Nationale Freiheitskonzepte und Beziehungsgeschichte in Mittel- und Osteuropa

Nationale Freiheitskonzepte und Beziehungsgeschichte in Mittel- und Osteuropa

Organisatoren
Johann-Gottfried-Herder-Institut Marburg; Geisteswissenschaftliches Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas Leipzig; Nordost-Instituts Lüneburg; Historisches Institut der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg; Kommission für die Geschichte der Deutschen in Polen
Ort
Gießen
Land
Deutschland
Vom - Bis
06.10.2006 - 07.10.2006
Url der Konferenzwebsite
Von
Jens M. Boysen, Institut für Slavistik der Universtät Leipzig

Zur Feier des 75. Geburtstags von Klaus Zernack, der als einer der gestaltungsmächtigsten Vertreter der deutschen Geschichtswissenschaft über Osteuropa, insbesonders für die Historiografie der von ihm selbst terminologisch wesentlich geprägten Region Ostmitteleuropa gelten darf, fand am 6.-7. Oktober in Gießen ein Wissenschaftliches Kolloquium statt. Veranstalter war ein ‚Konsortium’ einiger der wichtigsten Institutionen der deutschen Ostmitteleuropaforschung: des Johann-Gottfried-Herder-Instituts Marburg, des Geisteswissenschaftlichen Zentrums Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas Leipzig, des Nordost-Instituts Lüneburg, des Historischen Instituts der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie der Kommission für die Geschichte der Deutschen in Polen. Als Gastgeber für die zahlreichen, vor allem aus Deutschland und Polen angereisten Gäste fungierte nicht von ungefähr das Historische Institut der Justus-Liebig-Universität Gießen: Hier hatte Klaus Zernack als Assistent in den 1960er Jahren seine Karriere begonnen, die ihn später über Frankfurt am Main und erneut Gießen schließlich nach Berlin führte. Als Leitthema für das in vier Themenblöcken ablaufende Kolloquium hatten die Veranstalter Hans-Jürgen Bömelburg, Markus Krzoska und Jürgen Heyde „Nationale Freiheitskonzepte und Beziehungsgeschichte in Mittel- und Osteuropa“ gewählt. Wie Markus Krzoska in seiner Begrüßung ausführte, bietet sich der Begriff „Freiheit“ mit seinen vielen räumlich, zeitlich, kulturell und sozial bedingten Definitionen gerade im adelsdominierten „jagiellonischen“ Ostmitteleuropa als perspektivischer Ansatzpunkt zur Rekonstruktion von historischen Gesellschaften sowie deren Erinnerungskulturen und Wertesystemen an. Die Vorträge der Tagung spürten dieser Leitfrage über einen weiten regionalgeschichtlichen Horizont nach, indem sie Ostmitteleuropa ebenso auf der Suche nach „Freiheiten“ durchstreiften wie den rußländischen Raum, wobei die in vielen von Klaus Zernacks Arbeiten hervorgehobene ‚Zwischenregion’ der „reußischen Lande“ und Litauens einen wichtigen Platz einnahm.

Die von Jörg Hackmann (Greifswald) geleitete erste Sektion „Nationale Freiheitskonzepte als moderne Identifikationsorte und Abgrenzungsentwürfe“ eröffnete Martin Aust (Kiel) mit Reflexionen über die Verfilmungen der literarischen kresy-Klassiker „Pan Tadeusz“ von Adam Mickiewicz – durch Andrzej Wajda – und „Ogniem i mieczem“ von Henryk Sienkiewicz – durch Andrzej Hoffman. Während Wajda primär binnenzentriert für das polnische Publikum gearbeitet, Hoffman hingegen auch das ukrainische Publikum als Rezipienten im Auge gehabt habe – und „Ogniem i mieczem“ genrebedingt reicher an „Action“-Szenen sei –, seien beide Verfilmungen im von Jerzy Giedroyć und der Exilzeitschrift Kultura geprägten Geist der Verständigung zwischen den Polen und ihren östlichen Nachbarvölkern gehalten. In beiden Werken könne man den allmählichen Übergang der Erinnerung an die alte Rzeczpospolita vom kollektiven ins kulturelle Gedächtnis und eine damit einhergehende Ästhetisierung und ‚Entpolitisierung’ beobachten. Aust schlug dabei eine Parallele zu den historischen Aneignungsprozessen der letzten Jahre in Deutschland durch Filmdramen wie „Dresden“. Ein anderes Beispiel für den Versuch einer Versöhnung kollektiver Gedächtnisse beschrieb Katrin Steffen (Warschau) anhand des polnisch-jüdischen Dialogs nach 1945. Schon in der Zwischenkriegszeit hätten sich die (christlich-)polnischen bzw. jüdischen Lebenssphären auseinanderentwickelt und sei die in den Aufständen des 19. Jahrhunderts gewachsene Tradition jüdischen Engagements für die „polnische Freiheit“ – mit impliziter jüdischer Emanzipation – erodiert. Im polnischen Judentum der Zweiten Republik sei daher der links-säkulare „Bund“ tonangebend gewesen, und er allein habe nach 1945 Eingang in das offizielle polnische Geschichtsbild gefunden. „Rechte“, d.h. jüdisch und zugleich nationalpolnisch eingestellte Gruppen wie der „Jüdische Militärverband“, seien sowohl in Volkspolen als auch in Israel und vom „bundistischen“ Gedächtnis totgeschwiegen worden, nicht zuletzt, weil sie eine Verbindung zwischen den Aufständen von 1943 und 1944 verkörperten. Die Erinnerung an diese beiden so unterschiedlichen Ereignisse sei seit Kriegsende ein ständiger ‚Zankapfel’ zwischen dem polnisch-jüdischen, polnischen und israelischen kollektiven Gedächtnis gewesen. Dadurch, dass in Polen aus Rücksicht auf die Sowjetunion an den ‚nationalen’ Warschauer Aufstand nicht habe erinnert werden können, dafür ersatzweise der jüdische Ghettoaufstand als „polnisch“ reklamiert worden sei, habe sich im nationalpolnischen Gedächtnis die Legende der „Judäokommune“ als Fremdherrschaft gefestigt. So lasse sich in unserer Zeit, im Kontext der neuen „Geschichtspolitik“ (polityka historyczna), die Tendenz zu einer Purifizierung des nationalen Gedächtnisses sowie zu einer „Judaisierung“ alles (vermeintlich) Fremden beobachten. In seinem Kommentar konstatierte Błażej Białkowski (Berlin) eine Grauzone zwischen „aufklärerischer“ Geschichtswissenschaft und „mythenbildender“ Gedächtniskultur in Polen. „Moralische“ Postulate des nationalen Gedächtnisses nähmen starken Einfluss auf viele Vertreter des akademischen Fachs, die zugleich wenig selbstreflexiv einer neo-rankeanischen und ästhetisierenden Tendenz folgten und sich politisch instrumentalisieren ließen. Die folgende Diskussion fokussierte zum einen auf das Nebeneinander des nationalpolnischen mit einem ‚progressiv’-pluralistischen Gedächtnisdiskurs. Dies drücke sich exemplarisch in den gegenwärtig parallel durchgeführten Bauvorhaben für das „Museum der Geschichte Polens“ bzw. das „Jüdische Museum“ aus, die laut Katrin Steffen möglicherweise unterschiedliche Klientele anziehen würden. Schon das jüdische Ghettodenkmal sei faute de mieux Treffpunkt der antikommunistischen Opposition gewesen. Robert Traba betonte dagegen die Stärke des offenen Geschichtsbildes nach Jerzy Giedroyć. Zum anderen monierten Hubert Orłowski und Błażej Białkowski das Überwiegen der Ereignisgeschichte gegenüber der Sozial- und Begriffsgeschichte in Polen; dies wurde von Klaus Zernack als Kompensation einer – im „Realsozialismus“ – vorangehenden Dominanz sozialgeschichtlicher Themen interpretiert. Über die ‚Botschaft’ der Werke von Mickiewicz und Sienkiewicz bzw. ihrer Adaptionen schließlich wurden unterschiedliche Meinungen geäußert; das bezog sich vor allem auf die Frage nach dem relativen Gewicht polonozentrischer „adelsrepublikanischer“ bzw. ‚föderal-multikultureller’ Wertbegriffe.

Die zweite, im Mittelalter angesiedelte Sektion „Zwischen städtischen Freiheiten und ‚Undeutschen’“ (unter Leitung von Jan M. Piskorski, Stettin) thematisierte die Bedeutung der stadtrechtlichen Entwicklung in Ostmitteleuropa. Norbert Kersken (Marburg) stellte in einem interregionalen Vergleich die Landesgeschichte Livlands derjenigen der Oberlausitz gegenüber. In beiden Regionen hätten sich ab dem 13. Jahrhundert, bei einem Fehlen einheimischer Dynastien, komplexe, von starken Städten und Ständen gekennzeichnete Herrschaftsverhältnisse herausgebildet; erst in der Frühen Neuzeit hätten externe Mächte die Strukturen massiv beeinflusst. Während in beiden Fällen die Eliten deutsch bzw. deutschorientiert gewesen seien, habe es nur in der Oberlausitz auch eine deutschbäuerliche Siedlung gegeben. Eine Gemeinsamkeit habe aber der durchgängig hohe Anteil Nichtdeutscher an der Gesamtbevölkerung gebildet (in Livland 75%, in der Oberlausitz 50%). Dabei lasse sich in den rund ¼ der Bevölkerung umfassenden Städten seit dem 16. Jahrhundert feststellen, dass versucht wurde, die Zuwanderung aus dem großenteils nichtdeutschen Umland zu begrenzen. Dies sei aber nur scheinbar ‚ethnopolitisch’ motiviert gewesen, vielmehr sei diese Beschränkung des Bürgerrechts eine Maßnahme zur Sicherung des städtischen Besitzstandes gegen mögliche Erbnehmer auf dem Lande gewesen sowie, seitens der Zünfte, zur Abwehr zusätzlicher Konkurrenz. Sławomir Gawlas (Warschau) beschrieb am Beispiel Polens einige der Auswirkungen der deutsch(rechtlich)en Ostsiedlung auf die Sozialbeziehungen des Landes, insbesondere auf das politische Machtdreieck König-Adel-Städte. In neuen oder neugegründeten Städten habe der König durch die Errichtung zentraler Handelshallen, die für die Kaufleute zwingende Anlaufstellen waren, seinen Einfluss auf bzw. seinen Anteil am Geldumlauf gesichert. In Schlesien hätten besonders im Geltungsbereich des Neumärkter Rechts auch kleinere Städte, zumal beim Wiederaufbau nach dem Mongolensturm, eine eigenständige Rolle gespielt; ethnische Abgrenzungen habe es dabei nicht gegeben. Erst unter Kazimierz III. sei hier eine Angleichung an die allgemeine polnische Rechtslage erfolgt. Seitdem und besonders unter den Wahlkönigen seien die Städte immer stärker in Abhängigkeit vom Adel geraten. Christian Lübke (Greifswald) hob in seinem Kommentar den städtischen Kontext für den ethnischen Kontakt von Deutschen und „Undeutschen“ sowie die Grenzlage beider Regionen als sinnvolle Rahmensetzungen für den Vergleich von Kersken hervor. Da das Ethnos kein Kriterium für das rechtliche und kulturelle Zusammenleben gewesen sei, habe diese Art städtischer Freiheit(en) den Fortbestand ethnisch-kultureller Vielfalt befördert. Anschließend an Gawlas merkte er an, außerhalb Schlesiens hätten sich die anfangs von deutschem Bürgertum geprägten Städte keine gleichberechtigte Rolle im Machtdreieck der „Adelsrepublik“ sichern können, sondern seien zunächst dem königlichen, später dem adligen Primat unterlegen. Im Osten sei in den Städten durchweg eine ethnische und konfessionelle Differenzierung der Bürger feststellbar, die auch zur dauernden Absonderung vom ländlichen Umfeld geführt habe. Besonders markant sei das Beispiel der räumlichen lateinisch-orthodoxen sowie weiterer religiöser Trennlinien innerhalb gemischter Städte wie z.B. Lemberg.

In der Frühneuzeit-Sektion machte Winfried Eberhard (Leipzig) am Beispiel Böhmens deutlich, dass es sich bei den „Landesfreiheiten“ entgegen der Fama nicht um königliche Privilegien, sondern um von den Ständen gegen den monarchischen Anspruch auf plena potestas erkämpfte, positive Rechtstitel mit ‚Verfassungsrang’ gehandelt habe. Besonders seit dem Ständeaufstand von 1547 und bis zur Confoederatio Bohemica von 1619 hätten die Stände eine Art „Adelsrepublik“ nach polnischem Muster angestrebt, mit dezentraler Ämterbesetzung und Rechtsprechung sowie konfessioneller Toleranz. Mathias Niendorf (Kiel) fragte nach einem litauischen Pendant zur „polnischen Libertät“, welches das Bild von der völligen Abhängigkeit Litauens von Polen nach der Realunion von 1569 in Frage stellen könnte, und konstatierte dabei einen Nachholbedarf der Forschung in philologischer wie in rechtsgeschichtlicher Hinsicht. Dem mit der „polnischen Libertät“ begründeten Führungsanspruch der Szlachta hätten einige litauische Autoren, um dem eigenen Adel die Gleichberechtigung zu sichern, eine analoge Idee litauischer Freiheitstraditionen entgegengestellt; dies habe sich etwa im dritten Litauischen Statut (von 1588) niedergeschlagen. Ins Moskau der Frühen Neuzeit führte der Vortrag von Cornelia Soldat (Berlin). Als Ersatz für die inexistente Adelsopposition und ähnlich europäischen Fürstenspiegeln hätten Ratgeber wie z.B. Josif Volockij die Handlungsfreiheit der Zaren durch ‚Rückbindung’ an orthodoxe ethische Imperative begrenzt und beeinflußt. Ziel des Ganzen sei die konservative Stabilisierung des Reiches im Sinne des Ideals monistischer Einmütigkeit (sobornost’) gewesen – nach Michael G. Müller ein „eklatant anderer“ Freiheitsbegriff als in Ostmitteleuropa. Michael Schippan (Wolfenbüttel) schließlich verglich russische und polnische Freiheitsbegriffe zur Zeit der Aufklärung im späten 18. Jahrhundert. Dabei stellte er für Russland begriffsgeschichtlich svoboda – als spezifische Rechtsstellung bzw. Privileg – und volja – als Freiheit von fremdem Willen – einander gegenüber. Wie in Polen sei „Despotie“ als Feindbegriff verwandt worden; dort jedoch sei man von der Idee äußerer Freiheitssicherung zu einem Konzept gemeinnütziger Gesetzlichkeit fortgeschritten. Während Kant und die deutsche Aufklärung in beiden Ländern wenig rezipiert worden sei, hätten die Polen etwa Rousseau politisch interpretiert (staatliche Freiheit), die Russen hingegen moralisch (innere Freiheit). In seinem kreativen Kommentar mahnte Heinz Schilling (Berlin) – ausdrücklich als ‚Nicht-Ostfachmann’ – eine offensive Erforschung der ostmitteleuropäischen Freiheitsideen und -realien gegenüber der dominanten Geschichte der Freiheit als „western story“ an. Dies solle auf drei Ebenen geschehen: der Ideengeschichte, der konkreten sozialen Manifestation von „Freiheiten“ sowie ihrer institutionellen Verankerung und Verbreitung. Bemerkenswert sei die in ganz Europa zu findende mythische Projektion von Freiheitsideen auf die jeweiligen frühgeschichtlichen Vorfahren (Bataver in Holland, Goten in Schweden usw.). Von der Forschung zu beachten seien Spannungen und Wechselwirkungen zwischen individuellen und kollektiven Freiheitsansprüchen bzw. zwischen ‚aktivistischen’ und ‚legalistischen’ Ansätzen sowie die soziale Gebundenheit dieser Ideen. Langfristig könne so eine auf Freiheitsideen, aber auch auf Eigentums- und Arbeitsverfassungen sowie religiösen Aspekten basierende „Komparatistik der Weltzivilisationen“ entstehen; Europa setzte sich demnach aus einem „lateinisch-europäischen“ und einem „orthodox-europäischen Zivilisationstyp“ zusammen. Dieser Gedanke wurde allerdings von mehreren Diskutanten aus der Perspektive eines integrierten regionalgeschichtlichen Osteuropabegriffs skeptisch betrachtet.

Auch die vierte Sektion „Entgrenzte Freiheitsdiskurse im 19. Jahrhundert“ blieb räumlich im Russ(länd)ischen Reich. Hans Lemberg (Marburg) griff in seiner Analyse des Denkens der Dekabristen die Begriffe volja und svoboda auf und verwies anhand von Verhörprotokollen auf die Bedeutung des westlichen Liberalismus einerseits und ‚altrussischer’, mit dem veče-Parlament verbundener Freiheitsideen andererseits für deren Gesellschaftskonzepte. Jörn Happel (Basel) beleuchtete anhand von Flugblättern und Briefen Rezeptionen der bzw. Reaktionen auf die Revolution von 1848 in den russländischen Randgebieten. Hier hätten offenbar polnische Akteure – im Interesse eigener nationaler Unabhängigkeit – versucht, die verschiedenen Bevölkerungsgruppen unter Verweis auf den „asiatischen“ Charakter der Autokratie gegen diese aufzustacheln. Martin Schulze-Wessel (München) schließlich fragte nach dem Verhältnis nationaler und universaler Elemente in russischen Freiheitsdiskursen im Umfeld der Bauernbefreiung von 1861. Dabei unterschied er einen primär von liberalen Historikern geführten, mit konstitutionellem Denken verknüpften politischen von einem religiös geprägten moralischen Diskurs adliger „Bringschuld“; letzterer habe auch den Erwartungen der Bauern entsprochen. Der Kommentator Andreas Lawaty (Lüneburg) hob die ideen- und begriffsgeschichtlichen Verschiebungen beim Übergang vom 18. ins 19. Jahrhundert hervor. In diesem seien Kollektivideen wie die Nation vorherrschend geworden und dabei verschiedene Formen eines ‚Abgleichs’ zwischen innerer und äußerer Freiheit erfolgt. Außerdem mache gerade der universelle Gebrauch von Begriffen wie „Freiheit“ deren regionale und kulturell differenzierte Bestimmung notwendig.

Dem wurde in der Abschlussdiskussion generell zugestimmt. Laut Michael G. Müller und Hubert Orłowski bedarf es sowohl eines Handlungsbezuges der benutzten Begriffe als auch einer Rekonstruktion der jeweiligen kommunikativen Situation. Klaus Zernack betonte die durchgängige „Europäizität“ der in Osteuropa gebrauchten Begriffe; als einen Niederschlag hiervon nannte er den komparativen Blick der polnischen Historiografie auf die Freiheitstraditionen des Alten Reiches. Zuletzt warfen Martin Schulze-Wessel und Winfried Eberhard die Frage nach der Bedeutung katholischer bzw. protestantischer Weltbilder für die menschliche Freiheit auf. Dabei habe das Luthertum sowohl gegen den (aufgeklärten) Katholizismus als auch gegen radikale protestantische Strömungen und deren Glauben an die Perfektibilität des Menschen seine demutsvolle Orientierung auf die Gnade Gottes gesetzt. Insgesamt spiegelte das illuster besetzte Kolloquium die unterstellte Vielfalt der Freiheitsbegriffe wider, aber auch die Schwierigkeit, eine mehr oder weniger tragfähige Typologie zu erarbeiten – sofern man das überhaupt wollte. Dass es die historischen Gesellschaften Ost- bzw. Ostmitteleuropas jedoch grundsätzlich verdienen, in ihrer ideengeschichtlichen Kreativität gleichberechtigt mit den Nationen des „Westens“ gewürdigt zu werden – und dass mithin die oft schmerzhafte Selbstbefragung des Fachs Osteuropäische Geschichte nie bis zur Selbstverleugnung zu gehen braucht –, das durfte man als Fazit der Tagung getrost nach Hause tragen.


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