Visualization of Politics

Visualization of Politics

Organisatoren
Ute Frevert; Ingrid Gilcher-Holtey; Bettina Brandt; SFB 584 "Das Politische als Kommunikationsraum in der Geschichte"
Ort
Bielefeld
Land
Deutschland
Vom - Bis
11.01.2007 - 12.01.2007
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Von
Bettina Brandt, Universität Bielefeld Fakultät für Geschichtswissenschaft, Theologie u. Philosophie

Angeregt durch die kulturwissenschaftliche Bilddiskussion beginnt die Geschichtswissenschaft, sich der Prägekraft der Bilder anzunehmen, wie der letzte Historikertag in Konstanz zum Thema „GeschichtsBilder“ bezeugt. Eine im Entstehen begriffene „Visual History“ hat sich vorgenommen, die Bilder aus ihrem traditionellen Nischendasein im Fach zu erlösen, und traut ihnen nunmehr die Rolle als Faktoren in historischen Prozessen zu.

Empirische Erprobungen und theoretische Reflexionen zu den Leistungen der Bilder in der Geschichte des Politischen bot die Tagung „Visualizations of Politics“, die der Bielefelder Sonderforschungsbereich 584 „Das Politische als Kommunikationsraum in der Geschichte“ am 11. und 12. Januar 2007 im Zentrum für interdisziplinäre Forschung veranstaltete. Die Tagung brachte Wissenschaftler/innen und Doktorand/inn/en aus Geschichts-, Literatur- und Medienwissenschaften der Yale University und der Universität Bielefeld zusammen. Ziel war es, die Produktion und Wirkung politischer Sichtweisen durch visuelle Medien zu untersuchen. Die Fallbeispiele reichten von indischen Landschaftsgemälden des 18. Jahrhunderts über Wanderkarten des 19. und Sammelbilder des 20. Jahrhunderts bis zu den Aktionen Christoph Schlingensiefs. Die Beiträge waren vier Themenschwerpunkten zugeordnet: Den Konzeptionsmöglichkeiten für die historische Erforschung ‚politischer’ Bilder, der Visualisierung kollektiver Identitäten, der Politisierung des Blicks sowie visuellen Formen der politischen Auseinandersetzung und der Subversion.

In der Eröffnung schlug Ingrid Gilcher-Holtey (Bielefeld) den Bogen von der sozialhistorischen Figur des ‚homo faber’ zum aktuellen Interesse am ‚homo pictor’ und betonte, dass auch dessen historische Konturen innerhalb eines theoriegeleiteten Analyserahmens erforscht werden müssten. Einen Überblick über kultur- und sozialwissenschaftliche Ansätze der Bildforschung vermittelte der Vortrag von Bettina Brandt (Bielefeld). Sie legte dar, dass die ‚Politik’ der Bilder meist als manipulative Machttechnik oder als demokratisch-partizipatorische Chance beschrieben werde – ein Dualismus, in dem die historischen Konturen des machiavellistischen und des aristotelischen Politikbegriffs nachwirken. Die Bilderwartungen der Historiker wiederum richten sich auf den Zugang zu wirkmächtigen sozialen Antriebskräften wie dem kollektiven Imaginären, den Erfahrungen und Emotionen. Gleichzeitig haben Historiker ein ambivalentes Verhältnis zum subjektiven Anteil der (eigenen) ästhetischen Bildbetrachtung. Die ‚ikonische Differenz’ (Gottfried Boehm) und die historische Differenz bedeuten eine doppelte Herausforderung, bieten jedoch auch neue Erkenntnismöglichkeiten, wenn die Formgebung visueller Sinnangebote in die historische Analyse einbezogen wird.

Einen Forschungszugang, der weniger auf ästhetische Modi als auf Fragen der Kanonisierung und Verbreitung politischer Bilder abzielt, stellte Bernhard Jussen (Bielefeld) vor. Ihm ging es aus der Makroperspektive um den Beitrag des kollektiven Bildwissens zur Stabilität politischer Systeme und Kommunikationsräume. Der Frage, wie sich große ideologische Konflikte und Transformationen in Bildformeln ausdrückten, ging Jussen am Beispiel der (Neu-) Bebilderung von Nationalgeschichten und von Sammelalben mit historischen Bildthemen nach. In NS-Geschichtsbüchern wurde zum Beispiel der Bamberger Reiter, der im 19. Jahrhundert der Aufwertung einer ‚deutschen’ Kunst des Mittelalters diente, durch den Typus des Magdeburger Reiters ersetzt, der mit Otto dem Großen identifiziert wurde und nun als visueller Code für das Thema Ostkolonisation stand. Nach 1945 verschwand er rasch wieder, während der Bamberger Reiter mit seiner vor-nationalsozialistischen Vergangenheit die „visuelle Entnazifizierung“ überlebte.

Daniel Brückenhaus (Yale) und Catherine Dunlop (Yale) thematisierten in ihren Beiträgen die visuelle Aneignung ‚fremder’ Landschaft im Zusammenhang mit politischen Herrschaftsansprüchen. Brückenhaus konzentrierte sich auf den Landschaftsmaler William Hodges, der in den 1780er-Jahren den britischen Generalgouverneur Warren Hastings auf Kriegseinsätzen durch Indien begleitete. Seine Hochschätzung indischer Landschaft und Baukunst musste Hodges mit dem Kolonialprojekt in Einklang bringen, das seine Legitimation in Fortschrittstheorien der Aufklärung und in der Vorstellung fand, England repräsentiere die höchste Stufe zivilisatorischer Entwicklung. Hodges löste das Problem, indem er Indien durch das ideale, antikisierende Genre der englischen Landschaftsmalerei in den Blick nahm. Seine Gemälde boten indische Monumente in gotisierender Einkleidung dar und übersetzten sie damit in eine ‚familiäre’ Fremdheit, wie sie zwischen der protestantischen und der katholischen Kultur innerhalb Europas wahrgenommen wurde. Dieser piktoriale Deutungsrahmen wirkte sich auch auf die architekturtheoretischen Schriften des Malers aus, in denen er die Entwicklungstheorien der Aufklärer modifizierte.

Um die Transformation Elsass-Lothringens in eine ‚nationale’ Landschaft ging es im Vortrag Catherine Dunlops. Sie untersuchte die Aktivitäten des Vogesenklubs, der 1872 von zugewanderten deutschen Beamten und Honoratioren gegründet worden war und sich die Kartographierung der Vogesen zur Aufgabe gemacht hatte. Als bis dahin unerschlossenes Terrain reizten die Vogesen umso mehr, die kriegerische Reichsgründung im Sinne einer Expedition durch das Unwegsame und Gefahrvolle fortzusetzen. Die in den 1890er-Jahren veröffentlichten Wanderkarten, die Wege und Sehenswürdigkeiten im Licht der Nationalgeschichte markierten, machten die Durchdringung und Inbesitznahme des Landes sichtbar und für jeden Wanderer praktisch handhabbar. Die Karten fungierten damit als visuelle Modelle, die einen ‚nationalen’ Raum erfahrbar machten und die dessen Beherrschung auf Dauer stellen sollten. Diesem Anspruch traten elsässische Patrioten 1908 mit der Gründung des „Touring Club Vosgien“ entgegen. Dass der französische Club nach dem Ersten Weltkrieg in die Fußstapfen der „boche“-Organisation trat, verdeutlicht die wichtige Funktion, die der kartographierte Überblick über ein ‚Ganzes’ als Symbol nationalen Eigentums auch für die lokale Bevölkerung besaß.

Ingrid Gilcher-Holtey analysierte wiederum visuelle Techniken der Durchbrechung von identifikatorischen Sichtweisen auf Politik am Beispiel der Bühnen- und Szenenbilder des Brecht-Theaters. Visuelle Verfremdungsmittel wie die Brecht-Gardine, die die Bühne in mehrere Darstellungskontexte teilte und den Umbau sichtbar werden ließ, dienten der distanzierenden Erweiterung des Zuschauerblicks auf die Hintergründe sozialer Machtverhältnisse und so, in Brechts Zielsetzung, der Politisierung des Blicks. Der Revolutionierung des Denkens durch visuelle Mittel sollte die fotografische Dokumentation der Szenenbilder zuarbeiten. Die Fotografin Ruth Berlau revolutionierte damit die Theaterfotografie: Ihre Bilder lenkten den Blick nicht auf den Schauspieler, sondern auf die Dynamik und Atmosphäre des Spiels, was durch fotografische Effekte wie Körnigkeit und Verwischungen unterstützt wurde. Die Fotografien dokumentierten den Zuschauerblick, den Brecht intendierte. Die Grenzen dieses Blickwechsels verdeutlichten französische Theater- und Presseaufnahmen von der Pariser Produktion der „Mutter Courage“ 1954: Der traditionellen Betrachterperspektive verhaftet, konzentrierten sie sich auf die Hauptdarstellerin Helene Weigel.

Eine andere Strategie der Aktivierung und Politisierung des Blicks wählte der slowakische Filmemacher Ivan Balad'a, wie Alice Lovejoy (Yale) in ihrem Vortrag über den tschechoslowakischen Armeefilm verdeutlichte. Im ‚Tauwetter’-Klima der späten 1960er-Jahre beschäftigte die Filmeinheit des Militärs einige Absolventen der Prager Film- und Fernsehakademie, die mit den Mitteln des Avantgardefilms für die Reformpolitik eintraten. In der Einheit entstand 1969 Balad'a's – dann doch nicht freigegebener – Dokumentarfilm „Les“ (Wald), der den Trauerzug für Jan Palach thematisierte – den Prager Studenten, dessen Selbstverbrennung nach dem Sowjetischen Truppeneinmarsch zum Symbol der Opposition wurde. „Les“ zeigt die Menschenmassen, die das politisch motivierte Selbstopfer in Bewegung gesetzt hatte, der Grund der Bewegung bleibt jedoch unsichtbar. Damit ging es Balad'a gerade nicht um die Inszenierung eines Märtyrers, sondern um die – suchende und ergründende – Augenhöhe des Zuschauers mit den Versammelten. Sichtbarkeit erhielten Widerstand und Aktion als politische Machtpotenziale.

Visuelle Medien als Mittel und Gegenstand der politischen Auseinandersetzung waren Thema der letzten Sektion. Katie Trumpener (Yale) widmete sich in ihrem Beitrag dem Kinofilm als Medium einer deutsch-deutschen Beobachtung während des Kalten Krieges. Wie sie zeigte, wurde der Ost-West-Konflikt nicht nur mittels visueller Medien geführt, sondern auch in Form der (filmischen) Medienkritik. Der offiziellen Stigmatisierung und Kriminalisierung des Konsums westlicher Medien assistierend und zum Teil vorgreifend, entwickelten DDR-Autoren und Filmemacher eine Medienpädagogik, die die westliche Medienlandschaft des ‚Spektakels’ zum Inbegriff eines gewaltsamen und unmoralischen Systems erklärte, vor dessen giftigem Einfluss nicht nur die Jugend zu wappnen war. Vertiefte die DDR-Medientheorie der 1950er-Jahre die politische Polarisierung, ermöglichte die Teilung jungen, ost- wie westdeutschen Filmemachern der 1960er-Jahre auch das Experimentieren mit neuen Wahrnehmungsweisen. Mit Bild-Ton-Kombinationen, die Ost und West in eine Wechselbeziehung setzten, reflektierten Filme wie Ulrich Schamonis „Es“ (BRD, 1965) und Helke Sanders „Redupers“ (BRD, 1978) Berlin als einen Ort der medialen Grenzüberschreitungen ebenso wie der medialen Kriegsführung jenseits der üblichen Dichotomien.

Freia Anders (Bielefeld) befragte Plakate autonomer Gruppen aus den 1980er- und 1990er-Jahren nach ihren Visualisierungs- als politischen Interventionsstrategien. Anknüpfend an die Tradition der „Zeitung des kleinen Mannes“, die den Stadtraum als politischen Kommunikationsraum sichtbar markierte, steckten Plakatgestaltung und ‚wildes Kleben’ ein „politisches Kampfterrain“ der alternativen Jugend- und Subkultur ab. Im Sinne basisdemokratischer Konzepte und als Teil subversiver und illegaler Aktionen blieben autonome Plakate anonym. Anders arbeitete heraus, dass autonome Visualisierungsstrategien zum einen auf Identitätsbildung zielten, indem sie symbolisch-ikonographische Traditionen stifteten. Dazu gehörte das Zitieren etwa des „revolutionären Negerkusses“, der nicht nur auf den Berliner Bankraub der Gruppe „Bewegung 2. Juni“ im Jahre 1981 verwies, sondern auch, als fröhliche Kostümierung der Maske, des Symbols kollektiver „Gegen-Macht“, auf das Konzept der „Spaßguerilla“. Eine andere Strategie gilt der Subversion ökonomisch und politisch machtvoller ‚Images’, dem Bloßstellen politischer Gegner, indem deren visuelles Marketing aufgegriffen und verfremdet wird. Techniken visueller Demontage als Formen der Irritation und Infragestellung herrschender Sichtweisen stellen die Autonomen in Avantgarde-Traditionen des 20. Jahrhunderts.

Im Vortrag von Franziska Schößler (Trier) über den Aktionskünstler Christoph Schlingensief liefen einige der bis dahin diskutierten Aspekte politischer Bilder zusammen. Am Beispiel der Aktionen „Chance 2000“ (1998) und „Ausländer raus. Liebt Österreich“ (2000) führte Schößler aus, wie Schlingensief Visualisierungen als konkretisierende Verkörperungen nutzt, um die glatten Bilder und die Rhetorik medialer Politikinszenierung in ihren Widersprüchen und Konsequenzen sichtbar zu machen. Wahl und Aus-Wahl werden als komplementäre Praktiken eines politischen Systems vorgeführt, das die Partizipation der Wähler an Entscheidungsprozessen verhindert und schwache Interessen ausschließt. Auf die Grenzen repräsentativer Demokratie verweist die Parteigründung „Chance 2000“ mit ihrem Slogan „Wähle Dich selbst“, während ihre nationalen Ausschlussmechanismen in der Übertragung des Selektionsspiels „Big Brother“ auf die Abschiebung von Asylbewerbern vor Augen gestellt werden. Der Zuschauer ist auf ambivalente Weise involviert, indem er zwangsläufig zum Komplizen der Spielregeln, aber auch der ‚Kandidaten’ wird. Schlingensiefs subversive Gegenbilder machen Sichtbarkeits- als Machtverhältnisse begreifbar und verstehen sich gleichzeitig als Medium politischer Partizipation.

Ute Frevert (Yale) wies in ihrem zusammenfassenden Kommentar auf die Vielfalt der Medien und der (staatlichen, organisierten, individuellen) Akteure hin, die an der visuellen Produktion und Vermittlung politischer Deutungsangebote beteiligt waren. Als elementare Funktionen politischer Bildeinsätze hob sie Erinnerung, Mobilisierung und Legitimation hervor. Politisch wirksame performative Leistungen der Bilder bestehen in der Rahmung und Fokussierung von Aufmerksamkeit sowie in der Herstellung von Evidenzen. Mit ihnen konnten, so ein wichtiges Ergebnis der Tagung, immer wieder auch die Grenzen des verbalen politischen Diskurses freigelegt und überschritten werden.

Dass Präsenz und Evidenz, werden sie auf Belange überindividueller Ordnung bezogen, in besonderer Weise den das Politische konstituierenden Kriterien der Nachhaltigkeit und Verbindlichkeit Rechnung tragen, verdeutlicht den prominenten Stellenwert der Bilder als politische Ressource. Aus den Tagungsbeiträgen zeichnen sich Erwartungen, Bedürfnisse und Entwicklungen ab, die mit dieser Ressource in der Moderne verbunden waren. Visualisierungen lieferten Verkörperungen und schufen Erfahrungsräume, mit denen komplexe politische Sachverhalte, Zugehörigkeiten, Herrschaftsverhältnisse oder Machtkämpfe, lokalisiert und identifiziert, erlebbar, aber auch hinterfragbar wurden. Mit der Massenmedialisierung wurde zudem die Perspektive, der Blick, selbst zum – umkämpften – Politikum. Das Politische wurde zunehmend als Welt-Sicht verstanden, die durch visuelle Medien in der Wahrnehmung des Betrachters verankert oder geändert werden sollte. Weiter war und ist mit Sichtbarkeit die Erwartung der Partizipation und des Eintritts bislang ausgeschlossener Themen und Akteure in den politischen Kommunikationsraum gekoppelt. In der digitalisierten Bilderwelt des ausgehenden 20. Jahrhunderts ist dies allerdings einer zwiespältigen Wahrnehmung der Bilder zwischen Politisierungs- und Entpolitisierungseffekten gewichen.

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