Wissenschaft im Film - Film in der Wissenschaft

Wissenschaft im Film - Film in der Wissenschaft

Organisatoren
Schweizerische Gesellschaft für Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften (SGGMN) / Société suisse d'histoire de la médecine et des sciences naturelles (SSHMSN)
Ort
Zürich
Land
Switzerland
Vom - Bis
05.10.2006 - 06.10.2006
Url der Konferenzwebsite
Von
Konstanze Weltersbach, ETH Zürich

Die Schweizerische Gesellschaft für Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften (SGGMN), Société suisse d'histoire de la médecine et des sciences naturelles (SSHMSN) ist bestrebt, die Erkenntnis von der Notwendigkeit der Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften in weitere Kreise tragen und sie besonders den Studierenden dieser Fächer näher bringen. Das Ziel ihrer Tätigkeit sieht die Gesellschaft darin, das naturwissenschaftliche Denken durch den Einbezug der historischen Dimension zu ergänzen.

Auf der diesjährigen Jahrestagung der SGGMN/SSHMSN vom 5.-6. Oktober 2006 in Zürich beleuchteten Filmemacher, Wissenschafts- und Medizinhistoriker das Verhältnis von Film und Wissenschaft in Geschichte und Gegenwart.

Tier- und Naturfilm
Im Anschluss an die Eröffnung durch Hans-Konrad Schmutz (Winterthur) sprach Andreas Moser (Zürich) zum Thema „Animal Film Making between Ethics and Commercial Survival“. Er stellte die klassischen narrativen Mittel des Tierfilms vor. Im Zentrum seines Vortrages stand die Frage, wie „wahr“ eine Dokumentation sein müsse, um wirklich als Dokumentation zu zählen. An welchem Punkt wird aus einer Dokumentation eine Fiktion?

Es folgte Derek Bousé (Philadelphia), der eine Einführung in die historischen Aspekte des Tierfilms gab. Er knüpfte an Andreas Mosers Frage nach dem Realitätsanspruch von Dokumentationen an und betonte die kondensierte Handlung im Tierfilm. Wenn alle möglichen Ereignisse in einem halbstündigen Film gezeigt werden müssen, erlebt das Tier mehr „Action“ als sonst in einem ganzen Monat.

Den Abschluss des Vormittags bildete der Dr. Markus Guggenheim-Schnurr Gedenkvortrag von Jakob Tanner (Zürich) mit dem Titel „Populäre Wissenschaft: Metamorphosen des Wissens im Film und anderen Medien“. Er stellte die Frage nach der Objektivität filmisch dokumentierter Versuche, diagnostischer Methoden und Resultate. Die anschliessende Diskussion brachte die unterschiedlichen Herangehensweisen und Ansprüche von Theoretikern und Praktikern zum Ausdruck.

Hygiene- und Aufklärungsfilm
Wie kam es, dass medizinische Aufklärungsfilme über Hygiene und Geschlechtskrankheiten in den 1920er und 30er Jahren regelrechte Straßenfeger waren? Mit dieser Frage beschäftigten sich die nächsten beiden Vorträge. Zuerst berichtete Anita Gertiser (Zürich) über die mediale Inszenierung der Geschlechtskrankheiten und ihrer Ursachen und Folgen in Aufklärungsfilmen vor 1935. Sie sprach das Problem der Vermittlung von Sinneseindrücken durch ein den Gesichtssinn betonendes Medium an. Die Erzeugung von Ekelgefühlen sollte der Abschreckung dienen, jedoch wird Ekel in der Realität weniger durch den Gesichts- und Hörsinn als durch Geruchs- und Tastsinn erregt.

Im Anschluss sprach Philipp Osten (Stuttgart) über den deutschen Kulturfilm zwischen Hygienischer Volksbelehrung, Propaganda und Kunst. Als Beispiel diente ihm vor allem die I. Internationale Hygiene-Ausstellung im Jahr 1911 in Dresden.

Henry E. Sigerist Preis
Der diesjährige Preisträger des Henry E. Sigerist Preises ist Bruno J. Strasser mit seiner Arbeit „La Fabrique d’une nouvelle science. La biologie moléculaire à l’âge atomique“, 1945-1964 (Firenze 2006). Im Anschluss an die Preisverleihung folgte der Vortrag der Preisträgerin 2005 Isabel Miko Iso (Zürich) über Geschlechterspezifik und Sterilisation.

Filmabend
Den Abschluss des ersten Tages bildete der Dokumentarfilm „Ich hiess Sabina Spielrein“ von Elisabeth Márton mit einem einführenden Kommentar von Vincent Barras (Lausanne). Der Film erzählt die Geschichte der dritten Gründerfigur der Psychoanalyse neben Freud und Jung, wie sie aus dem von Sabina Spielrein selbst hinterlassenen Briefwechsel und Tagebüchern rekonstruierbar ist. Somit ist er ein Beispiel für eine filmische Umsetzung der Medizingeschichte.

Zeit im Bild
Der zweite Tag begann mit Francesco Panese (Lausanne), der in seinem Vortrag „L’écriture du temps: cinéma scientifique et descriptions temporelles des processus naturels“ eine Typologie der Darstellung von Zeit im bewegten Bild erarbeitete. Nach dieser Typologie lassen sich alle bewegten Bilder als Spur, Figur und Szene einordnen. Die dargestellte Zeit kann dabei einfach, sequenziell, kontinuierlich oder direkt verlaufen.

Wissenschaft im Bild
Als nächstes folgte Sir Christopher Frayling (London), der unterhaltsam das Bild des Wissenschaftlers im Kino vorstellte („The Scarecrow’s Brain: Images of the Scientist in Film“). Dabei spannte sich der „Typ“ Wissenschaftler vom liebenswürdig-schrulligen Jerry Lewis bis zum bösartigen Dr. Mabuse. Es ging ihm aber nicht nur um den Film, sondern auch um die Rezeption dieser Bilder in der Öffentlichkeit.
Alexander Singer (Los Angeles), Startrek-Regisseur und langjähriger Weggefährte Stanley Kubrick’s, spickte seinen Vortrag über die Zusammenarbeit von Technologie und Film („Where the Two Cultures Meet“) mit Anekdoten aus seiner Zeit in Hollywood. Am Beispiel des Films „Minority Report“ zeigte er auf, dass die Hauptfiguren zwar mit futuristisch wirkender, aber in hohem Masse realistischer Technik arbeiten, der Regisseur sich aber zugunsten der Story am Höhepunkt auf (über-) menschliche Fähigkeiten „beschränkt“.

Erdgas-Posterpreis Medizin- und Wissenschaftsgeschichte
Anschließend folgte die Verleihung des Erdgas-Posterpreises Medizin- und Wissenschaftsgeschichte. Den Preis teilen sich Angelika Uhlmann (Greifswald) mit ihrem Poster „Die Reihenaufnahmen von Ernst Kohlrausch (1850-1923) mit seinem ‚Apparat’“, Christine Cooper (Bern) mit dem Poster „War injuries on soldier skeletons from 1799“ und Melanie Grütter (Basel/Zürich), die ein Poster zum Thema „Totschlag in Berlin. Die Formierung der Wissenskategorie Geschlecht im psychiatrisch-klinischen Diskurs 1900-1933“ eingereicht hatte. Insgesamt wurden 15 Poster der Jury zur Beurteilung vorgelegt.

Film als Instrument der Wissenschaft
Monika Dommann (Zürich) führte Beispiele zu radiografischen Momentbildern und Bildreihen in den 1930er Jahren vor. Als Beispiel diente ihr die Pedoskopie, Röntgenapparate, die in Schuhgeschäften für die Kontrolle der Fußform benutzt wurden. Sie sprach auch über Röntgenkinematographie und Schirmbildverfahren.

Barbara Orland (Zürich/Berlin) führte die Zuhörer auf „Virtuelle Reisen durch die Schwangerschaft im Internetzeitalter“. Ihr Argument war, dass Simulationen und Verfahren zur Sichtbarmachung des Embryos ein biografisches Denken schaffen. Der Embryo wird mit Charakterzügen ausgestattet, welche die Einstellung zum Wert des vorgeburtlichen Lebens verändern. Die Entwicklung einer Simulation durch das Hintereinandersetzen von Embryos verschiedener Entwicklungsstufen schlug den Bogen zum Tierfilm am Anfang der Tagung, in dem mehrere Tiere verwendet werden, um das Leben eines Individuums zu rekonstruieren.

Der Vortrag von Jean-Jacques Dreifuss (Genf) handelte von den Chromatographien des französischen Physiologen Etienne-Jules Marey. Er setzte diese wissenschaftlichen Arbeiten in deutlichen Kontrast zu den ähnlichen, aber vor allem ästhetisch-fotografisch angelegten Werken von Eadweard Muybridge.

Eberhard Wolff (Zürich) zeigte in seinem Vortrag, wie der Hirnforscher Walter Rudolf Hess seine These vom Zwischenhirn als einem wichtigen Schaltzentrum des Zentralnervensystems in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit populär machte, indem er diese These mit geschickter Schnitttechnik in den Demonstrationsfilmen zu seinen Experimenten mit Katzen heraushob.

Trotz der vielen Schwerpunkte erschien die Jahrestagung als in sich schlüssiger Themenkomplex. Die Vortragenden nahmen Bezug auf einander und halfen dem Zuschauer auf diese Weise, wiederkehrende methodische und narrative Traditionen leichter zu erkennen. Zu häufig finden Veranstaltungen statt, in denen über ein Medium gesprochen wird, mit diesem aber nicht gearbeitet wird. Es ist erfreulich, dass an dieser Tagung über den wissenschaftlichen Film tatsächlich immer wieder Filmausschnitte gezeigt wurden, die nicht nur der Illustration dienten, sondern eigene Argumente darstellten.

Eine Publikation der Vorträge ist vorgesehen.


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