Begegnungsräume – Encounters of representations

Begegnungsräume – Encounters of representations

Organisatoren
SFB 640 „Repräsentationen sozialer Ordnungen im Wandel“
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
11.12.2006 - 12.12.2006
Url der Konferenzwebsite
Von
Susann Baller; Heike Bock; Maren Klotz

Repräsentationen sind von sozialen Akteuren gemacht. Sie können Wirklichkeit reflektieren, strukturieren und selbst ausrichten. Der SFB 640 „Repräsentationen sozialer Ordnungen im Wandel“ der Humboldt-Universität zu Berlin hat sich mit der von der DFG geförderten Tagung „Begegnungsräume – Encounters of Representations“ vom 11.-12. Dezember 2006 dem komplexen Verhältnis zwischen Repräsentationen und sozialen Wirklichkeiten angenommen. Im Zentrum stand die Produktion und Verhandlung von Repräsentationen in Situationen sozialer Interaktion. Die fünf Panels der Konferenz – Reisen, Grenzen, Dialog, Gewalt, Institutionen – entsprachen dem Gedanken, dass Repräsentationen aus Kommunikation und Begegnungen entstehen, sich dabei verändern oder in die Krise geraten. Darüber hinaus lieferten die Themenfelder übergreifende Problemstellungen für eine sehr interessante Diskussion aktueller Forschungsergebnisse aus dem SFB gemeinsam mit internationalen Gästen anderer Universitäten.

Das Panel „Reisen“ beschäftigte sich mit der Verbreitung von Hygiene-Konzepten und -Kampagnen in Japan (Daniel Hedinger), China (Barbara Schulte) und der Mongolei (Ines Stolpe). David Sneath (University of Cambridge) hob in seinem Kommentar vor allem die Übersetzungs- und Rekontextualisierungsleistungen hervor, welche sich durch den transnationalen Transfer von Ideen und Repräsentationen ergeben. Das rasante Ausbreitungstempo der Hygiene-Kampagnen in Asien verdeutliche zudem die Bedingungen eines Moderne-Projektes, welches in Europa die gleichen Konzepte dominierte. Mit Blick auf die historische Vielfalt lokaler, europäischer Kontexte betonte Ulrike Freitag (ZMO Berlin) neben der Verbindung von Reisen, sozialem Wandel und Moderne auch, dass das Verhältnis scheinbar globaler Konzepte und deren Lokalisierung hinterfragt werden müsse.

Die Vorträge des Panels „Grenzen“ beschrieben anhand von Beispielen aus Malaysia (Deborah Johnson), Tibet (Mona Schrempf) und Darstellungen des „Ostens“ in deutscher und britischer Geschichtsschreibung (Susan Rößner), wie reale Staatsgrenzen sowie imaginierte soziale, kulturelle und symbolische Grenzen Repräsentationen des Eigenen und Anderen verarbeiten. Grenzen markieren den Verhandlungsraum zwischen Repräsentationen und können selbst Repräsentationen sein. Hasting Donnan (University of Belfast) verwies als Kommentator auf den relationalen Charakter von Grenzen, da diese immer von beiden Seiten repräsentiert, ausgehandelt oder auch missverstanden werden. In der Doppelbedeutung von Grenzen als geographische Grenzen und als kulturelle Repräsentationen von Abgrenzung erkannte Jürgen Schriewer (HU Berlin) außerdem einen Grundkonflikt von Nationsbildungs- und Modernisierungsprozessen.

Das Panel „Dialog“ thematisierte die Inszenierung von Kommunikation am Beispiel französischer Ständeversammlungen (Jörg Feuchter) und Schulungskampagnen in Mexiko und Argentinien (Verónica Oelsner, Eugenia Roldàn Vera) sowie die Tücken des Dialogs in Situationen strategischer Missrepräsentationen (Olaf Günther und Ingeborg Baldauf: Fragen der Autobiografie, Sheila Fitzpatrick). Fitzpatrick (University of Chicago) zeigte anhand ihrer Forschungen zur UdSSR die Schwierigkeit eines Dialogs, wenn sich angesichts des Zweifels an den Repräsentationen des Staates, des Anderen oder der Eigenrepräsentation die Frage der Lüge stellt. Während der Kommentar von Ivo Strecker (Universität Mainz) auf die Problematik des Unsagbaren in Situationen asymmetrischer Machtverhältnisse verwies, unterstrich Hartmut Kaelble (HU Berlin) die Möglichkeiten und Grenzen von Repräsentationen in Aushandlungsprozessen zwischen Staatseliten und Bevölkerung.

Im Zentrum des Panels „Gewalt“ standen Strategien und Krisen der Repräsentation in Zeiten gewalttätiger Umbrüche. Die Vorträge fragten sowohl nach der Bedeutung von Repräsentation im Kontext von Gewalt (Christoph Gumb: Warschau 1904-06, Michael Pesek: Erster Weltkrieg in Deutsch-Ostafrika, Maike Lehmann: Gewalt und Diskurse über Gewalt im Kaukasus) als auch nach ihrer nachträglichen Repräsentation und Erinnerung (Stefan Schlak: Erinnerungsmythos Dresden, Priska Jones: Gewalt in deutschen Karikaturen der 1920er Jahre). Der Publizist Gerd Koenen (Frankfurt/M) verwies in seinem Kommentar auf den kommunikativen Inhalt von Gewalt und Gewalt-Erfahrungen – zu unmittelbaren Kriegszeiten, aber auch im „langen Gedächtnis“. Er stellte die These auf, dass gerade sich in Krisenzeiten auftuende Brüche von Repräsentationen ermöglichten, diese zu durchschauen und damit Herrschaft zu destabilisieren. Jörg Baberowski (HU Berlin) stieß schließlich eine lebhafte Diskussion darüber an, ob und wann Gewalt repräsentationsfrei sein könne.

Das Panel „Institutionen“ untersuchte Prozesse der Institutionalisierung als Vorgänge, in denen Verhaltensmuster und Sinngebilde internalisiert werden und relative Stabilität erlangen. Die Fallbeispiele zu Verwaltungskulturen in der russischen Provinz des 19. Jahrhunderts (David Feest), Huldigungsriten für brandenburgische Kurfürsten um 1600 (Vera Isaiasz), Wandel staatlicher Repräsentationen in der Bundesrepublik Deutschland nach 1989 (Jens Hacke), Visualisierung politischer Macht anhand von Denkmälern im Paris des 17. und im Jerewan des 20. Jahrhunderts (Ruth Schilling, Tsypylma Darieva) sowie zur Entwicklung eines transnationalen Raums in der Reproduktionsmedizin (Nevim Cil, Michi Knecht) zeigten Institutionalisierungen als kommunikative Prozesse. André Brodocz (SFB 537, Dresden), Kommentator, betonte das interne Zusammenwirken von symbolischen Repräsentationen, instrumentellen Strukturen und Praktiken einer institutionellen Ordnung, welches die Genese, die Verstetigung, den Wandel und den Verlust institutioneller Macht erklären könne. Dies warf für Wolfgang Kaschuba (HU Berlin) die Frage auf, ob Institutionen ohne Repräsentationen überhaupt sichtbar wären. Andreas Eckert (Universität Hamburg) gab schließlich die räumlichen Bedingungen von Institutionen zu bedenken, die sich nicht durch einfache Dichotomien von Zentrum und Peripherie fassen lassen und zunehmend transnationale Dimensionen mit einschließen.

Insgesamt hat die Tagung gezeigt, dass sich anhand konkreter Themenfelder zu Repräsentationen sozialer Ordnungen und ihren Begegnungsräumen aufschlussreiche inhaltliche und konzeptionelle Querbezüge zwischen Forschungsprojekten verschiedener Disziplinen sowie ganz unterschiedlicher historischer und regionaler Kontexte ziehen lassen. Die Vorträge und Kommentare erlaubten nicht nur Einblicke in das Spannungsverhältnis zwischen Repräsentationen, Repräsentiertem und Repräsentierenden, sondern auch in wiederkehrende Themen, in denen Repräsentationen eine zentrale Rolle spielen. So umfassten zahlreiche Beiträge die Frage, wie soziale Akteure Repräsentationen in Aushandlungsprozessen von Moderne, Nation, Staatsbildung, Elitenkulturen und/oder sozialen Kampagnen einsetzen. Ein weiteres, häufiges Thema betraf die „Kunst des Missverstehens“, das Problem der Übersetzung und der Mehrdeutigkeit von Symbolen und Metaphern. Und schließlich fragten die Vorträge nach den Medien der Repräsentation; ob in Form von Schrift, Oralität, Visualität oder des Körpers selbst (als physischer Körper, als Projektionsfläche oder als Bild). Wichtig sollte dabei bleiben, die Perspektive der Akteure nicht zu verlieren; zumal die Situation der Begegnung immer, das betonte der Sprecher des SFB 640 Hartmut Kaelble abschließend, die Repräsentationen mehrerer Seiten einschließt. Kaelble fasste zusammen, dass die Begegnung von Akteuren und Repräsentationen zu variierenden Ausformungen im Wechselspiel zwischen Repräsentation und Beeinflussung sozialen Wandels führen könne: Es gebe Repräsentationen, die sehr erfolgreich soziale Wirklichkeit verändern und neu strukturieren. Andere Repräsentationen setzten sich nur mühsam oder in sehr stark abgewandelter Form durch. Die Tagung habe aber auch deutlich gemacht, so Kaelble, dass es Situationen der Krise gebe, in denen keine Begegnung mehr stattfinde, die Repräsentation selbst in die Krise gerate oder eine Krise produziere – ob auf individueller Ebene oder im Kontext größerer gesellschaftlicher Umbrüche. Die Thematisierung der Krise von Repräsentationen erlaube schließlich, stärker die Frage der Grenzen von Repräsentationen und nicht nur ihren Erfolg zu beleuchten. Die Tagung war jedoch sicherlich eine erfolgreiche Repräsentation eines vielfältigen, interdisziplinären, intertemporären und transnationalen SFBs und lässt die Veröffentlichung eines spannenden Tagungsbands erwarten.

http://www.repraesentationen.de/
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