Frauen vor den höchsten Gerichten des Alten Reiches

Frauen vor den höchsten Gerichten des Alten Reiches

Organisatoren
Nachwuchsgruppe "Eigentums- und Besitzrechte von Frauen in der Rechtspraxis des Alten Reiches (1648-1806)"
Ort
Jena
Land
Deutschland
Vom - Bis
15.11.2002 - 16.11.2002
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Von
Katrin Horn; Christopher Snigula

In den letzten Jahren fand sowohl das Reichskammergericht als auch der Reichshofrat in der deutschen Frühneuzeitforschung große Aufmerksamkeit. Insbesondere ihre Bedeutung für die Gesellschaft und das Verfassungssystem des Alten Reiches wurde dabei herausgearbeitet. Das Thema "Frauen vor den höchsten Gerichten des Alten Reiches" fand bisher jedoch keine eingehendere Berücksichtigung. Zudem befasste sich sowohl die rechtsgeschichtliche Forschung wie auch die Frauen- und Geschlechtergeschichte, sofern sie sich rechtsgeschichtlichen Themen zuwandte, vor allem mit der Strafgerichtsbarkeit, während das Feld der Zivilgerichtsbarkeit nach wie vor Defizite aufweist. Die insgesamt zehn Vorträge des Jenaer Workshops begegneten diesen mit einem Überblick über die Inanspruchnahme der höchsten Gerichte durch Frauen und ihrer Stellung in zivilrechtlichen Verfahren. Die Kernfrage war dabei, welche Rolle das Geschlecht in der Rechtspraxis der höchsten Reichsgerichte spielte. Dies ist zugleich die zentrale Fragestellung der im Frühjahr 2002 an der Universität Jena eingerichteten Nachwuchsgruppe, die zusätzlich zur höchsten Gerichtsbarkeit auch die niederen Instanzen (Jenaer Schöppenstuhl und Hofgericht) in den Blick nimmt.

Nachdem die Tagungsleiterin Siegrid Westphal (Jena) einleitend den Forschungsstand umrissen und die zentrale Fragestellung der Tagung formuliert hatte, stellte sie in einem Überblick die "Inanspruchnahme des Reichshofrats durch Frauen (1648-1806)" vor. Der quantitativen Analyse lag eine Datenbank zu Grunde, die zur Zeit in Wien auf der Basis des Wolffschen Repertoriums erarbeitet wird. In 18% der bisher erfassten 11.000 Fälle waren Frauen beteiligt, wobei Vertreterinnen aller Stände als Klägerinnen und/oder Beklagte auftraten. Die geringe Anzahl von Fällen, in denen Frauen gemeinsam mit Männern oder Männer im Namen von Frauen klagten, sind nach Westphal als ein Indiz für die geringe Bedeutung der Geschlechtsvormundschaft am Reichshofrat zu werten. Während die vorgestellten Daten erste Hinweise auf die Rechts- und Handlungsfähigkeit von Frauen geben und zeigen, dass diese bisher in der Forschung vernachlässigte Gruppe trotz ihres eigentlich eingeschränkten Rechtsstatus die höchste Gerichtsbarkeit in nennenswerter Zahl in Anspruch nahm, kann die genaue Bedeutung des Geschlechts in zivilrechtlichen Verfahren erst durch Einzelfallanalysen hinreichend bestimmt werden. Das Fallbeispiel einer Erbschaftsstreitigkeit illustrierte, dass zwar die Parteien geschlechtsspezifisch argumentierten, der Reichhofrat aber geschlechtsneutral urteilte. Demnach ist die Frage nach der Geschlechtsneutralität der Rechtsprechenden einerseits und den geschlechtlich konnotierten Argumentationsmustern der Rechtsuchenden andererseits für die weitere Forschung von großer Wichtigkeit.

Irene Jung (Wetzlar) ging in ihrem Vortrag "Wetzlarer Frauen vor dem Reichskammergericht (1689-1806)" auf eine Gruppe von Frauen ein, die eines der höchsten Gerichte als territoriales Gericht in Anspruch nahmen. Die Klagen der Wetzlarer Bürgerinnen reichten von Nachbarschaftsstreitigkeiten, Familienangelegenheiten wie Erb- und Vormundschaftssachen sowie Ehescheidungen, über wirtschaftliche Angelegenheiten wie Schuldfragen oder die Bezahlung von Dienstleistungen bis hin zum Recht der Berufsausübung. Anders als beim Reichhofrat lässt sich der Zivilstand der Wetzlarer Frauen, die vor dem Reichskammergericht klagten, relativ genau ermitteln. Die Gruppe der Witwen ist mit einem Anteil von 60% am stärksten vertreten. Gemeinsam war den Frauen, dass sie ohne Geschlechtsvormund aber mit anwaltlicher Vertretung vor Gericht auftraten. Für den Prozessverlauf konnte Jung keine unterschiedliche Behandlung von weiblichen und männlichen Parteien feststellen, was die These der geschlechtsneutralen Rechtsprechung zunächst unterstützt.

In einer zweiten Sektion, die sich dem "Zug durch die Instanzen" widmete, führte Ralf-Peter Fuchs (München) eine Fallstudie aus dem 16. Jahrhundert vor: "Der lange Kampf der Catharina von Dahlhausen um ihre Ehre". Anhand der detaillierten Darstellung des sich über Jahrzehnte durch verschiedene Instanzen bewegenden Verfahrens konnte Fuchs die von den beteiligten Parteien verwendeten Strategien einer "Justiznutzung" verdeutlichen. Generell zeigte sich dabei eine Tendenz zur Versachlichung und Professionalisierung der Prozessführung. Beide Seiten waren sich im einzelnen recht genau darüber im Klaren, welche Art Rechtsprechung von welchem Gericht zu erwarten war und richteten ihre Vorgehensweise danach aus. Dabei kam es im Einzelfall zu parallelen Klagen an verschiedenen Gerichten und den Versuchen einer außergerichtlichen gütlichen Einigung. Die Prozessbeteiligten setzten also die Justiz den eigenen Interessen entsprechend ein.

Zu ähnlichen Ergebnissen, aber unter stärkerer Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Aspekte, kamen Hendrikje Carius und Nicole Grochowina (beide Jena) in ihrem sehr fundierten Referat: "Vom thüringischen Adels- zum Reichskammergericht: Des Weißiger Schmieds Witwe Marie Susanne Büchner gegen den Gerichtsherrn Johann Wilhelm Cramer zu Zeulsdorf, 1774-1788". Im Zentrum ihrer Ausführungen stand die Analyse der von den Parteien vor Gericht verwendeten Argumentationsmuster. Diese wurden sowohl in ihrem rechtlichen als auch in ihrem geschlechtsspezifischen Gehalt der jeweiligen Prozessinstanz angepasst. Die Wirkung geschlechtsspezifischer Argumente war allerdings von Anfang an begrenzt und nahm im Fortgang des Prozesses immer weiter ab. Und zwar genau in dem Maße, in dem die geschlechtsneutrale rechtliche Argumentation verstärkt wirksam wurde. Insbesondere die mit Gutachten beauftragten universitären Spruchkollegien nahmen geschlechtsspezifische Argumente überhaupt nicht zur Kenntnis und urteilten geschlechtsneutral anhand der Rechtsgrundlagen.

Die dritte Sektion befasste sich mit Aspekten des "Ehe- und Familienrecht". Dagmar Freist (Osnabrück) untersuchte in ihrem Vortrag "Streit um Kinder aus konfessionell gemischten Ehen vor den Reichsgerichten" am Beispiel der Familie des Reichskammergerichts-Assessors von Albini die verschiedenen Ebenen, die im Konflikt um die konfessionelle Erziehung von Kindern zum Tragen kommen konnten. Solche Streitfälle waren nicht zuletzt deshalb kompliziert, weil die Rechtsgrundlagen teilweise unsicher und widersprüchlich, d. h. auch territorial verschieden waren. In gemischtkonfessionellen Ehen stand der reichsrechtliche Grundsatz des Vorrechts der "väterlichen Gewalt" häufig gegen mündliche Absprachen und in einigen Fällen sogar gegen Festlegungen im Ehevertrag. Nicht selten konkurrierten auch die Rechtsgrundlagen miteinander. Daraus ergaben sich Handlungsspielräume für die streitenden Parteien, indem sie die Rechtsunsicherheit argumentativ ausnutzten. Im Gegensatz zur Kategorie Konfession spielte das Geschlecht in Mischehenkonflikten nur eine untergeordnete Rolle.

Anschließend stellte Inge Kaltwasser (Frankfurt/ Main) "Eheverträge und Ehescheidungen im Frankfurter Bestand des Reichskammergerichtes" vor. Die Beispiele aus der Stadt Frankfurt illustrierten, wie sehr sich die territorialen Gegebenheiten und Rechte in den Prozessen widerspiegeln. So waren etwa die Eheverträge deutlich von den stadtrechtlichen Verordnungen geprägt, während die Akten zur Ehescheidung viele Hinweise zur Motivation von scheidungswilligen Frauen aus dem städtischen Milieu enthalten. Das bemerkenswerte an den von Kaltwasser vorgestellten Ehescheidungsfällen war, dass sie bis vor beide Reichsgerichte getragen wurden, obwohl sie eigentlich unter die territoriale Rechtsprechung fielen.

Zu Beginn des zweiten Tages referierte Anette Baumann (Wetzlar) über "Klagen auf Unterhaltssicherung von Frauen vor dem Reichskammergericht" anhand des Fallbeispiels "Caroline Sophie von Massenbach gegen die Prinzessinnen von Nassau-Weilburg". Wenn Frauen wegen Honorarforderungen vor dem Reichskammergericht prozessierten, ging es meist um das Gehalt des Ehemanns. Hier stritt die Klägerin um ihre eigene Pension. Konfliktpunkt der Parteien war dabei die Auslegung des im Arbeitsvertrag festgelegten Heiratsverbots. Nach Beendigung ihres Dienstes als Gouvernante sah sich die Klägerin von diesem Verbot befreit. Die Gegenseite beharrte auf einen generellen Eheverzicht und stellte nach der Heirat der Klägerin die Zahlungen ein. Dies wiedersprach den Gepflogenheiten im Gouvernantenwesen, nach denen eine Pensionszahlung bis ans Lebensende üblich war. Letztlich unterlag die Partei der Prinzessinnen. Auch in diesem Prozess spielte das Geschlecht eine untergeordnete Rolle. Wichtiger für die Urteilsfindung war der adlige Stand der Parteien.

Aus juristischer Perspektive wandte sich Anja Amend (Frankfurt/Main) den "Frauen in der handelsrechtlichen Jurisdiktion des Reichskammergerichts" zu. Ausgehend von den normativen Grundlagen der Handelsgesetzgebung der Stadt Frankfurt, die festlegte, dass lediglich Handelsfrauen berechtigt seien, Wechselgeschäfte zu treiben, stellte sie ein bis vor das Reichskammergericht gelangtes Fallbeispiel vor. Strittig waren hier Geldforderungen gegenüber einer Frau, die aus Wechselgeschäften resultierten. Die Schuldnerin zog sich auf die Behauptung zurück, keine Handelsfrau und daher auch nicht zu Wechselgeschäften berechtigt gewesen zu sein. Sie besitze gar keine Kenntnis des Wechselrechts und sei als Witwe im rechtlichen Sinn schutzbedürftig. Sie bediente sich geschlechtsspezifischer Topoi zu ihrer Verteidigung und war damit vor dem Reichskammergericht erfolgreich.

In der letzten Sektion ging es um "Jüdische Frauen vor den höchsten Gerichten". Birgit Klein (Duisburg/ Düsseldorf) stellte zunächst die Grundlagen des jüdischen Eherechts vor. Anders als im römischen Recht konnte die Frau hier den Nachlass ihres Mannes als persönliches Eigentum übernehmen, ohne auf Vormünder angewiesen zu sein. Im weiteren illustrierte Klein die sich aus dieser Rechtslage ergebenden Besonderheiten bei der Verhandlung innerjüdischer Erbschaftsangelegenheiten vor obrigkeitlich-weltlichen Gerichten. Hier wurde mitunter versucht, die Unwissenheit um jüdisches Recht und die für die männliche Seite vorteilhaftere Position im römischen Recht gegen jüdische Erbinnen einzusetzen.

Während Klein grundlegend das jüdische Eherecht behandelte, ging Barbara Staudinger (Wien) auf jüdische Frauen vor Gericht ein und stellte "Prozesse jüdischer Geldleiherinnen am Reichshofrat" vor. Die von ihr untersuchten Prozesse jüdischer Frauen hatten meist Erbsachen und Geldgeschäfte zum Gegenstand, wobei Frauen auch als selbständige Geldleiherinnen auftraten. Eine originäre Handelstätigkeit von Frauen war jedoch eher eine Ausnahme. Häufig waren sie Geschäftspartnerinnen ihrer Ehemänner oder setzten als Witwen deren Geschäfte fort. Die vorgestellten Fälle der jüdischen Geldleiherinnen unterschieden sich von denen christlicher Handelsfrauen u. a. durch den gelegentlichen Einsatz von Argumentationstopoi, die sich religiöser Vorurteile bedienten. Geschlechtsspezifische Argumente spielten vor allem als Verteidigungsstrategie eine Rolle, wenn die "weiblichen Freiheiten" angeführt wurden. Letztlich trat jedoch auch hier das Geschlecht hinter die Kategorie Stand in der Urteilsfindung zurück.

Insgesamt erwies sich der Jenaer Workshop als sehr ertragreich. Gemeinsam erkannten die vorgestellten Untersuchungen den häufige Gebrauch geschlechtsstereotyper Argumentationsmuster durch die Prozessparteien. In der Rechtsprechung schlugen sich diese aber nur selten nieder. Um dieses Phänomen zu beschreiben, wurde der Begriff der "Geschlechtsneutralität" eingeführt. Seine Tragfähigkeit ist in zukünftigen Untersuchungen zu überprüfen. Weiter gilt es auch, die der Gerichtspraxis zugrundeliegenden Rechtsnormen auf ihre "Neutralität" hin zu befragen. Nur durch die Analyse beider Ebenen kann eine umfassende Beurteilung der Rechtsstellung von Frauen in zivilrechtlichen Verfahren erfolgen. Weiterhin stellt sich die Frage, welche Rolle das Geschlecht gegenüber anderen Kategorien wie Stand und Religion einnimmt. Nach den vorgestellten Fällen scheint es sich eher um eine nachrangige Kategorie zu handeln, was in kommenden Studien eingehender betrachtet werden muss. Alle Befunde zeigen jedoch, wie wichtig es für die (rechts)historische Forschung ist, sich künftig stärker mit der Zivilrechtssprechung in der Frühen Neuzeit auseinander zusetzten.