Konkurrierende Modelle im dynastischen Europa. Bourbon – Habsburg – Oranien 1700

Konkurrierende Modelle im dynastischen Europa. Bourbon – Habsburg – Oranien 1700

Organisatoren
Christoph Kampmann; Katharina Krause; Eva-Bettina Krems; Anuschka Tischer
Ort
Marburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
19.10.2006 - 21.10.2006
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Von
Ulrich Niggemann, Neuere Geschichte, Philipps-Universität Marburg

Unter dem Titel „Konkurrierende Modelle im dynastischen Europa. Bourbon – Habsburg – Oranien 1700“ fand vom 19. bis 21. Oktober an der Philipps-Universität Marburg eine interdisziplinäre Fachtagung statt, die von Prof. Dr. Christoph Kampmann und Dr. Anuschka Tischer (Geschichte der Frühen Neuzeit) sowie Prof. Dr. Katharina Krause und Dr. Eva-Bettina Krems (Kunstgeschichte) gemeinsam veranstaltet wurde. Gefördert wurde die Tagung von der Fritz Thyssen Stiftung und vom Ursula Kuhlmann-Fonds.

Wie Christoph Kampmann im Einführungsreferat betonte, hat der Dynastie-Begriff in der geschichtswissenschaftlichen Frühneuzeitforschung in den letzten Jahren eine Renaissance erlebt, während ihm in der Kunstgeschichte bereits seit längerem eine erhöhte Aufmerksamkeit zuteil wird. So sei die Dynastie als ein Leitfaktor der internationalen Politik der Frühen Neuzeit anzusehen. Auch das erwachende Interesse der Geschichtswissenschaft an Themen der höfischen Repräsentation sei so zu erklären. Der „inszenierte Fürst“ und die unterschiedlichen Rollenmodelle eröffneten neue Forschungsfelder, auf denen etwa nach der Wirksamkeit von Modellen und ihrer Imitation gefragt werden könne. Gerade hier biete sich eine komparatistische Betrachtungsweise an, um die unterschiedlichen Modelle und ihre gegenseitige Beeinflussung einschätzen zu können und die bislang oft vernachlässigten „transhöfischen“ und „transdynastischen“ Diskurse (Eva-Bettina Krems) zu erfassen. Zwingend erforderlich sei zudem die interdisziplinäre Zusammenarbeit gerade der Geschichtswissenschaft und der Kunstgeschichte. Eben dieser Ansatz sollte mit der Tagung verfolgt werden, wobei das Exemplarische im Vordergrund der Erörterungen stand. Bourbon, Habsburg und Oranien dienten dabei, so Kampmann, als Orientierungspunkte, ebenso wie das Jahr 1700. Überhaupt erwies sich auch in den Diskussionen im Anschluss an die Referate immer wieder, dass es sinnvoll war, mit „weichen“, heuristisch offenen Begriffen und Rahmendaten zu arbeiten, die erst im Zuge der weiteren wissenschaftlichen Diskussion präziser gefasst und umgrenzt werden können.

Die Tagung befasste sich in drei Sektionen mit den Oberthemen „Dynastie“, „Krieg und Frieden“ und „Rezeption der Modelle“ vergleichend mit den verschiedenen Aspekten dynastischer Modelle. Im ersten Teil wurden die verschiedenen Konzeptionen des Dynastischen, wie sie sich in der herrschernahen Historiografie (Klaus Malettke, Thomas Brockmann und Raingard Esser) sowie in den Schlossbauten (Katharina Krause, Hellmut Lorenz und Ulrich Schütte) und der Kunstproduktion (Frank Druffner und Hendrik Ziegler) manifestierten, thematisiert. In der zweiten Sektion ging es um die Rivalität der Dynastien, die nicht nur in unmittelbaren kriegerischen Auseinandersetzungen und der damit einhergehenden Propaganda und Legitimation (Anuschka Tischer, Martin Wrede und Ulrike Seeger), sondern auch im Zuge von Friedensdiskursen und Friedensschlüssen (Christoph Kampmann und Michael Rohrschneider) zum Ausdruck kam. Thema der abschließenden Sektion waren die Rezeptionsvorgänge (Eva-Bettina Krems und Dietrich Erben) und die gegenseitigen Wahrnehmungsmuster (Jörg Ulbert und Wout Troost) zum Thema.

Der vergleichende Ansatz ging fließend in die Kulturtransferforschung über. Zu den zentralen Erkenntnissen, die auf der Tagung formuliert wurden, zählt gerade, wie sehr sich die unterschiedlichen dynastischen Modelle beeinflusst haben, so dass die einseitige Vorstellung einer Imitation des französischen Hofes in Versailles durch die europäischen Monarchien kaum noch haltbar erscheint. Vielmehr muss von einer in den unterschiedlichen höfischen Kontexten durchaus eigenständigen Rezeption und einer Verbindung von Tradition und Innovation ausgegangen werden, wie Hellmut Lorenz anhand der Wiener Hofburg, Ulrich Schütte anhand der Schlösser in Berlin und Potsdam oder Eva-Bettina Krems anhand der Wittelsbacher Repräsentationskultur demonstrierten.

Von besonderer Bedeutung war dies auch hinsichtlich der Stellung des Dynastischen im Rahmen der Repräsentations- und Legitimationskonzepte der jeweiligen Fürstenhäuser. Insbesondere am französischen Hof zeigte sich sehr deutlich, dass zwar an dynastische Traditionen angeknüpft wurde – etwa indem schon im Zusammenhang mit der Konversion Heinrichs IV. 1593 sehr bewusst die Erinnerung an Ludwig den Heiligen evoziert wurde (Klaus Malettke) und Ludwig XIV. in der politischen Propaganda an den „Grand Dessein“ Heinrichs IV. anknüpfte (Christoph Kampmann) –, dass aber die Person des einzelnen Monarchen sehr deutlich im Vordergrund der Inszenierung stand (Klaus Malettke). Dementsprechend kann auch der Schlossbau in Versailles als Versuch des Königs gewertet werden, ein eigenes, ganz auf die Person Ludwigs XIV. konzentriertes Bauwerk zu schaffen (Katharina Krause). Im deutlichen Gegensatz dazu betonten die Habsburger stets die familiäre Tradition, eben die Dynastie, indem sie sich genealogisch verorteten und die Gesamtdynastie innerhalb der europäischen Monarchien positionierten (Thomas Brockmann), was gerade auch an der Entwicklung der Wiener Hofburg, in der ältere Bauteile neben neueren erhalten blieben, deutlich wird (Hellmut Lorenz).

Sehr viel schwieriger war eine solche Positionierung für Wilhelm III. von Oranien nach seiner Thronbesteigung in England. Gelang es anfangs noch, Wilhelm einerseits in die Reihe der Stuart-Monarchen einzureihen unter Ausblendung v.a. des katholischen Vorgängers und unter Einbeziehung des väterlichen Stammbaums der Oranier, so verschlechterte sich das Bild nach dem Tod seiner Frau Maria. Wilhelm verlor dadurch die Nähe zum Haus der Stuarts. Die Herrschaft Wilhelms wurde nun eher defensiv mit dem Schutz vor der französischen Tyrannei legitimiert (Raingard Esser), wobei eine Art „providentielle“ Legitimation neben die dynastische trat (Frank Druffner), so dass sogar die Frage diskutiert werden konnte, ob hier nicht eine „Entdynastisierung“ des englischen Modells festzustellen ist (Christoph Kampmann). Die Besonderheit dieses Königtums bestand zudem in der gleichberechtigten Krönung des Königspaars. Dies spiegelte sich in einer Reihe bildlicher Darstellungen, die dieses „Doppelkönigtum“ thematisierten. Nach Marias Tod im Jahr 1694 trat eine allegorische Darstellung Britannias an die Stelle der Königin (Frank Druffner).

Eine Besonderheit stellte auch das Haus Hohenzollern dar, das 1701 zur Königswürde gelangt mit den Schlossbauten in Berlin und Potsdam eine dem neuen Status angemessene Repräsentationskultur entwickeln musste, die unter Friedrich I. zur Entfaltung kam, unter Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II. jedoch zunehmend als nicht mehr notwendig empfunden und vielfach bewusst verweigert wurde (Ulrich Schütte). Insbesondere Friedrich II. richtete seine Gemächer nach seinen eigenen Bedürfnissen und Vorlieben ein, die insbesondere von seinem individuellen Arbeitsrhythmus, wie er sich seit seiner Kronprinzenzeit in Rheinsberg herauskristallisiert hatte, bestimmt waren, wie Thomas W. Gaehtgens in seinem öffentlichen Abendvortrag hervorhob. Gerade in Brandenburg-Preußen spielten jedoch französische Vorbilder bei der Ausgestaltung der Schlösser eine wichtige Rolle. Rezeption, Imitation, aber auch eigenständige Konzepte von Dynastie, Repräsentation und Legitimation griffen freilich in allen Fallbeispielen ineinander, wobei gerade im Frankreich Ludwigs XIV. in der Sakralarchitektur auch römische Vorbilder wichtig waren, wie Dietrich Erben anhand des Invalidendoms zeigen konnte.

Diese Rezeptionsvorgänge waren nicht zuletzt auch von der Rivalität der Dynastien geprägt. So wurde etwa die Sonnendevise Ludwigs XIV. zum Gegenstand von polemischen Schriften und Spottbildern, und die Sonne selbst wurde gleichermaßen vom französischen König wie auch von Kaiser Leopold I. als Symbol beansprucht (Hendrik Ziegler). Ebenso geriet die Rolle des „Türkensiegers“ und Erretters der Christenheit in den Sog dynastischer Rivalität, indem sowohl Ludwig XIV. als auch Kaiser Leopold versuchten, sich als Helden im Abwehrkampf gegen das Osmanische Reich zu inszenieren. Während Leopold jedoch die Rolle des christlichen Ritters übernahm, ohne dabei in stärkerem Maße von militärischem Dekor Gebrauch zu machen, und eher die dynastische „vertu“ in den Vordergrund stellte, setzte die Propaganda Ludwigs XIV. stärker auf die persönliche „gloire“ des Königs (Martin Wrede). Dagegen gelang es etwa dem Prinzen Eugen von Savoyen, sich als Diener des Hauses Habsburg zu inszenieren und zugleich umfassende Bildprogramme zu entwickeln, die denen monarchischer Persönlichkeiten nahe kamen. Aufgrund des besonderen Vertrauensverhältnisses zum Kaiserhaus war die quasi-dynastische Repräsentation, die sogar ikonographische Formeln des Kaisers aufgriff, unproblematisch (Ulrike Seeger).

Die Rivalität der Dynastien kam darüber hinaus in der Rolle des Friedensstifters, des „Arbiter“, zum Ausdruck. Gerade in der herrschernahen Historiografie und in der Publizistik wurde diese Rolle in aller Schärfe diskutiert. So wurde insbesondere Heinrich IV. von Frankreich zum Arbiter der Christenheit erklärt, ein Titel, den insbesondere die Propaganda Ludwigs XIV. aufgriff, um die eigene Politik zu rechtfertigen. Als Gegenmodell wurde jedoch in der europäischen Publizistik das Bild Wilhelms III. von England als Friedensstifter entwickelt (Christoph Kampmann). Einen Sonderfall der Auseinandersetzung verschiedener Legitimationsstrategien stellten die Kriegsbegründungen dar, in denen – vielfach unter Berufung auf die zeitgenössische Kriegsrechtslehre – der Öffentlichkeit die Rechtmäßigkeit des eigenen Vorgehens dargelegt wurde, wobei in den frühen Kriegserklärungen Ludwigs XIV. (Devolutionskrieg) die persönliche „gloire“ des Königs anklingt, während der Kaiser sich v.a. als Friedenswahrer zu inszenieren suchte (Anuschka Tischer). Dagegen wurden beim Aufeinandertreffen von Diplomaten, etwa der spanischen und französischen Gesandten auf den Friedenskongressen von Münster, Nijmegen und Rijswijk, Rangfragen zum Gegenstand ernsthafter Auseinandersetzungen. Beide Seiten beanspruchten die Präzedenz voreinander. Erst unter Vermittlung der Niederländer konnte auf dem Friedenskongress von Nijmegen ein Modus gefunden werden, der die Rangfrage in der Schwebe ließ. Freilich lässt sich auch feststellen, dass die Franzosen aufgrund deutlicher politischer Vorteile zunehmend bereit waren, die Rangfrage in den Hintergrund zu stellen (Michael Rohrschneider).

Wie langfristig bestimmte Wahrnehmungsmuster die Einschätzung der rivalisierenden Dynastien prägen konnten und die politischen Optionen prädisponierten, zeigen sowohl die französische Furcht vor der habsburgischen Umklammerung, die noch die außenpolitischen Konzepte bestimmte, als eine reale Gefahr nicht mehr bestand (Jörg Ulbert), als auch die Einschätzung der französischen Hegemonialabsichten durch Wilhelm von Oranien. Andererseits wurde Wilhelm von Oranien als Generalstatthalter der als „Kaufmannsrepublik“ wahrgenommenen Niederlande von den anderen Monarchen nicht als gleichrangig empfunden, wie sich etwa am Streit um den Titel „Serenissimus“ zeigte, wobei anscheinend der Kaiser weniger flexibel war als der französische König (Wout Troost).

Resümierend lässt sich festhalten, dass die Teilnehmer der Tagung über die Begriffe „Dynastie“ und „Modell“ sowie über das Konzept der „Staatskunst“ in ein fächerübergreifendes Gespräch kamen. Die Entschlüsselung von Legitimationsstrategien und ikonographischen Programmen spielte dabei eine wesentliche Rolle. Deutlich wurde jedoch auch, dass in diesem Bereich ähnlich wie auf dem Gebiet der herrschernahen Historiografie weiterhin Forschungsbedarf besteht. Dabei stellt sich insbesondere die Frage nach dem Verhältnis der Person des Herrschers und dem inszenierten und im Rahmen der Repräsentation gezielt aufgebauten Modell sowie nach dem Verhältnis von Modell und Imitation. Gerade hier haben die Referate und die Diskussionen jedoch zeigen können, dass der Übernahme eines Modells dynastischer Repräsentation durchaus eine bewusste politische Entscheidung zugrunde lag. Besonders fruchtbar erschienen die Beiträge, die sich mit der künstlerischen Produktion im Rahmen der herrschaftlichen Architektur einerseits und der herrschernahen Historiografie andererseits auseinander setzten, denn hier ließ sich die Modellbildung offenbar am besten erfassen. Zugleich müsste im Zuge weiterer Forschungen auch die Definition von Schlüsselbegriffen wie „Dynastie“ und „Modell“ geschärft werden. Die Veröffentlichung der Vorträge in einem Tagungsband ist vorgesehen.


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