Die Wochenzeitung „Die Zeit“ und die Bonner Republik

Die Wochenzeitung „Die Zeit“ und die Bonner Republik

Organisatoren
Dr. Christian Haase Department of History University of Nottingham; Prof. Dr. Axel Schildt Forschungsstelle für Zeitgeschichte [FZH] Universität Hamburg
Ort
Hamburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
23.03.2007 - 24.03.2007
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Von
Frank Bösch, Historisches Institut, Universität Gießen

Die Wochenzeitung ‚Die Zeit’, die im vergangenen Jahr ihren 60. Geburtstag feierte, war stets vielfältig mit der politischen und kulturellen Geschichte der Bundesrepublik verbunden. Ihre Herausgeber und Journalisten changierten zwischen dem politischen und medialen Feld, und zahlreiche Themen und Kontroversen wurden durch das Hamburger Blatt gesetzt. Eine quellengestützte Studie über das Blatt liegt dennoch ebenso wenig vor wie zu den meisten maßgeblichen Presseorganen des 20. Jahrhunderts, was nur teilweise mit der oft schlechten Archivlage zu erklären ist.1 Insofern war es zu begrüßen, dass Axel Schildt und Christian Haase nun zu einer Tagung einluden, die anhand der ‚Zeit’ sowohl die Bonner Republik als auch die Akteursrolle des Wochenblattes untersuchen sollte. Neben zahlreichen prominenten Zeithistorikern beteiligten sich daran auch ‚Zeit’-Zeugen wie Theo Sommer, Helmut Schmidt, Hildegard Hamm-Brücher oder Christoph Bertram. Obgleich die Tagung von der ‚Zeit’-Stiftung gefördert wurde, entstand daraus keine Hausgeschichtsschreibung.

Bei fast allen Vorträgen standen entweder journalistische Netzwerke oder ausgewählte Zeitungsinhalte zu bestimmten politischen Themen im Vordergrund. Die Ergebnisse der zahlreichen Referate lassen sich vor allem in vier Punkten bilanzieren. Erstens wurden Zäsuren in der Entwicklung der ‚Zeit’ deutlich, die über weite Teile eng mit der Geschichte der Bundesrepublik korrespondieren. Der Einleitungsvortrag von Axel Schildt (Hamburg) nannte hier bereits maßgebliche Abschnitte. Die ‚Zeit’ startete als ein eher national-konservatives Blatt des protestantischen Bildungsbürgertums, das sich vielfach „rechts von der CDU“ im Protest gegen die Alliierten profilierte und dann in den frühen 1950er-Jahren durch Führungskämpfe und eine ökonomische Krise gekennzeichnet war. Wie Karl-Christian Führer (Hamburg) herausstellte, brach die Auflage der ‚Zeit’ dabei in einer Phase ein, als die Presse ansonsten rasant expandierte. Die Quersubventionen für das Blatt dürften, so Führer, die Reformbereitschaft gemindert haben. Das Jahr 1957 erwies sich als maßgebliche Zäsur, die auch als „zweites Gründungsjahr“ der ‚Zeit’ bezeichnet wurde. Nachdem sich der CDU-Abgeordnete Bucerius im Herausgeberstreit durchsetzte, gewann die ‚Zeit’ nun erst zunehmend ihr liberales Profil. Wie sehr dies die ‚Zeit’ von der CDU entfremdete, belegte Frank Bajohr (Hamburg) anhand Adenauers Kritik an dem Blatt, die sich zudem aus einer generellen Distanz zur Hamburger Liberalität gespeist habe. Die große Zeit des Wochenblattes folgte in den 1960er-Jahren, als es für die Modernisierung der Bundesrepublik eintrat und sich an der Spitze des Fortschritts wähnte, etwa in der Ostpolitik. Ende der 1970er-Jahre habe sich andeutungsweise eine konservative Wende abgezeichnet, aber nicht durchgesetzt. Vielmehr habe sie ein Forum für gesellschaftskritische Debatten gebildet. Einigkeit bestand schließlich über den Bedeutungsverlust der ‚Zeit’ seit den 1990er-Jahren, wie insbesondere auch Norbert Frei (Jena) betonte.

Zweitens ergab die Tagung, dass die ‚Zeit’ im hohen Maße mit der Auseinandersetzung um die NS-Vergangenheit verbunden war und gerade in diesem Feld als gestaltender Akteur auftrat. Wie zahlreiche Referate betonten, bekämpfte sie zunächst mit aller Schärfe die alliierte Entnazifizierungspolitik. Dabei trug sie zur Integration von belasteten Journalisten wie Hans Georg von Studnitz bei, der für sie über die Nürnberger „Siegerjustiz“ berichtete. Erst der Generationswechsel seit Ende der 1950er-Jahre habe hier eine Veränderung eingeleitet, der jedoch, so Christina von Hodenberg (London), in der ‚Zeit’ zögerlicher einsetzte als beim Radio, Fernsehen und verschiedenen Tageszeitungen. Zugleich habe die ‚Zeit’, so Eckart Conze (Marburg), frühzeitig den Widerstand des 20. Juli herausgestellt und so entscheidend zur Ausbildung des deutschen Widerstandsbildes beigetragen. Vor allem die biographische Erfahrung der Gräfin Dönhoff erklärt dies, wobei Dönhoffs Widerstandsbild über die Jahrzehnte hinweg äußerst statisch blieb und sich kaum an der Forschung orientierte, wie auch Volker Ullrich (Hamburg) unterstrich. Große Veränderungen zeigte dagegen ihre Haltung zur Wiedergutmachung. Wie Constantin Goschler (Bochum) verdeutlichte, kämpfte die ‚Zeit’ die ersten zehn Jahre gegen die Entschädigung von NS-Opfern. In den langen 1960er-Jahren trat sie gegen den weiteren Ausbau der Zahlungen ein, aber zumindest für die Umsetzung bestehender Regelungen. In den 1980er-Jahren wurde sie schließlich zu einem „Motor der Medialisierung der Wiedergutmachung“, indem sie mit emotionalen Berichten über Einzelschicksale die Akzeptanz für Entschädigungen förderte. Dass die ‚Zeit’ auch im vergangenheitspolitischen Diskurs der 1980er-Jahre eine Akteursrolle spielte, zeigte Claudia Fröhlich (Berlin) anhand des Historikerstreites. Die ‚Zeit’ bestimmte die Diskursregeln, indem sie Artikel platzierte, ablehnte und selbst verfasste. Diese Auseinandersetzung wurde zugleich als Konkurrenzkampf unterschiedlicher Feuilletons bewertet, insbesondere mit der FAZ.

Drittens wurde deutlich, dass die Mitarbeiter der ‚Zeit’ über vielfältige Intellektuellen- und Expertennetzwerke mit Wissenschaft und Politik verflochten waren, aus denen heraus die Journalisten zu gestaltenden Akteuren wurden. Das galt nicht nur für die zahlreichen ‚Zeit’-Herausgeber und Redakteure, die als Abgeordnete (Bucerius), Kanzler (Schmidt), Regierungssprecher (Becker), Ministerialbeamte (Sommer) oder neuerdings auch als Hamburger Spitzenkandidaten (Naumann) politische Erfahrungen sammelten. Ebenso bewegten sich die ‚Zeit’-Journalisten neben ihrer Arbeit in transatlantischen Netzwerken. Für die 1950er-Jahre verdeutlichte Christian Haase (Nottingham) die Verflechtungen mit Großbritannien, die sich auch in vielfältigen Konferenzen niederschlugen, die Dönhoff und Friedlaender etwa in Zusammenarbeit mit der Deutsch-Englischen Gesellschaft organisierten. In den 1960er-Jahren bildeten die Universitäten und Intellektuellenzirkel der amerikanischen Ostküste einen wichtigen Bezugspunkt, wie Phillip Gassert (Pennsylvania) ausführte. Besonders im Umfeld von Kissinger und Kennan entdeckten die ‚Zeit’-Journalisten die Modernität der USA. Die Begeisterung, mit der die ‚Zeit’ John F. Kennedy feierte, verwies auf dessen Kooperation zwischen Politik und Intellektuellen, die so für die Bundesrepublik eingefordert wurde. Nicht minder überzeugend zeigte Helga Haftendorn (Berlin) für die Nuklearrüstung, wie die ‚Zeit’ durch Experten wie Theo Sommer und Christoph Bertram zum Akteur wurde, da diese sich aktiv in sicherheitspolitischen Netzwerken bewegten.

Viertens verdeutlichte die Tagung, wie unterschiedlich der Einfluss und die Stellung der ‚Zeit’ in den einzelnen Politikfeldern zu bewerten ist. Von den untersuchten Bereichen erschien ihre Wirkungsmacht in der Wirtschaftspolitik am geringsten. Wie Werner Bührer (München) und Alexander Nützenadel (Frankfurt/Oder) herausstellten, vertrat der Wirtschaftsteil der ‚Zeit’ durchweg die soziale Marktwirtschaft, wobei rein marktwirtschaftliche Akzente sogar eher ein Übergewicht hatten. Im „Einklang mit dem Mainstream“ habe sie in den 1960er-Jahren einen moderaten Keynesianismus unterstützt, seit Ende der 1970er-Jahre dagegen eher eine neoliberale „angebotsorientierte“ Wirtschaftspolitik. Die von Nützenadel herausgestellte Verwissenschaftlichung der Medien durch prominente Ökonomen habe dies nicht verändert. Dass die ‚Zeit’ in der Bildungspolitik der 1960er-Jahre mit zur Reform des Bildungswesens beitrug, deuteten die Erinnerungen ihrer damaligen bildungspolitischen Autorin Hildegard Hamm-Brücher an. Starke Akzente setzte die ‚Zeit’ in der Deutschland- und Außenpolitik. Wie Detlef Bald (München) mit Blick auf die Wiederbewaffnung herausstellte, war die frühe ‚Zeit’ selbst über Interna wie die Atombewaffnung aus dem Amt Blank bereits bestens informiert, um frühzeitig den Wiederbewaffnungskurs Adenauers zu unterstützen. Gegner dieser Politik, wie Niemöller und Schumacher, verglich sie explizit mit der Demagogie von Hugenberg und Hitler, wie auch Alexander Gallus (Rostock) mit Blick auf die „Neutralisten“ unterstrich. Ab 1956 setzte sich die ‚Zeit’ dann jedoch, wie Christoph Kleßmann (Potsdam) herausarbeitete, nachdrücklich für eine phantasievollere Deutschlandpolitik ein, die sie selbst mit Journalistenkontakten, DDR-Reisen und einer frühzeitigeren Propagierung der späteren Ostpolitik vorantrieb. In den 1980er-Jahren setzte die ‚Zeit’ dagegen auf eine zweistaatliche Ostpolitik, die selbst im Prozess der Wiedervereinigung zögerlich blieb, wie Konrad Jarausch (Potsdam/Chapel Hill) ausführte. Die ‚Zeit’ habe hier die Verunsicherung der liberalen Öffentlichkeit gezeigt, die Menschenrechtsfragen in der DDR aus Angst vor außenpolitischen Ungleichgewichten vernachlässigt habe.

Die ‚Zeit’ erwies sich somit durchaus in einigen Bereichen als ein Akteur, dessen Profil und Rolle sich mitunter stark veränderte. In der abschließenden Podiumsdiskussion blieb umstritten, inwieweit man das Blatt stärker in eine Gesellschaftsgeschichte einbetten könne; sei es eine Geschichte des Bürgertums (so Ulrich Herbert/Freiburg), des Juste Milieus (so Anselm Doering-Manteuffel/Tübingen) oder der bürgerlichen Moralität (Johannes Paulmann/Mannheim). Obgleich die Tagung zahlreiche interessante und wegweisende Akzente setzte, bleiben für eine künftige Mediengeschichte sicherlich noch weiterführende Fragen. Blickt man weiterhin lediglich auf die Medieninhalte, bleibt der genuine Erkenntnisgewinn selbstverständlich begrenzt. Eine großzügigere Öffnung der Pressearchive würde auch bei der ‚Zeit’ ermöglichen, weiterführende Ergebnisse zu erhalten. Ebenso wird man stärker als bisher von den Mediennutzern her ausgehen müssen, die hier allenfalls anekdotisch am Rande auftraten. Generell ist zu fragen, wie sich Medieninhalte durch die Rezipientenforschung veränderten. Die anwesenden Journalisten warnten zwar vielfach, dass die Historiker im Nachhinein Kausalitäten konstruieren würden, obgleich viele Artikel sich eher dem Zufall verdankten. Nicht zufällig waren jedoch die öffentlichen Reaktionen auf die Artikel. Insofern könnte man selbst bei der Analyse eines Einzelmediums wie der ‚Zeit’ stärker auf mediale Interaktionen ausmachen. Um die Akteursrolle der ‚Zeit’ auszumachen, wäre zudem nicht nur vom Medium auf Politikinhalte zu blicken, sondern auch auf die Außenwahrnehmung des Mediums. Dies dürfte auch vor einer Überschätzung des Medieneinflusses schützen.

Anmerkung:
1 Vgl. bislang zu ihrer Geschichte vor allem die lesenswerte Selbstdarstellung aus ihrem Hause: Janssen, Karl-Heinz; von Kuenheim, Haug; Sommer, Theo, Die ‚Zeit’. Geschichte einer Wochenzeitung 1946 bis heute, Berlin 2006.

Kontakt

Claudia Kemper

FZH

kemper@zeitgeschichte-hamburg.de

http://www.zeitgeschichte-hamburg.de/