For a European public sphere in global context

For a European public sphere in global context

Organisatoren
Sonderforschungsbereich 640 "Repräsentationen sozialer Ordnungen im Wandel" (Humboldt-Universität zu Berlin) zusammen mit Robert Frank (Sorbonne Paris I) und Luisa Passerini (Universität Turin)
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
22.06.2006 - 24.06.2007
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Von
Priska Jones/ Hartmut Kaelble/ Susan Rößner, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Der Sonderforschungsbereich "Repräsentationen sozialer Ordnungen im Wandel" veranstaltete zusammen mit dem von Robert Frank (Sorbonne Paris I) geleiteten Programm "Réseau Espace européen" und mit der von Luisa Passerini geleiteten Historikergruppe zum europäischen Film vom 22.-24. Juni 2006 an der Humboldt- Universität Berlin einen Workshop zum Thema „For a European public sphere in global context – Pour un espace public européen au cadre mondial“. An diesem Workshop nahmen Sozialwissenschaftler und Historiker aus Frankreich, Italien, Indien, China, Schweden, England, den Niederlanden und Deutschland teil. Die Hauptabsicht des Workshops war, die Debatte über die europäische Öffentlichkeit nicht ausschließlich auf Print-Medienanalysen zur jüngsten Gegenwart zu beschränken, sondern neben Medien auch Symbole, visuelle Medien wie den Film und das Fernsehen, Karten und Mythen einzubeziehen. Der Workshop hatte auch zum Ziel, die isolierte Betrachtung der europäischen Öffentlichkeit hinter sich zu lassen und den Vergleich mit multiethnischen und multilingualen Gesellschaften wie Indien und China ziehen. Der Workshop war eine Fortsetzung einer ähnlichen Veranstaltung in Paris am 2. und 3. Juni 2005, die von den gleichen Forschungszentren organisiert wurde und sich mit Symbolen, Riten, visuellen Medien, Karikaturen, Historikerdebatten und Krisendebatten in der europäischen Öffentlichkeit befasste.

In der Einführung zu dem Workshop gab Hartmut Kaelble (Humboldt-Universität, SFB 640 "Repräsentationen sozialer Ordnungen im Wandel") zuerst einen knappen Überblick über die gegenwärtigen theoretischen Debatten über Öffentlichkeit und über die kontroversen Ergebnisse der politikwissenschaftlichen empirischen Forschung zur europäischen Öffentlichkeit. Er stellte das Konzept der Erforschung der europäischen Öffentlichkeit vor, das diesem Workshop zugrunde liegt. Zu ihr soll neben den zweifelsohne wichtigen Printmedien, die bisher in der politikwissenschaftlichen Debatte im Zentrum stehen, auch die visuellen Medien, also Film, Fernsehen, Karikaturen, Karten, Denkmäler, Gebäude und Landschaften gehören; es sollen außerdem die europäischen Symbole, nicht nur die Flagge, die Hymne und Europatage, sondern auch Euroscheine und Centmünzen, Pässe, Autokennzeichen, europäische Gründungsväter, europäische Erinnerungsorte, Meistererzählungen der europäischen Geschichte, Europamuseen und europäische Schulbücher, Gebäude wie der Berlémont, die Parlamentsgebäude, der Kanaltunnel gehören; die lange Geschichte der Intellektuellendebatten über Europa; die Entwicklung von europäischen Expertendebatten; die europäische Kulturöffentlichkeit und die Kulturpolitik der Europäischen Union; die Geschichte der europäischen Trennlinie zwischen Öffentlichkeit und Privatsphäre. Hartmut Kaelble nannte danach die wichtigen Ziele des Workshops: aus der Deutschlandbezogenheit der wissenschaftlichen Debatte herauszukommen; eine längere historische Dimension in die Forschung über europäische Öffentlichkeit aufnehmen; die Unterschiede zwischen nationalen Öffentlichkeiten in Europa und europäischer Öffentlichkeit stärker zu reflektieren; nicht nur Printmedien zu untersuchen, sondern mit dem soeben vorgestellten, breiteren Verständnis von europäischer Öffentlichkeit zu arbeiten; die europäische Öffentlichkeit mit transnationalen außereuropäischen Öffentlichkeiten zu vergleichen.

Auf dem Workshop wurden Beiträge zu fünf Themenbereichen gehalten: (1) zu Grundsatzfragen der europäischen Öffentlichkeit, (2) zum europäischen Film, (3) zur europäischen Kulturpolitik, (4) zu klassischen Printmedien ebenso wie zum neuen Medium des Internet, (5) schließlich zu außereuropäischen Öffentlichkeiten.

1. Grundsatzthemen

Einen ersten Beitrag zu einem Grundsatzthema trug Luisa Passerini (Universität Turin) vor. Sie sprach über die sich verschiebenden Trennlinien zwischen öffentlicher und privater Sphäre, über die Schwierigkeiten der Übersetzung des deutschen Ausdrucks „Öffentlichkeit“ in andere Sprachen, über die notwendige Weiterentwicklung des Öffentlichkeitskonzepts bei Habermas, insbesondere die Verschiebung der Grenzlinien zwischen Öffentlichkeit und Privatsphäre, über die Privatisierung der Öffentlichkeit und die stärkere Öffentlichkeit des Privaten. In ihren Augen lassen sich die Besonderheiten der europäischen Trennlinie zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeit vor allem in der Migration erkennen, die durch viele europäische Länder führt, allerdings schwer zu untersuchen ist. Sie verfolgt derzeit drei Wege der Untersuchung: die Befragung von MigrantInnen in Osteuropa über Europa mit dem Ergebnis eines starken Zugehörigkeitsgefühls zu Europa und einer Abgrenzung gegenüber der USA und der arabischen Welt. Die Trennlinie zwischen Öffentlichkeit und Privatsphäre wurde von diesen MigrantInnen in den Interviews als europäische Besonderheit angesehen. Luisa Passerini berichtet über eine zweite Richtung der Erforschung der Trennlinie privat und öffentlich in der Kunst über die Grenzen der „Festung Europa“, in der der öffentliche Raum der MigrantInnen in Frage gestellt ist. Sie berichtet von einer dritten Richtung der Forschung über Paare mit verschiedener Nationalität im Film, wobei die Männer meist einem nationalen Raum angehören, während die Frauen in einem transnationalen Raum leben. Luisa Passerini schlägt auch das Thema der internationalen Prostitution als Forschungsthema für die europäischen Trennlinien zwischen Privatsphäre und europäischer Öffentlichkeit vor.

Grundsätzliche Themen sprach auch Bo Stråth (Europäisches Hochschulinstitut Florenz) in einem Abendvortrag und in einem Workshopbeitrag an. Bo Stråth trug in seinem Abendvortrag "Europe and the other, Europe as the other" die These von einer Verschiebung von einer auf sozialer Solidarität aufbauenden europäischen Identität zu einer nur auf religiösen und ethnischen Ausschlüssen beruhenden europäischen Identität vor. Diese Verschiebung fand seit den 1970er Jahren statt und führte zu einem kulturellen Escapismus vor den eigentlichen Problemen. Er erklärte sich diese Verschiebung vor allem aus dem Ende wirtschaftlicher Prosperität, aus der Trennung zwischen einer nationalen Sozialpolitik und einer europäischen Wirtschaftspolitik und aus einer schlecht geplanten Erweiterung, die die enormen sozialen Disparitäten zwischen den alten westeuropäischen und den neuen ostmitteleuropäischen Mitgliedern nicht bedacht und keine Abhilfe vorgesehen hatte. Bo Stråth berichtete am Ende der Tagung über das Emediate-Projekt, das sich mit dem Wertewandel in der europäischen Öffentlichkeit in internationalen Krisensituationen seit dem Zweiten Weltkrieg befasst. In seinen Augen entstand eine europäische Öffentlichkeit schon während der Aufklärung, also vor dem Aufkommen des europäischen Nationalstaates. Sprachbarrieren spielten damals keine entscheidende Rolle. Die europäische Öffentlichkeit verschwand nicht völlig im Zeitalter des Nationalstaates, war allerdings immer auf Eliten begrenzt, die in einem europäischen Kommunikationsraum miteinander verflochten waren. Er sieht als die entscheidende Frage an, welche Rolle die europäische Öffentlichkeit für ein europäisches Zusammengehörigkeitsgefühl spielt und wie sich Medienkrisen und Medieneuphorien zum Thema Europa auswirken. Bo Stråth behält sich auch die kritische Frage vor, ob die Debatte über europäische Werte überhaupt ein richtiges Forum besitzt und damit auch eine nationale Auseinandersetzung über das öffentliche Interesse stattfinden kann. Er sieht große Chancen in dem Koselleckschen Konzept, das die Krisen als Zeiten der Eröffnung neuer Zukunftserwartungen einstuft, und hofft auf solche neuen Zukunftserwartungen in der gegenwärtigen tiefen Krise, die durch die Erweiterung der EU und der völlig anderen sozialen Lage der neuen Mitglieder entstanden ist.

2. Der europäische Film

Ein zweiter Themenbereich des Workshops war die Entwicklung des Films als ein Teil der europäischen Öffentlichkeit. Dieses Thema berührte auch Luisa Passerini, die Leiterin der Gruppe zum europäischen Film an der Universität Turin, in ihrem soeben erwähnten Vortrag und Ravi Vasudevan, auf dessen Vortrag zurückzukommen sein wird.

Flora Volpelière (Université Paris I) behandelte in ihrem Vortrag die Rezeption des britischen Filmemachers Ken Loach in Frankreich. Sie stellte für die Jahre 1972 bis 2000 dar, dass sein Werk vor allem in seiner Eigenschaft als «Cinéma de crise» erfolgreich war. Loach vermochte mit seinen Filmen über die britische Arbeiterklasse soziale Fragen anzusprechen, die auch in Frankreich auf ein starkes Interesse von Seiten des Publikums stießen, die in der französischen Kinematographie aber nur selten thematisiert wurden. Volpelière argumentierte, dass die Arbeiten Loachs auf diese Weise Eingang in den Bilderfundus der französischen Öffentlichkeit fanden. Zudem habe sich während der Rezeptionsphase das Motiv des französischen Publikums, Loach-Filme zu sehen, gewandelt: von einem Interesse an Information über Großbritannien hin zur (Selbst-) Befragung. Darin sah Volpelière einen Hinweis auf die politisierende und identifikationsstiftende Wirkung des Mediums Kino.

Juliette Farcy (Université Paris I) berichtete über die Rezeption des westdeutschen Kinos der Jahre 1974-1984 in Frankreich. Insbesondere Filmfestivals stellten einen besonderen „Raum“ der Rezeption westdeutscher Filme dar, da sie den Bekanntheitsgrad und die Wahrnehmung deutscher Produktionen steigerten. Farcy macht dabei auch eine kulturelle Vermittlungsrolle des Kinos aus: am Beispiel der „Blechtrommel“ von Volker Schlöndorff wurde deutlich, dass deutsche Filme nicht nur das Nachdenken über die französische Vergangenheit in Frankreich angeregt haben, sondern dass sie auch als Brückenschlag zwischen den beiden Ländern wahrgenommen worden sind.

Karen Diehl (Universität Turin) berichtete über die Rolle der Kulturpolitik der EU, insbesondere der Programme „Media“ und „Euroimages“. Am Beispiel der Produktion europäischer Filme nahm sie die steigende Zahl der europäischen Filmfestivals und die wachsende Anzahl von Finanzierungsinstitutionen für Filme in den Blick und schilderte in diesem Rahmen die europäische Filmpolitik, die sie als limitiert, fragmentiert, ohne Konsens und in einer schwierigen Beziehung zur europäischen Identität darstellte. Sie erklärte sich daraus die Schwäche des europäischen Films auf dem internationalen Markt, wobei sie überhaupt zögerte, das Europäische am europäischen Film zu erkennen.

Enrica Capussotti (Universität Siena) stellte in ihrem Vortrag die Frage, ob auch heute eine Öffentlichkeit im Sinne der Emanzipation, Solidarität und Demokratie, so wie sie sich Habermas für das 18. Jahrhundert vorstellte, auf der transnationalen europäischen Ebene entsteht. Enrica Capusotti sieht die Tatsache, dass Migranten in Osteuropa in Lagern gehalten werden, als eine Herausforderung der demokratischen europäischen Öffentlichkeit an. Sie behandelt in ihrem Forschungsprojekt ethnische Filme und Filmproduzenten und geht besonders auf den Film „Solino“ von Fatih Akin ein, wobei sie sich stark für die Reaktion in Italien zu einem Film eines deutsch-türkischen Produzenten über italienische Emigranten, die von Apulien in das Ruhrgebiet gewandert sind, interessierte.

Liliana Ellena (Universität Turin) berichtete in ihrem Beitrag über transnationale Erinnerungslandschaften im europäischen Kino der Zeit nach 1989. Im Gegensatz zu den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg macht sie dort eine verstärkte filmische Auseinandersetzung mit dem europäischen Kolonialismus aus. Im Zuge dessen habe zwar eine Erosion nationaler Bezugsrahmen stattgefunden; die transnationale bzw. europäische Ebene wird in den Filmen stärker thematisiert. Gleichzeitig jedoch sei eine Rekodifizierung spezifischer nationaler Erinnerungsmuster erfolgt, die Ellena auf die wachsende Relevanz transnationaler und Diaspora-Erinnerungen zurückführt.

3. Die europäische Kulturpolitik und kulturelle Öffentlichkeit

Ein drittes Themenfeld des Workshops war die europäische Kulturpolitik und die Entwicklung einer kulturellen europäischen Öffentlichkeit, ein in der Forschung stark vernachlässigtes Thema, das schon auf dem Workshop im Juni 2005 behandelt worden war.

Josephine Brunner (Université Paris I) behandelte in ihrem Referat die Geschichte der Kulturpolitik des Europarats, die am Anfang vor allem auf die Aussöhnung der europäischen Nationen, auf den Wiederaufbau und auf die Bildung ausgerichtet war. Die unter den Politikern umstrittene Kulturpolitik des Europarates, der in enger Zusammenarbeit mit der UNESCO stand, beruhte auf einer nur unter Schwierigkeiten erreichten Definition der europäischen Kultur als europäischer Humanismus und europäischer kultureller Vielfalt. In seiner praktischen Politik entschied der Europarat über die europäische Flagge mit den 12 Sternen sowie über den Europatag am 5. Mai. Er schuf den europäischen Filmpreis in Cannes, das europäische Kulturzentrum in Delphi, die jährlichen Kunstausstellungen in großen europäischen Städten und verfolgte damals grundsätzlich eine Politik der Erhaltung des europäischen Kulturerbes. Auch Patrick Garcia kam später auf dieses Thema zurück.

Marie-Françoise Lévy (Université Paris I) und Marie-Noële Sicard (Université Versailles-Saint-Quentin en Yvelines) behandelten in ihrem Vortrag die Geschichte von Arte. Sie schilderten zuerst die Ursprünge des Programms in den Entscheidungen des Ministerrats der Europäischen Gemeinschaft über ein europäisches Fernsehen im Zusammenhang mit der Deregulierung der nationalen Fernsehanstalten und mit dem Ziel der Popularisierung der europäischen Integration. Sie gingen auf die Gründung der SEPT, einer Zusammenarbeit aller europäischen Fernsehanstalten, ein und behandelten dann in diesem Rahmen die Schaffung eines deutsch-französischen Fernsehens mit europäischer Orientierung im Jahre 1988, also Arte. In der Geschichte von Arte gingen sie vor allem auf die intensiven Debatten in Frankreich über Arte ein, auf das Profil des Senders und auf die Rolle eines Kulturfernsehens, seines exklusiven Programms, aber auch seine Leistungen, originäre Kunstprojekte in Form von deutsch-französischen Gemeinschaftsprojekten zu initiieren sowie darüber hinaus auch ein generelles Programm zu etablieren.

Anne-Marie Autissier (Université Paris VIII) behandelte die Kulturpolitik der EU, die sich seit den 1980er Jahren entwickelte und vor allem vom Europäischen Parlament und den Mitgliedsländern der EU, weniger von den kulturellen Institutionen selbst, angestoßen wurde. Zu dieser Kulturpolitik gehörte u.a. das Erasmus-Programm, die Europäische Kulturhauptstadt und das Medienprogramm. Seit 1992, als die Europäische Union kulturelle Kompetenzen erhielt, verfügte sie über ein schmales Kulturbudget und daneben auch über Finanzen in den kulturellen Elementen des europäischen Regionalprogramms, des Jugendprogramms und der Außenprogramme. Anne-Marie Autissier strich heraus, dass die europäische Kulturpolitik sehr begrenzt und fragmentiert ist, da die Mitgliedsstaaten der EU ihre letzten vollen Kompetenzen, die Kulturkompetenzen, nicht aufgeben wollen und die neoliberale Ausrichtung der Europäischen Kommission eine europäische Kulturpolitik ebenfalls nicht fördert.

Patrick Garcia (IHTP, Paris) stellte in seinem Beitrag die Frage, ob man von einer europäischen Erinnerungspolitik sprechen könne und untersuchte dafür die Geschichtspolitik des Europarats. Drei Phasen machte Garcia im offiziellen Umgang des Europarats mit Geschichte aus: erstens die Zeit seit den 1950er Jahren bis 1989, die er als „Goldenes Zeitalter“ des europäischen Erbes bezeichnete und die von dem Versuch der Nivellierung national unterschiedlicher Wahrnehmungen der europäischen Geschichte gekennzeichnet waren. Zweitens die 1990er Jahre, für die Garcia die „Rückkehr der Geschichte“ konstatiert und in denen die Pluralität geschichtlicher Interpretationen und multiperspektivische Ansätze wie Gender-, Migrations- und Historiographiegeschichte im Vordergrund standen, die unter dem Motto „Einheit in Vielfalt“ zusammengefasst werden können. Die dritte Phase ist die Zeit seit dem Ende der 1990er Jahre bis zur Gegenwart, in denen die negativen Aspekte europäischer Geschichte wie der Holocaust und die Weltkriege in den Blick rückten.

4. Klassische und moderne Medien

Ein vierter Themenbereich befasst sich mit den klassischen Printmedien am Rande Europas und mit dem wichtigsten neuen Medium, dem Internet.

Lutz Niethammer (Universität Jena) behandelte in seinem Beitrag die Printmedien auf dem Balkan, die zum großen Teil im Besitz von österreichischen, deutschen und englischen Medienunternehmen sind. Er stellte die Frage, wie die internationalen Unternehmen auf die Massenmedien einwirken und was für eine europäische Öffentlichkeit daraus entsteht. Er beschrieb zuerst die Übernahme der Printmedien durch die ausländischen Unternehmen, schilderte dann die Pluralität der Printmedien in verschiedenen Ländern des Balkans (außer dem Kosovo und Albanien, wo keine ausländischen Medienunternehmen investieren können). Er zeigte, dass durch die ausländischen Investoren und auch durch die Subsidien der europäischen Union ein wichtiges Korrektiv gegen die nationalen Politiker entstand. Er argumentiert, dass die ausländischen Unternehmen für die Journalisten, die oft Träger der Dissidentenbewegung waren, selten deutsch oder französisch, dagegen meist englisch sprechen und vergleichsweise gut bezahlt werden, eine Unabhängigkeit gegenüber den klientelistischen nationalen und lokalen politischen Kreisen verschaffen. Er argumentierte darüber hinaus, dass daraus allerdings keine europäische Öffentlichkeit entsteht, da sich die Bürger dieser Länder zwar als Europäer verstehen, aber sich nicht mit der Europäischen Union identifizieren, so lange nur nationale Öffentlichkeiten entstehen, die Journalisten nicht international ausgebildet werden und auch keine transnationalen Presseartikel oder Beilagen publiziert werden.

Pieter Boeder (Institute for Network Cultures, Amsterdam) behandelte in seinem Vortrag die Rolle von Netzwerkorganisationen (Mission Driven Organizations), die ihre Ziele mit begrenzten Budgets durch gezielte Öffentlichkeit und Einflussnahme erreichen, oft nicht profitorientiert sind, meist auch nicht berufsethischen Kontrollen unterworfen sind und überwiegend im Internet arbeiten. Pieter Boeder argumentierte, dass diese Netzwerkorganisationen die hierarchisch organisierten klassischen Medien ablösen und dadurch auch die europäische Öffentlichkeit stark verändern könnten. Allerdings stellte er in der Diskussion fest, dass große Medienunternehmen versuchen, sich in das Internet einzukaufen und auf diese Weise die Möglichkeit haben, auch die Öffentlichkeit im Internet zu kontrollieren.

5. Außereuropäische Öffentlichkeiten und Öffentlichkeiten von außereuropäischen Immigranten

Ein fünftes Themenfeld des Workshops waren schließlich außereuropäische transnationale oder multiethnische Öffentlichkeiten, mit denen die europäische Öffentlichkeit verglichen werden kann, aber auch die Öffentlichkeiten außereuropäischer Immigranten in Europa.

Wu Yongping (Tsinghua University Beijing) behandelte die Öffentlichkeit in China. Er machte eine Unterscheidung zwischen den traditionellen Medien, Zeitungen, Fernsehen, Kino, Büchern und Magazinen, die zwar zum Teil privatisiert wurden, aber von der Regierung stark kontrolliert werden, und andererseits den Internetforen, Websites, Blocks, die von der Regierung sehr viel weniger kontrolliert werden. Er unterschied in einem kurzen historischen Rückblick in die Geschichte der chinesischen Öffentlichkeit drei Epochen: die Epoche der liberalen Öffentlichkeit vom späten 19. Jahrhundert bis 1949, das völlige Fehlen einer Öffentlichkeit zwischen 1949 und den 1980er Jahren, und die Zeit der Öffentlichkeit in einem autoritären Regime seit den 1980er Jahren. Den entscheidenden Faktor für das Entstehen der Öffentlichkeit sieht er vor allem im Markt.

Ravi Vasudevan (University of Delhi) berichtete über den Film in Indien, einer multiethnischen Nation. Er sieht den Film als Teil des Marktes und einer damit verbundenen exklusiven Öffentlichkeit. Er behandelte zuerst die Rolle des Britischen Empires bei der Entstehung des indischen Films und seiner damaligen internationalen Mobilisierung, auch die frühen indischen Diasporas in Afrika und Südostasien als Markt und als Produktionsort für indische Filme. Ravi Vasudevan erörterte dann die Situation des Films im indischen Nationalstaat ab 1947, die Politik der nationalen Protektion auch des Films und die Umorientierung auf den nationalen Markt, die Unterstützung durch staatliche Subventionen, aber auch die nationale Kontrolle und Besteuerung der Filme. Er ging dann auf die globale Situation der letzten 15 Jahre ein, auf die Einwerbung von ausländischem Kapital, die Aufwertung des Films zusammen mit anderen Bereichen der Kultur, die Bedeutung des indischen Films außerhalb Indiens, aber auch auf das neue Problem des Schutzes von Filmautorenrechten in Regionen mit starkem Analphabetismus.

Nirmal Puwar (University of London) berichtete von ihrer Forschung über die Rolle der asiatischen Immigranten in der europäischen Öffentlichkeit. Sie untersucht auf der einen Seite die nationale europäische Erinnerungskultur am Beispiel Englands und die Verdrängung der historischen Erfahrungen von Immigranten und Immigrantenkindern bei der Erfindung des nationalen Erinnerungskonsenses, auf der anderen Seite die Entstehung einer ethnischen Öffentlichkeit der Immigranten in Großbritannien schon seit dem 2. Weltkrieg, die heute zum Teil schon Gegenstand der ethnischen Nostalgie geworden ist.

6. Schlussbemerkungen

In seinem Schlusswort zog Robert Frank (Sorbonne, Paris I) eine Bilanz der Tagung. Er ging nochmals auf zwei Hauptthemen der Tagung ein, einerseits auf das große Gewicht der Europäschen Union, auch des Europarats, bei der Entstehung einer europäischen Öffentlichkeit der Medien und andererseits auf die Europäisierung der Öffentlichkeit in Europa. Mit Europäisierung sprach er im Zusammenhang mit der Öffentlichkeit vor allem drei Tendenzen an: die Transition, der Übergang von Diktaturen zu Demokratien, wie sie zuletzt in den neuen Mitgliedstaaten der Europäischen Union in Ostmitteleuropa stattgefunden hatte; das Problem der Herausbildung von Hierarchien zwischen europäischen Ländern, auch zwischen Europa und außereuropäischen Ländern; schließlich den starken Einfluss der europäischen Integration auf die europäischen Gesellschaften der alten wie der neuen Mitgliedsländer, darunter auch auf den Bereich, der in dieser Tagung im Zentrum stand, auf die Medien und die Medienöffentlichkeit.

Der Workshop wurde finanziert aus Mitteln des französischen Forschungsministeriums, des UMR CNRS „Irice – Identités, relations internationales et civilisations de l’Europe“ (Sorbonne Paris I), des SFB 640 “Repräsentationen sozialer Ordnungen im Wandel“ Berlin, der Humboldt-Universität zu Berlin und der Europäischen Kommission. Ein weiterer Workshop zur Geschichte der europäischen Öffentlichkeit ist geplant.

http://www.repraesentationen.de
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