Weltbilder, Geopolitik und Krisen. Jahrestagung des AK Geopolitische Analysen der Deutschen Gesellschaft für Geographie

Weltbilder, Geopolitik und Krisen. Jahrestagung des AK Geopolitische Analysen der Deutschen Gesellschaft für Geographie

Organisatoren
Arbeitskreis für Geopolitische Analysen der Deutschen Gesellschaft für Geographie (DGfG)
Ort
Bonn
Land
Deutschland
Vom - Bis
15.11.2002 - 16.11.2002
Von
Michael Mai, Potsdam; Klaus Kost, Bochum

Am 15. und 16.11.2002 führte der Arbeitskreis für Geopolitische Analysen der Deutschen Gesellschaft für Geographie (DGfG) seine diesjährige Jahrestagung unter dem Titel "Weltbilder, Geopolitik und Krisen" im Gustav-Stresemann-Institut in Bonn durch.

Vor dem Hintergrund des sich in letzter Zeit verstärkt vollziehenden Aufschwungs geopolitischer und geostrategischer Betrachtungsweisen und Interpretationen globaler Konflikte, setzte sich die Tagung zum Ziel, aus Sicht der Politischen Geographie und der Kritischen Geopolitik fundierte Analysen globaler Konfliktlagen bereitzustellen und mittels einer dezidierten Praxisorientiertheit Beiträge zu einer aktiven regionalen Konfliktforschung zu leisten. Dies auch, um den handlungsleitenden politischen Akteuren wissenschaftliche Analysen der geopolitischen Komponenten an die Hand zu geben und dabei der "Bringschuld der Wissenschaft" zur Spezifizierung des Begriffs Geopolitik gerecht zu werden und einen innovativen Beitrag zu künftiger Konfliktbetrachtung und Konfliktmoderation zu leisten.

Die Tagung war von Beginn an durch eine erfreulich hohe personelle Beteiligung und eine sich gegenseitig befruchtende interdisziplinäre Zusammensetzung von Geographen, Historikern und Militär- und Sicherheitsexperten geprägt, was mit dazu beitrug, dass sich im Anschluss an die fundierten Tagungsbeiträge sehr spannende und konstruktive Diskussionen entwickelten.

Nach einer kurzen Begrüßung und Einführung in die Tagungsthematik durch den Vorsitzenden des Arbeitskreises Klaus Kost, widmete sich der erste Teil der Tagung am Freitag der historischen Dimension geopolitischer und geostrategischer Lagen und deren unterschiedlicher Interpretationen.

Im ersten Vortrag referierte Jürgen Fröhlich über das Mitteleuropabild Friedrich Naumanns und stellte dabei Genese, Entwicklung und Wirkung des Mitteleuropabuchs von Friedrich Naumann dar. Der Referent zeigte dabei auch eindrücklich die Bedeutung Friedrich Naumanns für die Begründung des modernen Liberalismus auf.

Im Vortrag von Florian Buch standen die Deutungen der Mittellage Deutschlands und die verschiedenen Positionen zu dessen geopolitischer Lage in der Reichsgründungszeit im Fokus der Betrachtung. Ausgehend von den aufkommenden neuen Möglichkeiten der Raumüberwindung stellte der Referent verschiedene Deutungspositionen der Mittellage zur Diskussion, wobei die kontroversen Positionen sich besonders hinsichtlich der Relativität der geopolitischen Lage unterscheiden und im Rahmen der anschließenden Diskussion besonders das Verhältnis von geographischer Lage, Politik und Raum kommentiert wurde.

Unter dem Titel "Critical Geopolitics und die Konstruktion einer Nord-Süd-Achse durch die Regierung Roosevelt 1938-1942" stellte Uwe Lübken die Deutungen in den USA bezüglich der Bedrohungen durch das nationalsozialistische Deutschland und die kontroversen Einschätzungen im Hinblick auf die operative Reichweite der deutschen Streitkräfte und eines eventuell anstehenden Angriffs Deutschlands auf die USA vor.

Eva-Maria Stollberg trug zum Thema "Sibirien im Kontext geopolitischer Machtinteressen Russlands 1860-1945" vor. Dabei zeigte sie die besondere strategische Bedeutung Sibiriens für Russland auf und beleuchtete diese strategische Basis Russlands in einem historischen Kontext.

Aufgrund der bedauernswerten Absage von Hans Dietrich Schultz, der die verschiedenen Mitteleuropabilder der deutschen Geographie Anfang des 20. Jahrhunderts vorstellen wollte, hielt Mark Bassin bereits am Freitag seinen eigentlich für Samstag vorgesehenen Vortrag zum Thema "Mittellage von links? Die Geographie als Grundelement von Joschka Fischer". Er stellte dabei die Konzeptualisierungen der "deutschen Mittellage" nach der deutschen Wiedervereinigung dar und zeichnete den Wandel der diskursiven Verarbeitung im Kontext des sich wandelnden Europas seit Beginn der 1990er Jahre nach.

Abgerundet wurde der vorwiegend historisch orientierte erste Tagungstag durch eine Abendveranstaltung in der Gedenkstätte für die Bonner Opfer des Nationalsozialismus. Dabei widmete sich Ernst Haiger in einem äußerst anregenden Vortrag eingehend dem Leben und Wirken Albrecht Haushofers und beleuchtete dabei auch die Beziehungen zu dessen Vater, dem bedeutenden Geographen Karl Haushofer.

Im zweiten Tagungsteil am Samstag stand die aktuelle Dimension von Weltbildern, Geopolitik und Krisen auf der Tagesordnung, die anhand verschiedener Länderbeispiele im einzelnen vorgestellt und diskutiert wurde.

Zu Beginn stellte Gujan Gusejnov in seinem Referat unter dem Titel "Russland und seine Nachbarn aus geopolitischer Sicht" verschiedene russische Selbstwahrnehmungen und deren Verbildlichungen vor. Dabei stellte er besonders die heutige Situation Russlands im Kontext der vererbten Rolle durch die Sowjetunion heraus.

Conrad Schetter referierte anschließend zum Thema "Die ethnische Warnung von Konflikten. Das Beispiel Afghanistan" und stellte dabei die komplexe ethnische Gemengelage in Afghanistan dar, die im Zuge künftiger Konfliktlösungsstrategien unbedingt Beachtung finden muss, um die politische und gesellschaftliche Entwicklung in Afghanistan konstruktiv voranzutreiben. In seinem Vortrag widmete er sich vor allem der Territorialisierung von Herrschaft, dem Raum als nationale Projektionsfläche sowie der Schaffung und Ausbreitung ethnischer Wahrnehmungsräume.

Im Vortrag von Ernst Struck zur geopolitischen und geostrategischen Bedeutung der Türkei im Spannungsfeld Europas stand vor allem die Bedeutung der Türkei im Hinblick auf die strategischen Rohstoffe Erdöl und Erdgas in den im Nordosten an die Türkei angrenzenden Staaten sowie Wasser für die Anrainerstaaten im Südosten der Türkei im Fokus. Die anschließende Diskussion vertiefte vor allem die Implikationen eines etwaigen EU-Beitritts der Türkei und hinterfragte die (zugewiesene) geostrategische Bedeutung der Türkei für die Staaten der Europäischen Union.

Frauke Kraas referierte zur aktuellen geopolitischen Rezeption der asiatischen Tigerstaaten und zeigte dabei eindrücklich das Zusammenwirken von Symbolik - im Falle des Begriffs Tigerstaaten synonym für Wirtschaftskraft, Energie oder Aufbruch - und verschiedenen Weltbildern und Sinndeutungen auf.

Das abschließende Referat der Tagung steuerte Lars Zimmermann bei, der in seinem Vortrag zu "Governance im Informationszeitalter: Die Bedeutung des Internet für die neue Geopolitik - dargestellt am Beispiel der Europäischen Union" die Möglichkeiten einer "modernen Geographie" im Sinne einer institutionenorientierten Politikberatung darstellte.

In der anschließenden Diskussion, die in eine zusammenfassende Reflexion und Diskussion der Tagungsergebnisse überging, standen entsprechend der innovativen und dezidiert problemorientierten Ausrichtung des Vortrags von Lars Zimmermann vor allem die Möglichkeiten und Chancen künftiger geopolitischer Analysen im Mittelpunkt. Dabei wurde zum wiederholtem Male konstatiert, dass die Geographie im Hinblick auf geopolitische und geostrategische Interpretationen und Analysen von globalen Konfliktlagen bisher zu wenig aktiv an den Diskussionen partizipierte und das Profil der Politischen Geographie im Bereich der regionalen Konfliktforschung geschärft werden muss. Ziel einer in aktuelle Konfliktlagen und vorwiegend ethnisch interpretierten Problemlagen intervenierenden Politischen Geographie muss es sein, aus dem Blickwinkel der Geographie nüchterne und sachliche Aufklärung zu betreiben und mit dem Erfahrungsschatz von Geographen einen Beitrag zur künftigen Politikgestaltung und Konfliktforschung zu leisten.

Aufgrund der fruchtbaren Diskussionen und der äußerst positiven Resonanz der Tagungsteilnehmer auf die einzelnen Referate wurde zum einen die Veröffentlichung der Tagungsbeiträge avisiert und zum anderen mehrfach der Wunsch geäußert, die sich noch im Aufbau befindende Website des Arbeitskreises für Geopolitische Analysen als kontinuierliches Diskussions- und Austauschforum zu entwickeln, um dadurch auch eine strukturelle Möglichkeit zur Verbreitung und Etablierung von geopolitischen Analysen zu installieren. Noch 2002 werden alle Referate sowie weitere Informationen auf der Homepage des Arbeitskreises unter www.geographie.de/geopolitische-analysen der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen.

Die Fortführung und Vertiefung der Diskussionen ist auf dem Geographentag im Oktober 2003 in Bern geplant, bei dem der Themenkomplex "Geopolitische Analysen" als ein Schwerpunktpanel vorgesehen ist. Hierfür soll im besonderen der Themenkomplex "Geopolitik, Militär und Krisen" aufgegriffen werden und dazu aller Wahrscheinlichkeit nach im Frühsommer 2003 eine vorbereitende Sitzung stattfinden, bei der auch die erarbeiteten Tagungsergebnisse weiterentwickelt werden können.

http://www.geographie.de/geopolitischeanalysen/
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