Von der Politisierung der Medien zur Medialisierung des Politischen? Zum Verhältnis von Medien und Politik im 20. Jahrhundert

Von der Politisierung der Medien zur Medialisierung des Politischen? Zum Verhältnis von Medien und Politik im 20. Jahrhundert

Organisatoren
Fachgruppe Kommunikationsgeschichte der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK); Studienkreis Rundfunk und Geschichte (StRuG); Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF)
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
18.01.2007 - 20.01.2007
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Von
Inge Marszolek (Bremen) mit Unterstützung von Janina Fuge und Christoph Hilgert (Hamburg)

Die Tagung, die vom 18. bis 20. Januar 2007 in Berlin stattfand, war in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich: Sie wurde von drei im Feld der Mediengeschichte renommierten Organisationen veranstaltet – der Fachgruppe Kommunikationsgeschichte der deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK), dem Studienkreis Rundfunk und Geschichte (StRuG) sowie dem Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF). Unterstützt wurde das fünfköpfige Veranstalterteam mit Klaus Arnold, Christoph Classen, Edgar Lersch, Susanne Kinnebrock und Hans-Ulrich Wagner zum einen von der DFG, zum anderen aber auch vom Hauptstadtstudio der ARD und von der Arbeitsgemeinschaft „Die Seeheimer“ in der SPD. Den beiden letztgenannten waren vor allem die besonderen Tagungsorte zu verdanken – das Atrium des Hauptstadtstudios sowie der Europasaal im Paul-Löbe-Haus. Beide Partner repräsentierten aber auch die Pole, um die es auf der Tagung ging, das Verhältnis von Medien und Politik, wobei die Rolle der Wissenschaften selber nicht definiert wurde.

Insgesamt stand die Tagung unter stürmischen Vorzeichen: Nicht nur, dass der Sturm Kyrill einigen der insgesamt 180 angemeldeten Teilnehmern die Anreise unmöglich machte, zugleich lieferten der Rücktritt des bayerischen Ministerpräsidenten sowie die Konflikte um seine Nachfolge eine aktuelle Bebilderung des Problemfeldes der Tagung. Joachim Wagner, stellvertretender Chefredakteur des „Berichts aus Berlin“ nahm am 18. Januar abends die „Bild“-Fotos der schwangeren Geliebten Horst Seehofers zum Ausgangspunkt seines eröffnenden Vortrags. Er argumentierte, dass die Medien als Verstärker, nicht aber als Erfinder von Skandalen fungierten. Den derzeitigen Machtzuwachs der Medien sah er vor allem durch die starke Konkurrenz bedingt – in Berlin arbeiten zirka 3.000 Journalisten. Wagner beschrieb, anekdotisch unterlegt, höchst kritisch das Spannungsverhältnis von Journalisten und Politiker. Er machte einen Generationenwechsel aus und konstatierte einen damit einhergehenden Übergang hin zu einem ideologiefreien „Mainstream-Journalismus“.
Nach diesem unterhaltsamen Vortrag hatte es der Wissenschaftler schwer, die Aufmerksamkeit des Publikums zu fesseln. Thomas Mergel (Potsdam/Basel) erfüllte die ihm von der Tagungsleitung gestellte Aufgabe, die Problemfelder zu umreißen und ihnen eine theoretische Rahmung zu geben, mit einem präzisen und sehr anregenden Beitrag. Auf Niklas Luhmann referierend betonte er, dass Medien wie Politik zwei differente Systeme seien, die über Koppelungen miteinander kommunizierten und sich dadurch veränderten. So sei beispielsweise die politische Kolonialisierung der Medien ein Kennzeichen von polarisierten Gesellschaften. Unter geschichtlicher Perspektive umriss er drei Forschungsfelder: Erstens die durch Entwicklungen der Technologie evozierten Medialisierungsschübe, zweitens die Bedeutung nationaler Traditionen und Erwartungen an die Medien für die jeweiligen Mediensysteme und drittens schließlich Medienkonsum als soziale Praxis.

Die beiden ersten Panels der Tagung zur „Medialisierung der Politik“ griffen solche Überlegungen von Mergel auf bzw. führten sie weiter. Ulrich Sarcinelli (Koblenz/Landau) betonte, dass das Phänomen der Medialisierung der Politik keineswegs etwas Neues sei – bereits Thomas Nipperdey habe es für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts beschrieben. Der Begriff der Medialisierung beschreibe ein Interpenetrationsverhältnis, dessen historische Dimension zu analysieren sei. Adrian Steiner (Zürich) sah in systemtheoretischer Konzeption die Medialisierung als Ausdruck des gestiegenen Bedürfnisses an Legitimation von Politik. Eine Autonomiebeschränkung des Systems der Politik bedeute damit einen Machtzuwachs der Medien und umgekehrt. Otfried Jarren (Zürich) verwies in seinem Kommentar, wie bereits Mergel am Abend zuvor, auf die spezifisch normative Tendenz der Wissenschaftsdiskurse über Medien in Deutschland. An Steiner gerichtet, forderte er die stärkere Einbeziehung der Meso-Ebene (Organisation) sowie der historischen Dimension.

Die anschließenden drei Vorträge behandelten exemplarisch Aspekte der Medialisierung von Politik. Gabriele Melischek und Josef Seethaler (Wien) behandelten Wahlkommunikation in Österreich seit 1945; Kristina Wied (Bamberg) untersuchte Sondersendungen zu Bundestagswahlen seit den 1960er-Jahren; Susanne Kinnebrock und Helena Bilandzic (Erfurt) beschäftigten sich mit der Boulevardisierung der politischen Berichterstattung bzw. den Nachrichten- und Narrativitätsfaktoren in deutschen Tageszeitungen. In seinem Kommentar zu den Vorträgen dieses Panels fragte Mergel vor allem, ob nicht der Wahlkampf eine Ausnahmesituation darstelle, die eine temporäre Politisierung kennzeichne. Darüber hinaus sei die jeweilige Kontextualisierung sehr wichtig. Mergel gab zu bedenken, ob „Bild“ sich hätte noch mehr boulevardisieren können, was zur Relativierung der Ergebnisse von Kinnebrock und Bilandzic führen würde.

Die dritte Sektion „Rezeption politischer Angebote“ stand im Zeichen der empirischen Medienforschung. Michael Meyen (München) referierte zur „Nutzung politischer Angebote in den 1950er-Jahren“. Meyen wandte sich gegen die These, dass die Einführung des Fernsehens einen gigantischen Siegeszug in der Herstellung der demokratischen Öffentlichkeit bedeutet habe und erst das duale System im Lichte der kulturindustriellen These den Sündenfall in Richtung Unterhaltung markiere. Stattdessen interpretierte er die Geschichte des Fernsehens als die Geschichte des langsamen Nachgebens von Politik und Machern. Alle Studien und Umfragen zeigten, dass das Fernsehen das Wissen des Publikums nicht verändert habe, und dass die Unterhaltungserwartung der Nutzer gleich geblieben sei. Gerlinde Frey-Vor (Leipzig) referierte in Vertretung von Walter Klingler die Langzeitstudie Massenkommunikation. Als wichtige Eckdaten benannte sie eine deutliche generationsspezifische Trennung von Nutzerverhalten – das betreffe nicht nur die Segmente Information und fiktionale Angebote. Als Faustregel gelte, je jünger desto weniger Infosendungen würden genutzt. Frank Bösch (Bochum/Giessen) vermisste bei diesen empirischen Arbeiten eine historische Tiefendimension. Eine Orientierung am Unterhaltungsbedürfnis der Nutzer sei keineswegs ein Phänomen der 1950er-Jahre, sondern eine Begleiterscheinung bei allen Medien. Bösch verwies auf Beispiele im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. Für das Fernsehen betonte er, dass durch Kontextualisierung auch gegenläufige Tendenzen zu tage treten, etwa die Politisierung in den 1960er- und 1970er-Jahren. Auch sei eine Gleichsetzung von Hören/Sehen von Nachrichtensendung mit einer Vermehrung von politischem Wissen unzureichend.

In der folgenden Sektion „Politisierung der Medien und ihre Grenzen“ fragten drei Fallstudien danach, ob die Medien durch eine verstärkte Politisierung nicht ihre Funktionen verlieren würden und zwar auch für diejenigen, die als Politiker die Medien zu benutzen versuchen. Jürgen Wilke (Mainz) stellte in einem quellengesättigten Vortrag Reichskanzler von Bülow als einen Kanzler von der „Gnade der öffentlichen Meinung“ vor und zeigte die Grenzen der „Medialisierung von Politik“ auf. Norbert Grube (Zürich) widmete sich am Beispiel von Peter Neumann, dem Ehemann von Elisabeth Noelle, dem Scheitern der Regierungspropaganda in den 1950er- und 1960er-Jahren. Grube, früher Archivar in Allensbach, beschrieb die Ausdifferenziertheit der propagandistischen Organisationen, die versuchten, die Medien in der deutsch-deutschen Systemkonkurrenz gezielt zu beeinflussen, was aber letztlich an der Ausdifferenzierung der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit scheiterte. Jens Lucht (Zürich) öffnete den Blick für eine europäische Perspektive. Er stellte einen Teilbereich des Forschungsbereichs „Öffentlichkeit und Gesellschaft“ vor und fragte nach dem Entstehen, aber auch den Grenzen einer transnationalen Öffentlichkeit in Europa. Das Projekt gehe dabei nicht von einer postulierten europäischen Öffentlichkeit aus, sondern von der Europäisierung nationaler Öffentlichkeiten. Thymian Bussemer (Frankfurt an der Oder) verwies in seinem Kommentar besonders darauf, dass die Medialisierung der Politik nicht immer mit Demokratisierung zu tun habe.

Das Thema des letzten Panels am Freitagnachmittag bildete die „Medienpolitik“. Maria Löblich (München) beschäftigte sich mit den Medienkommissionen der 1960er-Jahre, der Michel- und der Günther-Kommission. Sie betonte, dass die Untersuchung dieser Kommissionen und ihrer Mitgliederzusammensetzung einen Beitrag zur Forschung über die Medienpolitik insgesamt liefere. Edzard Schade (Zürich) fragte in einer vergleichenden Analyse der Schweiz, Österreich und Deutschlands nach den Grenzen der Politisierung: „Entpolitisierung durch staatliche Medienpolitik?“. Hierzu operierte er mit den Begriffen „Politisierung“ und „Entpolitisierung“. Ersterer bezeichne einen Transformationsprozess, der soziale Phänomene zum Gegenstand verbindlicher Entscheidungen werden lasse. Bei der „Entpolitisierung“ nehme der Grad der Politisierung ab, es handele sich um einen gegenläufigen Prozess. Gerhard Vowe (Düsseldorf) stellte das von ihm, Stephanie Opitz und Kristina Jakubek bearbeitete Forschungsprojekt zur Geschichte der Medienpolitik in der Bundesrepublik Deutschland aus Expertensicht vor. Mittels Delphi-Befragungen von Experten sollen die als zentral empfundenen medienpolitischen Entscheidungen bzw. „Weichenstellungen“ seit 1945 identifiziert werden. Durch die Antworten ließen sich quantifizierbare Aussagen ermitteln. Dies sei (vorerst) kein Ranking, aber ein Rating von medienpolitischen Entscheidungen. In seinem Kommentar kennzeichnete Jan Tonnemacher (Berlin) den ersten Vortrag als historisch-deskriptive Dokumentenanalyse, den zweiten als definitorische Annäherung und den dritten als theoretisch reflektierte, empirische Studie. Zu Löblich merkte er an, dass die Erwartungen der Politiker an die Experten in der Regel unrealistisch seien, was zu deren etwaiger Nicht-Berufung in Kommissionen habe beitragen können. An die Adresse von Schade formulierte Tonnemacher, dass trotz des Versuchs einer Begriffsklärung bestimmte Setzungen problematisch seien, etwa die Kennzeichnung der Neustrukturierung der ostdeutschen Presselandschaft nach dem Ende der SED-Diktatur als Phänomen der Entpolitisierung. Das von Vowe vorgestellte Projekt müsse stärker auf die Relevanz seiner Ergebnisse befragt werden und zeige die Begrenzungen einer quantitativen Analyse.

Den Abschluss des Tages bildete eine hochkarätig besetzte Podiumsdiskussion, die wiederum im ARD-Hauptstadtstudio stattfand. Tissy Bruns (Leiterin des Parlamentsbüros des „Tagesspiegel“ und ehemalige Vorsitzende der Bundespressekonferenz), der Poltikberater Volker Riegger (München), Thomas Roth (Leiter des ARD-Hauptstadtstudios), sowie der SPD-Politiker Klaus Schütz (ehem. regierender Bürgermeister Berlins) diskutierten unter der Moderation von Walter Hömberg (Eichstätt-Ingolstadt) äußerst lebhaft und unterhaltsam über den Wandel des Verhältnisses von Journalisten und Politikern sowie von Medien und Politik im allgemeinen. Überraschend deutlich wurde, dass bei allen Beteiligten ein mehr oder minder großes Unwohlsein mit der aktuellen, durch starke Konkurrenz, Beschleunigungsphänomene, Profilierungsdruck und symbiotische Beziehungsverhältnisse zwischen Politikern und Journalisten gekennzeichneten Situation deutlich wurde.

Im ersten Panel am Samstagvormittag ging es abermals um das Verhältnis zwischen Journalisten und Politikern. Frank Bösch (Bochum) und Dominik Geppert (Berlin) explizierten dieses jeweils für das beginnende 20. Jahrhundert anhand eines deutsch-britischen Vergleichs, wobei Geppert organisierte Reisen britischer Journalisten in das Deutsche Reich 1906 und 1907 analysierte. Frank Bösch sprach von einem „take off“ der Medialisierung zu Beginn des 20. Jahrhunderts, signifikant sei hierfür nicht zuletzt die Skandalisierung von Politik. Mit der Massenpresse hätte sich auch ein neuer Typus des Journalisten herausgebildet, der bisherige, konsensorientierte Wege verlassen habe. Besonders interessant war der Befund, dass die diskutierte Macht der Medien um 1900 oft nicht real, die Vorstellungen davon aber umso wirksamer waren. Geppert schilderte die Journalisten als grenzüberschreitende Akteure. Auf deutscher Seite sei die Rundreise der britischen Journalisten als „Staatsbesuch“ organisiert worden, in enger Abstimmung mit der Reichskanzlei. Geppert arbeitete die Unterschiede, die Bösch genannt hatte, noch schärfer heraus. In beiden Ländern gab es um 1900 eine tektonische Verschiebung im Verhältnis von Politik und Presse. In Deutschland scheiterte die bürokratische Presselenkung angesichts der Ausdifferenzierung, in England war der Zugang zur Information über die Herkunft und über den „gentleman’s club“ geregelt, wobei es durchaus begrenzte Aufstiegsmöglichkeiten gab. Leider musste der Vortrag von Christina von Hodenberg (London) zum Verhältnis von Politikern und Journalisten in den 1950er und 1960er Jahren in der Bundesrepublik wegen des Sturms ausfallen. Jörg Requate (Bielefeld/Paris) hatte nunmehr die schwierige Aufgabe, in seinem Kommentar darauf zu reagieren. Er kritisierte das Manuskript von Christina von Hodenberg, das zu normativ argumentiere, in dem es die vierte Gewalt der Medien sowohl als Ideal wie als Ziel der Besatzungsmächte betone. Als deutsche Besonderheit wertete er die Herausbildung eines Gesinnungsjournalismus. An alle drei Papiere knüpfte er die Fragen an eine begriffliche Klärung von Medialisierung und an die Langfristigkeit von Medialisierungsprozessen. Zudem problematisierte er, ob es auch einen Entmedialisierungsprozess nach den Quantensprüngen gebe? Schließlich seien nicht nur die Systeme Politik und Medien zu beachten, sondern auch das System Wirtschaft: Eventuell seien die Medien auch als Teilsysteme zu begreifen.

Im letzten Panel der Tagung standen „Historische Diskurse über und in Medien“ im Mittelpunkt. Ute Daniel (Braunschweig) gab zunächst einen diskursgeschichtlichen Überblick über die gesellschaftliche Rolle der Medien am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die enge Verbindung von Propaganda und Massengesellschaft wurde in der Regel negativ gedacht: Auch reformorientierte Interpreten waren von Optimismus weit entfernt. Dominant waren Vorstellungen von der grenzenlosen Manipulierbarkeit der Massen und ein damit verbundenes ambivalentes Menschenbild. Nach 1918 – auf der Basis der Kriegserfahrung – wurde Propaganda einstimmig als gefährlich bewertet. Die kulturpessimistischen Diskurse der Nachkriegsjahre prägten die Auseinandersetzung mit dem Thema nachhaltig. Thymian Bussemer plädierte für eine historisierende Kontextualisierung von Propaganda als eine zentrale Erzählweise des Politischen und versuchte einen diachronen Überblick. Hierbei unterschied er vier Phasen, wobei die beiden Kriege Sonderfälle darstellten. So zog er den Bogen von der entstehenden Massengesellschaft, in der Propaganda die Antwort darauf gewesen sei, wie Massen gesteuert werden könnten, um Demokratisierung zu verhindern, bis zur Jetztzeit. Heute sei Propaganda nicht länger ein Sonderfall von Kommunikation. Der Begriff sei ausdifferenziert worden bis hin zur Werbung. Bussemer fragte, ob die Propaganda im Mediensystem ihre Ubiquität durch das Fehlen von traditionellen Sozialisationsagenturen erhalten habe.

Kurt Imhoff (Zürich) beschrieb anschließend mit Hilfe eines kommunikationswissenschaftlichen Instrumentariums gesellschaftliche Konflikte. Als neue Konflikte nannte er asymmetrische Kriege, riots in urbanen Zentren und das Ansteigen von Mord. In dem Züricher Forschungsprojekt seien im Zeitraum von 1910 bis 1998 die zehn wichtigsten Kommunikationsereignisse pro Jahr untersucht worden. Als Ergebnisse seien unter anderem eine Komplexitätsreduktion (Verringerung der Zahl der Akteure und der Themen), eine Differenzsemantik (Historisierung der Gegenwart, Politisierung der Geschichte und Ethnisierung des Politischen) festgestellt worden. Als prognostisches Potential sah er den Kontext vom Strukturwandel der Öffentlichkeit und der Konfliktdynamiken, die Entflechtung medial erschlossener Räume vom Politischen, eine Personalisierung des Politischen sowie eine Moralisierung der Ökonomie. Nicht medial etablierte Akteure würden zunehmend Konflikte verstärken, da dies die Resonanzchancen vergrößere. Wilfried Scharf (Göttingen) präsentierte eine qualitative Inhaltsanalyse der politischen Presse in Deutschland von 1976 bis 2006 über Geschichtskontroversen, in deren Mittelpunkt er die Auseinandersetzungen über die NS-Vergangenheit verortete. Ed McLuskie (Idaho) sah als Verbindung der vier Vorträge, dass sie Veränderungen der Öffentlichkeit untersuchten. Dabei legte McLuskie ein im Sinne von Habermas durchaus normatives Verständnis von Öffentlichkeit und Medien zugrunde. So stellte er im Anschluss an Imhof die Frage, ob dadurch, dass die Medien die diskursiven Potentiale in der Öffentlichkeit eher verbergen, auch die Partizipation und die Öffentlichkeit selber verschwinden würden. McLuskie öffnete abschließend die Perspektiven der Tagung, in dem er die Fruchtbarkeit und Notwendigkeit des Austausches der amerikanischen und deutschen Wissenschaftsdiskurse betonte.

Damit aber verwies er implizit auf ein großes Manko der Tagung: nämlich die Beschränkung auf das deutsche Beispiel. Bereits bei den Beiträgen von Geppert und Bösch hatte sich gezeigt, wie fruchtbar die komparative Perspektive ist. Auch hatte Thomas Mergel in seinem Einführungsvortrag die Frage gestellt, inwieweit mit der Dominanz der Frankfurter Schule in Westdeutschland nicht lange Zeit auch eine Art „Sonderweg“ in der Medienforschung vorgeherrscht habe, die vielleicht bis heute nachwirke. Dieser Sonderweg – nämlich ein gewisses Misstrauen gegenüber der Medialisierung von Gesellschaft – prägt nicht zuletzt die Wissenschaftsdiskurse, was besonders in den Beiträgen von Daniel und Bussemer thematisiert wurde.

Hatte einer der Organisatoren der Tagung, Christoph Classen (Potsdam), in seinen Begrüßungsworten der Hoffnung Ausdruck gegeben, dass die Interdisziplinarität der Tagung sich nicht nur in den unterschiedlichen Disziplinen der Referenten und Teilnehmer ausdrücken werde sondern als „soziale Praxis“ die Tagung prägen würde, so wurde diese Hoffnung durch das überfüllte Programm zunichte gebracht. Es gab auf allen Panels kaum Gelegenheit zur Diskussion, in der über die Fachgrenzen hinaus unterschiedliche Perspektiven und Zugänge hätten diskutiert werden können. So fiel mir, als Historikerin, eher die Differenz der Zugänge und Methoden bei den einzelnen Disziplinen auf, denn der Versuch, diese Differenz zu nutzen. Allenfalls in einigen Kommentaren schienen entsprechende Perspektiven auf. Einige Fragen blieben: Die Luhmannsche Systemtheorie war auf dieser Tagung der Referenzrahmen, soweit die Referenten sich überhaupt um eine theoretisches Framing bemühten. Offen bleiben dabei Fragen nach der Implementierung einer Meso-Ebene, also der Frage nach Teilsystemen oder Kopplungen ebenso wie die Frage nach den Akteuren, und zwar nicht nur den Akteuren in den Medien oder in der Politik, sondern besonders nach den Nutzern. Die schwierige Frage nach der Wirkungsmacht der Medien wurde in der Regel nur angerissen. Der Gedanke von Ute Daniel, dass die Vorstellung über die Wirkungsmacht oft mächtiger ist als die Propaganda selber, scheint mir für die Forschung fruchtbar zu machen zu sein. Möglicherweise würde der Rekurs auf das Mediendispositiv, bzw. überhaupt eine stärkere Einbeziehung diskursanalytischer Zugänge wie sie Knut Hickethier und andere entwickelt haben, nützlich sein. Wichtig scheinen mir auch die Forderungen von einigen Diskutanten wie Bösch und Mergel nach einer Entkoppelung von Medialisierung und Demokratisierung, da es sich hier um normativ aufgeladene Begriffe handele. Auch gilt es, stärker die Kontinuitäten denn die Quantensprünge in der Geschichte der Medialisierung zu diskutieren. Diese kritischen Anmerkungen schmälern jedoch nicht den immensen Gewinn der Tagung, die zum einen Erkenntnisgewinne wie Grenzen unterschiedlicher Zugänge deutlich machte, aber auch zeigte, welchen grundsätzlichen Nutzen eine geschichtliche Perspektive auf die Medien haben kann.


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