Public Istanbul - Spaces and Spheres of the City

Public Istanbul - Spaces and Spheres of the City

Organisatoren
Institut für Europäische Urbanistik; Bauhaus-Universität Weimar
Ort
Weimar
Land
Deutschland
Vom - Bis
19.01.2007 - 20.01.2007
Url der Konferenzwebsite
Von
Susanne Bosch und Kathrin Wildner, Hochschule für Gestaltung Karlsruhe

Istanbul als neue Mega-City Europas wirft vielfältige Themen auf. Die Tagung „Public Istanbul – Spaces and Spheres of the City“ verstand sich als Auftaktveranstaltung für zukünftige Forschungen und Projekte um das Phänomen des Öffentlichen in Istanbul. Prof. Dr. Frank Eckhardt, Soziologe am Institut für Europäische Urbanistik der Bauhaus-Universität Weimar, erklärte Istanbul zu einem neuen Forschungsschwerpunkt seines Institutes und konzipierte gemeinsam mit Dr. Kathrin Wildner, freischaffende Stadtethnologin, die internationale Tagung.

Istanbul ist eine der ältesten und größten Metropolen auf dem europäischen Kontinent. Im 20. Jahrhundert durchlief die Stadt in großen Schritten Phasen der Industrialisierung und Urbanisierung, heute konkurriert sie mit anderen Städten um globale Aufmerksamkeit und Investoren. Trotz einer Reihe von Masterplänen ist die Stadt durch ein unkontrolliertes Stadtwachstum und ein dichtes Nebeneinander unterschiedlicher Baustile, Produktions- und Lebensweisen geprägt. Die Gleichzeitigkeit betrifft soziale und kulturelle Alltagspraktiken, aber auch den Wandel des physischen Raumes und ist somit auch eine Quelle für kulturelle Konflikte um die Definition von Lokalität und Identität.

Anders als in westeuropäischen Städten, in denen mit der Aufklärung eine bürgerliche Öffentlichkeit und dazugehörige Räume entstanden, gab es in der osmanischen und türkischen Stadt eine komplexe Sequenz an nachbarschaftlichen, religiösen und ökonomischen Räumen mit unterschiedlichen Öffentlichkeiten. Im Zuge der rasanten Modernisierung und urbanen Entwicklung gibt es in Istanbul eine zunehmende Diskussion um die Bedeutung von öffentlichen Räumen als sozialer und politischer Raum, sowie unter Aspekten der Zugänglichkeit und Gestaltung konkreter Orte.

Vor dem Hintergrund der vielschichtigen Überlagerungen und Widersprüche von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ist Istanbul ein fruchtbarer Ort, um gegenwärtige Diskurse zu Urbanität, Konstitution von öffentlichem Raum und Öffentlichkeit zu debattieren. Aus diesem Anlass fand im Januar 2007 die Konferenz „Public Istanbul – Spaces and Spheres of the City“ an der Bauhaus-Universität Weimar statt. Ziel der Konferenz war, auf der Basis theoretischer Ansätze und empirischer Fallstudien eine Diskussion über die (aktuellen) dynamischen Transformationsprozesse dieser Metropole anzuregen. Erfrischend war die Mischung von jungen und etablierten Forschern aus Disziplinen wie Kunst, Architektur, Kunstgeschichte, Geschichte, Archäologie, Geographie, Kultur- und Filmwissenschaften, Ethnologie, Stadt- und Raumplanung. Vorwiegend hatten sich Wissenschaftler und Experten deutscher und türkischer Herkunft mit Beiträgen auf das call for papers beworben, einige der jungen türkischen Vortragenden reisten aus den USA und Kanada an, wo sie beruflich verpflichtet sind. So trafen sich “gatekeeper” und “gateopener” bei dieser Konferenz. Das Publikum bestand aus Studierenden und Kollegen aller Fachbereiche der Universität Weimar (Architektur, Medien, bildende Kunst, europäische Urbanistik und Ingenieurwesen) als auch aus Gästen aus ganz Deutschland.

Die Tagung wurde von zwei Ereignissen begleitet und beeinflusst: Ein Orkan in Deutschland verhinderte die rechtzeitige Anreise mancher Gäste, da sämtliche Zugverbindungen und Flüge für zwölf Stunden storniert waren. Schließlich angekommen, bot Weimar mit seinem konzentrierten Setting einer Thüringischen Kleinstadt einen hervorragenden Ort für Diskussionen. Das zweite dramatischere Ereignis war die Ermordung des prominenten türkisch-armenischen Journalisten Hrant Dink am 20. Januar 2007 in Istanbul. Die Nachricht am ersten Konferenztag löste Betroffenheit und Bestürzung aus, ließ noch einmal mehr die spezifische Geschichte der Türkei bewusst werden und erinnerte daran, dass der öffentliche Raum in Istanbul in den vergangenen Jahren mehrmals Ort für militärische und terroristische Anschläge war.

Die zweitägige Tagung gliederte sich in vier moderierte Blöcke:

“Divided Istanbul”, “Experiencing Istanbul”, “Planning Istanbul”, “Representing Istanbul”.

Der erste Block “Divided Istanbul” betrachtete Istanbul als eine durch ökonomische und religiöse Strukturen fragmentierte Stadt. Murat Güvenc präsentierte in seinem Beitrag Ausschnitte aus seiner Forschung zu der sozial-räumlichen Entwicklung Istanbuls. Die systematische Auswertung von Zensusdaten unter Parametern der demographischen und ökonomischen Entwicklung, verdeutlichten eine zunehmende sozial-räumliche Differenzierung, die sich in Istanbul im Laufe des 20. Jahrhunderts herausgebildet hat und sowohl mit ethnischen als auch mit klassenspezifischen Profilen der jeweiligen Nachbarschaften korrespondiert.

Ein Fallbeispiel für die soziale und ökonomische Dynamik dieses fragmentierten Raumes zeigten Eda Yücesoy und Nil Uzun in ihrem Vortrag zu Transformationen im Stadtteil Beyoglu. Gentrifizierungsprozesse können als Indikator für widersprüchliche Interessen, soziale Konflikte und Identitätskonstruktionen im urbanen Raum identifiziert werden. Sie müssen jedoch, so die folgende Diskussion, in Abgrenzungen zu US-amerikanischen ökonomisch orientierten Theorieansätzen unter den spezifischen lokalen Bedingungen von Besitzverhältnissen und Lebensstilen definiert werden.

Ebru Üstündag referierte über die Regierung der Bürger in Istanbul. Sie machte deutlich, wie gebrochen die Realitäten in Istanbul sind, welche Spannungen und Unstabilitäten ständig in Istanbul in Balance gehalten werden müssen, um die politischen Ziele einer modernen, westlichen Stadt zu erreichen.

In dem Block “Experiencing Istanbul” warfen die Sprecher einen ethnographischen und künstlerischen Blick auf den Istanbuler Alltag.

Als Mitglied des Beratungskomitees zu dem Projekt “Istanbul – europäische Kulturhauptstadt 2010” und key speaker des Blocks betonte Asu Aksoy die Bedeutung der “neuen Orte der Öffentlichkeit” in der Stadt. Dazu zählen z.B. Shoppingmalls und geschäftige Straßen wie die Istiklal Caddessi aber auch Internetplattformen und andere neue Medien. Laut Aksoy müssen, durch die vorgegebene Deadline 2010 bestimmt, jetzt Diskussionen geführt und Entscheidungen getroffen werden: Wird Istanbul eine ähnliche Entwicklung wie Paris oder andere Großstädte erleben, wo es durch Modernisierung und Globalisierung eine immer stärkere Differenzierung in Gewinner und Verlierer gibt und vor allem Migrantengruppen zu den sozial Ausgeschlossenen gehören? Anna Grabolle-Celiker griff in der Präsentation ihres Dissertationsprojektes über kurdische Binnenmigrantinnen in der Stadt das Thema auf. Sie fragte in ihrem Vortrag nach den Identitätsdiskursen der Frauen aus Vanli, ihrem Verständnis des Öffentlichen und des Privaten und den Möglichkeiten der Integration in das moderne Leben Istanbuls. Auch im Vortrag des Historikers Florian Riedler spielte der urbane Raum eine wichtige Rolle bei der Verortung von Migranten. Bis Ende des 19. Jahrhunderts wurden die Arbeitsmigranten, die vor allem aus den Schwarzmeer-Provinzen in das osmanische Istanbul kamen, aus dem öffentlichen urbanen Leben ausgegrenzt. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts entwickelten sie eigene Netzwerke, gründeten eigene Zeitungen, Theater und Teehäuser und wurden auf diese Weise Teil des öffentlichen urbanen Lebens. Konkrete Orte an der Schnittstelle zwischen Privatem und Öffentlichkeit sind allerdings auch für Migranten zu Beginn des 21. Jahrhunderts ein zentrales Element der Aneignung des urbanen Raumes. In einer dichten Beschreibung zeigte Koray Özdil die Alltagspraxis eines afrikanischen Restaurants und seine Bedeutung für westafrikanische Migranten in Istanbul.

Der Block “Planning Istanbul” hatte die Stadtplanung und Typologisierung des öffentlichen Raums zum Thema. Neben einer Typologisierung peripherer Räume der Öffentlichkeit wie Ausfahrtsstraßen (Ela Alanyali Aral) oder Fragen nach der möglichen Nutzung historischer Stadtmauern als öffentlicher Raum (Funda Bas Butuner) standen vor allem architektonische Großprojekte wie die Umstrukturierung ehemaliger Hafenanlagen am Goldenen Horn und an der Bosporus Waterfront im Vordergrund. Tim Rieniets und Orhan Esen präsentierten ihr 2004 gemeinsam mit Studierenden und Studierenden aus Istanbul und von der ETH Zürich realisiertes Projekt “Ausfahrt Göktürk – Urbanisierung auf der Überholspur”. Auf der Basis einer Feldforschung in dem neu entstehenden Stadtteil Göktürk analysierten sie kritisch die räumlichen Auswirkungen der marktorientierten Planungsprozesse und spezifische Strategien des Privatlebens in Gated Communities.

In dem letzten Block “Representing Istanbul” ging es um Bilder der Stadt in Kunst und Film. Pelin Tan stellte künstlerische Projekte im öffentlichen Raum Istanbuls vor und fragte sich, wer als Publikum dieser Arbeiten angesprochen werden soll und wird. Feride Cicekoglu zeigte anhand von Ausschnitten aus dem Kultfilm “Vesikali Yarim” (”My licensed beloved”) von 1968 und besonders der Hauptfigur Sabiha, wie eng die Veränderung der Rolle der Frau mit der Repräsentation des urbanen Lebens und der des öffentlichen Raums verknüpft wird. Christoph K. Neumann untersuchte in seinem Vortrag schließlich den Einsatz historischer Photografien im geschäftigen Stadtteil Beyoglu. Die photographische Geschichte, eingesetzt als Werbemittel eines großen Unternehmens, wird zur öffentlichen Geschichte des Stadtteils und ignoriert politische Brüche. Die photographische Präsentation des Pogroms gegen griechische und andere nicht-moslemische Bewohner im Jahr 1955 ruft dagegen Proteste in der Bevölkerung hervor.

Istanbul scheint in vieler Hinsicht ein unfassbares Phänomen. Einerseits kann die Stadtverwaltung nachweisen, dass die Versorgung der geschätzten 15.000.000 Bewohner theoretisch nicht gewährleistet ist, dennoch werden diese mit Strom und Wasser versorgt. Statistiken versagen, wenn es darum geht, Arbeits- und Alltagsprozesse in der Metropole zu beschreiben. Das Leben fließt ständig in seinen formalen und informellen Strukturen. Sich mit Istanbul beschäftigen zu wollen, heißt, diese Vielschichtigkeit zuzulassen und mit den vielen offenen Fragen theoretisch und methodologisch umzugehen. Auf der Tagung “Public Istanbul” wurden allerdings auch die Grenzen des interdisziplinären Arbeitens deutlich. Es zeigte sich beispielsweise, dass der Begriff „öffentlicher Raum“ von den Fachleuten unterschiedlich definiert wird. Es schien einerseits sehr schwierig, sich auf die unterschiedlichen Definitionen des Begriffs zu einigen, vor allem aber die Polarisierungen von historischer und zeitgenössischer Stadt, Tradition und Moderne, Peripherie und Zentrum, lokale und globale Diskurse hinter sich zu lassen. Dennoch gab es Vorschläge, sich auf „Zwischenräume“ zu konzentrieren. Diese Zwischenräume beziehen sich auf physische Räume, auf urbane Brachen und periphere Räume, die zumindest aus stadtplanerischer Sicht Basis für neue Konzepte für die gebaute Umwelt eröffnen und somit Potentiale für die physische Gestaltung einer öffentlichen Sphäre darstellen. Auf der anderen Seite wurden eine Reihe von Attributen und Qualitäten von „neuen Räumen“ ausgewiesen, in denen Zugänglichkeit und Repräsentation von unterschiedlichen kulturellen Gruppen diskutiert werden kann. Dabei standen insbesondere folgende Fragen zur Diskussion: Wie demokratisch sind öffentliche Räume? Wie sehr lassen sie sich verhandeln?

In diesem Sinn endete die Tagung mit vielen Fragen, die auf die Notwendigkeit theoretischer und methodischer Arbeiten zur Pluralität und Multidimensionalität von Räumen der Öffentlichkeit in Istanbul verweisen. Die internationale und interdisziplinäre Diskussion über Konzepte und Fallstudien, wie sie auf dieser Konferenz von allen Beteiligten in sehr engagierter Form begonnen wurde, war äußerst produktiv und soll weitergeführt werden. Die Tagung galt der Vernetzung von Fachleuten und dem Beginn von konkreten Projekten zum öffentlichen Raum in Istanbul. Die Tagungsbeiträge werden in einer Publikation veröffentlicht.

http://www.public-istanbul.com/
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Deutsch
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