Junge Akademie Schlesien - Nachwuchstagung der historischen Schlesienforschung

Junge Akademie Schlesien - Nachwuchstagung der historischen Schlesienforschung

Organisatoren
Historische Kommission für Schlesien; Gerhard-Möbus-Institut für Schlesienforschung; Schlesisches Museum zu Görlitz
Ort
Görlitz
Land
Deutschland
Vom - Bis
24.11.2006 - 26.11.2006
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Von
Mateusz J. Hartwich / Ivo Nußbicker

„Auf der Suche nach Schlesien“ lautet der Titel der Dauerausstellung des Schlesischen Museums Görlitz, das erst im Mai dieses Jahres im historischen Schönhof am Görlitzer Untermarkt wieder eröffnet wurde. Auf die Suche nach Schlesien begaben sich auch die Teilnehmer der Tagung, die auf Einladung der Historischen Kommission für Schlesien, des Gerhard-Möbus-Instituts für Schlesienforschung und des Schlesischen Museums zu Görlitz in den Räumen des Schlesischen Museums zur internationalen Nachwuchstagung „Junge Akademie Schlesien“ zusammenkamen. Von den Veranstaltern waren 28 Nachwuchswissenschaftler aus Deutschland, Polen, Tschechien und sogar Frankreich eingeladen worden, deren größtenteils Dissertations- und Habilitationsprojekte sich mit verschiedenen Aspekten der schlesischen Geschichte beschäftigen. Ziel war es, die Kommunikation und Vernetzung zwischen den über Schlesien forschenden jungen Wissenschaftlern voran zu treiben und mögliche themenübergreifende Gemeinsamkeiten sichtbar zu machen. In einem sehr dichten Programm wurde versucht, in drei Tagen eine Brücke zu schlagen vom Spätmittelalter bis in die jüngste Vergangenheit, wobei alle Landschaften des historischen Schlesien ihre Berücksichtigung fanden.

Zu Beginn der Tagung wurden die Teilnehmer und Zuhörer von den Veranstaltern, Prof. Dr. Thomas Wünsch (Passau), Prof. Dr. Joachim Bahlcke (Stuttgart) und dem Gastgeber, Dr. Markus Bauer vom Schlesischen Museum, begrüßt. Nach einem Einstieg mit einem Vortrag über die Geschichte der Burgwallforschung und ihre Instrumentalisierung (Karin Reichenbach/Leipzig), ging es über die schlesischen Herzogtümer im Spätmittelalter (Petr Kozak/Opava) und die Politik von Ungarn, Böhmen, Sachsen und Brandenburg im Glogauer Erbfolgestreit (Mario Müller/Innsbruck) zu Christian Speer/Dresden, der über städtische Eliten und deren Beziehungen zu kirchlichen Institutionen in Görlitz in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts sprach. Ein kunstgeschichtlicher Vortrag von Urszula Bonczuk-Dawidziuk/Wroclaw führte ins Hirschberger Tal des frühen 19. Jahrhunderts und lenkte den Blick auf das kulturelle Handeln der Gräfin Friederike von Reden (1774-1854).

Der Samstag war mit 16 Vorträgen und einer Führung durch das Schlesische Museum der inhaltsreichste Tag. Eingangs referierte Christine Absmeier (Stuttgart) zur schlesischen Bildungsgeschichte im Zeitalter der frühen Konfessionalisierung, wobei der Kontext einer intendierten umfassenden Gesellschaftsreform zur Sprache kam, ebenso wie die Herausbildung von Gelehrtennetzwerken. Bartlomiej Bartelmus (Wroclaw) präsentierte die Ergebnisse seiner kunstgeschichtlichen Spurensuche nach dem Maler Andreas Riehl d.Ä., der, aus Breslau kommend, wahrscheinlich einige Zeit am Krakauer Königshof tätig war. Offen blieb die Frage, welchen Stellenwert die Person des Malers einnimmt und inwieweit man von einem eigenständigen „schlesischen Stil“ in der Hochrenaissance sprechen kann, was der Referent als These formulierte. Ein zeitlich ähnlich angelegtes Projekt präsentierte Ewa Szala (Wroclaw) mit ihrem Vortrag über die Kunst der Reformation in der Oberlausitz zwischen 1520-1697. Besonders betont wurde hierbei die Rolle und Bedeutung der Kunst im Prozess der lutherischen und katholischen Konfessionalisierung, wobei die geplante Herausgabe eines Katalogs mit den erhaltenen Kunstdenkmälern aus der Oberlausitz auf Interesse stieß.

Eine längere, anregende Diskussion folgte dem Vortrag von Joanna Jendrych (Wroclaw), der Reiseberichte über Schlesien vom Ende des 18. bis zum frühen 19. Jahrhundert zum Thema hatte. Dabei wurden 50 deutschsprachige (mit einer Ausnahme), publizierte Berichte ausgewertet und nach ihrer Stellung im aufklärerischen Diskurs der Zeit, den Einstellungen gegenüber der einheimischen Bevölkerung und dem literarischen Wert gefragt. Im Zentrum der Diskussion stand vor allem der Leserkreis, die gegenseitige Wahrnehmung von Reisenden und Einheimischen und die Originalität der Beschreibungen. Es folgten zwei Vorträge von Vertretern der Schlesischen Universität in Opava, wobei Marketa Kourilova ihr Projekt präsentierte, im Rahmen dessen sie versucht, durch mehrere Mikrosonden zu neuen Ergebnissen zum Untertanentum und zur Besitzverteilung in Österreichisch-Schlesien nach 1742 zu kommen. Martin Pelc beleuchtete die Kontakte zwischen deutschsprachigen Gebirgsvereinen im preußischen und österreichischen Teil Schlesiens im Kontext seiner entstehenden Dissertation zu den deutschen Touristenvereinen in Böhmen im 19./20. Jahrhundert. Gefragt wurde in der folgenden Diskussion nach den nationalen Aspekten in den Aktivitäten solcher Organisationen und den tatsächlichen Auswirkungen der Grenze vor und nach 1918. Im letzten Vortrag vor der Mittagspause ging es wieder um Tourismusgeschichte, diesmal dargestellt anhand des Baus einer Nebenbahn von Glatz nach Kudowa (Przemyslaw Dominas/Wroclaw). Dabei wurde klar, dass es trotz der schwierigen geographischen Verhältnisse und der Finanzierungsprobleme vor allem der Fremdenverkehr war, der die Errichtung solcher Strecken inspirierte und vorantrieb.

Von einem „entwicklungsunfähigen“ liberal-revolutionären Schriftsteller und Aktivisten berichtete Dr. Gabriela Jelitto-Piechulik aus Opole. Theodor Opitz (1820-1896) entwickelte mit seinen Studien und Publikationen zur Geschichte der Französischen Revolution, insbesondere zur Rolle Robespierres, früh radikale Positionen, die ihn später ins Schweizer Exil führten. Dort schloss er sich aber nicht der entstehenden sozialistischen Bewegung an, sondern verharrte auf seinen Positionen und starb vereinsamt den Hungertod. Im Kontext der problematischen geistesgeschichtlichen Einordnung dieser Figur wurde auch die geplante Werkausgabe von Theodor Opitz in der Diskussion angesprochen. Einen Teilaspekt seines Habilitationsprojektes, das in ein größeres Forschungsvorhaben eingebettet ist, präsentierte Dr. Michael Hirschfeld aus Vechta. Er beschäftigte sich mit den Breslauer Bischofswahlen nach dem Ende des Kulturkampfes und vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Er arbeitete dabei prägnant die politischen Rahmenbedingungen und die Konfliktpotenziale heraus, wobei auch hier nach dem tatsächlichen gesellschaftlich-historischen Stellenwert dieses „zentralen Konfliktfelds“ gefragt wurde. Arne Thomsen (Detmold) sprach im Anschluss daran über die sog. „Zentrumspolnische Bewegung“ innerhalb der Zentrums-Partei, nach dem wichtigsten Blatt dieser Gruppierung auch „Katolik“-Partei genannt. Die Versuche des Zentrums, polnische und pro-polnische Aktivisten in den eigenen Reihen gewähren zu lassen, um die oberschlesischen Wähler für sich zu gewinnen, scheiterten mit der Zeit an der Radikalisierung der nationalen Frage und führten zur faktischen Abspaltung der Fraktion unter Führung von Adam Napieralski bei den Reichstagswahlen 1903. Den religions-politisch-historischen Block beschloss dann Sascha Hinkel (Mainz) mit der Präsentation seiner entstehenden „Teilbiografie“ von Kardinal Adolf Bertram. Die umstrittene Gestalt des Breslauer Erzbischofs „zwischen Kaiserreich, Republik und Diktatur“ war Anlass einer intensiven Diskussion, die u.a. sein Verhalten gegenüber gewissen Erscheinungen (z.B. Rechtskatholizismus) und Personen (Kardinal Michael Faulhaber, Primas August Hlond) ansprach.

Dr. Rüdiger Ritter von der Universität in Oldenburg eröffnete den kleinen Themenblock zu den Abstimmungskämpfen in Oberschlesien nach dem Ersten Weltkrieg. Eine geplante Quellenedition (in Zusammenarbeit mit Prof. Hans-Henning Hahn) soll die Argumentationsmuster und Propaganda beider Seiten beleuchten sowie auf den europäischen Kontext des Konflikts eingehen. Genau mit diesem Aspekt beschäftigte sich das darauf folgende Doppelreferat von Dr. Marie-Emmanuelle Reytier (Caluire) und Dr. Dorota Schreiber-Kurpiers (Opole). Unter der Überschrift „Dienst im Osten“ wurde der Alltag der französischen Truppen im oberschlesischen Abstimmungsgebiet 1920-1922 beschrieben, wobei die Aspekte Prostitution und Geschlechtskrankheiten näher beleuchtet wurden, was den anwesenden Medizinhistoriker zu ausführlichen Diskussionsbeiträgen provozierte. Ein geographisch und thematisch anderes Terrain wurde in den letzten beiden Samstagsvorträgen beschritten: Daniela Schmohl (Leipzig) referierte zum sozialistischen Milieu Breslaus zwischen 1933 und 1936, während Thomas Ditt (Frankfurt am Main) mit seinem Referat mit dem Titel „Stoßtruppfakultät Breslau“ das Wirken der Juristischen Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität zwischen 1933 und 1945 vorstellte. Neben dem gut erforschten Osteuropainstitut der Breslauer Universität – auch und insbesondere im Vergleich mit der polnischen Westforschung der Zwischenkriegszeit – stelle die Personal- und Veröffentlichungspolitik der rechtswissenschaftlichen Abteilung, die der Referent anhand konkreter Beispiele erläuterte, ein besonders aufschlussreiches Untersuchungsfeld dar.

Der abschließende Themenblock am Sonntag beschäftigte sich mit der Geschichte Schlesiens in der Nachkriegszeit, wobei vor allem erinnerungspolitische Fragen angesprochen wurden. Zunächst skizzierte Mateusz J. Hartwich (Frankfurt an der Oder) sein Forschungsvorhaben zu deutschen und polnischen Bildern vom Riesengebirge nach dem Zweiten Weltkrieg, wobei vor allem touristische und landeskundliche Aspekte in Betracht gezogen wurden. Die Diskussionsbeiträge kreisten dabei insbesondere um Fragen der Methodik und mögliche Quellen. Sonia Waindok (Opole) präsentierte danach erste Ergebnisse ihrer Dissertation zum Leben und Wirken von Ruth Storm, deren Romane die Wahrnehmung der „alten Heimat“ in der Bundesrepublik beeinflusst haben. Ausführlich wurde auf ihre Biografie eingegangen, wobei ihr aktives Wirken im Nationalsozialismus in späteren Jahren von Ruth Storm nachträglich relativiert wurde. Christian Lotz (Leipzig) präsentierte einen „thesenartigen Ausschnitt“ aus seiner abgeschlossenen Dissertation zum Vertreibungsdiskurs in Deutschland bis zum Jahr 1972. Den Untersuchungszeitraum unterteilte der Referent in drei Abschnitte, die er kurz charakterisierte, und stellte drei Akteure der Debatte vor: die Landsmannschaft Schlesien, evangelische Schlesierverbände und die Helmut-von-Gerlach-Gesellschaft, die laut Referent als Repräsentant sozialistischer Anschauungen auf das Thema herangezogen wurde. In der Diskussion wurde die mangelnde Ausdifferenzierung der untersuchten Milieus und die Fokussierung auf die Frage der Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze bemängelt, wobei die Herausarbeitung einer „unfreiwilligen Allianz“ zwischen Landsmannschaften und Kommunisten anerkannt wurde, die zu einer Marginalisierung und Verdrängung des Themas an den rechten Rand der gesellschaftlichen Diskussion führte. Cornelia Schmidthals (Berlin) stellte Ergebnisse eines größeren, abgeschlossenen Projekts zu den Arbeitslagern im Nationalsozialismus vor, wobei für ihr Untersuchungsgebiet, den niederschlesischen Kohlebergbau, kaum Quellen oder Zeitzeugenberichte existieren, die man einer Auswertung unterziehen kann. Einen kirchenhistorischen Exkurs analysierte Gregor Ploch (Wien) in seinem Beitrag zu den deutschen katholischen Vertriebenenorganisationen und ihrer Rolle im Verständigungsprozess mit Polen, wobei besonders auf das Wirken von Clemens Riedel eingegangen wurde. Den Abschluss bildete eine anschauliche Präsentation zur geplanten Edition des „Glogauer Arzneibuches“ aus dem 15. Jahrhundert von Milena Slon und Prof. Dr. Gundolf Keil, der in Vertretung von Knut Richter auf den Stellenwert schlesischer Arzneimittelbücher aus dem Spätmittelalter einging.

Insgesamt haben die Vorträge und die anschließenden Diskussionen bewiesen, dass der Bereich Schlesische Geschichte ein keineswegs altersschwaches Fach ist, sondern, wie Prof. Bahlcke unterstrich, allein schon aus der vorgestellten Fülle an Forschungsprojekten jüngerer Wissenschaftler Lebenskraft schöpfen kann. Zu erwähnen ist auch, dass es unter den anwesenden Nachwuchshistorikern keinerlei Berührungsängste gab, z.B. was die Verwendung deutscher Ortsnamen angeht. Auch das Meiden von „Tabuzonen“, bei denen es zu emotionalen Auseinandersetzungen über die Deutung gewisser Ereignisse aus der Geschichte gekommen wäre, war nicht zu beobachten. Dies liest sich wie eine Selbstverständlichkeit, ist aber im Kontext der deutsch-polnischen (aber auch der polnisch-tschechischen und deutsch-tschechischen) Beziehungsgeschichte, besonders im Hinblick auf die auch historiografisch bis in die jüngste Zeit umkämpfte Region Schlesien, als Verdienst zu würdigen – eine Errungenschaft, die nicht zuletzt auf konstruktive Kontakte unter Historikern in den letzten 30 Jahren zurückzuführen ist. Die sehr breit gefächerten Themen und die interdisziplinäre Herangehensweise sowie die anregenden Diskussionen sind auf jeden Fall als Erfolge zu verbuchen, wobei die Frage nach dem Verbindenden der vorgestellten Forschungsprojekte, jenseits des nicht klarer umrissenen Bezugsrahmens Schlesien, nicht thematisiert wurde und Stoff für weitere Veranstaltungen liefern könnte.


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