"Der Fall des Günstlings" - 8. Symposium der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen

"Der Fall des Günstlings" - 8. Symposium der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen

Organisatoren
Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Stadt Neuburg a. d. Donau, Katholische Universität Eichstätt, Deutsches Historisches Institut Paris
Ort
Neuburg a. d. Donau
Land
Deutschland
Vom - Bis
21.09.2002 - 24.09.2002
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Von
Harm von Seggern, Kiel

Das 8. Symposium der Residenzen-Kommission hatte ein zumal von der deutschen Forschung lange vernachlässigtes Thema zum Gegenstand: Die besondere und herausgehobene Stellung von Günstlingen am Hof. Gleichsam aus vier verschiedenen Richtungen näherte man sich auf der mit knapp 80 Teilnehmern gut besuchten Tagung dem Untersuchungsobjekt: In der ersten Sektion, die dem "Begriff von der Sache" gewidmet war, versuchten die Referenten, den Typ des Günstlings zu definieren und von anderen Begünstigten am Hof abzugrenzen. Die zweite Sektion galt den Hofparteien, denn Günstlinge waren, wie der Vorsitzende der Residenzen-Kommission Werner Paravicini in seiner Einleitung hervorhob, in aller Regel, wenn nicht gar stets das Ergebnis von besonderen Gruppenkonstellationen am Hof. In der dritten Sektion wurden einzelne Fälle von Günstlingen untersucht und miteinander verglichen, Individuelles und Allgemeines nebeneinander gestellt, und die vierte Sektion schließlich hatte die Sonderrollen von Mätressen, illegitimen Fürstenkinder und Künstlern am Hof zum Gegenstand, wobei sich die Betrachtung einzelner im Umkreis von Höfen geschaffener Kunstwerke anschloß. Insgesamt wurden an den zwei Tagen 21 Vorträge gehalten und intensiv diskutiert, wobei durchaus sachlich-divergierende Ansichten zu Tage traten.
Eröffnet wurde die Tagung von Werner PARAVICINI (Paris), der in seinem Vortrag einen allgemeinen Rahmen skizzierte, in dem er auf einige typische Erscheinungen des Günstlings aufmerksam machte. Das Leben am Hof war durch die Verteilung von Gunst durch den Herrn gekennzeichnet; diese soziale Praxis habe die Forschung bereits herausgestellt, der Vertraute und Freund des Fürsten sei eine normgemäße Erscheinung gewesen. Paravicini verwies hierbei auf die Forschungen zur Patronage und zum Nepotismus. Die Ungleichverteilung der Gunst hingegen sei von der Forschung bisher nicht systematisch-vergleichend betrachtet worden. Auch wenn der Günstling erst im 16. Jahrhundert als Begriff gefaßt wurde, so sei die Sache doch älter und beschränke sich keineswegs auf die Frühe Neuzeit. Günstlinge seien ein ausgesprochen typisches Phänomen der höfischen Gesellschaft. Die Benennung als "Günstling" - in verschiedenen Variationen - werde jedoch in der Regel von Gegnern verliehen, was darauf hinweist, daß Günstlinge nicht allein stünden, sondern an mehr oder minder größere Hofparteiungen gebunden seien, als deren Exponenten sie das Ohr des Fürsten gehabt hätten. Die Günstlingsexistenz sei von drei Phasen gekennzeichnet: Aufstieg, Machtfülle und schließlich der Sturz. Auffallend häufig sei es vorgekommen, daß Günstlinge sich aus dem Umfeld der Kinder- und Jugendzeit eines Herrschers rekrutierten und überdies meistens in Feindschaft zum Thronfolger stünden. Letztlich forderte er ein, die Höfe nicht als statisch-hierarchische und somit als feste Struktur zu sehen, sondern als eine von und aus Personen gebildete dynamische Gesellschaft, die sich in ständiger Bewegung befand und die in mitunter kurzlebige Gruppen gegliedert war.
In dem ersten Vortrag "Zur theoretischen Konstruktion der Figur des Günstlings" stellte Jan HIRSCHBIEGEL (Kiel) eine allgemeine soziologische Definition des Phänomens auf, die er vom Beispiel des Guy de la Trémoille ableitete. Guy de la Trémoille spielte am Hof des burgundischen Herzogs gegen Ende des 14. Jahrhunderts eine bedeutende Rolle, die sich vor allem daran erkennen läßt, daß er vom Herzog besonders reich beschenkt und daß ihm besondere Einkommensmöglichkeiten zugesprochen wurden, die anderen, eigentlich ranghöheren Hofmitgliedern (darunter Verwandten des Herzogs) verwehrt waren. Aufgrund eines Vergleichs mit den Höfen der Pharaonen, an denen es auch Günstlinge gegeben habe, vor allem mit Hilfe soziologischer Erklärungen aber (Max Weber, James Scott, Niklas Luhmann u.a.), vermag der Referent letztlich festzustellen, daß Günstlinge eine typische und systemimmanente Erscheinung der höfischen Gesellschaften gewesen sind, weswegen man den Begriff "Günstling" nicht pejorativ verwenden sollte, sondern als Sonderform, von anderen, weniger Begünstigten zu unterscheiden.
Ähnlich, wenn auch mit Unterschieden, akzentuierte Sven RABELER (Kiel) den Günstling als Sonderfall der Patron-Klient-Beziehung am Hofe und ergänzte, daß der Günstling selbst Patron für andere sei; die Hofparteien kommen hier wieder in die Argumentation herein. In seinem "Vertrauen und Gunst. Klientelismus am spätmittelalterlichen Hof" betitelten Referat beschrieb Rabeler zunächst die Höfe im Reich als vorrangig soziale, wenig institutionalisierte Netzwerke. Als Beispiele dienten ihm der Hofmarschall Sigmund von Prüschenk am habsburgischen Hof, der Chronist Levold von Northoff als Klient der Grafen von der Mark (in dessen Chronik der fidelitas der Funktionsträger eine große Bedeutung zukomme), Wilwolt von Schaumburg, der im Dienst des Herzogs Albrecht von Sachsen stand, der hessische Hofmeister Hans von Dürrnberg und schließlich die Testamentsvollstrecker des Landgrafen Wilhelm II. von Hessen. Zusammenfassend wies der Referent darauf hin, daß das Vertrauensverhältnis zwischen Herr und Günstling verschieden ausgeformt gewesen sei, weshalb es "den" Günstling nicht gegeben habe, sondern man in jedem Einzelfall prüfen müsse, wie die Qualität der Beziehung im Vergleich zu anderen Hofangehörigen aussehe.
Rainer A. MÜLLER (Eichstätt) verwies in seinen Ausführungen über "Deutsche Fürstenspiegel der Renaissance über Günstlinge und Hofparteien" darauf, das in den 75 Fürstenspiegel-Texten der Jahre 1450 bis 1625 der Günstling sehr wohl vorkomme und als Gegenbild zum Hofmann stilisiert werde. Insbesondere werden die Herrscher davor gewarnt, bei der Personalauswahl auf Schmeichler hereinzufallen. Anhand von zehn ausgewählten Texten vermochte er näher zu zeigen, daß bei der schon im 16. Jahrhundert vollzogenen Gegenüberstellung Hofmann - Höfling allgemeine, aus der christlichen Ethik abgeleitete Ansprüche auf die Fürsten übertragen wurden; die Aburteilung der Schmeichlerei war aber keine hofspezifische Forderung. Umgekehrt bedeute dies jedoch, daß zumindest die zehn untersuchten Autoren mit der Erscheinung von Günstlingen (nicht nur am Hof) rechneten, und weiter, daß diese stets die Kritik der anderen auf sich gezogen haben. Günstlinge versetzten den Hof in Unruhe, weswegen die Fürsten sich vor ihnen zu hüten hätten.
Der Vergleich verschiedener Hofgesellschaften ist von besonderer Wichtigkeit, um die Allgemeingültigkeit des Phänomens feststellen zu können. Mit Jan Paul NIEDERKORN (Wien) hatte man einen Kenner des Osmanisches Reichs gewinnen können, der über "Den Sturz des Großwesirs" sprach. Als Vertreter des Sultans war der Großwesir der zweite Mann im Osmanischen Reich. Als solcher verfügte er über eine weite Machtfülle, war absoluter Vertreter des Herrschers fast in allen Dingen, doch gab es eine Ausnahme: Über den engeren Sultanspalast, den Serail, konnte er nicht verfügen, hatte nicht einmal Zutritt, weshalb ihm dort mächtige Gegner in Mitgliedern der Sultans-Familie, im Mufti (dem höchsten Leiter in religiösen Angelegenheit), in den Finanzbeamten u.a. erwuchsen. Verlor der Großwesir das Vertrauen des Sultans, so konnte er direkt und sofort abgesetzt werden. Tatsächlich war das Amt ein "regelrechter Schleuderposten", die durchschnittliche Amtsdauer während des Untersuchungszeitraums 1574 bis 1656 betrug nur eineinhalb Jahre: Der formal zweitmächtigste Mann im "Staate" - hier im ganz allgemeinen Sinne verstanden - war selbst in höchsten Maße abhängig von den Verhältnissen im Serail, den dortigen Intrigen fiel er zum Opfer. Die entscheidende Schwäche war, daß die Großwesire keinen direkten Zugang zum Herrscher hatten. Die Günstlinge bekleideten folglich nicht die formal höchsten Ämter, sondern befanden sich in der Nähe des Herrschers, im Serail.
Den Blick auf das spätmittelalterliche Frankreich lenkte Philippe CONTAMINE (Paris), der in seinem Beitrag "Le règne de Charles VII: être disgrâcié" zunächst darauf hinwies, daß in Frankreich der Begriff des "favori", des Favoriten, entstand, seit dem 17. Jahrhundert allgemein von Historikern und Politikern benutzt wurde und schließlich Eingang fand in den "Dictionnaire philosophique portatif" von Voltaire. Damit einhergehend existierten im Laufe der frühen Neuzeit zahlreiche Günstlinge am Hof der französischen Könige. Doch das Phänomen ist älter als das Wort, das es bezeichnet, denn es gab Günstlinge bereits während der Regierung des in seinen jungen Jahren leicht beeinflußbaren Karl VII. (1422-61). Von den bekannteren Fällen des Pierre, Herrn von Giac, Georges, Herrn von La Trémoille und Jacques Cœur verfolgte Ph. Contamine in einer biographischen Skizze den Weg des Pierre de Giac, dessen Vater schon bei den Eltern Karls VII., König Karl VI. und Isabella von Bayern, in der Umgebung der Königin den Ton angab. Daneben gab es noch weitere Gruppen, die versuchten, auf Karl VII. Einfluß zu nehmen, wie die Ehefrau des Königs und Arthur de Richemont, der Anführer der Hofpartei, die für einen Ausgleich mit England im Hundertjährigen Krieg eintraten. In diesem Beziehungsgeflecht erkenne man, daß der König eine besondere Affektion zu seinen eigenen "Gewächsen", wie man etwas freier sagen könnte, nämlich den Günstlingen, besaß. Damit war der Hof anders strukturiert als der Hof Karls V. "des Weisen", der sich solcher besonderen Vertrauten enthalten habe.
Mit einer längeren problem- und historiographiegeschichtlichen Einleitung, die kurz das römisch-deutsche Königtum des Spätmittelalters von Rudolf I. bis Friedrich III. skizzierte, konnte Peter MORAW (Gießen) in seinem Vortrag über "König Wenzels Hof, eine Günstlingswirtschaft?" zeigen, daß das Königtum Wenzels 1378-1400/19 als einziges durchgehend vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart als Günstlingswirtschaft bezeichnet wird. Der Grund dafür ist die stete Wiederholung des Bildes, das Franz Palacky seinerzeit geschaffen hat. Dahinter versteckte sich jedoch, daß Wenzel sich nicht auf den böhmischen Hochadel, sondern auf den Kleinadel, Leute niederen Ranges, stützte, was das Ansehen des Königs minderte und den Haß des Großadels auf diese Leute schürte. Mit gesuchten Vorwürfen wurde ihnen der Prozeß gemacht (was bis zum Justizmord ging) und man entfernte sie gewaltsam aus der Umgebung Wenzels. Von Günstlingen im eigentlichen Sinn des Wortes sollte man dabei nicht sprechen, eher von einer strukturell anders ausgerichteten Herrschaft Wenzels, der versuchte, ohne (noch nicht einmal gegen) den Hochadel zu regieren; Parteibildungen am Hof seien als etwas Normales, nicht als Ausnahme zu beschreiben, nur habe die nationalstaatlich ausgerichtete Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts kein Verständnis für ihr Wesen gehabt. Hieran schloß sich die Forderung nach einer gereinigten Nomenklatur für die Sozialgeschichte an, mit deren Hilfe man Erscheinungen der höfischen Gesellschaft besser beschreiben könne.
In die Parteiungen am Hof des burgundischen Herzogs Johann ohne Furcht führte Bertrand SCHNERB mit seinen Ausführungen über "Familiarissimus domini ducis. La succession des favoris à la cour de Bourgogne au début du XVe siècle". Anhand einer biographischen Skizze des herzoglichen Rats und Kammerherrn Lourdin de Saligny, der in einer Marginalie von einem Schreiber des Parlaments von Paris mit dem merkwürdigen Superlativ "familiarissimus" belegt wurde, kann er zeigen, wie verschiedene Gruppen am Hof um den Zugang zum Fürsten kämpften, und wie überdies politische Zufälle diesen Kampf bestimmten. Während des Aufstands der Cabochiens in Paris 1413 vermochte einer seiner Gegner am Hof, Elyon Herr von Jacqueville, ihn als Schuldigen zu brandmarken, und erst nach der Ermordung dieses Politikers durch eine andere Hofpartei konnte er wieder an den Hof zurückkehren, ein weiterer Aufstieg wurde erst nach dem Tod Johanns ohne Furcht möglich. Später wurde Saligny von Herzog Philipp dem Guten mit weiteren Ehren überhäuft. Entscheidend für die Parteiungen waren die familiären Netzwerke, die auch am Hof wirkten und selbst in gewisser Weise den Herzog bei seiner Personalwahl zu binden vermochten.
Ausgehend von den Negativdarstellungen von Günstlingen in späteren Chroniken konnte Arnd REITEMEIER (Kiel) "Günstlinge, bevorzugte Gruppen und ihre Wahrnehmung: Der englische Hof des 14. Jahrhunderts" beschreiben. Auch hier stand der biographische Ansatz im Vordergrund, mit denen das Wirken von Piers Gaveston, Hugh le Despensers, William Latimers, Alice Perrers, Simon de Burley und William Scrope geschildert wurde, woran sich eine detaillierte Untersuchung der Urkunden anschloß, die bei den Prozessen angelegt wurden, und mit denen die Außenstehenden versuchten, diese Personen aus der Umgebung der Könige zu entfernen. Die Vorwürfe und Anklagepunkte, die bei den Prozessen erhoben wurden, konnten im allgemeinen nicht bestätigt werden. Ein bemerkenswertes Ergebnis der Untersuchung ist, daß der Günstlingsvorwurf in den zeitlich späteren Chroniken wesentlich deutlicher ausgesprochen wurde als in den zeitgenössischen Quellen. Der Widerstand der Magnaten gegen einige Begünstigte ist die Grundlage für die spätere Verzeichnung des Bildes; es gebe folglich eine Subjektivität der Wahrnehmung in den Quellen, die es zu korrigieren gelte. Aber auch hier bestand das Problem im Zugang zum König, den die Magnaten gegen eine kleine Gruppe durchsetzten.
Einen Vergleich der einflußreichen Kleingruppen um Maximilian I. und Rudolf II. unternahm Heinz NOFLATSCHER in seinem Vortrag (mit dem gleichlautenden Titel). Dabei kam er zunächst auf die Unterschiede in der Regierungsweise zwischen beiden Kaisern zu sprechen, konnte dann jedoch zeigen, daß es in beiden Fällen eine kleine Gruppe von Vertrauten gab, die zunächst als Experten für den Herrscher einzelne Regierungsangelegenheiten regelten und erst im Laufe der Zeit zu einer machtvollen Gruppe zusammenwuchsen und als solche von außen "als Hecke" wahrgenommen wurde. Unter Maximilian ging dies soweit, daß die Trias der führenden Personen Lang, Serntein und Liechtenstein, die sich sogar zu einer regelrechten Gesellschaft verbunden hatten und als Mitunternehmer die Herrschaftsgelder bewirtschafteten, im Jahre 1511 durchzusetzen versuchte, daß alle Schriftstücke, die Maximilian selbst ausstellte, gleichsam über ihren Schreibtisch zu gehen hatten, was einen erfolgreichen Protest der Kanzleisekretäre auslöste - und nicht des Hochadels, was den anderen Stellenwert dieser Hofgruppe bzw. -partei zeigt. Bei Rudolf II. war es hingegen ein einzelner Kammerdiener, der es trotz seines relativ niedrigen Ranges verstand, am Hof ein Netzwerk aufzubauen und den Kaiser zumindest teilweise abzuschotten. Wiederum ein Quellenzeugnis von außen nennt ihn "des Kaisers Augapfel", was die besondere Stellung verdeutlicht. Gestürzt wurde er, als Kritik an Rudolf II. auch öffentlich (von den Kurfürsten) geäußert wurde. In beiden Fällen handelt es sich um Hofangehörige, die erst langsam im Laufe der Regierungszeit in die Vertrauensstellung hineinwuchsen.
In einem als Kurzmitteilung charakterisierten Bericht eines laufenden Dissertationsprojekts unter dem Titel "´Kabal´, ´Parthey´, ´Faction´ am Hof Kaiser Leopolds I." ging Ivo CERMAN (Prag) der Frage nach, wie die verschiedenen Parteien unter Leopold I., die in der älteren Forschung als Paradebeispiel für das schädliche Wirken derartiger Gruppen galten, sich selbst bezeichneten. Der Hof war über die Frage der dynastischen Anbindung in eine Ost- und eine Westpartei gespalten, die sich einmal um die Familie Dietrichstein sammelte (daher die Bezeichnung "Dietrichsteiner"), die hohe Ämter bei der Kaiserin bekleideten, denen die "wohl affectionierten" gegenüberstanden, die sich als die "Habsburg-Treuen" verstanden. Diese Bezeichnungen erscheinen ebenso wie der Begriff Partei auch als Selbstbenennung in den Korrespondenzen. Der Begriff Hofpartei, weil in den Quellen ohne abwertende Nebenbedeutung belegt, kann daher als Begriff für die Gruppenbildung am Hofe verwandt werden.
Mitunter sind die Spuren eines Günstlings nur mühsam zu finden, wie Christian LACKNER am Beispiel von "Aufstieg und Fall des Hans von Liechtenstein zu Nikolsburg im 14. Jahrhundert" aufzeigte. Dieser war als einer der Räte der führende Mann am Hof des zehn Jahre jüngeren Herzogs Albrecht III. von Österreich (1365-95). Wie bei den anderen bisher behandelten Personen erschien bei ihm ein weites familiäres Netzwerk, doch blieb fraglich, ob er wirklich ein Günstling war. Bezeugt allein ist, daß er der große Gläubiger des Herzogs war und im Gegenzug zahlreiche Pfandschaften erhielt und 1385 eine adlige Herrschaft kaufen konnte. Als Rat war er an vielen politischen Verhandlungen beteiligt, wie die Kanzleivermerke auf den Urkunden ausweisen. Der Referent definierte ihn folglich eher als Typ des dominanten Rates an der Seite des Fürsten, wie er auch in anderen Herrschaften bezeugt ist. Es stellte sich jedoch die Frage, ob ein derartiger Rat nicht ein besonderer Fall eines Günstlings war (oder im Gegenteil ein als Verwaltungs- und Arbeitstier mißbrauchter Adliger?). Unklar ist jedoch, woher der immense Reichtum des Hans von Liechtenstein stammte. Der Bereicherungsvorwurf ist schon zu seinen Lebzeiten erhoben worden. Sein Sturz erfolgte im Jahr 1394, als Hans von Liechtenstein sich bei dem Streit zwischen den Häusern Habsburg und Luxemburg auffallend zurückhielt und zudem bekannt wurde, daß er auch Rat König Wenzels war und von ihm ein Haus in der Prager Kleinseite geschenkt bekommen hatte. Wie in anderen Fällen wurde auch ihm ein Schauprozeß gemacht, den er zwar überlebte, doch wurden fast alle seine Güter eingezogen.
Wieder in den westeuropäischen Raum verwies der Vortrag von Adeline RUCQUOI (Paris) über "Privauté, fortune et politique. La chute d´Alvaro de Luna", den nach seiner Hinrichtung einige kastilische Chroniken als den "größten Mann ohne Krone" bezeichneten. Dieser illegitime Sohn aus der mächtigen Familie der Luna stieg unter König Johann II. (1406-54) zum mächtigsten Mann des Königreichs auf. Das enge Vertrauensverhältnis begann bereits in der Jugendzeit, Alvaro war Page am Hof des jungen Königs vor dessen Regierungsantritt 1423. Er beeinflußte die gesamte Herrschaftstätigkeit, fertigte Gesandtschaften ab, beeinflußte Gnadengesuche, lenkte die königliche Freigebigkeit und dominierte den königlichen Rat, konnte gar eine Verkleinerung desselben durchsetzen. Das Besondere an diesem Fall war jedoch, daß der Günstling seine Stellung nicht nur zur eigenen Bereicherung und zur Versorgung der Familie einsetzte, sondern darüber hinaus eine königsnahe Partei im Adel und in den städtischen Oberschichten aufbaute. Er scheiterte letztlich an derjenigen Adelspartei, die gegen das Konzept eines von Recht und Tradition losgelösten, absoluten Königs an der Kontrolle durch und Bindung an den Adel festhielt.
Ganz anders geartet war der Fall, den Reinhard STAUBER (München) darstellte: "Neuburgs erster Staatsgefangener. Zu Karriere und Sturz des Wolfgang Kolberger, Kanzler des Herzogtums Bayern-Landshut 1489-1502". Hier war nicht die frühe und persönliche Bindung an den Herrscher entscheidend, sondern das besondere Fachwissen, das er sich als Kanzleisekretär im Laufe der Zeit erwarb; Kolberger gehörte nicht zu den gelehrten Juristen. Mit Hilfe dieses Wissens wuchs er, aus relativ einfachen Verhältnissen kommend, unter Herzog Georg von Bayern-Landshut zum wichtigsten Mann am Hof, Leiter der Kanzlei und zum Diplomaten auf. Gekrönt wurde der Aufstieg durch die Erhebung zum Freiherrn und weiter zum Reichsgrafen (von Neukolberg) im Jahr 1492, zog sich damit aber auch, typisch für einen solchen Fall, den Haß des Adels auf sich; die Quellen sprechen eine deutliche Sprache. Zehn Jahre später verlor Kolberger das Vertrauen des Herzogs, was das Ende seiner Karriere bedeutete. Die Ausschaltung bedeutete in diesem Fall eine rund siebzehn Jahre andauernde Haft (u.a. in Neuburg, dem Ort der Tagung), die durch die besonderen Umstände des Streits zwischen verschiedenen Parteien um das Bayerisch-Landshuter Erbe zu erklären ist; nur sein Spezialwissen, das er sich durch seine Kanzleitätigkeit erworben hatte und auf das man eventuell zurückzugreifen beabsichtigte, bewahrte ihn vor einem tödlichen Prozeß.
Oliver AUGE (Greifswald) untersuchte in seinem Beitrag den württembergischen Hof gleichsam in einem Längsschnitt, in dem er vergleichend drei Fälle heranzog: "Holzinger, Entzlin und Jud Süß - Günstlingsfälle am spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Hof der Württemberger". Alle drei sind von der südwestdeutschen Landesgeschichte bereits im 19. Jahrhundert ausführlich dargestellt worden, jedoch sei das Bild der württembergischen Geschichte stark von der Ehrbarkeit und ihren Urteilen geprägt, die die Günstlinge als Gegner verdammten, die Herzöge jedoch von der Kritik stets ausnahmen. In fünf Schritten, die der Persönlichkeit, dem Weg in die Gunst, dem Machterhalt, dem Fall und letztlich dem Versuch einer Typologie galten, hob der Referent Gemeinsamkeiten und Unterschiede hervor. Gemeinsam war allen dreien, daß sie als Landfremde an den Hof kamen und in Württemberg gegen die Ehrbarkeit zu bestehen hatten. Als entscheidendes Kriterium konnte ein weiteres Mal die Beziehung zum Fürsten, aber auch das Expertenwissen herausgestellt werden. Unterschiede gab es jedoch bei der Stellung und den Kompetenzen sowie den genaueren Umständen des Sturzes und den nachträglich verhängten Strafen. Die vergleichende Herangehensweise warnte jedoch vor einer zu engen Typologie.

In die beziehungsreiche Politik der Mediceer zur Wiedererlangung und Durchsetzung ihrer 1494 verlorenen Herrschaft über Florenz verwies der Vortrag von Christian WIELAND (Bielefeld) über "Lorenzo de' Medici und Francesco Guicciardini: zwei Günstlingstypen am Beginn der Medici-Monarchie". Nach einer Einleitung, in der das wechselhafte Ringen zwischen vier Adelsparteien um die Verfassung Florenz´ in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts skizziert wurde, stand die langsame Reetablierung der Herrschaft mit Unterstützung der Medici-Päpste Leo X. (1513-21) und Clemens VII. (1523-34) im Vordergrund, die durch die Ermordung des florentinischen Herzogs Alessandro de' Medici durch einen entfernten Verwandten, Lorenzino de' Medici, einen kurzfristigen Rückschlag erlitt; die Zugehörigkeit zu einer der Parteiungen der Adelsrepublik erwies sich hier stärker als die familiären Bande; selbst Gegner der Herrschaft konnten bis in engere Hofkreise ihre Leute plazieren. Nur mit Hilfe des Anführers der senatorischen Partei unter Francesco Guicciardini, der zugleich ein Anhänger Papst Clemens VII. war, vermochte Cosimo de' Medici als neuer Herzog nachzufolgen. Günstlings- und Vertrauensbeziehungen waren letztlich von größerer Bedeutung für die städtische Politik zwischen den Polen des Hofes Alessandros, der Adelsrepublik und dem Senat von Florenz.
Ellen WIDDER (Tübingen) skizzierte überblicksartig-vergleichend die Stellung der "Illegitimen bei Hofe", wozu sie auch die Mätressen rechnete. Dabei kamen zahlreiche und individuelle Fälle zum Vorschein, die von einer langjährigen Geliebtenschaft bis hin zu kurzfristigen Amouren reichten. Nur vereinzelt konnten Mätressen die Rolle einer bestimmenden Figur bei Hofe gewinnen. Als einer der systemimmanenten Gründe stand dabei der hohe Druck bei der endogamen Partnerwahl im Hochadel im Vordergrund, daneben aber auch der Virilitätsbeweis in einer von Männlichkeit dominierten Gesellschaft. Weiter standen, weil quellenmäßig besser greifbar, die Versorgungsmaßnahmen der Geliebten und der illegitimen Kinder im Blickpunkt. Illegitime bildeten, so die Referentin zusammenfassend, ein normales Strukturelement des spätmittelalterlichen Hofes und hatten nicht per se eine Günstlingsposition inne.
Einen ganz anderen methodischen Zugang wählte Albert CHÂTELET (Mundolsheim), als er in seinem Vortrag "Un tableau témoin de l´ambition d´un favori: Antoine de Croy et Hugo van der Goes" die besondere Stellung des Antoine de Croy am Hofe Herzog Philipps von Burgund bis zu seinem Sturz durch Karl den Kühnen im Frühjahr 1465 beschrieb. Châtelet konnte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das berühmte Retabel von Montfort des Hugo van der Goes (heute Berlin, Staatliche Museen) als Auftragsarbeit Antoines für Château-Porcien charakterisieren, indem er die Darstellung einerseits mit anderen Stifterbildern seines Sohnes Philippe de Croy und andererseits mit anderen Gemälden Hugo van der Goes' verglich. Antoine sei als Erster der Drei Heiligen Könige aus dem Morgenland dargestellt, was eine Besonderheit darstelle und einen besonderen Anspruch Antoines als zweiter Mann am Hof nach dem Herzog versinnbildliche.
"Die Gunst des Königs erhöht das Genie des Künstlers", so könnte man den Vortrag von Liliane CHÂTELET-LANGE (Mundolsheim) über "Benvenuto Cellini und Franz I.: Der Künstler als Günstling" auf eine knappe Formel bringen. Der berühmte, aus Florenz stammende Goldschmied Cellini war 1537 vor dem Papst aus Italien geflohen - ihm wurde vorgeworfen, aus der päpstlichen Juwelenkammer Schmuckstücke entwendet zu haben - und hatte sich nach Frankreich begeben, wo er in diesem Jahr das erste Mal mit Franz I. zusammentraf. Vertieft wurde die Beziehung erst neun Jahre später, als er im Auftrag des Königs begann, große Statuen „à l´antique“ zu schaffen und dabei Figuren der nordischen Sagenwelt aufgriff, ein Fall von Idolatrie für die christliche Umwelt. Insbesondere der nicht vollendete Brunnen für das Schloß Fontainebleau, das letzte Werk Cellinis in Frankreich, spielte bei den Ausführungen der Referentin eine zentrale Rolle. Zwischen König und Künstler bestand ein besonderes Verhältnis, denn der König allein finanzierte und schütze den Künstler vor Kritikern am Hof. Einem drohenden Sturz, der sich durch eine beginnende Einschränkung der Freiheiten ankündigte, kam Cellini durch Flucht nach Italien zuvor.
Wegen ihres exklusiven Charakters vereinigten Mätressen typische Elemente des Günstlings in ihrer Stellung am Hofe, ja er machte sie zu "Günstlingen ‚par excellence'", wie Sigrid RUBY (Gießen) in ihrem Vortrag "Anne de Pisseleu und Diane de Poitiers. Die Maitresse als Günstling am französischen Hof des 16. Jahrhunderts" zeigen konnte. Doch ist letztlich der Einfluß der beiden langjährigen Mätressen, die als Ehrendamen an den Hof gekommen, mit älteren Amtsträgern verheiratet und zu Herzoginnen erhoben worden waren, auf die königliche Politik nicht genau auszumachen. Beide wurden von der Hoföffentlichkeit anerkannt und geduldet. Tiefere Einblicke ließen sich erzielen mit einer Untersuchung des (nur in Teilen erhaltenen) Appartements der Anne de Pisseleu im Schloß Fontainebleau, dessen Fresken auf antike Themen (Alexander der Große besucht das Atelier des Malers, der die Campaspe, Geliebte Alexanders, konterfeit) hindeuten, und der illuminierten Handschrift "La Coche", die ein Gedicht der Margarethe, der Schwester Franz' I., über die "perfekte Freundin" enthält. Im Fall der Diane de Poitiers wurde vor allem (und erneut) auf den von Cellini geplanten Großen Brunnen von Fontainebleau verwiesen. Die Kunstwerke sind in ihren Bezügen jeweils vor dem Hintergrund des Renaissanceideals sowohl eines Lobes der Frauen als auch einer vollkommenen, platonischen Liebe einzuordnen, die letztlich der stilisierenden Überhöhung des Fürsten dienen.
In der Zusammenfassung griff Ronald G. ASCH (Osnabrück) aus der dezidierten Sicht eines Frühneuzeit-Historikers drei Punkte heraus, die die Diskussionen immer wieder beherrscht hatten: 1. die Definition des Günstlings, 2. die Wahrnehmung desselben durch die Zeitgenossen, und 3. die Dichotomie zwischen Allgegenwart oder besonderer Zeitgebundenheit des Günstlings. Als ein Ergebnis hielt er fest, daß das zentrale Problem (nicht nur in der höfischen Gesellschaft, sondern auch in anderen monokratischen Regierungsformen) im Zugang zum Herrscher bestand. Günstlinge und Vertrauensgruppen, die von anderen Höflingen und Begünstigten sehr wohl zu unterscheiden seien, störten das diffizile Verhältnis zwischen Fürst, Hof, Hochadel (und Städten), indem sie noch vor dem formell "zweiten Mann im Staate" - hier wieder ganz allgemein verstanden - rangierten. Sie störten Ordnungsvorstellungen, die die Zeitgenossen in ihrer Kritik am Günstling und damit letztlich am Herrscher leiteten. Allgemein festzustellen sei ferner, daß Günstlinge selbst als Patron für ihre Klienten wirkten. Uneinigkeit herrschte aber in der Frage, was sich im frühen 16. Jahrhundert änderte, als im Französischen der Begriff des "favori" geschaffen wurde, Eingang in die Sprache fand und künftig das Wortfeld behielt (so Thomas Zotz, Freiburg, in der Diskussion), ein Bedenken, das Asch aufgriff und die Häufung von Günstlingen in der Frühen Neuzeit mit der zeitgleichen Verrechtlichung der Entscheidungsprozesse in Verbindung brachte und weiter noch als Reaktion der Herrscher gegen die zunehmende Einschränkung wertete. Letztlich gebe es doch einen Wandel des Phänomens.
Sowohl bei den Beiträgen als auch während der regen Diskussionen, für die jeweils am Ende einer Sektion großer Raum gegeben wurde, erwies sich die stets gleichsam mitschwebende Frage nach der Definition des Günstlings und seine Unterscheidung von anderen Begünstigten als schwierig. Überdies wurde wie wohl nur bei wenigen anderen Themen die Zeitbedingtheit der historischen Urteile deutlich, die dafür verantwortlich ist, daß gerade in Deutschland die Forschung das Thema bisher "eher mit spitzen Fingern" berührt hat. Viele offene Fragen standen im Raum, von denen nur zwei herausgegriffen seien: ob der Günstling nicht eine Art "Schutzschild" des Herrschers gegen den Hof, gegen die an ihn gerichteten divergierenden Ansprüche gewesen sei (so Werner Paravicini); ob es nicht auch ein Wehren des Günstlings gegen die Instrumentalisierung durch den Herrscher gegeben habe, der Günstling quasi ein Ventil bzw. eine Notlösung in politisch verfahrenen Situationen gewesen sei (so Heiko Droste, Hamburg)? Der Berichterstatter nimmt sich die Freiheit, darauf hinzuweisen, daß es auch den Un-Günstling gegeben hat, der sich wegen der ausbleibenden Anerkennung am Hof, des fehlenden Zugangs zu einem Patron (es mußte ja nicht der Herrscher selbst sein) abwandte - Voltaire ging beispielsweise von Versailles nach Potsdam.
"Der Fall des Günstlings" machte einmal mehr bewußt, daß die dahinter stehende Frage nach dem Wesen des Hofs weiterer Klärung bedarf. Der Hof erschien als relativ offene Gesellschaft: ein schneller Aufstieg war möglich, ebenso der jähe Fall. Daneben aber wurde der Hof als (zartes) Geflecht zwischenmenschlicher Beziehungen gezeichnet, über das knallhart Interessen durchgesetzt wurden; "der Hof war", so die beinahe resignative Feststellung Peter Moraws während der Diskussion, "unbeherrschbar, er war einfach da".

Die Beiträge werden in einem Band der Reihe "Residenzenforschung" publiziert, der im Jahre 2004 zur nächsten Tagung, die in Halle an der Saale zum Thema "Hof und Stadt" stattfinden wird, erscheinen soll.

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