(Post-)Yugoslav Migrations. State of Research, New Approaches, Comparative Perspektives

(Post-)Yugoslav Migrations. State of Research, New Approaches, Comparative Perspektives

Organisatoren
Osteuropa Institut (OEI) der Freien Universität Berlin und Berliner Kolleg für Vergleichende Geschichte Europas (BKVGE)
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
08.12.2006 - 10.12.2006
Url der Konferenzwebsite
Von
Boris Kanzleiter, Berlin/Belgrad

Das Stichwort „Migration“ ist nicht nur ein Reizwort für emotionalisierte öffentliche Debatten, sondern auch ein vielschichtiges Forschungsfeld, das eine rasch wachsende Zahl von Fallstudien und theoretischen Arbeiten hervorbringt. Die Konferenz „(Post-)Yugoslav Migrations. State of Research, New Approaches, Comparative Perspektives“ am Berliner Kolleg für Vergleichende Geschichte Europas an der FU Berlin unternahm den Versuch einer Bestandsaufnahme der Migrationsforschung zu den Ländern des (ehemaligen) Jugoslawiens. Ausgangspunkte waren dabei zwei Vorüberlegungen: Einerseits waren die Gesellschaften dieses Raumes im 19. und 20. Jahrhundert in besonderem Ausmaß durch Migrationen geprägt und andererseits kann die Untersuchung der Migrationserfahrungen dieser Region innovative Impulse für die allgemeine Migrationsforschung geben.
Die Konferenzorganisatoren Ulf Brunnbauer und Georgia Kretsi vom Osteuropa Institut der FU Berlin stellten zu diesem Zweck ein umfangreiches Programm zusammen, das sowohl Einblicke in laufende Forschungen verschaffte als auch verschiedene methodologische und theoretische Ansätze präsentierte sowie vergleichende Perspektiven skizzierte.

In den Einleitungsvorträgen umrissen Ulf Brunnbauer, Leo Lucassen (Universität Leiden, Niederlande) und Janine Dahinden (Universität Neuchatel, Schweiz) zunächst einige zentrale Fragestellungen und Problematiken, welche im weiteren Verlauf der Konferenz immer wieder aufgegriffen wurden.
Ulf Brunnbauer zeigte auf, wie am Beispiel Jugoslawien übergeordnete Themen der internationalen Migrationsforschung studiert werden können. Die Überseemigration am Ende des 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts, Zwangsmigrationen im Gefolge von Kriegen, die „Gastarbeiter“-Migration in den 1960er und 70er Jahren und neuere, oft illegalisierte Migrationen zeigen unterschiedlichste Verlaufsformen und Facetten der Thematik. Bei deren Untersuchung wird die Bedeutung von Netzwerken, transnationalen Praktiken sowie Versuchen von Regierungen, Migrationen zu kontrollieren, zu fördern oder zu verhindern deutlich. Darüber hinaus bietet der Raum des ehemaligen Jugoslawiens auch anschauliche Beispiele für die vielfältigen Zusammenhänge zwischen Außen- und Binnenmigrationsprozessen.

Der profilierte niederländische Migrationsforscher Leo Lucassen ging anschließend auf Migrationen als Forschungsgegenstand der Geschichtswissenschaften ein. Dabei machte er deutlich, dass die Wahrnehmung von Migrationen als ein modernes Phänomen irreführend sei. Tatsächlich seien Migrationen Bestandteil jeder menschlichen Geschichte. Im Paradigma der Nationalstaatsbildung seien Bevölkerungsbewegungen durch den Aufbau staatlicher Apparate und der bürokratischen Erfassung der Bevölkerung allerdings sichtbarer geworden. Von der Historiographie wurde die Untersuchung von Migration dennoch bis in die 1980er Jahre nicht systematisch betrieben. Als Gründe nannte Lucassen einerseits das Narrativ vom ethnisch definierten Nationalstaat, der auf einer vermeintlich homogenen Bevölkerung gründet, und andererseits das Modernisierungsparadigma. In diesem werde die Industrielle Revolution im 19. Jahrhundert als erste umfassende Mobilisierungsphase der Bevölkerung wahrgenommen. Das allerdings sei falsch. Bereits vor dem 19. Jahrhundert sei es zu massiven Migrationsbewegungen gekommen, konstatierte Lucassen. Seit den 1980er Jahren kam es dann zu einer schnellen Entwicklung der historischen Migrationsforschung. Lucassen verwies dabei aber auch auf einige Mängel, v.a. die Tatsache, dass sich die meisten Studien auf die Migrationsbewegungen in einem Land oder einer ethnischen Gruppe konzentrierten. Komparativ würde dagegen noch zuwenig gearbeitet, die Komparation sei aber entscheidend, um die Spezifika der Einzelfälle zu erkennen. Im Anschluss präsentierte Lucassen einige mögliche Spielarten des historischen Vergleichs und verdeutlichte deren Vor- und Nachteile an Studien über „Integrationsprozesse“.

Im dritten Einleitungsvortrag stellte die Sozialanthropologin Janine Dahinden Ergebnisse ihrer Forschung zur Migration von Serben und Kosovo-Albanern in die Schweiz vor. An diesem Beispiel erläuterte sie das für die neuere Migrationsforschung zentrale Konzept des „Transnationalismus“. Dabei handelt es sich um einen relativ neuen Terminus, der seit den 1990er Jahren viele Forschungen leitet, aber Praktiken beschreibt, die keineswegs erst in den vergangenen Jahren aufgetaucht sind (obwohl über die Neuartigkeit bzw. Kontinuität der mit „Transnationalismus“ beschriebenen Phänomene noch kein Konsens herrscht). Ein Vorteil des Konzepts des Transnationalismus ist, dass es verschiedene Elemente der Migrationsforschung zusammenführt. Es umfasst den Blick auf „Emigration“ und „Immigration“ genauso sowie auf „Integration“ und „Rückkehr“ und die fortbestehenden Verbindungen von Migranten mit ihrem Heimatland. Das Konzept des Transnationalimus vermeidet also den „methodologischen Nationalismus“, der den Nationalstaat als natürliche soziale und politische Ordnung stillschweigend voraussetzt. Diese Perspektive öffnet vielmehr den Blick für die Entwicklung grenzüberschreitender Netzwerke von Migranten, die in verschiedenen Staaten Haushalte unterhalten und regelmäßig zwischen ihnen pendeln. Die transnationale Perspektive setzt sich dabei von der Untersuchung so genannter „Push“ und „Pull“-Faktoren ab, die Migrationen verkürzend als einen linearen und mechanistischen Prozess begreifen. Stattdessen wird im Transnationalismus-Ansatz das Gewicht auf die Untersuchung von Migrationsnetzwerken und die Praktiken der Migranten gelegt. Migration kann durch die Existenz von gut funktionierenden Netzwerken wesentlich erleichtert werden, da sie Kosten und Risiken der Emigration und Integration verringern, wodurch eine Migrationsbewegung Eigendynamik gewinnt. Gleichzeitig warnte aber Dahinden davor, die Bedeutung transnationaler Netzwerke apriorisch zu postulieren, da sie für viele Migranten keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielen. Im Falle kosovoalbanischer Migranten in der Schweiz sprach sie sogar von einem „missing transnationalism“ aufgrund der spezifischen Opportunitätsstrukturen in der Schweiz und im Kosovo bzw. in Serbien. Die Bedeutung von Opportunitätsstrukturen im Zielland für die Praktiken und Integrationschancen von Migranten hatte auch Lucassen mehrfach betont.

Im Anschluss an die drei Einleitungsvorträge trugen an den drei Konferenztagen im Verlauf von vier thematisch eingegrenzten Blöcken insgesamt 14 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus laufenden oder abgeschlossenen Forschungsprojekten vor. Die Themen der Sektionen waren: „Migrationsgeschichte“, „politische und ökonomische Mobilisierung von Migranten“, „Netzwerke und Migration“ sowie „rechtliche/politische Bedingungen und migrantisches Handeln“.

Im ersten Abschnitt unter dem Titel „Migration History“ bot zuerst Michael Esch (freischaffender Historiker, Düsseldorf) in einem vergleichenden und konzeptuellen Beitrag Einblicke in seine Forschungsarbeit zu osteuropäischen jüdischen Einwanderern im Paris an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Er stellte an diesem Beispiel die These auf, dass sich die Prozesse von Adaption an eine neue gesellschaftliche Umgebung und deren Aneignung durch die Migranten oft glichen, aber die öffentliche Repräsentation entsprechend der spezifischen historischen und sozialen Konstellationen divergiere. Insbesondere stellte er die These auf, dass „deviantes“ Verhalten von Migranten auch eine Form der milieubedingten Integration darstellen könne, wobei er insgesamt den Begriff „Integration“, hinter dem sich landläufig die Aufforderung zur Assimilation verbirgt, kritisch betrachtete.
Ulf Brunnbauer gab anschließend einen Überblick über die ökonomischen Migrationsbewegungen im (post)-jugoslawischen Raum im 19. und 20. Jahrhundert. Sein Fokus lag dabei auf den Strategien des Staates, Emigration zu kontrollieren und seinen Entwicklungszielen zu unterwerfen. Er stellte dabei die Hypothese auf, dass – angesichts der hohen Emigrationszahlen – Emigrationspolitik seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert ein „zentrales Motiv“ in der Gesellschaftspolitik der Balkanländer gewesen sei. Diese Politik hätte soziale und individuelle Praktiken beeinflusst, oftmals aber auch zu nicht-intendierten Folgen geführt. Als Ziele der über die Zeit wechselnden Emigrationspolitik nannte er „Restriktion von Emigration“, „Ermöglichung von Emigration“, „Repatriierung“, „Schaffung von Diasporas und politische Kontrolle der Emigranten“ sowie „Nutzung von Migrantenersparnissen (Remittances)“. Brunnbauer konstatierte, dass sich die Forschung oft auf die Einwanderungspolitiken von Staaten konzentriere, die das Ziel von Migranten seien. Die Untersuchung von Auswanderungspolitiken bleibe dabei oft unterbelichtet, obwohl sie den Verlauf von Migrationen ebenso entscheidend prägten, wofür der jugoslawische Raum zahlreiche Beispiele liefert.
Marjan Drnovsek (Institut für Migration, Ljubljana) und Dubravka Mlinaric (Institut für Migration und ethnische Studien, Zagreb) gaben zum Abschluss dieser Runde jeweils sozialhistorische Überblicke zu Verlaufsphasen von Emigrationen aus Slowenien bzw. Kroatien im 19. und 20. Jahrhundert. Aus beiden Ländern machten sich viele Menschen aus ökonomischen und politischen Gründen auf, um sich woanders niederzulassen. Aus beiden Referaten wurde auch deutlich, dass die Heimatgesellschaft (zumindest in Form ihrer politischen Eliten) Emigration in der Regel kritisch betrachtete, da sie damit die Gefahr des Verlusts nationaler Identität sowie „demografischen Potenzials“ assoziierte.

Im zweiten thematischen Block unter dem Titel „Political and Economic Mobilization of Migrants“ präsentierten drei Forscherinnen und Forscher verschiedene Fallstudien. Mirjam Hladnik (Institut für Migration, Ljubljana) berichtete über ihre Untersuchung der Identitätskonstruktion slowenischer Auswandererfamilien in den USA und deren Beziehung zur „Heimat“. Hladnik analysierte u.a. den umfangreichen Briefverkehr zwischen den Familienmitgliedern, die in den 1920er Jahren ausgewandert, und jenen Familienangehörigen, die in Slowenien verblieben waren. Dabei zeigte sie, wie trotz räumlicher Distanz und physischer Trennung über Jahrzehnte intensive emotionale Verbindungen bestehen blieben, die auch in materielle Hilfe münden konnte. Als sich Slowenien 1991 für unabhängig erklärte, wurde dies von Diaspora-Organisationen in den USA unterstützt, die Meetings und Petitionen zur Anerkennung Sloweniens organisierten. Weltanschauliche und soziale Differenzen verschwanden hinter der Identifikation mit der imaginierten „Heimat“.
Richtete Mirjam Hladnik den Blick vor allem auf das Handeln von Einzelsubjekten, untersuchte Francesco Ragazzi (Northwestern University, Chicago) wie die Unabhängigkeitsbewegung in Kroatien Anfang der 1990er Jahre die Mobilisierung der Diaspora zur Erreichung ihrer politischen Ziele betrieb. Illustrativ zeigte Ragazzi wie die von Franjo Tudjman geführte Kroatische Demokratische Gemeinschaft (HDZ) einen ethnonationalen Diskurs um die kroatische Diaspora führte. Die Auswanderung wurde dabei als Verlust der „nationalen Substanz“ beklagt. Alle Kategorien von Emigranten (politische Flüchtlinge, Gastarbeiter etc.) wurden unter dem Stichwort der „Diaspora“ symbolisch vereint und sollten als Mobilisierungsressource im politischen Kampf für die Unabhängigkeit Kroatiens eingesetzt werden – de facto tat der Staat aber wenig für seine Emigranten. Ragazzi verwies auf die Tatsache, dass auch schon der erste und zweite jugoslawische Staate eine Politik der Schaffung einer loyalen Diaspora betrieben hatten. Anhand dieser Beispiele diskutierte Ragazzi Fragen der Staatlichkeit und (entgrenzten) Souveränität.
Paul Hockenos (Zeitschrift „Internationale Politik“, Berlin) stellte anschließend die Ergebnisse einer Feldforschung der European Stability Initiative zur Bedeutung von Migration für die kosovo-albanische Gesellschaft vor. Er konzentrierte sich dabei auf sozio-ökonomische Aspekte. Plastisch beschrieb Hockenos wie die Arbeitsmigration aus dem Kosovo nach Westeuropa seit den 1970er Jahren zu einem äußerst bedeutenden Faktor für die Reproduktion der Familienökonomie und der kosovarischen Volkswirtschaft wurde. Das Leben ganzer Dorfgemeinschaften wird heute durch Remittances der Migranten erhalten. Umso dramatischer sind die Folgen der restriktiven Immigrationsregime der EU-Staaten, wodurch die Fortführung dieses Modells verhindert wird, denn die junge Bevölkerung Kosovos kann dem eingeübten Migrationsmuster nicht mehr folgen. Gefahren für die politische Stabilität sind die Folge. Hockenos diskutierte auch die Frage, ob die Remittances zu einem strukturellen Wandel der rückständigen Ökonomie des Kosovo geführt hätten – seine Antwort ist negativ.

Der dritte thematische Teil der Konferenz stand unter dem Titel „Networks and Migration“. Pascal Goeke (Institut für Humangeographie, Frankfurt a.M.) gab zunächst eine theoretische Einführung in den Netzwerkansatz und dessen Nutzung für die Untersuchung von sozialen Prozessen. Er stellte dies exemplarisch am Wandel der Familie am Balkan von der Balkangroßfamilie (Zadruga) hin zur Kernfamilie im Prozess der „funktionalen Differenzierung“ (Luhmann) der Gesellschaft dar. Goeke stellte die These auf, dass die Familie auch auf dem Balkan nicht länger eine ökonomische Gemeinschaft darstelle, sondern durch affektive Beziehungen geprägt sei. Dieser Wandel erfordere neue individuelle Netzwerkstrategien der Familienmitglieder, da die Familie ihre sozial inkludierende Funktion verloren habe.
Zu anderen Resultaten kam dagegen Jasna Capo-Zmegac (Institut für Ethnologie und Folklore, Zagreb), die anschließend vortrug. Ihre zentrale Frage war, wie eine Familie Familie bleiben könne, wenn ihre Mitglieder aufgrund von Emigration in verschiedenen Ländern leben. Anhand von ausgewählten Beispielen kroatischer Migrantenfamilien in Deutschland diskutierte sie die Familienstrategien, insbesondere hinsichtlich der Frage, wo die verschiedenen Mitglieder der Familie leben bzw. wann die Kinder und andere Verwandte zu den emigrierten Eltern nachkommen sollten. Als Resultat solcher Strategien ergab sich in der ersten Generation häufig eine „doppelte Verortung der Familie“, mit einem „doppelten“ Leben einiger Familienmitglieder – hier und dort. Letztendlich führte aber die Migration nicht zu einer Auflösung der Familie, da einerseits die Bifokalität nur für die Elterngeneration existierte und andererseits transnationale Familienökonomien entstanden.
In einem weiteren Vortrag ging Aleksandra Pavicevic (Institut für Ethnologie der Serbischen Akademie der Wissenschaften, Belgrad) auf andere Formen der Netzwerkbildung ein. In ihrer Präsentation mit dem Titel „Death in foreign land“ analysierte Pavicevic den Umgang serbischer Migranten mit dem Tod und dem Begräbnis. Der Wunsch vieler Migranten ist ein Begräbnis in der „Heimat“ (weshalb auch Tote migrieren) oder wenigstens auf einem „eigenen“ Friedhof in der Fremde, wodurch ethno-konfessionelle Identität manifestiert wird. Todesanzeigen und Grabsteininschriften zeigen diese „ethnische Markierungen“, die Rückschlüsse auf Identitätsmuster der Migranten erlauben.
Zum Abschluss dieses Blocks referierte Robert Pichler (Abteilung für Südosteuropäische Geschichte, Universität Graz) über „transterritoriale“ Netzwerke albanischer Emigranten aus Makedonien. Den Begriff „transnational“ hält er für diesen Fall für ungeeignet, da in Südosteuropa Nation nicht territorial-politisch verstanden wird und daher grenzüberschreitende Beziehungen nicht als „transnational“ verstanden werden können, wenn sie von Angehörigen derselben Nation praktiziert werden. Pichler machte deutlich, wie die albanische und makedonische Bevölkerung in Makedonien in den vergangenen Jahrzehnten divergierende soziale Entwicklungen durchlaufen haben, die sich in einem unterschiedlichen Migrationsverhalten äußerten: Die albanische Bevölkerung tendierte aufgrund sozialer Benachteiligung in den Jahrzehnten vor dem Zerfall Jugoslawiens wesentlich stärker zu Arbeitsmigration, vor allem in die Schweiz, nach Österreich und Deutschland, wobei die Migranten auch in dörfliche Infrastrukturmaßnahmen investierten, da die makedonische Republikregierung albanische Dörfer vernachlässigte. Die dabei gebildeten Netzwerkstrukturen erwiesen sich seit dem Zerfall Jugoslawiens einerseits als Mittel der politischen Mobilisierung und andererseits als wichtige Ressource angesichts des Zusammenbruchs der Staatsökonomie.

Im letzten Block unter dem Titel „Legal-political Conditions and Migrant Actions“ trugen drei Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor. Edvin Pezo (Südost Institut, München) präsentierte Ergebnisse seiner Forschungen zu „Political Pressure and Opportunities for Emigration of Muslims from Interwar Yugoslavia“. Er zeigte dabei, wie nach dem Ersten Weltkrieg die muslimische Bevölkerung Jugoslawiens (v.a. die Albaner und Türken Makedoniens und des Kosovos) in verschiedenen Phasen unterschiedlichen Formen von Auswanderungsdruck bzw. Aussiedlungsmaßnahmen seitens der Regierung unterworfen wurde. Die Migrationspolitik des neu gegründeten jugoslawischen Staates fungierte dabei als Instrument im Nationsbildungsprozess, der nicht-slawische Bevölkerungsgruppen ausschloss. Mitte der 1930er Jahre plante die Regierung die umfassende Zwangsaussiedelung der Albaner, wozu es aber letztlich nicht kommen sollte.
Nach der Präsentation des Zusammenhangs von politischen Gegebenheiten im Heimatland und Auswanderung diskutierte Anne Juhasz (Institut für Soziologie, Universität Zürich) in ihrem Vortrag über „Legal-political conditions and the political movement of the Second Generation in Switzerland“ die Folgen von Immigrationsregimen auf migrantisches Handeln. Sie präsentierte dabei ihre interessante Forschung zur politischen Aktivierung von jungen Erwachsenen aus Einwandererfamilien in der Schweiz. Die Bewegung der so genannten „Secondos/Secondas“ entwickelte sich 2002 als Reaktion auf die Stigmatisierung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund durch staatliche Organe und nationalistische Parteien. Der Begriff „Secondos“ wurde dabei vom Züricher Polizeipräsident mit einer negativen Konnotierung ins Spiel gebracht. Die Bewegung der „Secondos/Secondas“ reaffirmierte ihn aber positiv und nutzte ihn bei ihrer Forderung nach gesellschaftlicher Anerkennung. Ein differenzierter Blick auf die Bewegung der „Secondos/Secondas“ zeigt aber, dass es sich dabei vor allem um beruflich erfolgreiche und aufenthaltsrechtlich abgesicherte Kinder von Migranten handelte (v.a. italienischer und spanischer Herkunft; teilweise besaßen sie sogar die Schweizer Staatsbürgerschaft), während sich die sozial schlechter gestellten Migrantenkinder jugoslawischer und türkischer Herkunft von der Bewegung ausgeschlossen fühlten, sofern sie überhaupt von ihr wussten.
Zum Abschluss der Konferenz referierte Dzenita Sarac (Institut für Geschichte, Sarajevo) zum Thema „How Fellow Citizens became Immigrants: Bosnians in Slovenia“. Sie präsentierte dabei Ergebnisse eines Forschungsprojekt über Migranten aus Bosnien-Herzegowina in Slowenien, die zumeist noch während der Existenz des gemeinsamen Staates nach Slowenien gekommen waren, nach 1991 teilweise aber zu „Ausländern“ wurden, da sie die slowenische Staatsbürgerschaft nicht annahmen bzw. annehmen konnten. Aber auch schon vor 1991 waren sie in Slowenien mit Vorurteilen konfrontiert, da sie in den Augen vieler Slowenen als primitive Südländer galten. Ein anderer interessanter Aspekt betrifft die ethnische Segregierung von bosnisch-muslimischen, serbischen und kroatischen Migranten aus Bosnien-Herzegowina.

Der Verlauf der Konferenz unterstrich mit Nachdruck, dass Migration in und aus (Ex-)Jugoslawien ein äußerst facettenreiches Phänomen darstellt, das vielfältige Forschungsperspektiven eröffnet – sowohl für die Untersuchung der Gesellschaften dieses Raums als auch für die Migrationsforschung allgemein. Die Konferenzorganisatoren Ulf Brunnbauer und Georgia Kretsi haben es vermocht, ein vielschichtiges Programm zusammenzustellen, das für anregende und mitunter kontroverse Diskussionen sorgte. Leider war allerdings die in den Einleitungsvorträgen eingeforderte komparative Perspektive in den einzelnen Referaten nur selten bzw. lediglich implizit präsent. Genau hier liegt eine große Herausforderung für zukünftige Forschungsprojekte aber auch das Potenzial des jugoslawischen Raumes als Laboratorium der Migrationsforschung.


Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Klassifikation
Region(en)
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
Sprache des Berichts