Konstituierende Sitzung des Arbeitskreises Marketinggeschichte der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte e.V.

Konstituierende Sitzung des Arbeitskreises Marketinggeschichte der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte e.V.

Organisatoren
Arbeitskreis Marketinggeschichte der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte e.V.
Ort
Hannover
Land
Deutschland
Vom - Bis
16.02.2007 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Alexander Engel, Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte Georg-August-Universität Göttingen

Marketinggeschichte verbindet. Sie integriert Konzepte, Fragen und Methoden der Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte, der Kulturgeschichte, der Wirtschaftswissenschaft und der Sozialforschung. Zudem führt sie Wissenschaftler, Archivare und Marketingpraktiker zusammen – so wie am 16. Februar 2007 in den Räumen der TUI AG in Hannover, als dort die konstituierende Sitzung des Arbeitskreises Marketinggeschichte der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte e.V. stattfand.

Marketinggeschichte ist, anders als im angelsächsischen Bereich, im deutschen Sprachraum bisher kaum entwickelt. Zwei Konferenzen – im Herbst 2003 in München und im Frühjahr 2006 in Göttingen 1 – haben eine Reihe Interessenten miteinander ins Gespräch gebracht und mit den jeweils entstandenen Sammelbänden eine Diskussionsgrundlage geschaffen. 2 Mit dem von Hartmut Berghoff, Paul Erker und Christian Kleinschmidt gemeinschaftlich geleiteten Arbeitskreis besteht nunmehr ein Forum, um kontinuierlich einschlägige Forschungsvorhaben zu diskutieren und die Marketinggeschichte konzeptionell voranzutreiben.

Das konstituierende Treffen in Hannover verband eine Reihe von Vorträgen mit einer abschließenden Diskussion um die künftige Ausrichtung des Arbeitskreises. Den Anfang machten die Gastgeber der TUI AG: Nach der Begrüßung durch Elke Hlawatschek stellte Ina zur Oven-Krockhaus ein aktuelles Beispiel zur Markenpolitik vor: Die Einführung von TUIfly.com. Mit der Neuausrichtung ihres Markenprofils reagiert die TUI auf veränderte Wachstumsprognosen ihrer Geschäftsfelder. Während der Bereich der klassischen Pauschalreisen stagniert und für höherwertige Reisepakete gemäßigte Zuwächse erwartet werden, verspricht „die neue Arena“ der Onlinebuchungen und Low Cost Carrier („Billigfluglinien“) womöglich noch großes Potential. Dieser Nachfrage nach einfachen, extrem preisoffensiven Angeboten einerseits und Reisepaketen gehobenen Anspruchs andererseits versucht man nun mit der Neuschaffung der Marke TUIfly.com („einfach, flexibel, preisoffensiv“) und einer entsprechenden Positionierung der traditionellen Marke TUI („Urlaubsgelingen, Sorglosigkeit, Kompetenz“) gerecht zu werden.

Mit einigen einführenden Worten zur Einrichtung des Arbeitskreises leitete Christian Kleinschmidt sodann zu den drei marketinghistorischen Vorträgen über.

Stefanie van de Kerkhof skizzierte zunächst ein Forschungsvorhaben über „Europäisches Rüstungsmarketing im Kalten Krieg – das Fallbeispiel Rheinmetall“. Stärker noch als bei anderen Branchen wird hier deutlich, wie sehr Zielrichtung und Konzeption des Marketing von den Spezifika des jeweiligen Gütermarktes bestimmt sind. Waffensysteme sind Investitionsgüter mit nur einem einzigen Nachfrager: Dem Staat, der zudem im Bereich Forschung und Entwicklung mit den Rüstungsunternehmen eng verzahnt ist. Rüstungsmarketing zielt darum weniger auf Kundensuche und gezielte Verkaufsförderung, sondern eher auf Public Relations zur Legitimation der Branche und zur Betonung der Unverzichtbarkeit ihrer Produkte – einerseits gegenüber der Gesellschaft und andererseits gegenüber den politischen Entscheidungsträgern. Der Schlüsselbegriff ist in beiden Fällen „Sicherheit“, die – wie sich mit Hilfe von Diskursanalyse und Bildforschung untersuchen lässt – mit differenzierten Werbestrategien inszeniert wurde. Die Sicherheit der Technik der Waffensysteme wurde zum Beispiel mit Bildern aus der Produktion angesprochen, die Präzision und Sorgfalt suggerieren. Den Aspekt der politisch-gesellschaftlichen Sicherheit bediente man durch eine besondere, auch im Hinblick auf Genderaspekte interessante Bildsprache: Waffensysteme wurden fast nie im Einsatz präsentiert, sondern unter Zurschaustellung ihrer militärischen Leistungsfähigkeit in ruhiger Natur fotografiert, um eine den Frieden bewahrende, beschützende Wehrhaftigkeit zu demonstrieren. Da Umfang und Ausrichtung der Public Relations der besonderen Logik von Rüstungsbranche und -markt folgten, betonte van de Kerkhof die Notwendigkeit, die unternehmensgeschichtliche Analyse mit der kulturwissenschaftlichen Betrachtung zu einer „Cultural Business History“ zu verbinden.

Florian Triebel wechselte mit seinem Vortrag zur Automobilbranche über; er thematisierte „Die Wiederentdeckung der sportlichen Mittelklasse – Vom Produktionsregime zur Marketingorientierung bei BMW in den 1960er-Jahren“. Der wirtschaftliche Niedergang BMWs in den 1950er-Jahren ist ein Paradebeispiel für das Misslingen einer nicht am Markt orientierten Unternehmensstrategie. Insbesondere harmonierte die Produktpalette in den 1950er-Jahren nicht mit dem tradierten Markenimage. Zwischen den Weltkriegen hatten sich die Bayerischen Motorenwerke, die 1928 durch den Kauf der Eisenacher Autofabrik zum Pkw-Hersteller wurden, durch ihr erfolgreiches Engagement im Motorsport den Ruf eines Herstellers sportlicher, innovativer, ästhetischer und hochwertiger Fahrzeuge im mittleren bis gehobenen Preissegment erworben. Da die Zivilproduktion im Krieg nach Eisenach verlegt worden war, startete BMW 1945 wegen des Verlusts der technischen Unterlagen und des fachkundigen Personals nahezu bei Null. Das erste neue Modell, der BMW 501, war ein durch die limitierten Produktionsmöglichkeiten vorgegebenes Oberklassefahrzeug, mit allerdings störanfälliger Technik und behäbigem Design. Der Wagen fand kaum Absatz, so dass man zur Auslastung des Werkes den italienischen Kleinstwagen Isetta lizenzierte. Beide Produkte entsprachen nicht der aus der Vorkriegszeit konservierten Erwartungshaltung der Käufer an die Marke BMW, zudem klaffte zwischen Kleinstwagen und Oberklasse ein offenkundiges Loch in der Produktpalette. Es wurde erst in den 1960er-Jahren mit den Modellreihen 700 und 1800 gefüllt, die aufgrund psychologischer Marktstudien nun wieder am traditionellen sportiven Image orientiert waren. Der in diese Richtung weiter verfolgte Umbau der bald einheitlich unter dem Motto „Freude am Wagen – Freude am Fahren“ vermarkteten Produktpalette brachte BMW zurück in die Erfolgsspur.

Frank Hasenfuß näherte sich dem Thema Automobilmarketing über einen anderen, eher bildwissenschaftlichen bzw. marketingtheoretischen Zugang. In seinem Beitrag „Werbung für fünf Generationen des Golf – Über die Vermittlung des Markenkerns von Volkswagen“ analysierte er die in den Printmedien jeweils zur Einführung einer neuen Modellgeneration des VW Golf geschalteten Werbekampagnen. Bei seiner Einführung im Jahre 1974 löste der Golf den VW-Käfer ab, dessen Image als sympathisches, einfaches und zuverlässiges Automobil einen zentralen Pfeiler des VW-Markenimages bildete. Die Printwerbung für den Golf, der als „Auto für jedermann“ vermarktet wurde, lehnte sich zunächst auch an die Käferwerbung an, so etwa im Aufbau der Anzeigen und im Rückgriff auf jene Selbstironie, mit dem der Käfer in den USA beworben worden war, wo man ihn nicht als vollwertiges Automobil betrachtete. Die Kampagnen für die zweite und dritte Generation wurden eher gering modifiziert, während man die vierte Generation mit einer neuen Bildsprache einführte, die in emotionalerer Weise individuelle Lebensbilder inszenierte. Diese dem gesellschaftlichen Wandel folgende neue Betonung der Individualität („Generation Golf“) schloss gleichwohl nicht aus, dass man weiterhin „ein Auto für Alle“ zu vermarkten versuchte. Die Abkehr vom Golf als Volumeneinheitsmodell spiegelt sich dafür in der Einführung des Golf V umso deutlicher wider: Im Vordergrund stehen nun technische Aspekte und sportliche Dynamik, Menschen werden nicht mehr in Szene gesetzt. Das Zielpublikum verengte sich entsprechend. Hierbei ist jedoch zu bedenken, dass Printmedien ihre zentrale Stellung für die Vermarktung von Automobilen inzwischen verloren haben und neue Vermarktungsformen stärker zur Marken- und Produktimagebildung beitragen.

Paul Erker eröffnete abschließend die allgemeine Diskussion um die weitere Ausrichtung des Arbeitskreises, indem er zum einen die große Breite an Themen der Marketinggeschichte skizzierte und zum anderen verschiedene denkbare Aktivitäten des Arbeitskreis umriss. In einer lebhaften und anregenden Diskussion wurde insbesondere das Potenzial des interdisziplinären Ansatzes betont, wechselseitige Impulse zwischen Wirtschaftsgeschichte und Marketingwissenschaft hervorzubringen. Man einigte sich darauf, demnächst ein kurzes Positionspapier über die Ziele des Arbeitskreises auf der Website der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte zu publizieren und sich auf der nächsten der fortan im jährlichen Rhythmus stattfindenden Sitzungen zunächst grundsätzlich mit den verschiedenen zeitgenössischen Konzepten von Marketing vom 18. bis zum 21. Jahrhundert auseinanderzusetzen. Ein Call for Papers wird zu gegebener Zeit veröffentlicht. Alle Interessierten – seien es Wirtschaftshistoriker, Kulturhistoriker, Archivare, Wirtschaftswissenschaftler, Sozialforscher oder Marketingpraktiker – sind herzlich eingeladen, sich künftig am Arbeitskreis zu beteiligen.

Anmerkungen:
1 <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=1084> (16.03.2007)
2 Kleinschmidt, Christian; Triebel, Florian (Hrsg.), Marketing. Historische Aspekte der Wettbewerbs- und Absatzpolitik, Essen 2004; Berghoff, Hartmut (Hrsg.), Marketinggeschichte. Die Genese einer modernen Sozialtechnik, Frankfurt 2007 [i.E.].


Redaktion
Veröffentlicht am
Klassifikation
Region(en)
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
Sprache des Berichts