfügbarkeit beider Erfahrungstypen und hob auf die zentrale Bedeutung existenzieller Geborgenheit ab. Gott erscheint in theologischer Perspektive als letzter Grund des Glücks. Freilich erscheint eine religiöse Deutung des Daseins als möglich, vielleicht als naheliegend, nicht aber als zwingend. Abschliessend gab Wilhelm Schmid (Universität Erfurt) der philosophischen Betrachtung der Lebenskunst – die sich besser um das schöne Leben als um das moralisch konnotierte gute Leben kümmern solle – eine entschieden religiöse Wendung. Eine säkulare Religion tat sich dabei als Möglichkeit auf; Religion erschien selbst als eine Form von Lebenskunst, deren Fundament ein Transzendenzbezug sei. Für die Lebenskunst erweise es sich als wesentlich, überhaupt einen offenen, transzendenten Horizont für möglich zu halten. Die Heilsfrage rücke damit neu ins Zentrum des allgemeinen Interesses, so Schmid. Damit erscheint die Frage nach Religion als Weg zum guten Leben in neuer Weise dringlich.

Eine Podiums- und Abschlussdiskussion am letzten Tagungstag gab sowohl dem Publikum wie den Referenten noch einmal Gelegenheit, eigene disziplinäre Voraussetzungen und gewonnene Erkenntnisse mit den Erkenntnissen anderer Fächer und Heransgehensweisen zu verbinden und abzugleichen. So wenig die Tagung bestrebt war, eine definitive Antwort auf die im Titel gestellte Frage zu geben, gelang es, die Implikationen dieser Fragen besser zu verstehen und für künftige Forschungen präziser zu fassen. Bei aller Heterogenität der einzelnen Antwortversuche aus den verschiedenen Disziplinen hat die Veranstaltung somit die in sie gesetzte Erwartung erfüllt. Es ist gelungen, die Thematik in ihrer ganzen Breite zu beleuchten und durch Vertiefung weitere Forschungsfelder zu eröffnen. Die Durchmischung der Beiträge von junior scholars und senior scholars hat die Tagung sehr belebt, die auch bei den rund 130 Teilnehmern großen Zuspruch fand.

Kontakt

PD Dr. habil. Andreas Urs Sommer
Ernst-Moritz-Arndt-Universitaet, Institut für Philosophie
Baderstrasse 6-7, D-17487 Greifswald (Germany)
Tel. ++49-3834-863450 oder -59,
Fax ++49-3834-863451
Tel. privat ++49-3834-855868,
e-mail: asommer@uni-greifswald.de


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