Gewalt und Geschlecht. 12. Fachtagung des Arbeitskreises Geschlechtergeschichte der Frühen Neuzeit

Gewalt und Geschlecht. 12. Fachtagung des Arbeitskreises Geschlechtergeschichte der Frühen Neuzeit

Organisatoren
Arbeitskreis Geschlechtergeschichte der Frühen Neuzeit
Ort
Stuttgart-Hohenheim
Land
Deutschland
Vom - Bis
02.11.2006 - 04.11.2006
Url der Konferenzwebsite
Von
Rosa Costa (Wien); Linda Waack (Tübingen)

Vom 2. bis zum 4. 11. 2006 fand im Tagungszentrum Stuttgart-Hohenheim die mittlerweile zwölfte Fachtagung des Arbeitskreises Geschlechtergeschichte der Frühen Neuzeit statt. Drei Tage lang beschäftigten sich 40 TeilnehmerInnen mit dem Themenkomplex „Gewalt und Geschlecht“. VertreterInnen verschiedener Disziplinen nahmen frühneuzeitliche Praktiken und Repräsentationen von Gewalt in den Blick. Dabei wurde besonders auf deren Verkettungen mit der Kategorie Geschlecht eingegangen. Organisiert und geleitet wurde die Tagung von Dieter R. Bauer (Stuttgart), Andrea Griesebner (Wien), Maren Lorenz (Hamburg), Monika Mommertz (Berlin) und Claudia Opitz-Belakhal (Basel).

Den Auftakt machte am Donnerstagabend Maike Christadler mit ihrem Vortrag “Gewalt im Blick: Visuelle Kultur, Gewalt und Geschlecht um 1500”. Entlang zahlreicher Bildquellen widmete sich die Kunsthistorikerin sowohl dem komplexen, wechselseitigen Verhältnis von Gewaltrepräsentation und “Wirklichkeit”, als auch innerbildlichen Strategien medialer Brechung, welche das Problem der Fiktionalität metasprachlich reflektierten. Elemente der Gewalt wurden dabei nicht nur auf der Ebene des Dargestellten, des Sujets, aufgezeigt, sondern auch im Bereich des Darstellenden, “als der Repräsentation selbst eingeschrieben”. Am Beispiel der Heiligen Barbara (Friedrich Pacher, 1480/90) machte Maike Christadler zunächst darauf aufmerksam, dass Bild und Vorstellungsbild bzw. Bild und Erwartung in aktive Beziehung zueinander treten können. In der anschließenden Analyse einer Bilderserie von Urs Graf lenkte sie den Fokus auf die Inszenierung des Blickes, wobei der sexuell begehrende Blick in einzelnen Fällen als ein selbstreflexiver erkennbar wurde. Während Urs Graf Männer vornehmlich als Täter zeigte, bewegte sich die Repräsentation von Frauen stets im Spannungsfeld von “Heilige und Hure”. Zuletzt wies Maike Christadler jedoch auf eine Zeichnung des Künstlers hin, welche die zuvor vermutete Gewaltordnung umzukehren schien: Frauen wurden hier als Täterinnen dargestellt.

Die erste Sektion mit dem Titel „Gewalt als Zerstörung und Ermächtigung“ wurde am Freitagmorgen mit einem theoretisch sehr anspruchsvollen Beitrag von Monika Mommertz eingeleitet: „Imaginierte Gewalt – imaginative Gewalt? Zur historischen Epistemologie von Gewalt und Geschlecht in der Frühen Neuzeit“. Unter dem Begriff „Imaginative Gewalt“ fasste sie jene Gewalthandlungen, die von – in unserem heutigen Verständnis - imaginären Wesen und Kräften ausgeübt wurden, die aber in der Vorstellungswelt der ZeitgenossenInnen reale Wirkungsmacht hatten. Um die imaginative Gewalt analysieren zu können, sei es notwendig die epistemologischen Brüche, die uns von unserem Untersuchungsobjekt trennen, ernst zu nehmen. Dem methodologischen Problem, das sich bei diesem Unternehmen – die kulturellen Bedeutungen dieser uns heute unvertrauten Gewalt zu erschließen - auftat, begegnete Monika Mommertz mit einer „praxemologischen Herangehensweise“. Mithilfe des Neologismus „praxem“, als kleinste bedeutungstragende Einheit, näherte sie sich dem Handlungssinn von imaginativen Gewaltakten. Am Beispiel des Schadenszaubers führte sie die These aus, dass imaginative Gewalt eine eigenständige und für die Vormoderne typische, dabei in komplexer Weise durch „Geschlecht“ strukturierte Gewaltform darstelle.

Der Vortrag von Maren Lorenz mit dem Titel „Drohkulissen. Verbale und physische Eskalationsdynamiken zwischen Militär und norddeutscher Zivilbevölkerung (1650-1700)“ beschäftigte sich, ausgehend von schwedischen Militärgerichtsakten, mit strukturellen und kulturellen Bedingungen von Gewalt. Die Bevölkerungs- und Sprachstruktur der untersuchten Territorien (Bremen-Verden und Schwedisch Pommern) wurden dabei ebenso berücksichtigt wie die zeitgenössischen Konzeptionen von Ehre. Besonders interessierte sich Maren Lorenz für den Übergang von verbaler Aggression zu physischer Auseinandersetzung. Sie zeigte, dass die Zivilbevölkerung die Gewaltbereitschaft der Soldaten teilweise unterschätzte. Unterschiedliche Gewalterfahrungen, so die These, bewirkten, dass verbale Drohungen missverstanden und Rituale verschieden gelesen wurden. Eine „Erosion herrschaftlicher Autorität“ habe in einer Zeit „dauernder Rüstung und Kriegsführung“ zudem einer moralischen Enthemmung Vorschub geleistet.

Einen weiteren militärgeschichtlichen Vortrag hielt zum Abschluss der ersten Sektion Marian Füssel. Auch in seinem Beitrag „Grenzen der Mannszucht? Männlichkeit und Gewalt am Beispiel der irregulären Truppen im Siebenjährigen Krieg“ wurden Momente der Entgrenzung von Gewalt thematisiert. Dabei wendete sich Marian Füssel zunächst unterschiedlichen Freitruppen zu und untersuchte deren „soziale Rolle“ innerhalb der Kriegsführung. Anhand konkreter Beispiele konnte er zeigen, wie Gewalt und Männlichkeit verknüpft wurden. Das Gewaltverhalten von Männern gegenüber Frauen entschied beispielsweise, so seine abschließende These, über den „Grad an guter Mannszucht“ und wurde gemeinsam mit sozialen und ethnischen Kategorien zu einem Abgrenzungskriterium verschiedener Männlichkeitskonstruktionen.

Die zweite Sektion behandelte Gewalt als Mittel der Formierung und Disziplinierung. Anita Traninger beleuchtete in ihrem Vortrag „Prügelknaben. Zur performativen Herstellung von Menschlichkeit/Männlichkeit in der frühneuzeitlichen Schulausbildung“ die Funktion des Schlagens in der frühneuzeitlichen Erziehung von Schülern. Ausgehend von Erasmus von Rotterdam und dem humanistischen Diskurs um Gewaltfreiheit in der Erziehung ging sie der langen und sich jeder Kritik entziehenden Tradition des Schlagens im Lateinunterricht auf den Grund. Rekurrierend auf Pierre Bourdieu sah Anita Traninger in der alltäglichen Praxis des mit Schmerzen verbundenen Einprägens lateinischer Vokabeln einen Initiationsritus in die Gemeinschaft der Gelehrten, die als bindendes Element die lateinische Sprache hatte. Verbunden mit dem Ausschluss von Frauen aus den Lateinschulen waren Schläge somit Bestandteil der performativen Herstellung von gelehrter Männlichkeit.

Der Beitrag von Kyra Waldner, „Kleiderstreit und Geschlechterstreit. Die Gestalt der Gewalt: Kleiderordnungsdebatten und ‚Querelle des femmes’ in der spanischen Aufklärung“ widmete sich einer anderen gewaltvollen Disziplinierung – der Kleiderordnung. Anhand von zwei Schriften aus dem späten 18. Jahrhundert zeichnete Kyra Waldner in einem sprachlich experimentell verfassten Vortrag die spanische Kleiderordnungsdebatte nach, die von Nationalismus und Misogynie geprägt war. Sie ordnete diese Schriften in die Tradition der ‚Querelle des femmes’ ein und kategorisierte die Forderung einer Nationaltracht für Frauen als eine Form geschlechtsspezifischer Gewalt. Diese Gewalt würde über den normierenden "männlichen Blick auf den Frauenkörper"’, den sie als "patriarchales Blickpanoptikum" bezeichnete, funktionieren. Mit Rekurs auf die Vertreibung aus dem Paradies und die damit einhergehende Bedeckung der Nacktheit stellte Kyra Waldner diese sexistische Blickordnung in eine sehr lange Tradition. Damit entfachte sie eine angeregte Diskussion über die Erkenntnismöglichkeiten eines radikal dekontextuellen Zuganges, der über Zeit und Raum hinweg Kontinuitäten betont.

Als Ersatz für den entfallenen Vortrag von Marion Kobelt-Groch stellte am Freitagnachmittag Ursula Schulde den von ihr produzierten Lehr-Film „Anna Maria von Schürmann - Die Gelehrte (1608-1678)“ vor. Einleitend ging sie unter anderem auf die Bedeutung von Kamera, Schnitt und Ton bzw. Kommentar ein und sprach über die Probleme und die „gefährliche Tendenz zur völligen Fiktionalisierung“ von visueller Geschichtsdarstellung. Auf die Filmpräsentation folgte eine lebhafte Diskussion, in der Fragen nach der historischen Genauigkeit von Filmen und der Popularisierung von Wissenschaft aufgeworfen wurden. Der Film wurde als gelungenes Beispiel für den konsequenten Aufbruch narrativer Illusion gewertet. Ursula Schlude betonte das mediale Interesse an „Frauengeschichte“. Die filmische Umsetzung werde zwar möglicherweise nicht allen Anforderungen der aktuellen Geschlechtergeschichte gerecht, erreiche dafür aber ein breites Publikum.

Den Abschluss des Tages bildete ein Roundtable zur Frage „Quo Vadis frühneuzeitliche Geschlechtergeschichte?“. Unter der Leitung von Maren Lorenz diskutierten Vertreterinnen verschiedener Disziplinen und Arbeitsfelder den prekären Status und die Zukunft der Geschlechtergeschichte. Die Literaturwissenschaftlerin Friederike Hassauer berichtete über die hochschulpolitische Entwicklung und institutionelle Verankerung von Gender an der Universität Wien. Die Baseler Historikerin Claudia Opitz beleuchtete die Situation der Geschlechterforschung innerhalb der Disziplin und forderte ein stärkeres Lobbying für die frühneuzeitliche Geschlechtergeschichte ein. Heide Wunder, emeritierte Historikerin der Universität Kassel, beklagte schließlich, dass heute der politische Impetus der Frauenbewegung fehle und plädierte dafür, verstärkt die "Allgemeine Geschichte" umzuschreiben. Gudrun Piller Gysin vom Historischen Museum Basel zog als Einzige insofern eine positive Bilanz, indem sie darauf verwies, dass Ausstellungen mit geschlechterspezifischen Themen außergewöhnlich gut besucht seien. Die Filmemacherin Ursula Schlude sah das Manko vor allem in der Reklame – die Geschlechtergeschichte habe ein Kommunikationsproblem und müsse sich besser vermarkten. Dies löste eine spannende Diskussion darüber aus, ob es sinnvoll und möglich sei, frühneuzeitliche Geschlechtergeschichte populär zu vermitteln, ohne die radikalen Inhalte zu opfern. Auch die Frage, ob dies überhaupt in der Macht der Historikerinnen stehe, oder ob das fehlende Interesse nicht systemisch bedingt sei, wurde rege debattiert.

Zum Auftakt der letzten Sektion, die sich der diskursiven Gewalt zuwandte, sprach Antje Flüchter über „Indische Witwenverbrennungen im Spiegel europäischer Reiseberichte“. Der Vortrag beschäftigte sich mit narrativen Strukturen europäischer Darstellungen vom 17. bis ins 20. Jahrhundert. Antje Flüchter wies darauf hin, dass die Zuweisung und Verschränkung der Kategorien Gewalt und Geschlecht je nach historischer Situation auf verschiedenen Prämissen beruhte. Formulierten die deutschsprachigen Berichte der Frühen Neuzeit wenig Kritik am Witwen(selbst)mord, sahen ihn als Konsequenz hinduistischer Ehekonzeption, so nutzten beispielsweise die Engländer das Phänomen als Beleg für die Legitimität ihrer Zivilisierungsmission. Die Faszination einer „völligen Unterordnung der Ehefrau unter ihren Ehemann“ sei aber in den Berichten nahezu durchgehend ablesbar. Die Auslegung von Gewaltpraktiken fremder Kulturen hinge demnach, so Antje Flüchter, immer auch von der „jeweiligen Ausformung der Geschlechterrollen“ in der eigenen Kultur ab.

Im letzten Vortrag „Zwischen Züchtigungsrecht und Misshandlung – Wie viel Gewalt braucht der Hausfrieden“ wandte sich Inken Schmidt-Voges der institutionalisierten häuslichen Gewalt zu. Sie analysierte die normative Grundlage des zur Erhaltung des Hausfriedens nötigen Züchtigungsrechtes. In den von ihr ausgewerteten Quellen des 16. bis frühen 19. Jahrhunderts wurde der Hausfrieden als Garant der gesellschaftlichen Ordnung konzeptualisiert. Um diesen Frieden zu gewähren, sprach die Publizistik den Ehemännern, Eltern und Herrschaften ein Recht zur Züchtigung zu. Dieses war jedoch von einer diffusen Rechtslage gekennzeichnet, welche die Grenze zwischen legitimer und illegitimer Gewalt im Bereich der Ehe und Kindeserziehung undefiniert ließ. Die damit gewährte Möglichkeit des Missbrauchs stellt, so Inken Schmidt-Voges, ein Charakteristikum des Hausfriedenskonzeptes dar.

Mit einem zusammenfassenden Überblick über die besprochenen Inhalte und aufgeworfenen Fragen wurde die Abschlussdiskussion von Monika Mommertz eingeleitet. Sie hob die thematische und disziplinäre Vielfalt der Beiträge und den methodisch und theoretisch fundierten Rahmen der Tagung hervor. So war neben verschiedenen Modi der Repräsentation und Interaktion von Gewalt und Geschlecht, Gewalt auch als Mittel der performativen Herstellung von Geschlecht zum Thema gemacht worden. Auch Fragen der Visualisierung von geschlechtsspezifischer Gewalt und Diskurse über Gewalt und Geschlecht wurden diskutiert. Obwohl die Themenvielfalt von den TeilnehmerInnen als Bereicherung begrüßt wurde, gab es auch einige skeptische Stimmen, die eine Einschränkung des Gewaltbegriffs forderten, um die analytische Genauigkeit der Kategorie Gewalt nicht zu verlieren. Einstimmig wurde jedoch festgestellt, dass Gewalt eine zentrale Kategorie für die frühneuzeitliche Geschlechterordnung und damit auch für die Geschlechterforschung sei.


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