Deutsche Ostforschung und polnische Westforschung im Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik: Institutionen – Personen – Vergleiche

Deutsche Ostforschung und polnische Westforschung im Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik: Institutionen – Personen – Vergleiche

Organisatoren
Historisches Institut der Universität Greifswald Abteilung für osteuropäische Geschichte der Universität Kiel Institut für Geschichte und Internationale Beziehungen der Universität Szczecin in Verbindung mit der Europäischen Akademie Külz-Kulice
Ort
Külz / Kulice
Land
Poland
Vom - Bis
08.12.2006 - 09.12.2006
Url der Konferenzwebsite
Von
Dr. Mathias Niendorf, Kiel

Die deutsche Ostforschung aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat in den letzten Jahren erhöhte Aufmerksamkeit gefunden. Im Blickfeld stand einerseits die Frage, inwieweit mit einer problematischen Zielsetzung methodisch innovative Ansätze einhergingen, andererseits galt das Interesse den Biographien involvierter Wissenschaftler, die nach 1945 ihre Karriere in der Bundesrepublik fortsetzen konnten. Interdisziplinärer Anspruch und politische Willfährigkeit, nicht zuletzt im Hinblick auf die Legitimierung territorialer Besitzansprüche, waren allerdings kein Privileg deutscher Wissenschaft. Das Spezifische der Ostforschung ist daher nicht zu verstehen ohne ihren Bezug zu einer polnischen Westforschung, mit der sie allen Kontroversen zum Trotz manches verband: nicht nur Themen und Fragestellungen, sondern auch eine ethnozentrisch verengte Sichtweise und Methodik sowie schließlich Konzepte einer nationalpädagogischen Didaktik. In einer solchen Gegenüberstellung geraten zugleich die Unterschiede ins Blickfeld, als deren wichtigster der Grad an moralischer Kompromittierung zu nennen ist: Anders als ihre deutschen Kollegen haben sich polnische Wissenschaftler nicht veranlasst gesehen, Handlangerdienste für kriminelle Machenschaften eines Regimes zu leisten. Wenn in neueren Methodendebatten wieder verstärkt einer Beziehungs- oder Verflechtungsgeschichte (bzw. „histoire croisée“ oder „entangled histories“) das Wort geredet wird, so liegt hier ein dankbares, wenngleich schwieriges Untersuchungsfeld vor. Die wechselseitigen Bezüge von Ost- und Westforschung und damit auch divergente Entwicklungen herauszuarbeiten, ist seit über einem Jahrzehnt das Ziel des deutsch-polnischen Forscherteams von Jörg Hackmann (Greifswald), Rudolf Jaworski (Kiel) und Jan M. Piskorski (Stettin / Szczecin).

Einem ersten Workshop 1995, auf dem die Grundzüge und ideologischen Konzepte von Ost- und Westforschung („polska myśl zachodnia“; wörtlich: polnischer Westgedanke) diskutiert wurden, schloss sich 1998 in Posen / Poznań eine Tagung zu den beteiligten Disziplinen an.1 Die Konferenz in der Europäischen Akademie Külz / Kulice im Dezember 2007, die vom Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, der Robert-Bosch-Stiftung und der Universität Stettin / Szczecin gefördert wurde, befasste sich mit Institutionen und Personen der Ost- und Westforschung. Wenn acht Jahre seit der ersten Tagung vergehen mussten, bis die Folgekonferenz stattfinden konnte, so hat dies neben äußeren Umständen auch mit dem Thema selbst zu tun. Darauf verwies zu Beginn seitens der Veranstalter Jörg Hackmann, der in seinem Eingangsreferat eine beträchtliche Asymmetrie des Forschungsstandes konstatierte, der sich in den vergangenen Jahren eher vergrößert als verringert hat.

Welcher Nachholbedarf noch für die polnische Seite besteht, machte gleich der erste Vortrag deutlich, der zugleich den Themenblock zu Institutionen der Ost- und Westforschung eröffnete. Bernard Linek (Opole / Oppeln) gab einen Abriss des 1934 gegründeten Kattowitzer Schlesischen Instituts, das nach dem Zweiten Weltkrieg seine Tätigkeit zunächst im alten Rahmen fortsetzen konnte, bis es 1949 dem Posener West-Institut angeschlossen wurde. In Volkspolen entwickelte es sich zu einer Art regionalem „think tank“, dessen Mitarbeiter gelegentlich sogar als Redenschreiber des Wojewoden fungierten. Demgegenüber nahmen sich die Anfänge des Instituts in der Zweiten Republik bescheiden aus. Eine Kontinuität von Problemlagen ergab sich insofern, als die neuen Machthaber sowohl nach dem Maiumsturz von 1926 wie nach der Gründung Volkspolens über keinen nennenswerten Rückhalt vor Ort verfügten. Umso bedeutsamer waren Versuche der Popularisierung von Ideologien über alte wie neue Medien (Rundfunk). Eine kontroverse Diskussion entspannte sich um den Schriftsteller Wilhelm Szewczyk, der in Volkspolen so etwas wie eine graue Eminenz des schlesischen Kulturlebens darstellte.

Vergleichende und verflechtungsgeschichtliche Aspekte in der ersten Nachkriegszeit und im Zweiten Weltkrieg behandelten zwei schriftlich vorgelegte Beiträge. Hans-Christian Petersen (Mainz) befasste sich mit dem Institut für Ostdeutsche Wirtschaft in Königsberg und dem polnischen Ostsee-Institut in Thorn bzw. Gdingen. Er plädierte dafür, den vergleichenden Ansatz nicht nur auf die wissenschaftliche, publizistische und politische Produktion zu beziehen, sondern auch auf eine Betrachtung der Produktionsbedingungen, bei denen Unterschiede deutlicher zutage treten als bei einer primär ideologiekritischen Textbetrachtung. Markus Krzoska (Mainz) diskutierte die Frage, ob eine Betrachtung von Interdependenzen zwischen deutscher Ostforschung und polnischer Westforschung während des Zweiten Weltkriegs ein sinnvolles Unterfangen sei. Unter den fundamental verschiedenen Lebens- und Arbeitsbedingungen während des Kriegs müssten zunächst die Unterschiede herausgestellt werden: zum einen neue Karrierechancen durch Kooperation mit dem Okkupationsregime auf deutscher Seite, zum anderen das Leben und Überleben in Gefangenschaft und Untergrund auf polnischer Seite. Erst in einem folgenden Schritt, so Krzoska, könnten dann Fragen, inwieweit persönliche Bindungen aus der Vorkriegszeit fortbestanden oder welche Rolle Kollaboration bei polnischen Historikern spielte, erörtert werden.

Ging es in Lineks Vortrag somit vor allem um Bestandsaufnahmen, konnte Thekla Kleindienst (Rostock / Greifswald) bereits auf eine Reihe von Vorarbeiten zurückgreifen. Ihr Thema „‚Nun, unser Klub soll schon gedeihen’ – Gründung und Anfangsjahre des Johann Gottfried Herder-Forschungsrates und -Instituts“ berührte das zentrale Problem von Kontinuitäten und Diskontinuitäten nach 1945. Der Anspruch auf einen Neubeginn sollte in der Namensgebung zum Ausdruck kommen, so dass Vorschläge wie „Institut zur Erforschung des abendländischen Ostraums“ ohne Chance auf Verwirklichung blieben. Auf starkes Interesse unter den Tagungsteilnehmern stieß der Hinweis, dass es nicht zuletzt eine Prüfung des Bundesrechnungshofs war, die den Anlass zu einer internen Debatte um die Neupositionierung des Herder-Instituts im Zeichen der Ostpolitik lieferte. Karol Sauerland (Warschau / Thorn) gab zu bedenken, dass in Polen ungeachtet aller ideologischen Gängelungen ein vergleichbares Einschreiten gegenüber Einrichtungen der Akademie der Wissenschaften (PAN) kaum vorstellbar gewesen wäre. Prinzipiell skeptisch äußerte sich Błażej Białkowski (Berlin), was die Grenzen eines rein institutionengeschichtlichen Ansatzes anbelange. Gerade beim Herder-Institut sei der Widerspruch nicht zu übersehen, der zwischen symbolischer Inszenierung nach außen, wie sie in der Benennung zum Ausdruck kam, und der praktischen Tätigkeit bestand.

Der Charakter der Zäsur des Jahres 1945 war auch das Thema eines in sich vergleichend angelegten Vortrags „Deutschland, Ungarn und die slawischen Länder in der mitteleuropäischen Geschichtsreflexion der Nachkriegszeit“. Auf der Basis umfassender Quellen- und Literaturstudien gab Maciej Górny (Warschau / Berlin) einen Überblick über jene kurzlebigen Versuche eines Paradigmenwechsels. Nach Engels lassen sie sich unter dem Schlagwort „Miseregeschichte“ subsumieren, lag ihnen doch ein Modell deutscher Geschichte zugrunde, das diese seit ihren Anfängen von Fehlentwicklungen geprägt sah. Bis die SED-Führung 1951 der Misere-Theorie eine offizielle Absage erteilte, war sie auch in Deutschland selbst präsent gewesen. Innerhalb der ostmitteleuropäischen Nachbarländer sind Unterschiede und Parallelen zu konstatieren. Der Westgedanke hatte in Polen zwar eine längere Tradition, war aber nicht zum dominanten Diskurs geworden, während sich die tschechische Geschichtsschreibung seit ihren Anfängen zu einer Auseinandersetzung mit dem deutschen Faktor gezwungen sah. Eine daraus abgeleitete gemeinsame slawische Idee konnte jedoch nur in der tschechischen Literatur Fuß fassen. Bereits in der der slowakischen Landeshälfte (und in noch stärkerem Ausmaß in Ungarn) fehlten hierfür die Voraussetzungen: Während sich das Land noch einige Jahre zuvor mit der Sowjetunion im Kriegszustand befunden hatte, entfiel weitgehend das Gefühl deutscher Bedrohung. Die Reihe der Vergleichspunkte fand in der Diskussion einige Ergänzungen. Rudolf Jaworski wies darauf hin, dass sich tschechische Historiker anders als ihre polnischen Kollegen deutscherseits nicht mit einer Forschung von Gewicht konfrontiert sahen. Gerhard Seewann (München) sah einen weiteren Unterschied in der Bewertung der Donaumonarchie: Die antideutsche (und besonders im Falle der slowakischen Geschichtsschreibung: antiungarische) Position bei tschechischen und slowakischen Autoren ging mit einem Anti-Habsburg-Komplex einher, welcher in dieser Form in Polen nicht anzutreffen war.

Den zweiten, Personen gewidmeten Themenblock der Tagung eröffnete Błażej Białkowski (Berlin) nach einer Einführung durch Jan M. Piskorski. Er nahm eine Anregung der Veranstalter auf und präsentierte mit seiner Parallelbiographie einen Ansatz, der zwar über eine große historiographischer Tradition verfügt, in Bezug auf das Tagungsthema bisher aber nicht erprobt worden ist: „Das Zwielicht einer Wissenschaftlerbiografie – Kazimierz Tymieniecki und Hermann Aubin im beziehungsgeschichtlichen Vergleich“. Mit dem Begriff des „Zwielichts“ war ein Plädoyer für die „Grauzonen“ einer Biographie jenseits plakativer Schwarz-Weiß-Malerei verbunden. Seiner Einordnung der beiden Mediävisten im Kontext deutsch-polnischer Beziehungsgeschichte stellte Białkowski methodische Reflexionen über Möglichkeiten und Grenzen des biographischen Ansatzes wie der Komparatistik generell voran. In der Diskussion setzte sich gegen manche Skepsis schließlich doch Konsens über die Berechtigung und heuristische Fruchtbarkeit eines solchen Vorgehens durch; weitere Versuche dieser Art wurden als Desiderat benannt.

Ein weiteres Historikerpaar wurde von Wiebke Rohrer (Marburg) in einer schriftlichen Skizze vorgestellt. In ihrer vergleichenden Betrachtung der Archäologen Gustaf Kossinna und Józef Kostrzewski konstatierte sie auffällige Parallelen zwischen beiden Wissenschaftlern einerseits in ihren politischen Einstellungen und andererseits in ihren Ansätzen, die Ergebnisse siedlungsarchäologischer Forschungen politisch zu nutzen. Sowohl Kostrzewski als auch Kossinna prägten die archäologischen Disziplinen in ihren Ländern nachhaltig.

Während sich Tymieniecki und Aubin gegenseitig kaum wahrnahmen, suchte und fand der eine Generation jüngere Gotthold Rhode nach dem Zweiten Weltkrieg Kontakt zu polnischen Kollegen. Eicke Eckert (Berlin / Kiel) konnte in seinem Vortrag „Gotthold Rhode und die polnische Westforschung in den 1950er Jahren“ auf dessen Nachlass zurückgreifen und analysierte insbesondere den Briefwechsel seines Protagonisten mit dem kürzlich verstorbenen Marian Wojciechowski. Die Beziehungen des Mainzer Osteuropahistorikers zu Kollegen jenseits der Oder waren nicht frei von wechselseitigen Irritationen. Hierfür war nicht allein die politische Großwetterlage verantwortlich, so wenn etwa 1958 Reisen polnischer Historiker in die Bundesrepublik kurzfristig abgesagt wurden. Rhode, so Eckerts Fazit, ging als Hochschullehrer zwar zunehmend auf Distanz zum Paradigma der Ostforschung, hielt jedoch an entsprechenden Kontakten und Funktionen außerhalb des universitären Umfelds fest. Umgekehrt stieß er sich an einigen publik gewordenen Äußerungen polnischer Kollegen, die seinem Verständnis von Objektivität und persönlicher Loyalität zu widersprechen schienen. Der Gedanke seines Briefpartners Wojciechowski, dass es auch moralische Aspekte des Zweiten Weltkriegs zu berücksichtigen gelte, blieb ihm fremd.

Die Gestalt eines Gotthold Rhode nimmt sich immer noch vergleichsweise geradlinig aus, stellt man ihr die Biographie Eduard Winters (1896-1982) gegenüber: „Von der deutschen Ostforschung zur Osteuropaforschung in der DDR“ lautete der prägnante Untertitel des Vortrags von Jiří Němec (Brno / Brünn). Selbst seine minutiösen Recherchen vermochten nicht alle Rätsel eines ungewöhnlichen Werdegangs zu lösen. Geprägt durch die katholische Jugendbewegung in Böhmen, hatte Winter vor dem Krieg völkisches Ideengut vertreten, wenn biologisch-rassistische Elemente auch zurücktraten. Im Protektorat in der Reinhard-Heydrich-Stiftung spielte der exkommunizierte Priester eine bis heute ungeklärte Rolle. Dokumentiert ist seine Zusammenarbeit mit dem Reichssicherheitshauptamt, für das Winter als Experte für Russland und die Orthodoxe Kirche tätig war. Auf Nachfrage meinte Němec, persönliche Scham als Handlungsmotiv seines Protagonisten nach 1945 unterstellen zu können.

Der dritte und letzte, von Rudolf Jaworski eingeleitete Themenblock weitete das Beobachtungsfeld über den engeren deutsch-polnischen Raum hinaus aus. Den Auftakt machte Gerhard Seewanns (München) Vortrag „Deutsche Südostforschung im Dienst von Grenzrevision und Hegemoniebestrebungen 1918-1945“, der sich auf das Münchner Südost-Institut konzentrierte. Auch hier war die finanzielle Situation von Bedeutung, stand das Institut nach Aufzehren des Stiftungskapitals 1937/38 doch vor dem Zusammenbruch. Eine Subventionierung durch die SS unmittelbar nach Kriegsbeginn sicherte daher zunächst erst einmal die Existenz des Südost-Instituts. Hinsichtlich seiner Tätigkeit im Rahmen einer „Gegnerforschung“ ließen sich Parallelen zu ostmitteleuropabezogenen Einrichtungen ziehen. Ein wesentlicher Unterschied bestand darin, dass das Südost-Institut zur Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern in den kriegsverbündeten Ländern der Region gehalten war, und zwar keineswegs nur mit solchen deutscher Herkunft.

Andreas Wiedemann (Prag) legte einen Beitrag vor, der die Leitlinien der tschechischen Besiedlungspolitik und -propaganda in den Sudetengebieten nach 1945 beleuchtete. Er arbeitete heraus, dass es dort – anders als im Fall der polnischen Westgebiete – nicht um eine historische Begründung für die erneute Einnahme der Gebiete nach 1945 ging, sondern um die Rechtfertigung der Vertreibung und die „Tschechisierung“ der Gebiete durch national zuverlässige Neusiedler. Dabei spielte der Rückgriff auf tschechische nationale Vereine und eine Ideologie der „Wacht an der Grenze“ eine Rolle insbesondere in den ersten Nachkriegsjahren.

Einen weiteren Raum eröffnete Rafał Stobiecki (Łódź) mit einem Thema, das geographisch nach Osten und zeitlich zurück bis ins 19. Jahrhundert führte. Im Zentrum seines Vortrags “The Polish Eastern Borderlands in Polish and Russian Historiography” standen die konkurrierenden Meistererzählungen von Nikolaj Karamzin und Joachim Lelewel. Dort popularisierte Vorstellungen – etwa von russischer Ordnung gegenüber polnischer Anarchie bzw. von zarischer Despotie versus republikanischer Freiheit – erwiesen sich bis in die Gegenwart als äußerst wirkungsmächtig. Ihre Rezeption erstreckte sich bis nach Ostasien, wo, wie Jie-Hyan Lim (Seoul) anmerkte, Ende des 19. Jahrhunderts eine Übersetzung Lelewels auf Koreanisch erschien. Vor dem Hintergrund des traditionsreichen deutsch-polnischen Historikerdialogs beschäftigte die Tagungsteilnehmer unter anderem die Frage, inwieweit sich nationale Annäherung leichter über Einigung in Sachfragen oder über Mythenkritik erzielen lasse.

Dem Ausblick nach Osten schlossen sich zwei aufeinander aufbauende Vorträge in entgegen gesetzter Blickrichtung an. Bernd-A. Rusinek (Düsseldorf / Freiburg) sprach über „Deutsche Westforschung“ und bezog sich dabei in erster Linie auf ihr Flaggschiff – das Bonner Institut für Geschichtliche Landeskunde der Rheinlande. Dieses war für die Ostforschung durch die Person Hermann Aubins von unmittelbarer Bedeutung. Dieser legte, so Rusinek, in seiner kurzen Tätigkeit konzeptionell ein Fundament, das in späteren Jahrzehnten keinen wesentlichen Umbau mehr erfahren habe. Dies erscheint umso bemerkenswerter, wenn man bedenkt, dass sich das Institut in drei Systemen zu behaupten und damit seine Subventionsfähigkeit unter Beweis zu stellen vermochte. Dabei verdankte das Institut für Geschichtliche Landeskunde der Rheinlande seiner Entstehung nicht allein modernen kulturwissenschaftlichen Impulsen in Anlehnung an Karl Lamprecht, sondern auch der politischen Konfrontation mit Frankreich im Zuge der Rheinlandbesetzung.

Auf damit verbundene inhaltliche Aspekte ging der nachfolgende Vortrag von Stephan Laux (Köln), „Das Rheinland in der deutschen und französischen Geschichtswissenschaft“, näher ein. Eine wesentliche Asymmetrie bestand insofern, als in Frankreich Institute wie das Institut für Geschichtliche Landeskunde der Rheinlande fehlten, zumal dort keine vergleichbaren landesgeschichtlichen Traditionen bestanden. Aber auch in Deutschland musste ein „Rheinland“ als Geschichtslandschaft mit großem Aufwand erst konstruiert werden (zum Beispiel in den Millenniumsfeiern von 1925) und ist insofern als Chiffre für deutsch-französische Auseinandersetzungen zu verstehen. Während sich entsprechende Publikationen in Deutschland in den historiographischen Mainstream einordneten, an denen allenfalls einzelne Historiker wie etwa Otto Hintze Kritik äußerten, wurde das Bemühen französischer Historiker (etwa der Annales-Schule) um Ausgewogenheit pauschal als Versailles-Apologie abqualifiziert. In der Rolle eines politische Grenzen negierenden Kulturraumkonzepts wie auch in der symbolischen Aufladung von Flüssen (Rhein und Weichsel) ergaben sich Berührungspunkte von Ost- und Westforschung. Allerdings wurde gegenüber Deutschlands westlichen Nachbarn anders als im Verhältnis zu „den“ Slawen nicht das Argument kulturell-zivilisatorischer Überlegenheit bemüht.

Die Schlussdiskussion bereicherte Jie-Hyan Lim (Seoul) in seinem Eingangsstatement um eine globale Perspektive. In thesenhafter Zuspitzung interpretierte er die deutsche Ostforschung als eine Form von „German orientalism". Parallelen zu britischer und französischer Kolonialgeschichte sah der koreanische Wissenschaftler nicht nur in der ideologischen Ausrichtung, sondern auch im institutionellen Rahmen, der jeweils durch außeruniversitäre Forschungseinrichtungen gekennzeichnet war. Eine kontroverse Diskussion entspannte sich, in der nach Möglichkeiten und Grenzen eines solchen Vergleichs gefragt und wiederholt die Begriffsgeschichte bemüht wurde. Dem Einwand Maciej Górnys etwa, dass der westliche Orientalismus anders als die deutsche Ostforschung kein Pendant in der Region selbst besessen habe, hielt Lim den selbstgenügsamen Charakter eines solcherart verstandenen Orientalismus entgegen.

Wenn in dieser Frage auch keine abschließende Einigung erzielt werden konnte, gehört allein die Erweiterung der Perspektive doch zu den Erträgen der Tagung. Stärker als bei den vorausgegangenen Konferenzen war der – häufiger eingeforderte als eingelöste –vergleichende Ansatz vertreten, stärker fiel auch die Berücksichtigung der Zeit nach 1945 aus. Eine Publikation der Beiträge ist geplant, ebenso ein dritter und letzter Teil des Konferenzzyklus. Thema werden die Popularisierungskonzepte deutscher Ost- und polnischer Westforschung sein, deren Bedeutung bereits auf dieser Tagung verschiedentlich anklang. Es steht zu hoffen, dass bis dahin nicht abermals acht Jahre vergehen werden.

Anmerkungen:
1 Piskorski, Jan M.; Hackmann, Jörg; Jaworski, Rudolf (Hrsg.), "Deutsche Ostforschung" und "polnische Westforschung" im Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik. Disziplinen im Vergleich, Osnabrück, Poznan 2002.


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