Eigentum und Erinnerung im deutsch-polnisch-jüdischen Dreieck

Eigentum und Erinnerung im deutsch-polnisch-jüdischen Dreieck

Organisatoren
Prof. Dr. Constantin Goschler (Ruhr-Universität Bochum) Prof. Dr. Philipp Ther (Europa-Universität Viadrina Frankfurt/O.) Prof. Dr. Martin Sabrow (Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam)
Ort
Potsdam
Land
Deutschland
Vom - Bis
02.02.2007 - 03.02.2007
Url der Konferenzwebsite
Von
Christiane Lahusen und Anne Grabinsky

„Eigentum“ und „Erinnerung“ sind in den aktuellen Konflikten zwischen Deutschland und Polen Schlüsselbegriffe von hoher politischer Brisanz. Um sie wird jedoch zumeist unabhängig voneinander gestritten, etwa in den Debatten um Besitzansprüche oder dem Konflikt um ein Zentrum gegen Vertreibungen. Sie einmal zusammenzudenken, dazu regte der Workshop „Eigentum und Erinnerung im deutsch-polnisch-jüdischen Dreieck“ an, zu dem Martin Sabrow (ZZF Potsdam), Constantin Goschler (Ruhr-Universität Bochum) und Philipp Ther (Europa-Universität Viadrina Frankfurt/O.) deutsche, polnische, israelische, britische und amerikanische Wissenschaftler/innen nach Potsdam eingeladen hatten. Ausdrücklich mit einbezogen werden sollte dabei die jüdische Perspektive, um so zu einem komplexeren Verständnis der gegenwärtigen Situation zu gelangen.

Im Tagungsverlauf wurde dieser formulierte Zugriff allerdings kaum umgesetzt. Die außerordentlich vielfältigen Beiträge blieben entweder auf die eine oder die andere Thematik konzentriert, so dass Wechselbeziehungen kaum greifbar wurden. Trotzdem eröffneten sich Blickrichtungen mit interessanten Anknüpfungspunkten für die weitere Forschung.

Dariusz Stola (Warschau) leitete die erste Sektion zu konkurrierenden polnisch-jüdischen Erinnerungen mit überaus anregenden Thesen zur Herausbildung eines dominanten polnischen Erinnerungsnarrativs, das sich mehr und mehr auf eine uneingeschränkte Opferrolle konzentrierte und damit in Leidenskonkurrenz zur jüdischen Erinnerung geriet, ein. Die Vorstellung einer eigenen Täterschaft, wie sie sich unter anderem im Massaker von Jedwabne manifestierte, wurde dabei zugunsten einer gemeinsamen Opferidentität zwangsläufig ausgeblendet und das jüdische Leiden ausschließlich im Kontext der nationalsozialistischen Verbrechen verortet. Zofia Wóycicka (Warschau) belegte anhand der Diskussionen über Formen und Inhalte des Gedenkens in den ehemaligen Konzentrationslagern der unmittelbaren Nachkriegsjahre nicht nur, dass auch im institutionalisierten Gedenken Pluralität alles andere als selbstverständlich war, sondern auch, dass gerade hier die Erinnerungskonkurrenz der verschiedenen Opfergemeinschaften klar zum Ausdruck kam.

In welcher Weise diese Opfer- und Tätervorstellungen auf die kollektive Identität in Polen rückwirken betrachtete Claudia Kraft (Erfurt) und verwies darauf, dass der Status der Juden in Polen vor 1939 trotz seines Erklärungspotentials für die aktuellen Gedenkdiskurse in der Forschung bisher kaum Berücksichtigung fand. Ihr Vorschlag, die Pluralität regionaler Erinnerungen als Voraussetzung einer Europäisierung der Geschichte zuzulassen, stieß in der Diskussion auf Skepsis. Lutz Niethammer (Jena) sprach sich weiterhin für eine strikte Trennung von Erinnerungs- und Identitätsdiskursen aus.

Harald Welzer (Essen) konstatierte für Deutschland in den letzten Jahrzehnten ebenfalls eine Wende hin zur Entdeckung der Opferperspektive. Anhand der neu formierten Kriegskindergeneration und ihrer autobiographischen Auseinandersetzung mit der Familiengeschichte identifizierte er das Syndrom einer künstlichen Autoviktimisierung selbst nicht direkt betroffener Gruppen ex post. Diese These eines gesteigerten Bedürfnisses nach Selbstmythologisierung stieß auf heftigen Widerspruch, da in Welzers Darstellung durchaus vorhandene externe Gruppenmerkmale – belegbar etwa durch medizinische Befunde – ausgeblendet wurden, wie Niethammer als Kommentator ausführte.

Der weitere Verlauf der zweiten Sektion, die den deutschen und polnischen Erinnerungsdiskursen gewidmet war, kreiste um die Fremd- und Selbstbilder der Vertriebenen. Jerzy Kochanowski (Warschau) legte anhand empirischer Untersuchungen zur polnischen Sicht auf die Vertreibung der Deutschen dar, wie sich gegenüber individuellen Schicksalen eine zunehmend verständnisvolle Sichtweise entwickelte, während die Vertreibungen insgesamt weiterhin als gerechtfertigt angesehen wurden. Offenbar befähigte die eigene Leidenserfahrung dazu, fremdes Leiden anzuerkennen, so Niethammer. Die eigene oder vermittelte Tätererfahrung dagegen kann trotz eines fortschreitenden kognitiven Lernprozesses zu einer Verweigerungshaltung gegenüber bestimmten Erinnerungsmustern führen („Opa war kein Nazi!“). K. Erik Franzens (München) Reflexion der Selbst- und Fremdwahrnehmung deutscher Vertriebener als im doppelten Sinne „unerhörte Opfer“ diente in der Diskussion als Grundlage der Forderung, von einer feuilletonistischen Betrachtung der Erinnerung wegzukommen und die empirische Gedächtnisforschung wieder exemplarisch auf der Mikroebene, wo individuelle Akteure mit konkreten Handlungsmotiven analysiert werden können, anzusiedeln.

In einer dritten Sektion ging es schließlich konkret um polnische und deutsche Eigentums- und Entschädigungsdebatten, deren Kontinuität und Wandel Krzysztof Ruchniewicz (Wrocław) und Pertti Ahonen (Edinburgh) nachzeichneten. Während Ruchniewicz darstellte, wie die polnischen Verhandlungsführer mit dem Einsetzen einer neuen Ostpolitik ihre realpolitischen Chancen darin erkannten, materielle Forderungen in Form günstiger Kredite anstelle direkter Transfers durchzusetzen und damit gleichzeitig eine staatssozialistische Entindividualisierung der Entschädigungsansprüche vollzogen, legte Ahonen kenntnisreich die realpolitische Entwicklung der Forderungen seitens der deutschen Vertriebenenlobby weg von territorialen Ansprüchen („Heimatrecht“) hin zu symbolischer Kompensierung dar. Nach dem Zerfall des Ostblocks veränderten sich die Handlungsgrundlagen dramatisch und Ausgleichsforderungen erlebten eine neue Konjunktur unter veränderter Prämisse: Mit der Wiedereinführung des Prinzips „Privateigentum“ nach dem Ende des europäischen Kommunismus wurden individuelle Besitzansprüche wieder über Entschädigungsanliegen gestellt. Die nach Gründung der Preußischen Treuhand im Jahr 2000 wiederbelebte Forderung einer „Rückkehr zu Haus und Hof“, die nun anstelle von Lobbyarbeit individuell auf dem juristischen Weg durchzusetzen versucht wurde, ist sicherlich das radikalste Beispiel einer solchen Praxis. Thomas Lindenberger verwies in diesem Zusammenhang jedoch auch auf die deutsch-deutschen Rückgabeverfahren von Immobilien und Grundeigentum nach 1989/90 und warf die Frage auf, ob diese vielleicht beispielgebend gewirkt hätten. Michael Meng (Chapel Hill) befasste sich mit dem Umgang jüdisch geprägter Orte in Berlin und Warschau nach dem Holocaust. Während an der städtebaulichen Erhaltung Spuren jüdischen Lebens – auch als Symbole von Gewalt und Verfolgung – in den beiden Nachkriegsdekaden kein Interesse bestand, setzte in den 1970er-Jahren ein allmählicher Umdenkprozess hin zur Konservierung der übrig gebliebenen Bauten ein. In Bezug auf Eigentumsansprüche hatte dies in den beiden politischen Systemen unterschiedliche Wirkung. Das Verschwinden des Judentums aus dem Stadtbild – die Tilgung des sozialen „sense of place“ –, so Lindenberger, führte dort, wo der Begriff des Privateigentums es zuließ, paradoxerweise zu einer vermehrten Auszahlung von Unterstützungsleistungen je mehr das Judentum aus dem Stadtbild verschwand.

Es bleibt festzuhalten, dass polnische und jüdische Opfer, deren begriffliche Trennung nicht zuletzt auf nationalsozialistischen Zuschreibungen beruht, keine gemeinsamen Handlungsstrategien verfolgten, sei es in memorialer oder materieller Hinsicht. Für die polnische Seite wäre ein fortwirkender latenter Antisemitismus eine naheliegende Erklärung. Wie die Kausalität aus jüdischer Perspektive liegen könnte, breitete Moshe Zimmermann (Tel Aviv) in einem aufsehenerregenden Referat aus. Unter der provokanten Fragestellung „Wo liegt Auschwitz? In Polen oder in Deutschland?“ berichtete er anhand von Umfrageergebnissen detailliert über die nationale Identität des Holocausts in der Wahrnehmung israelischer Jugendlicher, die am „Marsch der Lebenden“ und ähnlichen Veranstaltungen in Konzentrationslager-Gedenkstätten in Polen teilgenommen hatten. Absurderweise wird Polen hier zum feindlichen Territorium, zum unreinen, unheiligen, sogar verfluchten Land. Dabei zeigt die Anwendung religiöser Kategorien bereits die extreme Emotionalisierung des Erinnerungsdiskurses. Die Deutschen erscheinen dagegen lediglich als Logistiker, die der Vernichtungsmaschinerie in Polen ihre Opfer zuführten. Ein Erklärungsangebot für diese verstörenden Befunde selbst in der dritten Generation oder ein Hinweis darauf, welchen Einfluss Schulbildung und Jugendkultur hierauf haben, blieb leider aus. Thomas Lindenberger wies auf die Gefahren einer solchen Verwischung von geographischem Raum und nationaler Identität hin. Wenn mit der Globalisierung des Holocaust-Gedächtnisses die Relevanz des Nationalen verloren geht, wer trägt dann noch Verantwortung?

Insgesamt erwiesen sich die mannigfaltigen Beziehungen zwischen der polnischen, jüdischen und deutschen Perspektive als zu verschlungen, um sie mit der statischen Figur eines Dreiecks zu denken. Es ergaben sich vielmehr disparate Versatzstücke, deren Verbindung zu einem schlüssigen Gesamtkonzept auf der Ebene von Eigentum und Erinnerung wünschenswert gewesen wäre, so dass Antworten auf die Ausgangsfrage, wie sich unterschiedliche Erinnerungsdiskurse und öffentliche Eigentumsdebatte wechselseitig beeinflussen, weniger vage geblieben wären. Das analytische Potential, das eine multiperspektivische Betrachtungsweise bietet, hätte zudem mit einer Einbeziehung der europäischen Juden in die Betrachtung – auch im Hinblick auf die Eigentumsdiskurse – noch weiter ausgeschöpft werden können.

Deutlich wurde hingegen, dass Opfer, Täter, Leiden und Trauma keine ontologischen Kategorien, sondern soziale Konstrukte sind, die ihre dominanten Erinnerungsnarrative von Identitätsbedürfnissen und materiellen Interessen geleitet hervorbringen. Deshalb kann sich eine differenzierte Erinnerung auch innerhalb der Opfergemeinschaften erst mit dem Rückgang pragmatischer Gesichtspunkte herausbilden. Dass diese jedoch nach wie vor eine Rolle spielen (müssen), zeigt sich aktuell in dem Bemühen um unbürokratische Entschädigungsleistungen an jüdische Ghetto-Zwangsarbeiter. Auch die Problematik der Beutekunst wurde erst kürzlich mit breitem Medienecho öffentlich diskutiert. Ihr wird sich demnächst eine Tagung unter dem Titel „Eine Debatte ohne Ende? Raubkunst und Restitution im deutschsprachigen Raum“ (22.04.2007-24.04.2007, Moses Mendelssohn Zentrum, Potsdam) widmen.


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