Transnationale Erinnerungsorte: Nord- und südeuropäische Perspektiven

Transnationale Erinnerungsorte: Nord- und südeuropäische Perspektiven

Organisatoren
Nordeuropa-Institut der Humboldt-Universität zu Berlin Geisteswissenschaftliches Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas an der Universität Leipzig (GWZO)
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
12.10.2006 - 14.10.2006
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Von
Jörg Hackmann, Historisches Institut, Osteuropäische Geschichte, Universität Greifswald

Erinnerungsorte tauchen in der historischen Forschung und in öffentlichen Diskussionen mittlerweile wie Pilze nach dem Regen auf. Die Tagung des Nordeuropa-Instituts der Humboldt-Universität und des Leipziger Geisteswissenschaftlichen Zentrums Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas (GWZO) zielte jedoch keineswegs nur auf eine „Hier auch“-Beobachtung, sondern verfolgte ein ambitioniertes doppeltes Programm: einerseits transnationale Erinnerungsorte zu untersuchen und sie andererseits großregional in Europa zu vergleichen, wobei neben dem Norden und Süden auch der Osten Europas großen Raum einnahm. Die Initiative zur Tagung ging von einem von der VolkswagenStiftung geförderten GWZO-Projekt über „Diktaturbewältigung und nationale Selbstvergewisserung an der Semi-Peripherie Europas: Geschichtskulturen in Polen und Spanien im Vergleich“ aus. Der Fokus der Tagung auf Erinnerungsorte sollte einen räumlich, zeitlich wie thematisch multiperspektivischen Zugriff ermöglichen, um dann zu prüfen, in welcher Richtung zukünftige Forschungsansätze vertieft werden können.

Dieser Ansatz implizierte zunächst einen Rückblick auf das Konzept der nationalen Erinnerungsorte. In seinem Eröffnungsvortrag ging Etienne François (Berlin) von dem Diktum Noras aus, dass die Geschichte eine, das Gedächtnis aber trenne, und betonte, Erinnerungsorte seien zwar meist transnational, erinnert werde aber national. Vor diesem Hintergrund habe in die „Deutschen Erinnerungsorte“ die Kategorie der „geteilten Erinnerungsorte“ Eingang gefunden, die auch als ein Modell für die Begründung einer europäischen Gedächtniskultur gelten könne. Am Beispiel von „1968“ in Ost und West etwa dominierten jedoch - wie auch bei anderen Kandidaten für europäische Erinnerungsorte - die nationalen Unterschiede. Gemeinsamkeit ließe sich allenfalls in der Abgrenzung, wie etwa im Falle von Faschismus und Kommunismus, konstatieren. Daraus folge, dass Europa insgesamt weniger mit dem Konzept von Erinnerungsorten zu begreifen sei, sondern nach einem offenen Ansatz verlange, der nach neuen Gedächtnispraktiken frage. In einem solchen Unternehmen, so François, seien die Historiker freilich befangen, da sie eher Akteure als Zeugen der Entwicklung seien, vielmehr seien für die Erforschung europäischer Gedächtnispraktiken die Sozialwissenschaften und die Kulturanthropologie gefragt.

Für die anschließenden Diskussionen der Tagung hatten die Veranstalter fünf Sektionen vorgegeben: erstens nationale Erinnerungsorte außerhalb der heutigen Staatsgrenzen, zweitens gemeinsame versus doppelte und drittens konkurrierende Erinnerungsorte, viertens Erinnerungslandschaften und fünftens eine Podiumsdiskussion über vergleichende Diktaturbewältigung in Spanien und Ostmitteleuropa.

Die drei Sitzungen zu Erinnerungsorten befassten sich vor allem mit räumlich konkreten Orten, die einerseits das vorgegebene Ordnungsmuster auflösten, andererseits durch ihre Vielschichtigkeit zugleich auch den farbigsten Teil der Konferenz bildeten. Sacha Zala (Bern) stellte Fiume / Rijeka als italienischen Erinnerungsort vor. Die italienische Wahrnehmung der vom Faschismus als "città olocausta" (!) heroisierten Stadt, die noch 2005 als italienischste aller Städte bezeichnet worden sei, sei durch die auf Gabriele d’Annunzio zurückgehende Mythenbildung des „verstümmelten Siegs“ von 1919 nachhaltig geprägt worden. D’Annunzios Villa am Gardasee habe sich in der zweiten Nachkriegszeit zu einem „Disneyland des italienischen Nationalismus“ herausgebildet. Damit einhergegangen sei ein Konsens zur Verdrängung des konkreten Ortes aus dem italienischen Gedächtnis, erst in jüngerer Zeit würden Elemente der Stadt als reale Erinnerungsorte wichtiger als Denkmale. Von dieser italienischen Erinnerungskultur sei die ungarische und kroatische Wahrnehmung der Stadt jedoch diametral getrennt. Für die kroatischen Bewohner, so Zala, sei die Stadt als Erinnerungsort nicht präsent.

In ähnlicher Weise beschrieben Fikret Adanir (Bochum), Ulrike Tischler (Graz) und Stefan Troebst (Leipzig) weitere Städte im östlichen Mittelmeerraum. Adanir führte zu Smyrna / Izmir aus, dass die polykulturelle Geschichte der Stadt mit dem Stadtbrand 1922, der die Viertel der „Franken“ und Armenier vernichtete, innerhalb von Tagen beendet worden sei. Als Ergebnis sei die Stadt zu einem vor allem in griechische und türkische Erinnerungen geteilten Gedächtnisort geworden, während die Geschichte der Armenier, Juden sowie der ethnokonfessionellen Gruppe der Levantiner zwar Gegenstand historischer Forschungen, nicht aber im kollektiven Gedächtnis verankert sei. Der historische Multikulturalismus werde heute primär aus touristischen Motiven zelebriert, könne aber, so Adanir, nicht als adäquate Form des Erinnerns gelten. Wichtig sei hier ein Forschungsansatz, der sich mit multiplen und situativen Identitäten in der Stadt befasse. Ulrike Tischler führte zu Byzanz / Konstantinopel / Istanbul drei Ebenen an, auf denen die Stadt als Erinnerungsort präsent war. Hier sei erstens die Welthauptstadt zu nennen, für die zahlreiche Rombezüge, aber auch die Bewahrung des Kulturerbes (Hagia Sophia) in osmanischer Zeit sprechen. Auf der zweiten Ebene als orientalische Kapitale könne das ökumenische Patriarchat als regionsbildender Erinnerungsort betrachtet werden, der als helleno-osmanisches Konstrukt noch 1908 bei der Revolution der Jungtürken relevant war. Mit dem Balkankrieg 1912 sei eine Wende zu geteilten, nationalisierten Erinnerungen eingetreten, die für Istanbul Provinzialisierung, Türkisierung und Nostalgisierung bedeuteten. Allerdings gebe es in jüngerer Zeit auch Indizien für eine umfassende Auseinandersetzung mit dem kulturellen Erbe und für eine Wiederbelebung der transnationalen Beziehungen, etwa im Stadtteil Pera. Stefan Troebst hob in seinen Beobachtungen zu Solun / Selânik / Salonika / Thessaloniki die divergierenden Erinnerungsstränge hervor. So werde der historische Weiße Turm am Hafen als Symbol sowohl für das griechische Streben nach einem Nationalstaat wie für das türkische Tor nach Europa gesehen. Außerdem stehe er für die Erinnerung an das jüdische Stadtviertel und schließlich für die Südslaven als Gefängnisturm für nationale Unterdrückung. Zusätzliche geschichtspolitische Aufladung habe die Stadt als Geburtsort von Kemal Atatürk und als Ausgangspunkt der jungtürkischen Revolution erhalten. Die Tatsche, dass die Stadt ein bedeutender südslavisch-mazedonischer Erinnerungsort sei, werde in Griechenland vielfach noch als Bedrohung der staatlichen Integrität wahrgenommen.

Königsberg / Kaliningrad führte Bert Hoppe (Berlin) als einen gespaltenen Erinnerungsort vor: einerseits sei es eine Stadt ohne Gegenwart, andererseits eine Stadt ohne Vergangenheit. In sowjetischen Filmen, die bis in die 1960er Jahre in den Ruinen gedreht wurden, sei Königsberg als Sinnbild der deutschen Stadt schlechthin dargestellt worden. Die Stadt selbst sollte nach dem städtebaulichen Gesamtplan von 1954 eine exakte Kopie Moskaus werden und dem Moskauer Generalplan von 1937 folgen. Daneben wurde versucht, einerseits die These urslavischen Bodens in Kaliningrad zu untermauern, und andererseits wurde das gesamte Weichbild der Stadt durch Erinnerungen an den „Sturm Königsbergs“ neu formatiert, die gleichermaßen eine Vorpostenmentalität und die Einstellung, nur „temporäre Gäste“ zu sein, untermauerten. Allerdings gab es, so Hoppe, in der Denkmalschutzbewegung, die sich zu Beginn der 1960er Jahre etwa für den Wiederaufbau des Schlosses mit modernen Elementen einsetzte, auch eine Aneignung städtischer Geschichte. Diese erlitt jedoch mit Chrušcevs Ablösung einen empfindlichen Dämpfer und formierte sich erst seit den 1980er Jahren neu. Heute könne dagegen, ungeachtet der Auseinandersetzung um die Erinnerung an das 750-jährige Stadtjubiläum, von einem Erinnerungspluralismus gesprochen werden.

Wenn in den hier betrachteten Städten Transnationalität eher ein geschichtswissenschaftliches Projekt denn ein Element gegenwärtiger Erinnerungskulturen ist, dann lassen sich transnationale Züge offensichtlich eher an Orten antreffen, die weniger vielschichtig sind. Im Falle der Erinnerung an die Schlacht von Tannenberg / Grunwald / Žalgiris / Grjunval’d 1410 sprach Rimvydas Petrauskas (Wilna) von einer „Erinnerungskette“ im östlichen Mitteleuropa, die von Polen 1910 ausgehend mittlerweile auch Weißrussland erfasst habe, wo die Schlacht unter dem Ortsnamen Dubrovna erinnert wird. Hatte es sich bei dem Jubiläum 1910 noch um eine rein polnische Siegesfeier gehandelt, so sei Žalgiris als litauischer Erinnerungsort vor allem in sowjetischer Zeit als Gegenpol gegen den national konnotierten Vytautas-Kult entwickelt worden. Seit 1939 habe es zudem Ansätze in der Sowjetunion gegeben, Grjunval’d als russischen Sieg unter Außerachtlassung Polens und Litauens zu deuten. Mit der Unabhängigkeit Litauens sei die polnisch-litauische Gemeinsamkeit erneut in den Vordergrund der Erinnerungspolitik getreten. Bei einem Besuch auf dem Schlachtfeld im Jahr 2000 priesen die Präsidenten beider Länder die militärische Kooperation 1410 als Argument für die Aufnahme Litauens in die NATO. Nationalistische Deutungslinien, so Petrauskas, seien hier einer Interpretation als Vorläufer internationaler Friedenssicherung gewichen. Näher lag das Moment der Friedenssicherung freilich in der Formierung Genfs zu einem nordischen bzw. skandinavischen Erinnerungsort, den Norbert Götz (Stockholm) skizzierte. Diese Perspektive hatte sich nach dem Schiedsspruch zu den Ålandinseln von 1921 ausgeprägt und dazu geführt, dass die skandinavischen Staaten Genf als Bauplatz ihrer nordischen Zusammenarbeit deuteten, der auch jenseits der Diplomatie sich etwa in der Gründung einer schwedischen Heimvolkshochschule für „internationale Gemeinschaftskunde“ manifestierte.

Der Blick auf Erinnerungslandschaften, der hier nicht im Sinne von Noras vormodernen „milieux de memoire“, sondern als Ergebnis postnationaler Erinnerungskulturen gemeint war, förderte zunächst prononciert gegensätzliche Wahrnehmungen im Fall der deutsch-dänischen Grenzregion Schleswig zutage: Bernd Henningsen (Berlin) zeigte an den realen und geplanten Reisen des „Idstedter Löwen“, dass von einer gemeinsamen Erinnerungskultur in der Region nicht gesprochen werden könne: Der Löwe, der an eine Schlacht von 1850 erinnert, sei weder als Kunstwerk noch als Kriegsmahnmal für eine gemeinsame Erinnerungskultur zu nutzen. Bo Steen Frandsen (Hannover) untermauerte diese Beobachtung und hob hervor, dass Schleswig für die Dänen eindeutig ein nationaler Erinnerungsort sei, während es in Deutschland als regionaler gelte. In Dänemark seien keine Ansätze erkennbar, im Kontext von Schleswig über transnationale Erinnerungsorte nachzudenken. Karsten Brüggemann (Lüneburg) knüpfte in seiner Verortung Sibiriens im estnischen Gedächtnis implizit an diese Diskussion an und versuchte, der vorherrschenden Perspektive eines nationalen estnischen (ebenso wie lettischen und litauischen) Erinnerungsortes zum einen die individuellen Erfahrungen Sibiriens und zum anderen transnationale Ansätze in der gemeinsamen Erinnerung an Sibirien als Ort der Deportation gegenüberzustellen. Allerdings werde in Estland seit der Perestroika das Überleben in der fremden Welt Sibiriens von einem Narrativ des nationalen Martyriums geprägt. Zuwiderlaufende Fragen würden bisher nicht thematisiert, und Ansätze zu transnationaler Erinnerung würden heute nur noch von der in der russischen Gesellschaft zunehmend marginalisierten Vereinigung „Memorial“ aufrechterhalten.

Dass die Überlagerung von kollektiven Erinnerungen noch sehr vielschichtiger sein kann, demonstrierte Max Engman (Åbo / Turku) in seinem Beitrag zu Finnland, das er als einen einzigen schwedischen Erinnerungsort bezeichnete. Freilich ging es ihm weniger um die Erinnerung in Schweden an Finnland, sondern umgekehrt darum, wie die schwedische Zeit in Finnland erinnert wird. Allerdings habe das hier zu nennende schwedische Recht in Finnland weniger ein transnationales Gedächtnis konstituiert, sondern eher zur historisch-politischen Zementierung des Zustands von 1809 gedient. Daneben sei ebenso eine „Nostrifizierung“ schwedischer Orte am Beispiel der Festung Sveaborg (heute Suomenlinna) zu erkennen. Als transnationaler Erinnerungsort in Finnland sei jedoch das heute in Russland gelegene Wiborg / Viipuri / Vyborg zu betrachten. Wenn das Konzept von Erinnerungslandschaften am finnisch-schwedischen Fall nicht wirklich anzuwenden ist, so stellte Peter Aronsson (Linköping) die Situation für den „Norden“ anders dar. Er wies darauf hin, dass in Schweden bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein nationalistisches Konzept in Bezug auf den Norden dominierte, das zunächst etwa im Nordischen Museum in Stockholm anzutreffen war. Mit dem Ersten Weltkrieg sei es jedoch einer allgemeinen Zuwendung zu einer pazifistischen Haltung und der Abkehr von militärischen Erinnerungsorten gewichen. In der Folge sei die Naturalisierung des Erinnerungsdiskurses zur Grundlage für eine nordische Erinnerungslandschaft geworden, in die sich dann weitere Elemente des kulturellen Erbes integrieren ließen. Die zahlreichen Inszenierungen mittelalterlichen Alltags zeigten, dass nationale Erinnerungsfragmente dort keine Rolle spielten. Wenn hier der ökonomische Erfolg die Produktion einer Erinnerungsregion jenseits nationaler Erinnerungsdiskurse befördert, dann ergab sich aus den erwähnten Beiträgen zum Mittelmeerraum, dass diese Einsicht im südöstlichen Europa nicht geteilt wird. Ein Parallelvortrag zum Mittelmeerraum fiel bedauerlicherweise aus. Carolin Behrmann (Berlin), die mit einem Beitrag zur Erinnerungspolitik der Kardinalsgrablegen in Rom und Paris einsprang, zeigte, dass auch unter der differierenden Semantik von Nation in der Frühen Neuzeit die Frage nach transnationalen Erinnerungskulturen ein fruchtbares Forschungsfeld ist. Dieser Hinweis war insofern sinnvoll, da die Diskussion über historische Großregionen wie den Mittelmeer- oder Ostseeraum sich zu einem großen Teil aus der Betrachtung der Frühen Neuzeit speisen.

Die von Marianne Zepp von der Heinrich-Böll-Stiftung geleitete Podiumsdiskussion zu den Erinnerungslandschaften Spaniens, Litauens und Polens nach der Diktatur kam zu dem einhelligen Ergebnis, dass Gedächtnis mittlerweile eine geradezu inflationäre Verwendung in der politischen Auseinandersetzung mit diktatorischer Vergangenheit findet. In Spanien und Polen, so betonten Xosé-M. Núñez Seixas (Santiago de Compostela) und Antonio Sáez-Arance (Köln) sowie Robert Traba (Berlin/Warschau), gingen diese „Gedächtnisexzesse“ mit geschichtsrevisionistischen Tendenzen einher. Alvydas Nikžentatitis (Wilna) hob für Litauen hervor, dass die einheitliche sowjetische Erinnerungskultur zunächst durch einen revitalisierten Nationalismus aus der Zwischenkriegszeit abgelöst wurde. Seit 1995 gebe es jedoch Versuche, ein kulturelles Gedächtnis für das ganze Land zu schaffen, wobei wichtige Impuls von außen gekommen seien: zum einen durch die Diskussion über die litauische Beteiligung am Holocaust und zum anderen durch Versuche, auch die Minderheiten in die litauische Erinnerungskultur zu integrieren. Traba wies auf das aktuelle Interesse an Erinnerungsorten in Polen hin und hob zugleich hervor, dass sich die Diskussionen in Polen nach wie vor um den Zweiten Weltkrieg zentrierten. Mit der Enttabuisierung des Verhältnisses zur Ukraine und der Vertreibung der Deutschen sowie durch die Debatte über das Verhältnis von Opfern und Tätern in Polen hätte sich die kollektive Erinnerung in den letzten zwei Jahrzehnten jedoch fundamental gewandelt. Die Frage, inwiefern es eine übergreifende europäische Dimension in der kollektiven Erinnerung an Diktaturen gibt, blieb offen. Während in Polen nach wie vor der Zweite Weltkrieg im Mittelpunkt steht, ist es in Spanien die Franco-Diktatur und in Litauen die Perspektive der doppelten Okkupation. Strukturelle Ähnlichkeiten machten die Diskutanten einerseits in zivilgesellschaftlichen Akteuren von Erinnerungspolitik aus, die in Polen und Litauen etwa als „Rebellen aus der Provinz“ erhebliche Wirkung erzielen konnten, sowie andererseits in Tendenzen, nationalistische oder fragmentierte Perspektiven zu reaktivieren.

Vor dem Hintergrund der sehr unterschiedlichen Facetten konnten weiterreichende Ansätze zu einem Vergleich ostseeregionaler und mediterraner Erinnerungsorte auf der Tagung nur angerissen werden. Deutlich zu erkennen war aber, dass die Analyse von Städten als Erinnerungsorte in diachroner wie synchroner Perspektive erhebliches Interesse findet und dass die Erinnerung an polykulturelle Zustände in der Vergangenheit nicht allein als oberflächlicher Reflex zur Gewinnmaximierung der Tourismusbranche gelten kann. Peter Aronsson verwies am nordeuropäischen Beispiel einmal mehr darauf, dass dort alte nationale Gegensätze vergessen worden und einer eher als translokal zu bezeichnenden Dynamik gewichen seien, die zu einer erinnerungsgeschichtlichen Konstitution einer Großregion geführt habe. Die Beschäftigung mit dem kulturellen Erbe und damit auch Formen kollektiver Erinnerung seien einerseits eine Resonanz ökonomischer Entwicklung, stimulierten sie andererseits aber auch. Für den südeuropäischen Raum sprachen die Diskutanten dagegen übereinstimmend von einem Sog nationaler Erinnerungen. Offensichtlich stellen zwischennationale, lokale oder regionale Zustände dort zunächst eine archäologische Herausforderung für die Historiker dar. Deutlich wurde aber, dass eine szientistische Trennung zwischen der Analyse von Gedächtniskulturen und der Produktion neuer Formen kultureller Erinnerungen, die zwangsläufig mit der Tätigkeit der Historiker verbunden sind, nicht aufrechtzuerhalten ist. Ein intensiveres Studium räumlich konkreter Erinnerungsorte und Erinnerungslandschaften kann, so ließe sich als Fazit formulieren, zu der eingangs eingeforderten europäischen Gedächtniskultur beitragen.


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