Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft Geschichte und EDV 2006

Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft Geschichte und EDV 2006

Organisatoren
Arbeitsgemeinschaft Geschichte und EDV e.V. [organisiert von Dr. Andreas Kohring, Humboldt-Universität zu Berlin]
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
30.11.2006 - 01.12.2006
Url der Konferenzwebsite
Von
Kerstin Droß, Seminar für Alte Geschichte, Philipps-Universität Marburg

Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft Geschichte und EDV e.V. 2006

Auch 2006 traf die Arbeitsgemeinschaft „Geschichte und EDV e.V.“ (AGE) wieder zu Ihrer Jahrestagung zusammen, um Erfahrungen auszutauschen und neue Projekte kennen zu lernen.
Diesmal fand das Treffen am 30. November und 1. Dezember 2006 in Räumen der Humboldt-Universität zu Berlin (HU Berlin) statt, wo sich etwa 30 Mitglieder des Vereins und Interessierte eingefunden hatten. In gewohnter Manier bestand die Tagung aus zwei Teilen: Am ersten Tag stand zunächst im Rahmen eines anwendungsbezogenen Workshops das Themenfeld „Augmented and Blended Learning“ im Mittelpunkt, bevor der Gruppe am zweiten Tag durch Vorträge verschiedener Referenten Einblicke in aktuelle Projekte gewährt wurden.

Nach einleitenden Grußworten von Andreas Kohring (HU Berlin) und des Vorsitzenden der AGE, Kai Ruffing (Universität Marburg), eröffnete Christian Grune (HU Berlin) mit dem ersten Teil des Workshops zum Thema „Augmented Learning“. Anhand von vier Szenarien gab er mögliche Ausblicke in die Zukunft des e-Learning und ließ die Tagungsteilnehmer in Kleingruppen Kernideen zu den Möglichkeiten der elektronischen Unterstützung von Lernprozessen und zu neuen Ansätzen auf diesem Gebiet diskutieren. Die Teilnehmer einigten sich schnell darauf, dass der Inhalt, also der eigentliche Lernstoff, den Ausgangspunkt und das Zentrum der Betrachtung darstellen müsse, während e-Learning als Unterstützung verstanden werden und nicht zum reinen Selbstzweck eingesetzt werden sollte. Auch wurden Stimmen laut, die auf das Problemfeld der technischen Kompetenzen sowohl auf Seiten der Lehrenden, aber auch auf Seiten der Lernenden hinwiesen.
Nach dieser eher grundsätzlichen Einführung in das Thema übernahm Tilmann Lohse (HU Berlin) den Staffelstab und gab eine Einführung in ein konkretes Anwendungsbeispiel, nämlich das Lernmanagementsystem Moodle, das an der HU Berlin genutzt wird. Diese Arbeitsplattform im Netz dient zum einen zur Unterstützung der Präsenzlehre (z.B. Distribution von Materialien, Erteilung von Arbeitsaufträgen) und ermöglicht zum anderen interaktives und kollaboratives Lernen der Studierenden, die hier als Ersatz für ein Referat ein auf dem Prinzip der freien Enzyklopädie Wikipedia basierendes „Wiki“ anlegen. Außerdem wird Moodle für ein online-Tutorium genutzt, auf das viele mediävistische Proseminare Bezug nehmen.
In der sich anschließenden Diskussion wurde schnell die Frage nach dem Mehrwert dieses System für die Studierenden sowie nach dem Arbeitsaufwand für die jeweiligen Dozenten laut. Besonders die Möglichkeit, durch das Anlegen eines Wikis die Referate in einem Proseminar zu ersetzen, wurde kritisch beäugt. Die Problematik, wie bei online-Systemen der Gefahr von „Gruppenarbeiten“ bzw. bewussten Täuschungen begegnet werden kann, konnte an dieser Stelle nur angesprochen, nicht aber abschließend geklärt werden.
Als Abschluss des ersten Tages zeigte Andreas Kohring (HU Berlin) weitere Anwendungsmöglichkeiten von Moodle als Kommunikationsplattform zur Studienorganisation. So können beispielsweise Studienverlaufspläne abgebildet, Kursanmeldungen organisiert, zielgruppenspezifische Informationen eingestellt und virtuelle Versionen von Seminar-Ordnern hinterlegt werden. Die Tagungsteilnehmer zeigten sich beeindruckt von der Arbeitserleichterung und Systematisierung, die Moodle und vergleichbare Produkte in bezug auf organisatorische Aufgaben bieten. Beeindruckend ist auch die Akzeptanz des Systems auf studentischer Seite: Über 90% der Studienanfänger am historischen Institut der HU Berlin des Wintersemesters 2006/07 sind bereits in Moodle registriert.
Den Ausführungen zu Augmented and Blended Learning folgte dann die Jahresversammlung der AGE.

Den zweiten Tagungstag eröffnete Rüdiger Hohls (HU Berlin), Mitherausgeber der Internetplattform H-Soz-u-Kult (Humanities. Sozial- und Kulturgeschichte, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/) und von Clio-online (http://www.clio-online.de/). Er stellte das Projekt Clio-online vor, das als Fachportal für die Geschichtswissenschaften und als Kooperationsprojekt von H-Soz-u-Kult seit Mai 2002 mit den Ziel der Bündelung von Fachinformationen, zur Erschließung neuer Publikationsformen und als Forum zum Austausch von Forschungsergebnissen und Forschungsmeinungen - finanziert durch Fördermittel der DFG - ins Leben gerufen wurde.
H-Soz-u-Kult, als Element von Clio-online ist ein von etwa 30 Fachwissenschaftlern in verschiedenen Fachredaktionen moderiertes Informations- und Kommunikationsnetzwerk für professionell tätige Historikerinnen und Historiker. Die Fachredaktion nutzt dabei ein webgestütztes Redaktionssystem, das auf dem Konzept einer sogenannten moderierten Mailingliste basiert. Die registrierten Abonnenten bekommen automatisiert alle elektronischen Listennachrichten in ihre Mail-Boxen zugestellt, nachdem diese von den Redakteuren auf ihre fachwissenschaftliche Relevanz hin geprüft worden sind. Seit 1996 hat sich H-Soz-u-Kult zu einem zentralen Angebot der historischen Fachinformation im deutschsprachigen Raum entwickelt; im Herbst 2006 waren knapp 14.000 Personen als Abonnenten aus fast allen geschichtswissenschaftlichen Einrichtungen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz registriert. Dabei setzen sich die Nutzer mehrheitlich aus Wissenschaftern und Akademikern zusammen, lediglich 15% der Subskribenten sind Studierende historischer Wissenschaften, die Gruppe der Lehrer und Schüler ist in noch geringerer Zahl vertreten.
Als weitere Module von Clio-online wurden noch die hybrid erscheinende Zeitschrift „Zeithistorische Forschungen“ (http://www.zeithistorische-forschungen.de) sowie das Portal „Zeitgeschichte-online“ (http://www.zeitgeschichte-online.de) vorgestellt. Die „Zeithistorischen Forschungen“ erscheinen seit 2004 im Verlag Vanderhoeck & Ruprecht in gedruckter und parallel auch in elektronischer Form. Ebenfalls hybrid erscheint die Zeitschrift „Historische Literatur (http://www.edoc.hu-berlin.de/e_histlist/). Das Themenportal Zeitgeschichte-online, das seit 2004 verfügbar ist, verfolgt das Ziel, einen zentralen Einstiegspunkt in das WWW für die Zeitgeschichte im deutschsprachigen Raum anzubieten und auszubauen. Die Webangebote von H-Soz-u-Kult werden aktuell monatlich von circa 160.000 Nutzern, die von Clio-online und Zeitgeschichte-online von etwa 20.000 Nutzern pro Monat verwendet. Clio-online ist somit über seine verschiedenen Module in der Lage, einen umfassenden Überblick über Fachinformationen aus dem Gebiet der Geschichtswissenschaft zu geben.

Im Anschluss stellte Honorata Frings gemeinsam mit Peter Kehne (beide Universität Hannover) „Qualitätskriterien zur Bewertung althistorisch relevanter Homepages“ vor. Im Rahmen ihrer Magisterarbeit hatte sie am Beispiel der Internetseiten zu den Themen Kalkriese und der Varusschlacht einen Kriterienkatalog erstellt, der Nutzern die Beurteilung von Internetseiten mit althistorischen Inhalten erleichtern soll. Ein solcher Kriterienkatalog sei notwendig geworden, so führte sie aus, da das Internet auch unqualifizierten Personen Publikationsmöglichkeiten eröffne. An den Universitäten führe darüber hinaus das im Vergleich zu früher geringere Grundwissen und die größere Zugänglichkeit von Medien häufig dazu, dass sich Studierende einen Überblick zu einem Thema zunächst über das Internet verschaffen und die dort veröffentlichten Inhalte unkritisch übernehmen. Die Erstellung von Qualitätskriterien an Hand derer man eine Homepage beurteilen kann, soll hier Abhilfe schaffen und ebenso eine Hilfestellung bei der Gestaltung eigener Internetseiten bieten. Die anzulegenden Kriterien teilen sich in die Gruppen „Allgemeine Kriterien“ (wie z. B. Titel, Verfasser, Qualifikation des Verfassers, Erreichbarkeit der Seite, Erstellungs- und Update-Daten, Möglichkeit zur Kontaktaufnahme), „Inhaltliche Kriterien“ und „Layout-Kriterien“ auf. Die Anwendung des Kriterienkataloges in bezug auf „Allgemeine“ und „Layout“-Kriterien wurde dann mittels zweier Beispiele vorgestellt, namentlich einem studentischen Projekt der Universität Osnabrück (http://www.geschichte.uni-osnabrueck.de/projekt/start.html) und einer Internetseite eines Geschichtsgrundkurses am Gymnasium Bad Essen (http://www.geschichtsatlas.de/~ga1/homepage/index.htm). Inhaltliche Aspekte mussten leider auf Grund der Kürze der Zeit ausgeklammert bleiben.
In der sich an den Vortrag anschließenden Diskussion wurde u.a. der Wunsch laut, dem Kriterienkatalog eine Möglichkeit zur Evaluierung der Homepages hinzuzufügen. Außerdem wurde darauf hingewiesen, dass man bei der Beurteilung stets auch die Frage nach der jeweiligen Zielgruppe sowie die Initiatoren eines Internetauftrittes zu berücksichtigen habe, da man an eine Schulklasse nicht dieselben Maßstäbe wie an ein universitäres Projekt anlegen dürfe.

Daniel Gejic und Jörn Kobes (beide Universität Frankfurt) gaben im Anschluss einen Einblick in ein konkretes Anwendungsbeispiel von eLearning, wie es an der Frankfurter Goethe-Universität praktiziert wird: „WebQuest. – Projekt Megadigitale Universität Frankfurt“. WebQuest bedeutet sinngemäß, so erläuterte Daniel Gejic, eine „abenteuerliche Spurensuche im Internet unter Anleitung“. Es handelt sich dabei also um eine auf Nachforschung angelegte Lernaktivität, wobei die zu verwendenden Informationsbasen von den Lehrenden vorgegeben werden und primär aus dem Internet stammen.
Das Frankfurter WebQuest wurde ganz konkret entwickelt, um den Problemen der unkritischen Übernahme von online-Inhalten, wie sie vor allem in Proseminaren auftreten, zu begegnen und die Studierenden mit Hilfe von eLeaning zu unterstützen. Die Studierenden sollen im Rahmen dieses WebQuests mit Hilfe der dort hinterlegten Materialien aus dem Internet und aus der „klassischen“ Bibliothek einen Kriterienkatalog erarbeiten und anwenden, mit dem sie sicher mit Informationen aus dem Internet umgehen können.
Das vorgestellte WebQuest hat das Thema „Die brennende Bibliothek von Alexandria“ (http://user.uni-frankfurt.de/~gejic/alexandria/). Es wird zurzeit am Seminar für Didaktik an der Frankfurter Universität eingesetzt. Die Kernfragen, die die Studierenden mit Hilfe der von Gejic und Kobes zusammengestellten Internetseiten, Sekundärliteratur und Quellentexte beantworten sollen, sind hier: Wann wurde die Bibliothek des antiken Alexandria zerstört? Was sagen die antiken Überlieferungen dazu, was die moderne, was die ältere Forschungsliteratur, was steht dazu im Internet und worauf basieren die Aussagen der einzelnen Autoren eigentlich?
Durch konkrete Arbeitsaufträge werden die gewonnenen Erkenntnisse der Studierenden unmittelbar anwendbar gemacht. Als Abschlussaufgabe gilt es nämlich, entweder einen Lexikon-Artikel nach dem Vorbild der freien Enzyklopädie Wikipedia, einen Artikel für eine populärwissenschaftliche Zeitung oder ein Drehbuch für eine historische Dokumentation über den Brand der alexandrinischen Bibliothek zu verfassen.
Das Interesse an dieser Form des e-Learning war groß. Besonders angetan zeigten sich die Tagungsteilnehmer von dem Angebot der Frankfurter, das auf einem HTML-Code basierende Gerüst des WebQuestes weiter zu geben, so dass ähnliche Projekte z.B. zur Varusschlacht oder zum Anschlag der 95 Thesen Martin Luthers auch an anderen Universitäten initiiert werden könnten. Dadurch reduziert sich der Zeitaufwand zur Erstellung eines solchen WebQuestes für die Lehrenden erheblich. Ergänzend wurde noch eingeworfen, dass eine solche angeleitete Suche mit einer konkreten Vorgabe des zu verwendeten Materials immer nur einen ersten Schritt in der Ausbildung von Studierenden darstellen könne, da ja gerade auf dem Gebiet der historischen Forschung das selbständige Recherchieren von großer Bedeutung sei.

Danach stellte Simone Rieger (MPI Wissenschaftsgeschichte, Berlin) den Tagungsteilnehmern das „ECHO-Projekt“ (http://www.echo-project.eu) vor. Das europäische Projekt ECHO (European Cultural Heritage Online) wurde im Dezember 2002 offiziell gestartet und in der Folge für 18 Monate mit einer Summe von 1,6 Mio. € von der EU gefördert. An dem Projekt, das auf eine Initiative der Max-Planck-Gesellschaft zurückgeht, beteiligen sich 16 Partner aus 9 europäischen Ländern. ECHO versucht dem Problem zu begegnen, dass über das Internet zu wenig qualitativ hochwertige Primärdaten verfügbar sind, bzw. dass oftmals kein freier Zugang zu solchem Datenmaterial besteht. Ziel ist es, das kulturelle Erbe der Menschheit einem großen Personenkreis frei zugänglich zu machen und den freien Austausch von Informationen auch zwischen den einzelnen Fachdisziplinen zu fördern. Frei zugänglich sind durch diese lobenswerte Initiative mittlerweile über 170.000 Dokumente aus so unterschiedlichen Disziplinen wie Archäologie, Wissenschaftsgeschichte, Philologie, Philosophie, Botanik oder der Geschichte des Schiffbaus.
Im Anschluss machte sich Markus Heller (München) Gedanken über Open access, also die internationale Initiative, wissenschaftliche Literatur und Materialien im Internet frei, d.h. kostenlos und ohne Lizenzbeschränkungen, öffentlich zugänglich zu machen. In diesem Zusammenhang präsentierte er eine Auswahl aktuell gültiger Gesetzestextes zum Urheberrecht.

Als Ergänzung des Tagungsprogramms gab Elmar Rettinger (Universität Mainz) im Folgenden einen kurzen Einblick in die aktuellen Entwicklungen am Institut für geschichtliche Landekunde an der Universität Mainz e.V. (http://www.igl.uni-mainz.de). Bereits 2004 hatte er auf der Jahrestagung der AGE e.V. das dort angesiedelte Projekt „Regio-Net History“, ein Internetportal für die Geschichte Rheinhessens und gleichzeitig ein Netzwerk für Geschichtsvereine, Institutionen und Einzelinitiativen vorgestellt. Dieses Projekt ist in der Zwischenzeit um die Region Mittelrhein erweitert worden (http://www.mittelrhein.regionalgeschichte.net (10.12.2006]). Außerdem entstehen in Mainz aktuell ein digitales Flurnamenlexikon (DFL), eine Datenbank zu den Inschriften Mittelrhein und Hunsrück sowie ein Projekt zur Herrschaft Metternich-Burscheid.

Hans-Ulrich Kamke (HU Berlin) war es vorbehalten, den Abschlussvortrag der Jahrestagung 2006 zu halten. Er stellte den Fernstudiengang „Bibliotheks- und Informationswissenschaft“ der HU Berlin vor. Nach einem kurzen historischen Überblick über die Ausbildung von Bibliothekaren für den höheren Dienst ging er auf den postgradualen Studiengang „Bibliotheks- und Informationswissenschaft“ ein, der von der HU Berlin u.a. als Fernstudium durchgeführt wird (http://www.ib.hu-berlin.de). Das Studium wird mit dem Titel „Master of Arts - Library and Information Science“ abgeschlossen. Sämtliche Lehrunterlagen werden über das Internet zur Verfügung gestellt. Das Fernstudium ist eine Kombination von Selbststudienangeboten mit Präsenzveranstaltungen. Pro Semester werden zehn Präsenztage (jeweils freitags und sonnabends) mit je acht Stunden in Berlin durchgeführt. Die Studiendauer beträgt 4 Semester.

Mit diesem interessanten Einblick in eine von vielen internetgestützten Weiterbildungsmöglichkeiten auch für bereits graduierte Wissenschaftler endete die Tagung.
Das nächste Treffen der AGE wird vermutlich am 28./29.11.2007 in Hamburg stattfinden, eine herzliche Einladung wurde von Kai Ruffing als Vorsitzendem der AGE und Christoph Schäfer als künftigem Veranstalter bereits jetzt ausgesprochen. Es bleibt zu hoffen, dass auch 2007 wieder eine Vielzahl an Projekten aus dem Grenzbereich zwischen Geschichte und EDV präsentiert werden kann und sich ein großer Kreis an Mitgliedern der AGE und Interessierten an der Universität Hamburg einfinden wird.

Kontakt

Kerstin Droß
Seminar für Alte Geschichte
Philipps-Universität Marburg
Wilhelm-Röpke-Straße 6 C
35032 Marburg

http://www.age-net.de/
Redaktion
Veröffentlicht am
Klassifikation
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
Sprache des Berichts