Barocke Klöster in Mitteleuropa: Visualisierung monastischer Vergangenheit in Wissenschaft und Kunst

Barocke Klöster in Mitteleuropa: Visualisierung monastischer Vergangenheit in Wissenschaft und Kunst

Organisatoren
Schwabenakademie Irsee
Ort
Irsee
Land
Deutschland
Vom - Bis
06.10.2006 - 08.10.2006
Von
Meinrad von Engelberg, TU Darmstadt, Fachbereich Architektur

Als Friedrich Nietzsche, kritischer Zeitgenosse des in Hochblüte stehenden Historismus, 1874 in der zweiten seiner berühmten unzeitgemäßen Betrachtungen „Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben“ abwog, obsiegte die Skepsis. Ein bis zwei Jahrhunderte vorher wäre zumindest in den Klöstern Mitteleuropas, deren historischem Selbstverständnis eine Tagung der Schwabenakademie Irsee vom 6. bis 8. Oktober 2006 gewidmet war, diese Abwägung offensichtlich ganz anders ausgefallen. In einer wahren Geschichtseuphorie durchforschten die Konvente nicht nur ihre Archive, um strittige Rechtspositionen oder das monastische Prestige der eigenen Institution durch den Nachweis möglichst ranghoher Stifter zu befestigen, sie schmückten auch die Fassaden, Wände und Decken ihrer Bauten mit bildlichen Darstellungen der offensichtlich als konstitutiv empfundenen fernen Vergangenheit 1. Der Zusammenhang zwischen diesem „traditionalistisch-institutionellen Historismus“ des Alten Reiches und dem modern-nationalistischen des 19. Jahrhunderts ist noch nicht genügend untersucht – dagegen kann schon vorab als Ertrag der von Markwart Herzog (Schwabenakademie Irsee) und Huberta Weigl (Universität Wien, Institut für Kunstgeschichte) geleiteten Irseer Tagung konstatiert werden, dass hier im Zusammenwirken von Historikern und Kunstwissenschaftlern aus fünf Ländern die „Visualisierung monastischer Vergangenheit in Wissenschaft und Kunst“ in einer bisher kaum bekannten Vielfalt und Differenziertheit aufgefächert wurde.

In ihrem Einführungsreferat fragte die Initiatorin der Tagung, die Wiener Kunsthistorikerin Huberta Weigl, nach möglichen Wechselbeziehungen beider Phänomene, nämlich der neuerwachten Leidenschaft der Klöster für die wissenschaftliche Publikation ihrer Archivschätze, wie sie durch „maurinische“ Gelehrte wie P. Karl Meichelbeck OSB mit seinem „Chronicum Benedictoburanum“ um 1700 initiiert wurde, und der gleichzeitigen Aufwertung der Kloster- und Ordensgeschichte zu quasi-heilsgeschichtlichen Bildprogrammen im Sakralraum. Um das in den Archiven gespeicherte Wissen im Fall des Verlustes der Originale zu bewahren, wurde in Göttweig sogar ein frühes Verfahren zur Faksimilierung von Urkunden mittels Wachsabklatsch erprobt. In Tegernsee hingegen wurden die Urkunden auf den Stifterfresken der Klosterkirche dargestellt.

Franz Matsche, emeritierter Bamberger Ordinarius für Kunstgeschichte, stellte zu Beginn der ersten Sektion „Stifter und Gründer“ unter dem Titel „Fundant et ornant“ Orte und Formen der bildlichen Repräsentation von Stiftern in barocken Klöstern Schwabens und Frankens vor. Das Motto seines Beitrags stammt vom Frontispiz am schlossartigen Prälatenbau des würzburgischen Zisterzienserklosters Ebrach und bezieht sich auf die darüber wie Schutzpatrone aufragenden Stifterfiguren. Die Verwendung des Präsens in einer Inschrift, die doch auf einen historischen Vorgang verweist, kann als Beleg für die permanente Gegenwartsrelevanz der jeweiligen Gründungsgeschichte verstanden werden. Dieser historisch fundierte Anspruch wurde höchst unterschiedlich verbildlicht: In Ottobeuren in einer „der Zeit enthobenen Sacra Conversazione“ im Stifterfresko der Abteikirche, in Ebrach durch einen Konventbau, der in auffällige typologische Konkurrenz zum profanen Landschloss Pommersfelden des Fürstbischofs Lothar Franz von Schönborn tritt, um die erstrebte Reichsfreiheit als ständische Gleichrangigkeit zu inszenieren.

Ganz andere Wege verfolgten die niederösterreichischen Zisterzienserklöster Zwettl, Heiligenkreuz und Lilienfeld, die Ingeborg Schemper-Sparholz (Wien) unter dem Titel „Barocke Erneuerung im Bewusstsein der eigenen Geschichte“ verglich: Die auf der „Via sacra“, der Pilgerstraße von Wien ins habsburgische „Nationalheiligtum“ Mariazell gelegenen Konvente verzichteten auf Neubauten ihrer Kirchen, statteten diese aber mit Altären renommierter Wiener Hofkünstler wie Giovanni Giuliani neu aus, den so erzeugten Gegensatz zwischen mittelalterlicher Raumschale und deren „ganzheitlich bühnenhafter Inszenierung“ in Barockformen offensichtlich bewusst herbeiführend. Hierbei handelt es sich, wie die anschließende Diskussion und weitere Vorträge belegten, um eine für diesen Orden typische Strategie, während die Benediktiner mehrheitlich die bildhafte Geschichtsdarstellung im Rahmen von Neu- oder Umbauten bevorzugten. Ob die auffällige Vorliebe für die Bewahrung des mittelalterlichen Raumeindrucks von den unverändert engen Beziehungen der Zisterzienser zu ihren französischen Mutterklöstern beeinflusst war oder lokalspezifisch durch die „bewusste Rückbeziehung auf die Gründungsgeschichte, die eng mit der Herrschaftsgeschichte und dem Selbstverständnis der Klöster verbunden ist“ (Schemper-Sparholz) erklärt werden kann, ist nach heutigem Forschungsstand noch nicht zu entscheiden.

Eine gedruckte Geschichtsinszenierung diskutierte Michael Grünwald, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Graphischen Kabinetts Göttweig, am Beispiel des Altmanni-Thesenblattes 2 von 1691. Das in 600 Exemplaren nach Jonas Drentwetts Entwurf bei Christoph Heiss in Augsburg angefertigte Schabkunstblatt stellt in sieben Bildern legendarische Szenen aus dem Leben des Klostergründers Altmann dar, verbunden mit einer Ansicht des Stiftes und des Göttweiger Gnadenbildes, einer Pietà. Widmungsträger war der Passauer Fürstbischof, aus dessen Vorherrschaft sich das Benediktinerkloster eigentlich zu befreien gedachte, und den man mit den Mitteln der frommen „Hauspropaganda“ vielleicht von der historisch legitimierten Sonderstellung des Konvents überzeugen wollte.

Legten die Benediktiner besonderen Wert auf die Orts- und Klostergeschichte, so war für die Zisterzienser, vielleicht bedingt durch das System der Filiation, anscheinend der überregionale Legendenschatz des Gesamtordens der wichtigste historische Referenzpunkt. Dies legt zumindest die Analyse der Fresken im Konventbau der böhmischen Abtei Plaß / Plasy bei Pilsen nahe, welche die Prager Kunsthistoriker Martin Mádl und Stepán Vácha präsentierten. Die Freskanten Jacob Anton Pink, Franz Anton Müller und Josef Kramolin statteten die Korridore des schlossartigen Konventbaus Giovanni Santinis im 18. Jahrhundert mit einer Bildfolge jener zahlreichen Marienerscheinungen aus, durch welche die Himmelskönigin den Söhnen Bernhards seit Jahrhunderten ihre besondere Gnade erwiesen hatte. Ob sie den Konventualen von Tennenbach die Speisen versüßte, den hart bei der Ernte arbeitenden Laienbrüdern den Schweiß abwischte oder dem Hl. Alberich jene weiße Kutte verlieh, welche danach zum Charakteristikum des Ordens wurde: Ein europäisches Netzwerk von Wunder- und Gnadenstätten wird an den Gewölben des Kreuzganges ausgebreitet und unterstreicht so die besondere Bedeutung der Umgänge (Ambiten) in der böhmischen Barockarchitektur 3.

Am Ende der Sektion machte die langjährige Leiterin des „Historischen Museums des Kantons Thurgau“, Margrit Früh, das Auditorium mit einer Denkmälergattung bekannt, die wohl den meisten (wie auch dem Verf.) bis dato völlig unbekannt war: „Bemalte Steckborner Kachelöfen als Spiegel der Klostergeschichte“. Der Exportschlager des schweizerischen Bodenseestädtchens waren um 1700 bunte, bilderreiche Schmucköfen 4, deren Füllkacheln je nach Auftraggeberwunsch die gesamte Vielfalt historisch relevanter Themen abdeckten: Europäische Zisterzienserwunder, lokale Gründungslegenden, Vogelschauansichten zur baulichen Entwicklung des jeweiligen Klosters oder fiktive Identifikationsporträts von Stiftern und Ordensheiligen. Anscheinend wurden die ebenso kostbaren wie nützlichen Keramik-Bildträger vor allem für die nichtöffentlichen Klausurbereiche der Klöster bestellt: Prunkvolle Repräsentation, die sich ausschließlich nach innen wandte, ein Befund, der heutigen Betrachtern offensichtlich mehr Kopfzerbrechen bereitet als den damaligen Auftraggebern.

Die Sektion des zweiten Tages „Geschichte und Identität“ begann mit einem Vortrag des Wiener Kunsthistorikers Werner Telesko (Österreichische Akademie der Wissenschaften) zum Thema: „Vergangenheit als Gegenwart. Die Freskenausstattung der Stiftskirche von Melk als Instrument ordenseigenen Selbstverständnisses“ 5. In Melk wurde ein unkonventionelles, offensichtlich hochindividualisiertes Konzept der Geschichtsinszenierung verfolgt, dass sich bei genauerem Hinsehen als autokratische Selbstdarstellung des Initiators und Spiritus rector des Neubaus, Abt Berthold Dietmayrs, zu erkennen gibt 6. Das Langhausfresko Rottmayrs (ab 1716) zeigt die Apotheose Benedikts, welche nach der Legende über eine mit Teppichen belegte Himmelsleiter erfolgte: Schriftzeugnisse und die auffällig-unauffällige Anbringung von Impresen des Abtes legen dagegen die Identifikation des Auftraggebers mit dem Ordensgründer nahe. Dass die Geschichte der jeweiligen Institution in österreichischen Ausstattungsprogrammen eine geringere Bedeutung hat, könnte mit der im Vergleich zu den Reichsstiften Bayerns und Schwabens unstrittigen Position als habsburgische Landstände zusammenhängen: So konnten in Melk die persönlichen Prätentionen des Abtes unter dem Deckmantel der Heiligenlegende in den Vordergrund treten.

Wolfgang Jahn, Historiker am Augsburger „Haus der Bayerischen Geschichte“, präsentierte einen eigenartigen, nur noch fragmentarisch erhaltenen Gemäldezyklus aus der Klausur des Augustinerchorherrenstiftes Polling, mit dem der bibliophile Propst Franziskus Töpsl ab 1757 seinen Konventualen die bedeutendsten Autoren des eigenen Ordens „nicht zur Erbauung, sondern zum Ansporn“ vor Augen stellen wollte. Die 200 Ölgemälde waren ein Nebenprodukt des von Töpsl mithilfe eines europäischen Korrespondenz-Netzwerks betriebenen ehrgeizigen Unternehmens eines vollständigen Autorenlexikons aller schriftstellerisch tätigen Chorherren: Ein hypertrophes Projekt, dass in seiner enzyklopädischen Absicht ebenso zum Scheitern verurteilt sein musste wie das ab 1709 von den Gebrüdern Pez OSB in Melk betriebene Konkurrenzunternehmen einer „Bibliotheca Benedictina“ 7. Leider fand sich kein katholischer Verleger, der Töpsls 20.000 Manuskriptseiten mit 2700 Autorennamen auf den Markt zu bringen wagte – einem Protestanten wiederum wollte der Verfasser sein Werk nicht anvertrauen. Jahn interpretierte die Autorengalerie, von der immerhin noch ca. 90 Bilder als Säkularisationsbeute über bayerische Universitätswände verstreut erhalten sind, als Ausdruck einer „zukunftsgerichteten Vergangenheit“ – der Propst konnte nicht ahnen, dass er kurz vor der Säkularisation den Schwanengesang seines gelehrten Ordens anstimmte.

„Felix mansurus, si tacuisses, Erath!“ Dass Thomas Stockinger seinen Beitrag mit einem maliziösen zeitgenössischen Wortspiel überschrieb, war symptomatisch: In idealer Balance zwischen der sachlichen Präzision des versierten Quellenkundlers und der augenzwinkernden Distanz des modernen Betrachters gelang es dem Wiener Historiker, am Beispiel der Stiftsannalen des Propstes von St. Andrä an der Traisen in Niederösterreich, Augustin Erath, die für das 18. Jh. typische „flexible“ Anwendung divergenter Methoden der Historiografie durch ein und denselben Autor darzulegen. Der aus Schwaben gebürtige Theologe versuchte, in einer 1710 fertig gestellten Abhandlung die Gründung seines Chorherrenstiftes durch Otto III. mit einer Urkunde aus dem Jahr 998 zu belegen: Leider war der Bezug dieses authentischen Dokuments auf die Klostergründung nur durch eine philologisch irreführende Interpolation von ca. 1490 zu erhärten – der Propst wählte den Kunstgriff, die (unstrittige) Echtheit des Siegels realienkundlich exakt nachzuweisen, den verfänglichen Satz aber im Sinne des „quod erat(h) demonstrandum“ so zu „redigieren“, dass einer seiner Opponenten nur mit dem oben zitierten Ausruf darauf reagieren konnte 8.

Da ein Vortrag der Sektion wegen Krankheit der Referentin ausfallen musste, bot sich die Gelegenheit für eine gemeinsame Begehung des Klosters unter der kundigen Führung von Gabriele Dischinger und Markwart Herzog. Auch die dunkelsten Kapitel der Irseer Geschichte als erster schwäbischer „Kreisirrenanstalt“ und Tatort eines 2000-fachen Massenmords unter dem Deckmantel der sog. „Euthanasie“ im 3. Reich wurden hierbei nicht ausgespart.

Wolfgang Wüst, Historiker aus Erlangen, thematisierte „Visualisierte Herkunft. Süddeutsche Stifte und Klöster im Kartenbild der Barockzeit.“ Die zum Teil prächtig und suggestiv illustrierten Vogelschaubilder von Dörfern und Landschaften dienten meist lediglich als Beweisvorlagen in oft marginalen Territorialprozessen wie z.B. dem Streit zwischen dem Hochstift Augsburg und Pfalz-Neuburg über das Entenjagdrecht im Grenzgebiet an der Donau. Sie visualisieren Geschichte nur insoweit, als sie historisch gewachsene und begründete Rechtsansprüche belegen, nehmen aber die Klosterhistorie selbst nicht zum Gegenstand.

Dass auch rein imaginierte Geschichte als Grundlage von Ansprüchen in der Gegenwart instrumentalisiert werden konnte, belegte das Referat des Breslauer Kunsthistorikers Arkadiusz Wojtyla: „Jerusalem oder Prag? Barocke Kunst und Historiografie der Kreuzherren mit dem roten Stern.“ Dieser außerhalb Böhmens kaum bekannte Ritterorden, im 13. Jh. in Prag und Schlesien zum Zwecke der Krankenpflege gestiftet, suchte seinen späteren hohen Rang im Königreich und die militärischen Attribute des Ornats durch eine fiktive Abstammung der Kommunität aus dem Heiligen Land zu begründen, wobei schon die Apostel in Bethlehem, spätestens aber Helena bei der Kreuzauffindung als Gründer aspiriert wurden. Diese schon von den Zeitgenossen bezweifelte Legende wurde nicht nur in Freskenzyklen (z.B. Wallfahrtskirche Maria Kulm, 1680–1720) dargestellt, sondern auch durch den Erwerb der Burg Deutsch-Lissa bei Breslau unterstrichen, deren antiquierte Zinnen man demonstrativ als Ausweis alter Ritterherrlichkeit mit historischen Kanonen bestückte.

Der Münchner Landeshistoriker Alois Schmid präsentierte zum Abschluss der Sektion und des Tages „die Geschichte des Klosters St. Emmeram zu Regensburg in der monastischen Historiografie und Kunst des 18. Jahrhunderts.“ Zur Feier des lange betriebenen Aufstiegs des Abtes Anselm Godin in den Reichsfürstenstand 1732 ließ das angeblich schon 542 gegründete „älteste Kloster Bayerns“ das mittelalterliche Langhaus der Kirche durch die Brüder Asam renovieren 9. Hierbei blieb die reiche Gräberlandschaft der als „Mausoleum“ apostrophierten Kirche 10 unangetastet (angeblich ruhten dort unter anderem St. Denis von Paris und eine (fiktive) französische Königin Aurelia), da sie Alter und Vorrang des Klosters ebenso unterstrich wie die neue Dekoration, welche in den Wandfresken die Stifterlegende, in einem Statuenzyklus die Reichsgeschichte, in den ranghöchsten Chorfresken aber den Triumph des Benediktinerordens verherrlichte.

Die Sektion des dritten Tages „Bewahren und Erinnern“ begann mit einem Vortrag des Basler Kunsthistorikers Axel Christoph Gampp: „Barocker Überbau. Die Neugestaltung mittelalterlicher Klosterkirchen in der Schweiz durch Vorarlberger Baumeister im 17. und 18. Jahrhundert“. Dem Referenten gelang der ebenso überzeugende wie verblüffende Nachweis, dass die oft als „Serienfabrikation“ abgewerteten Neubauten der Vorarlberger Schule keineswegs beziehungslos gegenüber jenen mittelalterlichen Vorgängern blieben, die sie ersetzen sollten. Obwohl sie regelmäßig weder die Bauformen, die exakte Position, noch die materielle Substanz der alten Kirchen übernahmen, kann doch durch die Überlagerung von Bauaufnahmen des Vorzustandes und der barocken Planung belegt werden, dass Gesamtmaße, Proportionen, ja selbst der Jochrhythmus der Neubauten auf die den Bauherren vertrauten Altbauten Bezug nahmen, und somit eine gänzlich andere Form der Traditionswahrung als diejenige der für die moderne Denkmalpflege zentralen „Substanzerhaltung“ praktizierten.

Ulrich Knapp diskutierte anschließend „Die Bau- und Ausstattungsprogramme der Zisterzienserabtei Salem im 17. und 18. Jahrhundert“. Das Reichskloster zeigt den für diesen Orden typischen Kontrast zwischen einer (auf ausdrücklichen Wunsch des Konvents) in mittelalterlichen Formen konservierten Abteikirche und einem durch den Brand von 1697 initiierten, höchst ambitionierten schlossartigen Klosterkomplex Franz Beers 11. Doch auch in diesem Neubau wurde die charakteristische Spannung zwischen Bewahren und stetigem Erneuern demonstriert, indem der den Reichsstatus unterstreichende Kaisersaal mit geringen Modifikationen des Bildprogramms die Erstausstattung von 1705–11 bewahrte, während die Wohn- und Empfangsräume der Prälatur etwa alle 30 Jahre neu dekoriert wurden: Dieses komplexe Ensemble kann als Produkt und Abbild des typischen, konsensual orientierten Modells der Klosterführung im Alten Reich verstanden werden.

Anett Matl, Kunsthistorikerin aus Fulda, führte mit ihrem Vortrag zur Barockisierung der Zisterzienserabtei Osseg / Osek noch einmal nach Böhmen. Wie viele Klöster des Königreichs war auch diese Filiation von Waldsassen während der Religionskriege 1580 aufgehoben und erst 1626 restituiert worden. Die wirtschaftliche Erholung unter Abt Benedikt Simon Littwerich ab 1691 spiegelte sich im 1721 vollendeten, ambitionierten Umbau des Klosters durch den Leitmeritzer Architekten Octavian Broggio, welcher die typisch zisterziensische Doppelgesichtigkeit von Erneuern und Bewahren zeigt: Während die spätromanische Kirche äußerlich vollständig im Sinne des böhmischen „Radikalbarocks“ überformt wurde, schmückte man den unverändert konservierten mittelalterlichen Kreuzgang und Kapitelsaal lediglich mit einigen Gemälden neu aus. Einmal mehr erweist sich das Bedürfnis nach Konservierung des gebauten Erbes „zum immerwährenden süssen Andencken des lieben Alterthums“ 12 dort am stärksten, wo dessen Bedrohung zuvor am größten war.

Am Schluss der Tagung stand der Beitrag des Mainzer Kunsthistorikers Tobias Kunz: „Inszenierte Vergangenheit. Mittelalterliche Bildwerke im Kontext barocker Klöster.“ Er beleuchtete den Umgang der Klöster mit ihrem skulpturalen Erbe, das erstaunlich selten in neue Ausstattungsprogramme übernommen wurde. Schon Herbert Beck hatte in seiner Dissertation 13 festgestellt, dass solche Übernahmen meist mit einer demonstrativen Hervorhebung der formalen Fremdartigkeit dieser Bildwerke als Betonung ihres wundertätigen Charakters verbunden waren. Kunz stellte nun mehrere Beispiele zum Teil mühevoll translozierter mittelalterlicher Ausstattungsstücke vor, bei denen die Verehrung als Gnadenbild nicht nachzuweisen ist: So nahm das Freiburger Wilhelmitenkloster 1687 bei seiner Übersiedelung ins vorderösterreichische Oberried unter anderem das Kirchenportal mit, während das Mainzer Petersstift den Kreuzaltar seiner 1756 vollendeten neuen Kirche mit einem archaisierend schwarz gefärbten, spätgotischen Kruzifixus schmückte, der vielleicht vom Vorgängerbau des Odenmünsters stammt. In keinem Fall konnte jedoch eine schriftlich fixierte Begründung für diesen Bildgebrauch nachgewiesen werden: Er war für die Zeitgenossen anscheinend selbsterklärend.

Dass die angekündigte Schlussrunde verzichtbar erschien, mag mit dem überaus ertragreichen Prinzip der Tagung zu erklären sein, jedem halbstündigen Vortrag eine ebenso lange Diskussionszeit folgen zu lassen. So sei hier stellvertretend ein Fazit versucht:

Das augenfälligste Ergebnis der Tagung war die erstaunliche, ja oft widersprüchliche Vielgestaltigkeit möglicher Visualisierungsstrategien von Klostergeschichte im Barock. Das Bewahren und demonstrative Herausstellen originaler Substanz im Sinne des Dokument- und Denkmalverständnisses des 19. Jahrhunderts ist hierbei nur eine unter vielen Möglichkeiten, die sich vor allem im Zisterzienserorden allgemeiner Beliebtheit erfreute. Die Benediktiner bevorzugten dagegen offensichtlich bildliche Imaginationen des Vergangenen; ob ein Kloster eher die Lokal- oder die Ordensgeschichte als Referenzpunkt wählte, dürfte im Zusammenhang mit der jeweils spezifischen politischen Situation stehen. Zugleich zeigt sich eine erstaunliche methodische Vielfalt im Umgang mit der schriftlich fixierten Tradition: Kritische Quellenforschung im Sinne der Aufklärung löste eine „naive“ Wunder- und Gründungslegenden-Gläubigkeit nicht ab, sondern ergänzte diese situativ. Individuelle Persönlichkeitsprofile der Äbte – etwa der standesbewusste Dietmayr in Melk oder der gelehrte Töpsl in Polling – prägten die Visualisierungsstrategien ihrer Klöster ebenso stark wie das künstlerische Umfeld, dessen Angebote (Steckborner Öfen, Wiener Hofkunst) man ganz selbstverständlich adaptierte.
Die Tagungsbeiträge, deren Publikation geplant ist, belegten eindrucksvoll, wie irrig die geläufige Annahme ist, das katholische Mitteleuropa sei in der frühen Neuzeit ein im Vergleich zur Moderne homogenes geistig-kulturelles Milieu gewesen. Die Vielfalt möglicher Traditionsinszenierungen, die hier allein für den Bereich der Klöster aufgefächert wurde, belegt eine deutlich höhere methodische, ästhetische und intellektuelle Pluralität, als man sie der Vormoderne gemeinhin zugestehen will. Insofern überwog der „Nutzen“ eindeutig den „Nachteil der Historie für das Leben.“

Anmerkungen:
1 Zu den frühen benediktinischen Kirchenhistorikern, den sog. Maurinern und der von ihnen begründeten „Scuola Mabillona“, vergl. Bickendorf, Gabriele, Die Historisierung der italienischen Kunstbetrachtung im 17. und 18. Jahrhundert, Berlin 1998; zur möglichen Bedeutung der Mauriner für „Barockisierung“ von Kirchen in Bayern äußerte sich erstmals Liebold, Christine, Das Rokoko in ursprünglich mittelalterlichen Kirchen des bayerischen Gebiets – ein von maurinischem Denken geprägter Stil, München 1981; siehe kritisch hierzu Engelberg, Meinrad v., Renovatio Ecclesiae – die „Barockisierung“ mittelalterlicher Kirchen, Petersberg 2005, bes. S. 375–382.
2 Zur Bildgattung des Thesenblatts siehe Appuhn, Sibylle, Das Thesenblatt im Hochbarock, Studien zu einer graphischen Gattung am Beispiel der Werke Bartholomäus Kilians, Weißenhorn 1988.
3 Matsche, Franz Matsche, Wallfahrtsarchitektur: Die Ambitenanlagen böhmischer Wallfahrtsstätten im Barock, in: Kriss-Rettenbeck, Lenz; Möhler, Gerda (Hgg.), Wallfahrt kennt keine Grenzen, Kat. d. Ausst., München 1984, S. 352–376.
4 Früh, Margrit, Steckborner Kachelöfen des 18. Jahrhunderts, Frauenfeld 2005.
5 Abweichend von der Ankündigung konzentrierte sich der Vortrag auf Melk, der Vergleich mit St. Florian soll in der gedruckten Fassung ausgeführt werden.
6 Zur Schlüsselrolle Dietmayrs für den Neubau von Melk siehe auch Engelberg, Meinrad v., Abt und Architekt. Melk als Modell des spätbarocken Klosterbaus, in: Rauschenbach, Sina; van Dülmen, Richard (Hgg.), Denkwelten um 1700. Zehn intellektuelle Profile, Köln 2002, S. 181–209, sowie demnächst Weigl, Huberta, Jakob Prandtauer (1660–1726). Die Klosterbauten (erscheint 2007 im Michael Imhof Verlag Petersberg).
7 Die Korrespondenz der Gebrüder Pez wird derzeit von Thomas Stockinger und Thomas Wallnig (Wien, Institut für Österreichische Geschichtsforschung) ediert: Vgl. auch Wallnig, Thomas, Gasthaus und Gelehrsamkeit. Studien zu Herkunft und Bildungsweg von Bernhard Pez OSB vor 1709, (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Bd. 48), Wien 2006.
8 Das Zitat bezieht sich allerdings auf einen anderen wissenschaftlichen Disput, den Erath als Augustiner gegen die Benediktiner über die Frage des Altersvorrangs beider Ordensregeln ausfocht.
9 Zur Renovatio von St. Emmeram siehe auch Engelberg 2005 (wie Anm. 1), S. 596–599.
10 „Mausoleum oder herrliches Grab des bayerischen Apostel und Blutzeugen Christi S. Emmerami“, Stadtamhof 1661, lautete der Titel einer von Cölestin Vogl OSB verfassten apologetischen Klostergeschichte.
11 Zum Salemer Konventsbau siehe Ulrich Knapp: Die Gebäude der ehemaligen Zisterzienserabtei und ihre Ausstattung, (Forschungen und Berichte der Bau- und Kunstdenkmalpflege in Baden-Württemberg 11) Stuttgart 2004.
12 Zitat aus der deutschen Ausgabe der Geschichte der böhmischen Zisterzienser „Cistercium Bis-tertium“ (1708) von Augustinus Sartorius.
13 Herbert Beck: Mittelalterliche Skulpturen in Barockaltären, in: Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 108, 1968, S. 209–293.

http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/termine/id=5309
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