Hetären und Lustknaben, Zwangsprostituion und Sex-Sklaverei. Ein interdisziplinärer Workshop über Sexualität und Unfreiheit

Hetären und Lustknaben, Zwangsprostituion und Sex-Sklaverei. Ein interdisziplinärer Workshop über Sexualität und Unfreiheit

Organisatoren
Graduiertenkolleg "Sklaverei - Knechtschaft und Frondienst - Zwangsarbeit" der Universität Trier
Ort
Trier
Land
Deutschland
Vom - Bis
15.03.2007 - 16.03.2007
Url der Konferenzwebsite
Von
Cornelia Jeske, Lehrstuhl für Neueste Geschichte, Universität Würzburg

Das Graduiertenkolleg „Sklaverei – Knechtschaft und Frondienst – Zwangsarbeit“ an der Universität Trier veranstaltete vom 15. bis 16. März 2007 in Trier einen Workshop zum Thema „Hetären und Lustknaben, Zwangsprostitution und Sex-Sklaverei. Ein interdisziplinärer Workshop über Sexualität und Unfreiheit.“ Die Organisation der Veranstaltung erfolgte durch Melanie Ulz und Joseph Fischer.

Ziel dieses Workshops war es, durch eine interdisziplinäre Herangehensweise den Zusammenhang zwischen Sexualität und Unfreiheit zu untersuchen. Dabei prägte eine epochenübergreifende und multiregionale Sichtweise die Konzeption der Veranstaltung, in der exemplarische wie auch übergreifende Studien nähere Einblicke boten und angeregte Diskussionen ermöglichten.

In seiner Begrüßung, die er stellvertretend für die Leiterin des Kollegs, Frau Prof. Dr. Herrmann-Otto vornahm, wies Prof. Dr. Wöhrle zuerst auf die lange Tradition der Verbindung von Sexualität und Sklaverei hin. Weiter machte er darauf aufmerksam, dass in diesem Bereich die gender studies eine wichtige Rolle spielen und mit neuen methodischen Herangehensweisen wichtige Einblicke in dieses Feld bieten können.
Im Anschluss an die einleitenden Worte erfolgten die Beiträge in chronologischer Reihenfolge, wobei das Spektrum der Themen vom Alten Orient bis ins heutige Indien reichte.

Rainer Feldbacher (Wien) beschrieb die Sklaverei als einen integralen Bestandteil der Kultur des Alten Orients. Häufig handelte es sich bei jungen weiblichen Sklaven um Hausangestellte für die Herrin und um Konkubinen für den Herrn. Dies ist ein extremer Fall von Kontrolle, Feldbacher wies allerdings auch darauf hin, dass Frauen generell in einem nicht endenden Abhängigkeitsverhältnis lebten, wobei sie erst an den Vater bzw. nach dessen Tod an die Brüder und dann an ihren Ehemann oder einen Herren gebunden waren. Zum Teil ging die Ausbeutung der weiblichen Sklaven sogar so weit, dass sie als Prostituierte auch an nicht-der Familie angehörige Männer vermietet wurden. Diese Vermutung liegt laut Feldbacher auch deshalb nahe, weil Sklavinnen oft für andere Dienste vermietet wurden.

Nach einer kurzen Einführung in die Sklaverei im klassischen Athen widmete sich Joseph Fischer (Trier) in seinem Vortrag den Beziehungen zwischen Freien und Unfreien bzw. zwischen zwei unfreien Partnern sowie der sexuellen Ausbeutung von Sklaven. Ehen zwischen Sklaven eines Herren waren gesetzlich zwar nicht erlaubt, der Herr konnte eine derartige Verbindung allerdings anerkennen. Verbindungen zwischen den Sklaven zweier verschiedener Herren sind nicht belegt. Sexuelle Beziehungen zwischen Herren und Sklavinnen waren durchaus üblich, was allerdings nicht eine völlige Akzeptanz durch die attische Gesellschaft bedeutete. Sklavinnen wurden aber nicht nur von ihren Herren selbst als Konkubinen gehalten, sondern wurden auch oft zur Prostitution vermietet. Eine besondere Stellung nahmen in dem Zusammenhang Hetären ein, die in einzelnen Fällen auch Einfluss auf das ‚normale’ Leben des Mannes nehmen konnten.

Mit den Dionysiaka des Nonnos aus Panopolis stellte Monika Stawicka (Trier) ein Epos vor, in dem der Dichter Unterlegenheit durch Sexualität thematisierte. Er stellt kriegsgefangene Frauen dar, die nicht nur zu Diensten in Haus und Feld, sondern auch zu sexuellen Diensten gezwungen wurden. Daneben übten die Sieger auch Zwang zur Heirat zwischen Bediensteten und Kriegsgefangenen aus, was sowohl Männer als auch Frauen betraf. Freiheitsverlust war eine Bedrohung, der vor allem Frauen ausgesetzt waren, da die gefangenen Krieger in der Regel getötet wurden. Die Frauen dagegen führte man als Kriegsbeute nach Hause und hielt sie dort als Sklavinnen. Es muss in diesem Zusammenhang angemerkt werden, dass Unterwerfungen zum Teil auch auf freiwilliger Basis stattfanden. Hier sah Stawicka einen Bezug zur Gegenwart, indem sie annahm, dass eine derartige Konstellation auch heute noch möglich ist.

Bei seinen Erläuterungen zum Thema der Abhängigkeit der Frau in der griechischen Philosophie ging Tobias Reichardt (Hamburg) davon aus, dass die griechische Philosophie generell die Menschen als unvollkommen betrachtete, im Gegensatz zu den Göttern, die sich durch Vollkommenheit auszeichneten. Ziel der Menschen musste nun diese Vollkommenheit sein. Sexualität wurde als ein natürliches Bedürfnis gesehen, das sich aber durch Abhängigkeit und damit durch Unvollkommenheit auszeichnete. Zusammenfassend kam Reichardt zu dem Ergebnis, die griechische Philosophie sei geprägt durch die Abwertung von Frauen, Sklaven und Sexualität. Daraus lässt sich auf eine Abwertung der Sinnlichkeit durch die im Vortrag besprochenen Philosophen und philosophischen Schulen schließen. Freiheit dagegen wird von ihnen als das anzustrebende Ziel erklärt und um dieses zu erreichen, wird die Herrschaft über bzw. die Abkehr von Frauen, Sklaven und Sexualität und damit von Sinnlichkeit proklamiert.

Günther Thüry (Rottenburg) führte in das Thema von Sexualität und Gewalt im römischen Alltag ein, indem er darauf hinwies, dass das Thema Erotik in der Historiografie zur römischen Geschichte bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein tabuisiert wurde. Anhand literarischer, epigraphischer und archäologischer Zeugnisse stellte Thüry Fälle von sexueller Gewalt vor, die nicht in die Kategorie der öffentlich anerkannten kriminellen Taten fielen. Durch literarische Zeugnisse führte er klar vor Augen, wie Liebesbeziehungen von Macht- und Dominanzwünschen geprägt waren. So stellten Zwangsheiraten, bei denen der weibliche Partner nicht selten ein Kind von 12 Jahren oder jünger war, keine Seltenheit dar. Auch die uneingeschränkte Verfügungsgewalt über männliche und weibliche Sklaven spielte im römischen Alltag eine wichtige Rolle. Bei den epigraphischen Zeugnissen fanden unter anderem Schleudergeschosse aus Blei Erwähnung. Vergleichbar mit von GIs beschrifteten Raketen feuerten z.B. in der Schlacht von Perugia beide Seiten besagte Geschosse ab, auf denen Androhungen von sexueller Gewalt zu finden sind. Zu den archäologischen Zeugnissen gehören unter anderem masochistische Darstellungen, die von sado-masochistischen Praktiken zeugen.

In seinem Vortrag zur mediterranen Sklaverei im Mittelalter bezog sich Christoph Cluse (Trier) auf die These von Orlando Patterson, der als die drei wichtigsten Kennzeichen der Sklaverei Gewalt, genealogische Entfremdung und Ehrlosigkeit aufzeigte. Ausgehend von dieser Definition und in Bezug zur Situation der weiblichen Sklaven kam Cluse zu dem Schluss, dass die Situation von Sklavinnen besonders prekär und vulnerabel war, da sie nicht nur das Eigentum ihres Herrn waren, sondern auch von genealogischer Entfremdung betroffen waren. Diese beiden Aspekte, in Verbindung mit der Ehrlosigkeit, von der Sklaven betroffen waren, stellten für weibliche Sklaven ein besonderes Problem dar, da sie so den sexuellen Nachstellungen ihrer Herrn schutzlos ausgeliefert waren. Auch die Mutterschaft war von diesem System der Kontrolle betroffen. So lag es in der Entscheidungsgewalt des Herrn, ob eine Sklavin ihr Kind behalten durfte.

Melanie Ulz (Trier) verglich in ihrem Vortrag zu „Sklaverei und Pornographie um 1800“ Antisklaverei-Darstellungen und pornografische Darstellung um 1800. Sie kam zu dem Schluss, dass dabei deutliche Parallelen zu verzeichnen sind. So war etwa die Flagellanten-Literatur im Bereich der abolitionistischen Abhandlungen weit verbreitet. Die Abbildungen darin sind klar erotisch besetzt – sie dienen sowohl der Abschreckung vor der Sklaverei als auch dem Vergnügen der Betrachter. Die sexualisierte Gewalt, die Ulz in Antisklaverei-Darstellungen aufzeigte, betraf Männer wie Frauen. Diese Tendenzen habe die historische Pornografieforschung noch nicht ausreichend beachtet, obwohl die voyeuristische Inszenierung des weiblichen und auch des männlichen Körpers in den von Ulz gezeigten Bildern deutlich nachzuvollziehen ist.

In ihrem Beitrag zu „SklavInnen und Sexualität im Kuba der Massensklaverei des 19. Jahrhunderts“ kam Ulrike Schmieder (Hannover) zu dem Ergebnis, dass sexuelle Ausbeutung in diesem Umfeld zur täglichen Erfahrungswelt der Sklaven zählte. Es gab keine klaren Gesetze, die eine Sklavin vor dem Zwang zum sexuellen Verkehr mit ihrem Herren schützte. Kinder aus diesen Verbindungen gingen in den Besitz des Herren über. Schmieder wies allerdings auch darauf hin, dass freiwillige sexuelle Beziehungen zwischen Sklavinnen und Herren zu verzeichnen sind. Doch selbst diese Verbindungen waren von einem starken Machtgefälle geprägt. Unter solchen Umständen litten nicht nur Sklavinnen, sondern auch Sklaven, denn sie konnten ihre Sexualität nur äußerst begrenzt ausleben, da sie zum einen keinerlei Einflussmöglichkeit hatten, wenn ihre Frauen von den Besitzern zu sexuellen Handlungen gezwungen wurden und zum anderen trotz einiger mildernder Gesetze immer beeinträchtigt waren durch lokale Trennung vom Ehepartner oder durch die Furcht vor deren Verkauf. Frauen- und Klassensolidarität über durch die Gesellschaft aufgezeigte Grenzen hinweg ist nicht zu verzeichnen. Die dargestellten Erkenntnisse basieren auf verschiedenen Quellen, Reiseberichten und Akten zu Manumissionen.

In Ihrem Vortrag ging Helga Amesberger (Wien) auf die Mutterschaft bzw. deren Verweigerung sowie auf die staatliche Kontrolle der Sexualität durch das Regime der Nationalsozialisten ein. Als eines deren Ziele formulierte Amesberger die Schaffung eines „gesunden Volkskörpers“, wobei sozialpolitische, rassische und eugenische Maßnahmen eine Rolle spielten. Anhand einiger Beispiele wurde den Zuhörern in einem zweiten Teil des Vortrags die Situation einzelner schwangerer Frauen in KZs näher gebracht. Zusammenfassend kam Amesberger zu dem Schluss, dass Sexualität unter der Herrschaft des Nationalsozialismus zu einer Angelegenheit der gesamten Gesellschaft wurde. Die Besonderheit bestand darin, dass das NS-Regime Sexualität mit seiner spezifischen Gesellschaftspolitik verband und damit für seine Sache missbrauchte. Als einen weiterführenden Denkanstoß wurde die ideologische Verknüpfung zwischen Patriarchat, Sexismus und den Regulierungen und Taten der Nationalsozialisten aufgezeigt.

Tamara Enhuber (Trier) wies zu Beginn ihres Vortrages „Devadasi in Südindien – Gottesdienerin oder Tempelprostituierte?“ auf zwei mögliche Übersetzungen des Begriffs „Devadasi“ hin: Dienerin Gottes oder Sklavin Gottes. Aus diesen Optionen erschließt sich ein äußerst weites Spektrum an Lebens- und Arbeitsvarianten, die das Leben einer Devadasi auszeichnen. Nach einer Darstellung der Geschichte der Devadasi, die bis ins Mittelalter zurückreicht, erläuterte Enhuber die Situation dieser Frauen im heutigen Südindien. Dabei kam sie zu dem Fazit, dass die Lebensverhältnisse einer Devadasi sehr unterschiedlich sein können. Nach heutigem Recht ist die Prostitution für Devadasi verboten, dieses Gesetz wird allerdings nicht implementiert und die Zahl der Frauen, die sich in ihrer Position als Devadasi der Prostitution hingeben, wächst ständig. Zum Teil begeben sie sich freiwillig in diese Stellung, in vielen Fällen geschieht dies allerdings unter familiärem, religiösem oder ökonomischem Druck. Damit fällt die Beschäftigung einer Devadasi häufig in den Bereich der bonded labor. Enhuber wies zum Abschluss ihres Vortrages darauf hin, dass beim Thema der Devadasi in Indien noch zahlreiche Fragen offen stehen. So bleibt zum Beispiel zu klären, warum so unterschiedliche Berichte mit widersprüchlichen Aussagen zum Schicksal der Devadasi vorliegen. Um einen Einblick in die Verhältnisse einer Devadasi zu geben, präsentierte Tamara Enhuber in Ergänzung zu ihrem Vortrag eine kurze Reportage über eine Devadasi im ländlichen Indien, die ihre Lebensgeschichte beschrieb, welche vom ökonomischen Zwang zum Eintritt in den Status einer Devadasi geprägt war, da ihre Familie ohne den Lohn, den sie durch ihre Arbeit als Prostituierte verdiente, nicht überleben könnte.

Nach einem kurzen Überblick über die Forschungslage zum Thema der sexuellen Beziehungen und der kolonialen Situation unter dem Blickwinkel von Freiheit und Unfreiheit präsentierte Julia Seibert (Trier) Informationen zu intimen Beziehungen, die von längerer zeitlicher Dauer waren. Dabei soll vermerkt werden, dass es sich hier ausschließlich um Beziehungen von weißen Männern und schwarzen Frauen handelte. In Reiseberichten, Briefen oder durch private Fotos erfahren wir von oft eheähnlichen Verhältnissen, bei denen die Frauen in den Haushalten der weißen Europäer lebten. Obwohl sie offiziell als Haushälterinnen bezeichnet wurden, bestand ihre Hauptaufgabe doch in der sexuellen Befriedigung des Mannes. Dies sahen die Kolonialisten als normal an, weil sie dadurch ihre sexuellen Bedürfnisse weit entfernt von ihrer Heimat befriedigen konnten, ohne europäische Frauen in die Kolonien zu holen. Die Position der afrikanischen Frauen war allerdings auch von ihrer Aufgabe als kulturelle Vermittlerinnen geprägt. Sie wurden für Übersetzungen und ähnliche Tätigkeiten herangezogen. Nach der Annexion des Kongo durch den belgischen Staat waren keine Verbindungen zwischen Weißen und Schwarzen mehr erwünscht, da zu diesem Zeitpunkt die „Reinheit der Rasse“ propagiert wurde. Damit wurden die „Haushälterinnen“ abgewertet und nur noch als lüstern und wild und damit als unmoralisch betrachtet.

Der Vortrag von Petra Follmar-Otto (Berlin) zum Thema „Frauenhandel in die Prostitution im heutigen Europa“ musste wegen Krankheit leider ausfallen.

In der abschließenden Diskussion wurden vor allem terminologische Fragen diskutiert. So gilt es nicht nur Begriffe wie „Sklaverei“ oder „Unfreiheit“ möglichst klar zu fassen, es wurde auch deutlich, dass eine klare begriffliche Trennung von freiwilligen und unfreiwilligen sexuellen Verhältnissen von Nöten ist. Wiederholt stellte sich die Frage, inwieweit heutige Begriffe wie „Prostitution“ in der Betrachtung zurückliegender Epochen überhaupt Verwendung finden können, wenn es in der entsprechenden Sprache etwa keinen direkt dazu übersetzbaren Begriff gibt.

Das Graduiertenkolleg wird die Beiträge dieses Workshops in einer Veröffentlichung sammeln.

Kontakt

Kontaktadressen:
Organisatorin: Melanie Ulz: <ulzm3701@uni-trier.de>
Tagungsbericht: Cornelia Jeske: <cornelia.jeske@web.de>