Medialität und Textlichkeit humanistischer Geschichtsschreibung

Medialität und Textlichkeit humanistischer Geschichtsschreibung

Organisatoren
SFB 644 „Transformationen der Antike“, Teilprojekt A 4: Transformationen nationaler und regionaler Geschichtsschreibung durch Antikerezeption im europäischen Humanismus
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
09.11.2006 - 11.11.2006
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Von
Harald Müller, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Der Umgang mit Medien antiker Kultur stand im Zentrum der Tagung, zu der das Teilprojekt „Transformationen nationaler und regionaler Geschichtsschreibung durch Antikerezeption im europäischen Humanismus“ des Sonderforschungsbereichs 644 Anfang November nach Berlin geladen hatte. Ungewöhnlich für ein auf Historiographie konzentriertes Unternehmen erscheint dabei die Einbeziehung von Sachquellen, doch sind die hier ins Auge gefassten Objekte – Münzen, Inschriften und Karten – sämtlich eigenständige Träger historischer Informationen und wurden im Zeitalter des Humanismus in historiographische Konzepte integriert. Hieraus speiste sich das Konzept der Tagung, das von Johannes Helmrath, Albert Schirrmeister und Stefan Schlelein einleitend vorgestellt wurde. Tagung, Teilprojekt und gesamter Sonderforschungsbereich verfolgen das Ziel, mit „Transformation“ nicht nur ein wie auch immer geartetes Erbe der Antike zu beschreiben, sondern die wechselseitigen Veränderungen, die sich durch den Bezug auf die Antike auch im Bild der Antike ergeben, sichtbar zu machen. Der Kreis der Referentinnen und Referenten ließ erkennen, dass der Austausch zwischen Historikern und Philologen im Vordergrund stehen sollte; es galt, die Praxis kulturellen Transfers, die Umformung des Einst (der Antike), unter den kulturellen Vorzeichen des Jetzt (der Renaissance) in interdisziplinärer Zusammenarbeit anzugehen.

Nach der Begrüßung der Referenten und Gäste durch den Sprecher des Sonderforschungsbereiches, Hartmut Böhme, und Johannes Helmrath, der das Teilprojekt verantwortet, sowie einem gemeinsamen Besuch der Sonderausstellung zum Heiligen Römischen Reich im Deutschen Historischen Museum am Vorabend rückten zunächst die Zeugnisse mit stärker materiellem Charakter in den Mittelpunkt: Münzen, Inschriften und Karten. Johannes Helmrath (Berlin) eröffnete den Vortragsreigen mit Betrachtungen über die „Funktionen antiker Münzen in der Renaissance“. Vom Wert der Kaisermünzen als Objekte direkter Aneignung von Antike und der sprichwörtlichen Sammelwut der Renaissance schlug er den Bogen zu den ersten Münztraktaten (Giannantonio Pandoni/Porcellio, 1459). Sie schöpften ihr Wissen aus antiken Texten und kamen überraschenderweise weitgehend ohne die Autopsie von Münzen selbst aus. Helmrath zeigte die entstehende Numismatik als Textwissenschaft, der es in erster Linie um Worte, danach erst um die Überreste ging. Dennoch wurden Münzen auch als Pretiosen gesammelt und in münzikonischer Betrachtung für historiographische Werke wie das Kaiserbuch Konrad Peutingers verwendet. Der Name des Augsburger Stadtschreibers bot die willkommene Überleitung zum nächsten Referat, in dem Martin Ott (München) „Gelehrte Topographie im Geiste des Altertums: antike Inschriften und die Erfassung des Raumes in der Zeit der Renaissance“ analysierte. Dabei machte er darauf aufmerksam, dass Peutinger keine historische Auswertung der Inschriftenfunde vornahm. Sie interessierten ihn, wie die anderen zeitgenössischen Sammler, vor allem als Monumente der gelehrten Topographie; erst Janus Gruter leitete 1603 eine Umorientierung zur inhaltlich bestimmten Epigraphik ein. Die frühen humanistischen Inschriften-Syllogen sind dagegen als schematisierte Stadtitinerare zu lesen, die der Siedlung eine antike Vergangenheit geben, eine monumental dokumentierte historische Topographie. Diese Verbindung, so Ott, geht auf Poggio Bracciolini zurück, der in seiner Sylloge erstmals Inschriften nicht mehr nur aneinander reihte, sondern nach der Prominenz des Fundortes anordnete. Für Peutinger ergab sich damit bei der Gliederung der Inschriften-Topographie die Folge: geistliche Orte, weltliche Orte und schließlich das Umland Augsburgs. Antike Schemata wurden hier an die andersartigen Gegebenheiten des kirchlich dominierten nordalpinen Stadtraums angepasst.

Dieter Mertens (Freiburg) entwickelte unter dem Titel „Überlegungen zu Land und Landschaft in Texten, Bildern und Karten des 15. und 16. Jahrhunderts“ ein Panorama der Gestaltung und Verwendung von Karten in Mittelalter und Früher Neuzeit. Dominierte zu Beginn die verbale Beschreibung, so führte der Buchdruck zu einem Umbruch. Nun gewann die Karte an Selbständigkeit, während die Texte in eine stärker subsidiäre Rolle gerieten. Neue Themen wurden etabliert: Herrschafts- und Wegekarten visualisierten nicht mehr primär die Natur, sondern Wirkungsräume. Augenfällig bleibt jedoch die überaus enge thematische Verbindung der Kartographie zur Historiographie. Diesen Befund bestätigte im Anschluss Axelle Chastagnette (Paris/Tours) am Beispiel „Gedruckte[r] Karten Kursachsens in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts: politisches Territorium und Konfessionalisierung im Spiegel der humanistischen Kartographie.“ Sie wies zudem auf die Fragmentierung der Germania in eine wachsende Zahl von Regionalkarten hin, die um die Mitte des 16. Jahrhunderts zu beobachten ist.

Den Auftakt der stärker binnentextlich orientierten Hälfte der Tagung bestritt Albert Schirrmeister (Berlin) mit der zum Titel erhobenen Frage „Landesbeschreibungen und Nationalgeschichten. Zwei Textsorten?“ Er unterwarf die Genres einem (allzu?) strengen linguistischen Theorie-Raster zur Texttypisierung. Angesichts dieses Aufwands fiel das Ergebnis der Prüfung ernüchternd aus: Beide Textsorten bauen auf geographisch-topographischen Einleitungskapiteln auf, um dann differente Themenspektren zu behandeln. Der Referent betonte den ethnographischen Charakter der Landesbeschreibung, die anscheinend attraktiv für neu entstehende Gemeinschaften waren. In der Diskussion wurde der Sinn einer solchen Differenzierung in Frage gestellt und auf einen Binnenwettbewerb der Regionen im nationalen Kontext hingewiesen, in dem beide Textsorten ihren eigenen Platz aber eine prinzipiell identische Funktion besitzen.

Elisabeth Klecker (Wien) demonstrierte unter dem Titel „Extant adhuc in Pannonia monumenta Severi. Historia-Augusta-Rezeption und humanistisches Selbstverständnis“ detailreich wie, Johannes Cuspinian in seinen ‚Caesares’ der Geschichtsfälschung auf den Leim ging. Durch kongeniale und konsentimentale Verwendung wurde aus dem Spiel des antiken Fälschers der Ernst des Humanisten, der den Text benutzte und kritisch fortschrieb, sogar neuere Literatur einarbeitete; Transformation der Antike vollzog sich hier an der Grenze zur Farce. Dem Modellcharakter römischer Historiographie für die humanistische Landesgeschichtsschreibung spürte Frank Wittchow (Berlin) nach („Annalistik und Biographie: narrative Modelle der antiken römischen Geschichtsschreibung“). Dabei charakterisierte er die frühe römische Geschichtsschreibung als anti-panegyrisch und anti-dynastisch, auf Rechtfertigung nach außen und Moralisierung nach innen zielend. Als Vorbild humanistischer Regional- und Nationalgeschichten war sie somit kaum verwendbar, zumal die für die Landesbeschreibung wichtigen Elemente Stadt und Territorium in der römischen Vorlage fehlten, ebenso die Berechnung auf die Außenwirkung. Mehr Anknüpfungspunkte bot stattdessen Cäsars Gallischer Krieg. Der aus Senatsberichten und zahlreichen Anekdoten komponierte Text enthielt bereits ethnographische Passagen und bot sich somit als Vorlage etwa für die ‚Historia Anglica’ des Polydorus Vergilius an. Die anschließende Diskussion betonte noch einmal die doppelte Transformation römischer Vorbilder in Struktur und Inhalt.

Dem Problem der Übersetzungen widmeten sich die beiden abschließenden Vorträge. Stefan Schlelein (Berlin, „Vom Einfluß der Sprache auf den Inhalt: lateinische und volkssprachliche Versionen historiographischer Texte im Vergleich“) formulierte zunächst Gedanken der Transformation durch Übersetzung, um dann u. a. am Beispiel der ‚Crónica da tomada de Ceuta’ des Gomes Eanes de Azurara und deren lateinischer Fassung durch Matteo de Pisano unter dem Titel ‚De bello Septensi’ Spielräume und Konsequenzen der sprachlichen Übertragung zu skizzieren. Das Lateinische begegnete hierbei als Medium der Wissensverbreitung im gelehrten Europa. Daran perfekt anknüpfend, stellte Markus Völkel (Rostock) die Frage: „Lebende oder Wiedergänger? Übersetzungen volkssprachlicher Historiographie ins Lateinische und ihr Publikum (16.-17. Jahrhundert)“. Eingangs konstatierte er, dass der Begriff ‚Historia’ in der Frühen Neuzeit immer stärker auf die Zeitgeschichte bezogen wurde und dadurch der Erlebnisbericht an Bedeutung gewann. Anhand eines bewusst bunt zusammengestellten Straußes von Beispielen von Guiccardini bis Pufendorf gelang es ihm in der Folge zu zeigen, dass für die Widmung „aktueller“ Historien an hochgestellte Personen Latein immer noch geeigneter war als die Volkssprache, dass es die gelehrte Leserschaft ansprach und dort auch eine mediale Funktion besaß, nämlich das in Volgare abgefasste Wissen zu integrieren. Mehr als ein Nebenresultat dürfte der Hinweis sein, dass erst die lateinische Fassung Texte für die Schule unterrichtsfähig machte! Es handelte sich beim hartnäckigen Gebrauch des Lateinischen also in vielen Fällen nicht nur um eine erstarrte Zeichensprache.

In einer brillanten Zusammenfassung bündelte Caspar Hirschi (Freiburg im Uechtland) die gedanklichen Stränge der Tagung. Die vielfältigen Bezüge zwischen Realien und Texten seien überaus plastisch hervorgetreten, doch sollte die Multimedialität der Humanisten nicht allzu hoch veranschlagt werden. Immerhin hätten sich Texte über Münzen für die Humanisten als partiell wichtiger erwiesen denn die Münzen selbst; Text und Karte seien selten als geschlossenes Ensemble komponiert worden, und auch die Inschriften hätten zunächst nicht durch ihren Inhalt bestochen, sondern als Monumente topographisch-historischer Dignität. Während Hirschi eine stärkere Beachtung der im Tagungstitel avisierten sozialen und kulturellen Zusammenhänge behutsam anmahnte, hob er den Transformationsgedanken als geglücktes Leitmotiv der Veranstaltung hervor. Durchgehend sei Transformation als konstruktiver Vorgang beschrieben, dessen Auswahlgrundlagen und modifizierende Kräfte verfolgt worden; selbst hilflose und geradezu parodistisch anmutende Versuche der Aneignung von Antike, wie sie bei Cuspinian aufschienen, wurden nicht ausgespart.

Die pointierte Bilanz des Schweizers mündete in den Vorschlag, die kulturellen Kontexte humanistisch inspirierter Arbeit vom Gedanken des fetischistischen Umgangs mit Texten her zu erschließen. Sammeleifer und literarische Kritik, aber auch die Mythenkonstruktion als deren Ersatzprodukt ließen sich darunter womöglich fassen – ein nicht nur begrifflich provokanter Gedanke, der mit dazu beitragen wird, dass das Gespräch über eine ertragreiche und von engagierter fachkundiger Diskussion geprägten Arbeitstagung nicht so schnell abreißen wird.


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