Dekolonisation: Prozesse und Verflechtungen 1945-1990

Dekolonisation: Prozesse und Verflechtungen 1945-1990

Organisatoren
Workshop des Archivs für Sozialgeschichte, Bonn
Ort
Bonn
Land
Deutschland
Vom - Bis
21.02.2007 - 23.02.2007
Url der Konferenzwebsite
Von
Martin Rempe, Berlin

Als die Redaktion des Archivs für Sozialgeschichte vor drei Jahren überlegte, einen Workshop über Dekolonisation zu veranstalten, überwog zunächst die Skepsis, ob für dieses eher randständige Thema in der deutschen Geschichtswissenschaft überhaupt kompetente Historiker gewonnen werden könnten. Dass sich die ungewöhnlich gut besuchte Tagung schließlich mit 17 Beiträgen in sieben Panels über drei Tage erstreckte, zeigt, wie schnell sich Forschungsinteressen wandeln und neu etablieren können. Auf diesen Tatbestand verwies auch Anja Kruke vom Archiv für Sozialgeschichte in ihrer Einführung. Ihr zufolge wurde die Hinwendung zu postkolonialen Themen und Fragestellungen unter anderem durch die Internationalisierung der Geschichtswissenschaft selbst wie auch durch die theoretischen Debatten um transnationale Geschichte und die Rezeption der post colonial studies begünstigt.
Mit dem Workshop war nicht beabsichtigt, einen Gesamtüberblick über das äußerst breite Themenfeld zu geben, sondern vielmehr eine Zusammenschau verschiedener Ansätze und Perspektiven auf die Prozesse und Verflechtungen der Dekolonisation zwischen 1945 und 1990 zu präsentieren.

Im ersten Panel zur Rolle internationaler Organisationen führte Daniel Maul (Berlin) in seinem Beitrag zur Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) aus, dass diese ein Diskursfeld konstituierte, von dem der Dekolonisationsprozess wichtige Impulse erhielt. In den Themenbereichen Menschenrechte, Entwicklungs- und Sozialpolitik etablierte sich die Organisation als ein bedeutendes internationales Forum, dessen Diskussionen aufgrund der Einbeziehung von Vertretern von Kapital und Arbeit auf die innergesellschaftliche Ebene der Mitgliedstaaten weiter getragen wurden. Neben diesen indirekten Impulsen trat die IAO in Gestalt ihres Sekretariats, des Internationalen Arbeitsamtes, auch als Akteur in Erscheinung und versuchte Maul zufolge, den Dekolonisationsprozess aktiv mitzugestalten. Die Akteursqualität der IAO manifestierte sich unter anderem darin, dass sie als Resonanzboden und Transmitter für die Grand Designs der Dekolonisationsprozesse diente wie der Debatte über „welfare colonialism“ oder auch derjenigen über die US-amerikanische Modernisierungstheorie.

Jérôme B. Élie (Genf) konnte mit seinem Vortrag zum UNHCR aufzeigen, dass der Hohe Kommissar für Flüchtlingsfragen sich von den internationalen Zwängen des Kalten Krieges zu emanzipieren wusste und eine eigenständige Rolle im Systemkonflikt sowie im Prozess der Dekolonisation einnahm. Im Jahr 1950 gegründet und finanziert vom „freien Westen“, war die Aufgabe des Flüchtlingswerks zunächst darauf begrenzt, die aus dem Zweiten Weltkrieg resultierenden Flüchtlingsprobleme zu beheben. Spätestens mit der Hilfestellung für algerische Flüchtlinge in Tunesien im Jahr 1957 erweiterte das UNHCR jedoch autonom seinen Handlungsspielraum und nahm sich zunehmend auch Flüchtlingsfragen in der so genannten Dritten Welt an. So bewies die Flüchtlingsorganisation u.a. im angolanischen Dekolonisationsprozess wie auch während des Afghanistankrieges 1979, dass sie imstande war, ihr humanitäres Mandat ungeachtet ideologischer Gräben zu erfüllen.

Unterbrochen wurde die Sektion von einem (öffentlichen) Abendvortrag Jürgen Kockas zum Thema „Geschichtswissenschaft im Umbruch? Transnationalisierung als Trend und Fiktion“, in dem der Direktor des Wissenschaftszentrums Berlin nach einer Tour de Force durch neuere methodische Ansätze der Transfer-, Verflechtungs-, Global- und eben auch der transnationalen Geschichte die grundlegende Bedeutung und das Primat der Nationalgeschichte herausstrich, was im Anschluss zu lebhafter Diskussion führte.

Am nächsten Morgen präsentierte Veronique Dimier (Brüssel) in ihrem Beitrag zur Entwicklungspolitik der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) einen stark personenzentrierten Zugriff auf das Thema. Weil Frankreich die Assoziierung seiner Kolonien an den gemeinsamen Markt in den EWG-Vertragsverhandlungen 1957 durchsetzte, gelangten entwicklungspolitische Kompetenzen durch die Hintertür in die Brüsseler Amtsstuben, in denen der ehemalige französische Kolonialbeamte Jacques Ferrandi sich rasch eine überragende Stellung verschaffte. Nominell lediglich im Rang eines Abteilungsleiters, bootete Ferrandi seine Gegner innerhalb der zuständigen Generaldirektion VIII bald aus und ersetzte sie durch alte koloniale Weggefährten. Auf diese Weise konnte Ferrandi weitgehend ungestört koloniale Praxen in der EWG-Entwicklungspolitik perpetuieren, die in erster Linie auf persönlichen Klientelverhältnissen mit den Staatsmännern der assoziierten Staaten beruhten. Eine „Dekolonisation der gemeinschaftlichen Entwicklungspolitik“ fand demnach erst mit der Demission Ferrandis im Zuge des britischen Beitritts 1973 statt.

Mit einem Vortrag über Kirchen und Dekolonisation fand die erste Sektion schließlich ihr Ende. Die Ausführungen Frieder Ludwigs (St. Paul) konzentrierten sich dabei auf die Entwicklungen in Indien und Afrika. In Indien traten Vertreter der christlichen Kirchen bereits am Ende des Ersten Weltkriegs für die Dekolonisation des Landes ein und waren damit Vorreiter eines Sinneswandels, der mit der Unabhängigkeit Indiens 1947 einen wesentlichen Schub innerhalb der Kirchen erhielt. Bis dahin war es jedoch ein weiter Weg, denn noch 1943 warnten einflussreiche Bischöfe mit Verweis auf die christliche Landbevölkerung vor einer allzu schnellen Dekolonisation. Papst Pius XII. bezog erstmals 1954 Stellung gegen die Unterdrückung nationaler Bestrebungen, und es dauerte bis 1960, ehe zum ersten Mal ein afrikanischer Bischof ins Kardinalskollegium aufgenommen wurde.

Im Gegensatz zum sehr weit ausgreifenden ersten Panel wurde das zweite Panel über „Entwicklungshilfe und internationalen Beziehungen im Kalten Krieg in Asien“ sehr konkret und eröffnete vergleichende Perspektiven. In seinem Beitrag zur sowjetischen Entwicklungshilfe in Indien konstatierte Andreas Hilger (Hamburg), dass im Zuge der Destalinisierung sowjetischer Außenpolitik nichts unversucht blieb, internationale Handlungsspielräume zurückzugewinnen und auszubauen. Dazu gehörten auch die außenwirtschaftlichen Beziehungen mit der „Dritten Welt“. Am Beispiel Indiens, dem wichtigsten Wirtschaftspartner der Sowjetunion in Südostasien, konnte Hilger aufzeigen, dass es bei diesen Bemühungen allerdings nicht gelang, eine schlüssige Gesamtkonzeption sowjetischer Entwicklungshilfe (und damit zugleich auch einen konkurrenzfähigen Gegenentwurf zum Westen) auszuarbeiten, geschweige denn umzusetzen. Das übergreifende Ziel, Indien auf den sozialistischen Entwicklungspfad zu setzen, wurde durchweg verfehlt. Weder konnten sowjetische Experten den indischen Fünf-Jahresplänen ihren ideologischen Stempel aufdrücken, noch gelang es, mit der Finanzierung eines Stahlwerks in Bhilai eine sozialistische Musterfabrik aus dem Boden zu stampfen.

Corinna Unger (Washington) zeigte demgegenüber am Beispiel des indischen Stahlwerks "Rourkela" Mängel und Unzulänglichkeiten westdeutscher Entwicklungshilfe auf. Obwohl nur Bürge des privat finanzierten Stahlwerks, zeigte die Bundesregierung großes Interesse an dem Projekt, schließlich galt das neutrale Indien als wichtiger geostrategischer Puffer gegenüber dem kommunistischen China und versprach bei optimaler Entwicklung ein riesiger Absatzmarkt für die Bundesrepublik zu werden. Unter optimaler Entwicklung wurde im Fall Indiens eine rasche Industrialisierung verstanden. Die Rechnung allerdings, dass moderne Maschinen indische Arbeiter zu modernen Menschen machen würden, ging nicht auf: Nach technischen Problemen und Konflikten zwischen deutschen Projektleitern und indischen Arbeitern musste die Bundesregierung schließlich finanziell einspringen, um das Projekt vor dem Scheitern und die deutsch-indischen Beziehungen vor einer Krise zu bewahren. So wurde "Rourkela" Unger zufolge zum Inbegriff überhöhter Erwartungen, missverstandener Wertannahmen und geflissentlich übergangener kultureller Differenzen.

Mit der anschließenden Sektion „Arbeiterschaft, neue Linke und Dekolonisation“ wurden politikgeschichtliche Pfade verlassen und die Rückwirkung der Dekolonisationsprozesse auf europäische Staaten aus sozial- und gesellschaftsgeschichtlicher Perspektive beleuchtet. Christoph Kalter (Potsdam) vertrat in seinem Beitrag die Ansicht, dass sich eine neue, radikale Linke in Frankreich (und nicht nur dort) einerseits, und das Konzept der Dritten Welt andererseits, wechselseitig konstituierten. Mit dieser These, die Grundlage von Kalters Dissertationsprojekts ist, soll die so genannte Dritte Welt als eine Schlüsselkategorie der Nachkriegszeit historisiert und zugleich der Dekolonisierung kognitiver Strukturen in transnationaler Perspektive nachgegangen werden. Anhand der französischen Zeitschrift „Partisans“ machte Kalter anschaulich, wie die radikale Linke in Frankreich die diversen Dekolonisationsprozesse in eine einzige „koloniale Revolution“ umdeutete, die Perspektive der nationalen Befreiungsbewegungen sekundierte und letztlich als Projektionsfläche nutzte, um der sozialistischen Revolution im bourgeoisen Heimatland neue Nahrung zu geben.

Peter Birke (Hamburg) zeichnete in seinem Beitrag die Debatten über Migration und Dekolonisation innerhalb der westdeutschen Arbeiterbewegung zwischen 1955 und 1973 nach. Er betonte, dass sich die westdeutschen Gewerkschaften recht neutral gegenüber den Dekolonisationsprozessen verhielten. Zu dieser indifferenten Haltung gesellte sich eine gewisse Skepsis innerhalb der verschiedenen Gewerkschaftszweige gegenüber den Fähigkeiten der neuen Staaten, die Herausforderungen einer bevorstehenden Industrialisierung zu meistern. Ihren innerdeutschen Ausdruck fand diese Auffassung schließlich in der Debatte der Gewerkschaften über den Umgang mit Migranten, die seit Mitte der 1950er-Jahre angeworben wurden – eine Debatte, die zwischen Forderungen nach Ausgrenzung der „Unorganisierbaren“ einerseits und Integration in die Gewerkschaftszweige andererseits verlief.

Das nächste Panel zu Gewalt, Modernität und Menschenrechten wurde von Frank Schubert (Zürich) eröffnet, der sich in seinem Vortrag auf die Suche nach den Ursprüngen der so genannten neuen Kriege im postkolonialen Afrika begab. Diese neuen Kriege sind dadurch gekennzeichnet, dass sie meist innerhalb nationaler Grenzen verlaufen und äußerst brutal – auch auf Seiten der Regierungstruppen – geführt werden. Mit dieser Beschreibung wurden Charakteristika angesprochen, die dem Idealbild einer genuin nationalen, rationalen, unpolitischen Armee, die Schutz vor äußeren Bedrohungen bieten soll, diametral entgegenstehen. Schubert vertrat die Ansicht, dass die Instrumentalisierung der Armeen in Afrika ihren Ausgangspunkt in der Kolonialzeit hatte: Bereits in dieser Epoche wurde die Armee in erster Linie innenpolitisch eingesetzt, bereits damals waren Plünderungen, Vergewaltigungen und Raubmorde an der Tagesordnung kolonialmilitärischer Operationen. Schließlich fiel die bis heute nachwirkende Ethnisierung der Armee in diese Zeit, wie Schubert am Beispiel Uganda detailliert erläuterte.

Fabian Klose (München) widmete sich anschließend den Befreiungskriegen in Algerien und Kenia und konnte aufzeigen, dass die Entfesselung kolonialer Gewalt auf diverse Rechtskonstruktionen gestützt wurde, die aus heutigen Debatten unter Völkerrechtlern über den so genannten Kampf gegen den Terrorismus nur allzu bekannt sind. Neben dem „kolonialen Notstand“ und der „Doktrin vom antisubversiven Krieg“ schilderte Klose die Art und Weise, in der Großbritannien und Frankreich ihre „Pazifizierungsmaßnahmen“ der Jurisdiktion des aufziehenden internationalen Menschenrechtsregimes erfolgreich zu entziehen wussten. Dementsprechend wurden Kriege ohne Regeln zu „Kriegen ohne Namen“, genauso wie Widerstandskämpfer nicht als Soldaten, sondern als Kriminelle betrachtet und dementsprechend behandelt wurden. Diese drei eng miteinander verwobenen rechtlichen Strategien und Konstruktionen ebneten Klose zufolge den Weg in eine neue Dimension kolonialer Gewalt.

Aus gänzlich anderer Perspektive näherte sich dagegen Stephan Malinowski (Berlin) den Kriegen in Algerien und Kenia. Er vertrat die These, dass „development“ nach 1945 Kolonialkrieger und Kalte Krieger, Modernisierungstheoretiker und Kolonialbeamte zusammenführte und die späten Kolonialkriege in Kenia und Algerien insofern als fester Bestandteil eines mit verschiedenen Mitteln geführten Kampfs gegen die Rückständigkeit gedeutet werden können. Er argumentierte, dass bereits die theoretischen Grundlagen wie Walt Whitman Rostows Modernisierungstheorie der Anwendung von Gewalt in Entwicklungsfragen eine wichtige Funktion zur Überwindung autochthonen Widerstands beimaßen. Eine praktische Anwendung dieser Denkweise zeigte sich u.a. während des Keniakrieges: So blendete das britische Colonial Office beim Aufstand der Mau Mau die politische Dimension aus und deutete diesen psycho-pathologisch als ein Aufbegehren derjenigen, die mit dem Übergang von der traditionellen zur modernen Lebensweise nicht zurecht kamen. Im Sinne von Joseph Schumpeters „kreativer Zerstörung“, so Malinowskis Fazit, begünstigten diese Modernisierungsversuche demnach das, was sie zu bekämpfen vorgaben: Instabilität und neue Gewalt.

Anschließend standen „Dekolonisationsprozesse in den neuen Staaten“ auf dem Tagungsprogramm. Henning Melber (Uppsala) lotete die Grenzen einer Dekolonisierung im Sinne gesellschaftlicher Transformation am Beispiel Namibias, Südafrikas und Simbabwes aus. Ihnen gemeinsam war der „kontrollierte Wandel“, das heißt eine in internationalem Rahmen ausgehandelte Unabhängigkeit, die eine Akzeptanz bestimmter gesellschaftspolitischer Prämissen von allen Seiten voraussetzte. So musste die SWAPO in Namibia die Aufnahme von Beschäftigungsgarantien im öffentlichen Dienst in die neue Verfassung genauso hinnehmen, wie die aus der Kolonialzeit bestehenden Besitzverhältnisse unangetastet blieben. Mit der Unabhängigkeit änderte sich am Status quo dementsprechend wenig, wodurch die neuen Regierungen zunehmend unter Legitimitätsdruck gerieten und deswegen häufig zu populistischer, pseudoradikaler Rhetorik und Politik neigten.

Der anschließende mediengeschichtliche Abriss Robert Heinzes (Konstanz) über den Aufbau nationaler Rundfunkanstalten in Sambia und Namibia verfolgte zweierlei Ziele: Zum einen arbeitete Heinze heraus, dass das Medium Radio bestimmte, ihm angeblich inhärente Funktionen – unter anderem sein Beitrag zur Konstituierung eines nationalen Raumes oder zur Etablierung von Meinungsvielfalt – in beiden afrikanischen Ländern nicht erfüllen konnte, weil sowohl in Sambia wie in Namibia die bestehende Sprachenvielfalt diesen erhofften Wirkungen des Radios entgegenstand. Zum anderen führte Heinze aus, dass der postkoloniale Rundfunk die legitimitätsstiftende und systemerhaltende Funktion ungefiltert vom kolonialen Radio übernahm: Beide Staaten tendierten zu einer möglichst rigiden Kontrolle über Besitzverhältnisse und den Inhalt der Sendungen.

Die nächste Sektion machte einen Abstecher in die Wirtschaftsgeschichte, wobei sich beide Vortragenden dem „Economic Nationalism“ in den neuen Staaten widmeten. Stephanie Decker (Liverpool), die dem „Economic Nationalism“ in Ghana und Nigeria zwischen 1945 und 1979 nachging, führte aus, dass Nationalisierungstendenzen in der Wirtschaftspolitik eng mit dem Entwicklungsdiskurs verknüpft waren. So kam es im Zuge der Ausbreitung der Depencia-Theorien Ende der 1960er-Jahre verstärkt zu Indigenisierungsprogammen in den beiden westafrikanischen Ländern. Allerdings zielten diese Programme weniger darauf ab, die betroffenen Unternehmen in Staatsbetriebe umzuwandeln. Stattdessen sollten mit diesen Maßnahmen die Quoten einheimischer Anteilseigner verbessert werden. Darüber hinaus waren westliche Konzerne eher selten das Ziel solcher Programme. Diese konzentrierten sich vor allem auf libanesische oder ausländische afrikanische Unternehmen. Auch der „Economic Nationalism“ musste sich an positiven wirtschaftlichen Auswirkungen messen lassen, weswegen er eher pragmatisch als ideologisch angewandt wurde.

Larry Butler (Norwich) zeichnete in seinem Beitrag über „responses to economic nationalism in Sambia“ die Rolle zweier Kupferminenkonzerne im komplizierten Dekolonisationsprozess des damaligen Nord-Rhodesiens nach. Dabei mussten sich die Unternehmen gleich zweier „Economic Nationalisms“ stellen – demjenigen der weißen Siedler während der Rhodesischen Föderation, und zunehmend auch demjenigen der schwarzen Befreiungsbewegung. Butler konnte darlegen, dass insbesondere der US-amerikanisch kontrollierte Rhodesian-Selection-Trust sich frühzeitig, das heißt wesentlich früher als die britische Regierung oder auch die weißen Siedler, auf eine Machtübergabe an die schwarze Mehrheitsbevölkerung eingestellt hatte. Diese Strategie der Einbindung, die aus Pragmatismus, aber auch aus ethisch-moralischen Überlegungen erwuchs, verhinderte letztlich eine Verstaatlichung.

Das letzte Panel befasste sich mit der „Praxis der Entwicklungshilfe“. Aus kulturgeschichtlicher Perspektive betrachtete Hubertus Büschel (Potsdam) Akteure west- wie ostdeutscher Entwicklungshilfe in Afrika südlich der Sahara. Erklärtes Ziel seines Vortrags war es, darzulegen, dass die Geschichte der deutsch-deutschen Entwicklungshilfe in Afrika mehr enthält als die politikgeschichtliche Deutung mit ihrem Diktum des entwicklungspolitischen Wettlaufs der beiden Staaten aufzeigen kann. Er interpretierte die „Entwicklungshilfe“ als transkulturelle Begegnung und verwies auf drei wiederkehrende Verhaltensmuster, die sowohl für west- wie ostdeutsche Aktivisten galten, und unter den Stichworten Kolonialschuld, Zweifel, und Machtstreben geschildert wurden. Letztlich scheiterten diese Begegnungen (und damit auch der Entwicklungsauftrag) in der Regel, weil die Praktiker der deutsch-deutschen Entwicklungshilfe eine gleichberechtigte Zusammenarbeit mit den Afrikanern nicht zuließen.
Schließlich gab Patrick von zur Mühlen (Bonn) einen Einblick in die entwicklungspolitische Arbeit der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES). Die anfangs schwerpunktartig geleisteten Ausbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen, die die Stiftung nicht als eine rein technische, sondern vielmehr als eine genuin politische Aufgabe verstand, konzentrierten sich vornehmlich auf das ihr nahestehende Milieu: Gewerkschaften, Genossenschaftswesen und sozialdemokratische Parteien der „Entwicklungsländer“. Zunehmend bot die FES auch Politikberatung an und erstellte wissenschaftliche Studien zu spezifischen Problemen in den betroffenen Ländern. In den 1970er-Jahren wandelte sich die Strategie der SPD-nahen Organisation: Sie kehrte der Basisarbeit den Rücken und konzentrierte sich mehr und mehr auf Strukturveränderungen, was zugleich auch verstärkte Elitenförderung bedeutete.

Trotz der Themenbreite der Vorträge blieben in der von Marc Frey und Stephan Malinowski eingeleiteten Schlussdiskussion manche Fragen und einige Wünsche offen: Frey plädierte dafür, den Dekolonisationsprozess mit der Verfassungsgebung als abgeschlossen zu betrachten und die Phase danach als nation building zu verstehen, während Malinowski darauf hinwies, dass Dominanz, Herrschaft und Hegemonie die Epochengrenzen der Politikgeschichte häufig überdauerten. Anja Kruke vermisste Gender-Perspektiven in den Referaten, Friedhelm Boll bemängelte das Fehlen afrikanischer oder auch indischer Historiker bei der Tagung, und Stephan Malinowski beklagte wiederum, dass sich kaum ein Beitrag systematisch mit Rassismus auseinandergesetzt hatte. In einem Punkt waren sich jedoch am Ende alle Beteiligten einig: Mit der Aufarbeitung der Dekolonisationsprozesse hat die (deutsche) Geschichtswissenschaft noch einiges zu tun.

Kontakt

Anja Kruke
Archiv für Sozialgeschichte, Schriftleiterin
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