International Conference on Nursing History

International Conference on Nursing History

Organisatoren
Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung
Ort
Stuttgart
Land
Deutschland
Vom - Bis
27.09.2006 - 29.09.2006
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Von
Barbara Randzio, Bielefeld

Im Rahmen des Programms „Beiträge zur Geschichte der Pflege“ der Robert Bosch Stiftung hat das IGM seine erste englischsprachige Tagung zur Geschichte der Pflege durchgeführt, um den Austausch zwischen Forscherinnen und Forschern aus dem englischsprachigen Raum (USA, Kanada, Großbritannien) mit Kollegen aus Schweden, der Schweiz, Österreich und der Bundesrepublik zu ermöglichen. Die Vorträge waren in vier Sektionen aufgeteilt: „Professionalization“, „Relationship between nurses and patients“, „Impact of alternative medicine on nursing/History of everyday nursing“ und „Places of nursing“.

Die Sektion „Professionalization“ wurde von Christine E. Hallet (Manchester) eröffnet. Ihr Vortrag „The first pre-registration course for nurses in a British university: a quiet revolution in nurse education“ befasste sich mit Colin Fraser Brockington (1903-2004). Der Professor für Sozialmedizin an der University of Manchester hatte die Professionalisierung der Krankenpflege gegen den Widerstand verschiedener Interessengruppen vorangetrieben. 1959 vergab er die ersten universitären Diplome im Bereich Krankenpflege für „Community Nursing“. Gegner der Akademisierung waren nicht nur Mediziner, sondern auch Krankenschwestern des „General Nursing Council“. Die anschließende Diskussion zielte auf die Rahmenbedingungen und Besonderheiten dieses Modells im Hinblick auf typische Widerstände gegen die Akademisierung der Pflege. Ohne die tatkräftige Unterstützung eines Mitglieds der medizinischen Fakultät wäre die Einführung eines akademischen Abschlusses für Krankenschwestern sehr viel schwieriger gewesen. Daraus leitete sich die Frage ab, inwiefern Brockington in eine Reihe mit den Ärzten des 19. Jahrhunderts gestellt werden kann, die sich ebenfalls für eine qualitative Verbesserung der Ausbildung eingesetzt hatten.

Patricia D’Antonio (Philadelphia) verglich in ihrem Beitrag „Women, nursing, and baccalaureate education in 20th century America“ mittels quantitativer Analyse von „class, education, and middle class community status“ verschiedene ethnisch definierte Personengruppen innerhalb der Berufsgruppe der Pflegenden. Die wissenschaftliche Öffnung der Pflege seit den späten 1960er Jahren bot gerade Frauen mit afro-, asiatisch- und hispano-amerikanischem Hintergrund einen Arbeitsbereich, in dem sie das Privileg eines hohen Bildungsstandards und größerer sozialer Mobilität im Vergleich zu anderen Frauen mit dem gleichen Hintergrund erreichten. Als problematisch erwies sich, dass es seit den 1980er Jahren zunehmend weniger gelang, die in der Ausbildung erworbenen Wissensbestände im Gesundheitswesen angemessen einzusetzen. Innerhalb der Berufsgruppe sollten, so D’Antonio, soziale Problemlagen (gender, race, ethnic place, educational backgrounds) und Ziele ebenso diskutiert werden wie die Organisation der Pflegepraxis. Nach dem Vortrag wurde der Nutzen des soziologischen Konzepts der Professionalisierung in seiner üblichen Fassung für die Krankenpflege in Frage gestellt. Zudem wurde angeregt, parallel weitere zur Verfügung stehende Quellenbestände stärker zu berücksichtigen, um auch regionale Unterschiede in den USA benennen zu können.

Der Beitrag von Susan McGann (Edinburgh) „From ladies to women: the role of class and gender in the development of nursing as a profession in Britain, 1916-1970“ zeigte den Wandel des Berufsbildes vom Ideal der bürgerlichen unverheirateten weiblichen Elite zu einem allgemeinen Frauenberuf nach dem Zweiten Weltkrieg. In der Debatte um das Verhältnis von Berufung und Beruf votierte das „Royal College of Nursing“ für die Bewahrung einer weiblichen Elite in der Krankenpflege ohne universitäre Ausbildung. Kennzeichnendes Merkmal für die „profession“ blieb also die soziale Zugehörigkeit der Pflegenden zur „upper middle class“. Forderungen nach besseren Tarifen und die Einbeziehung verheirateter Frauen, wie sie in den 1930er Jahren von Gewerkschaften erhoben wurden, versandeten. In der Nachkriegszeit herrschte allerdings auch in Großbritannien ein chronischer Mangel an Pflegekräften, der zusammen mit einer neuen Generation von Oberinnen seit Mitte der 1950er Jahre zu einer Orientierung an den Vorschlägen der Gewerkschaften führte. In der Diskussion wurden zunächst Parallelen im deutschsprachigen Raum benannt. Zu den wesentlichen Faktoren des Wandels nach dem Zweiten Weltkrieg gehörten veränderte Formen der Arbeitsteilung, also kürzere Wochenarbeitszeiten, das Drei-Schichten-Modell und die Teilzeitarbeit. Die politische Vertretung der Pflegenden gewann kaum an Einfluss. Entscheidungsträger in den „Hospital Management Comittees“ blieben die Ärzte.

Andrea Thiekötter (Magdeburg) stellte in ihrem Beitrag „The development of nurses education in the German Democratic Republic (1949-1990)“ die Ausdifferenzierung der Ausbildungswege der Krankenpflege in der DDR vor. Sie unterschied vier Phasen: 1. Anpassung an das Versorgungssystem der Sowjetunion (1945-1949), 2. staatliche Verteilung von Fachkräften (1950-1960), 3. Standardisierung der Ausbildung der mittleren medizinischen Berufe (1960-1974) und 4. Schaffung neuer Ausbildungswege der Erwachsenenbildung, wie das Fernstudium (1974-1989). Während des gesamten Zeitraums gab es in der DDR einen Mangel an Krankenschwestern. Um diesen zu beheben, wurden zwischen 1961 und 1969 mehrere Reformen zur Weiterbildung in der Krankenpflege in Gang gesetzt. Ein Problem blieb der Zugang: Staatstreue erhöhte die Bildungschancen. Diskutiert wurden u. a. die Rolle der konfessionellen Pflege in der DDR, die nur geringfügige Einflussnahme der Lehrenden innerhalb des Ausbildungssystems, da Interessensgegensätze nicht öffentlich ausgetragen wurden sowie die Reaktionen seitens des Pflegepersonals auf die verschiedenen Reformen.

Der Beitrag von Geertje Boschma (Vancouver) „Gender and professional identity in psychiatric nursing: the case of male nurses“ befasste sich mit der Aufhebung der strikten Geschlechtertrennung der Pflegenden in psychiatrischen Anstalten in den Niederlanden und in Kanada sowie mit der Öffnung der Ausbildung für Männer in der psychiatrischen Pflege seit Beginn des 20. Jahrhunderts. Erreicht wurde dies auf Umwegen durch die Organisation von männlichen Pflegenden in Fachvereinigungen und Gewerkschaften. Wärter durften zunächst nicht aus dem Arbeitsbereich Psychiatrie in andere medizinische Fachbereiche wechseln, da sie nicht denselben Bildungsabschluss besaßen wie die Krankenschwestern. Im Bundesstaat Alberta gelang die Gleichstellung von Frauen und Männern in der psychiatrischen Pflege erst durch den „Psychiatric Nursing Act“ von 1955. Offen blieben die Ursachen für den Mangel an Interessenvertretungen von Pflegenden. Die Bemühungen zur rechtlichen Gleichstellung von männlichen und weiblichen Pflegekräften führten auch in Kanada erst nach dem Zeiten Weltkrieg im Zuge eines „Pflegenotstandes“ zum Erfolg.

Carlos Watzka (Graz) zeigte in seinem Vortrag „Professionalization process of charitable catholic nursing activities in the Hospitalarian Order of St. John of God from the 16th to the 18th century” die Grenzen zwischen medizinischer Versorgung und religiösen Lebensformen. Hospitäler des auch als „Barmherzige Brüder“ bezeichneten Ordens entstanden von Spanien ausgehend europaweit. Ende des 17. Jahrhunderts versorgten sie in über 250 Einrichtungen mit mehr als zweitausend Mönchen etwa sechs- bis siebentausend ausschließlich männliche Pflegebedürftige. Die Ordenskonstitutionen sahen tägliche Krankenvisiten vor, an denen Krankenpfleger teilnahmen, die dem Arzt übergeordnet sein konnten. Hygienische und diätetische Regeln innerhalb der Hospitäler waren die Norm: ausreichende Beköstigung, der Gebrauch von Einzelbetten und Nachtstühlen sowie regelmäßige Waschungen und Wäschewechsel. So wurde eine sinkende Sterblichkeitsrate erzielt. Ein weiterer Aspekt von Professionalisierung wurde in der Diskussion deutlich. Gerade die strikt geregelte Ablauforganisation war der Ausgangspunkt für eine individuelle Versorgung. Gefragt wurde auch, inwieweit die Beachtung hygienischer und diätetischer Regeln eine der Grundlagen des modernen Krankenhauswesens war.

Elisabeth Malleier (Wien) wählte für ihrem Beitrag „Some research questions about a Jewish history of nursing on the example of the Habsburg Monarchy between 1867 und 1918” einen geschlechtergeschichtlichen Zugriff. Seit dem 16. Jahrhundert sorgte die Chewra Kadischa (= Beerdigungsbrüderschaft) für die Bestattung der Verstorbenen. Im 18. Jahrhundert übernahm sie teilweise auch die Pflege von Kranken. Die Initiative zur Ausbildung von Pflegerinnen ging von Vereinen aus. So gründete 1874 in Prag der Frauen-Erwerb-Verein die erste Schule für Krankenpflege, 1890 folgte die Gründung der ersten „Section zur Heranbildung israelitischer Krankenpflegerinnen“. Ihre Absolventinnen arbeiteten vorwiegend in der häuslichen Krankenpflege. In der sich anschließenden Diskussion wurde u. a. nach den praktischen Besonderheiten der jüdischen Krankenpflege gefragt sowie nach den Vorbildern für jüdische Krankenpflegerinnen, die hauptsächlich aus den unteren Schichten stammten.

Der Beitrag von Christoph Schweikardt (Bochum) „On the dark side of confessional, professional and power politics – why ward attendants did not benefit from Prussian government initiatives to reform nursing before World War” wies auf die Abhängigkeit der Gesundheitspolitik von Krisen und politischen Auseinandersetzungen hin. Die Choleraepidemie, die während des Kulturkampfes ausbrach, brachte die Bedeutung hygienischer Maßnahmen drastisch in Erinnerung. Trotz des Kulturkampfes blieb die Pflege weiterhin in den Händen der konfessionellen Gemeinschaften. Die katholische Pflege konnte ihren Einfluss in Preußen sogar ausbauen. Bei der Einführung des staatlich anerkannten Examens im Jahre 1907 kooperierte der Staat nur mit den konfessionellen Schwesternschaften und einzelnen Kommunen. Die Verlierer der politischen Auseinandersetzungen waren Wärter. Sie bildeten bis zum Ersten Weltkrieg die schwächste Berufsgruppe im Gesundheitswesen. Debattiert wurde der Einfluss verschiedener Parteien auf die Gesundheitspolitik im Kaiserreich. Es waren Gewerkschaften und Sozialdemokratie, die nach der Jahrhundertwende die parlamentarischen Debatten nutzten, um über den Personalmangel, die schlechten hygienischen Bedingungen und die defizitären Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern zu informieren.

Gunnel Svedberg (Stockholm) thematisierte in ihrem Vortrag „Psychiatric nurses in the nordic countries“ die Spezialisierung in der Krankenpflege. Die erste weltliche Krankenpflegeschule Schwedens wurde 1868 gegründet. Die horizontale Durchlässigkeit der Arbeitsbereiche stärkte die Berufsgruppe, weil das Arbeitsfeld Psychiatrie keine „Einbahnstraße“ war. Schwestern und Ärzte einigten sich auf eine bestimmte Aufgabenverteilung, was dazu führte, dass die Krankenpflege zunächst in weiblicher Hand war. In Uppsala wurden später zusätzlich männliche und weibliche Wärter ausgebildet, die den Anweisungen der Schwestern folgen mussten, womit die Wärter auch in Schweden hierarchisch unter den Schwestern standen. Die Leitungsfunktionen in der psychiatrischen Krankenpflege blieben in Schweden bis 1950 ein weibliches Privileg. Gefragt wurde, wie diese Gruppe von Krankenschwestern trotz fehlender konfessioneller Anbindung ein positives Selbstbild aufbauen und dadurch ihre eigenen Tätigkeiten aufwerten konnte. Ein Grund war die partielle Unabhängigkeit der führenden Schwestern. Dazu trat mit den einsetzenden Reformen Anfang des 20. Jahrhunderts eine Art Aufbruchstimmung in der Psychiatrie, die viele gebildete Frauen dazu brachte, sich hier zu engagieren.

In den Kommentaren der Sektionsleiterin Sabine Braunschweig (Basel) und des Sektionsleiters Martin Dinges (Stuttgart) sowie in den anschließenden Diskussionen wurde noch einmal hervorgehoben, dass diese Sektion berufliche Leitbilder mit interessanten Gegensätzen und Parallelen im internationalen Vergleich aufzeigte. Deutlich wurde auch die Kontinuität des Zusammenhangs von Emanzipation und Professionalisierung im Bereich der Krankenpflege, wobei sich der Fokus auf beide Geschlechter als sehr hilfreich erwies. Des weiteren führte die Einführung der Kriterien „Klasse“ und „Ethnie“ zu einer Erweiterung des Blickwinkels. Kontrovers wurde die Mehrdeutigkeit der Bezeichnung Profession bzw. Professionalisierung diskutiert. Zu unterscheiden sei zwischen der Bezeichnung „profession“ im Sprachgebrauch der jeweiligen Zeit, in der Ausdrucksweise von Zeitzeugen in Interviews und als aktueller soziologischer Fachbegriff „Profession“ im Sinne von Handlungskompetenz und Eigenständigkeit.

In der zweiten Sektion „Relationship between nurses and patients“ berichtete Stephen Pielhoff (Wuppertal) über „Women, philanthropy and religious conflict. Aspects of nursing history in Hamburg, 1832-1849“. Er erörterte soziale und religiöse Konflikte innerhalb der Mittelschicht und zeigte zwei Beispiele für das asymmetrische Beziehungsgeflecht zwischen den städtischen Armen und ihren weiblichen „Missionarinnen“. Das Spannungsfeld ergab sich erstens durch unvereinbare Auffassungen vom Umgang mit Armut und Krankheit der alten Hamburger Bürgerschaft (Weiblicher Verein für Armen- und Krankenpflege, Amalie Sieveking) und der liberalen bürgerlichen „Aufsteiger“ (Frauenverein zur Unterstützung der Armenpflege, Charlotte Paulsen). Zweitens leisteten die Vereinsmitglieder keine materielle und finanzielle Unterstützung, sondern erwarteten in erster Linie Dankbarkeit sowie den Austausch über Glaubensfragen und bürgerliche Moralvorstellungen. Beide Ansätze scheiterten, weil sich diese Zielsetzung nicht mit dem Bedarf an (sozial-)pflegerischen Maßnahmen deckte. Erörtert wurde anschließend, inwieweit soziale Kontrolle messbar sei. Wegen der fehlenden schriftlichen Überlieferung seitens der Patienten werde Pflege meist nur aus der Sicht der Pflegenden dargestellt.

Im Vortrag „’Attending to a human being and not to a specific organ’: The relationship between nurses and patients in christian healthcare in West Germany“ beschrieb Susanne Kreutzer (Berlin) die Modernisierung der Krankenpflege zwischen 1950 und 1970 am Beispiel des Henriettenstiftes Hannover. Die nahezu familiäre Verbindung zu den Patienten führte zu einer Arbeitszeit der Schwestern von 70 bis 80 Wochenstunden. Gefragt war in erster Linie Erfahrungswissen. Dies änderte sich in den 1960er Jahren, als höhere Ansprüche an das medizinische Fachwissen gestellt wurden. Der Mangel an Pflegekräften führte zur Verkürzung der Arbeitszeiten, Berufstätigkeit wurde so eher mit einem Familienleben vereinbar. Nach Einführung der Funktionspflege und der Schichtarbeit waren die Schwestern nicht mehr kontinuierlich präsent. Dies bedeutete auch eine Aufteilung der Verantwortlichkeiten im stationären Bereich. In der Diskussion ging es zunächst darum, inwieweit der Begriff „Modernisierung“ für die Praxis der Pflege trägt. Gefragt wurde auch nach den Vor- und Nachteilen für die Versorgung der Patienten. Im Zuge der Modernisierung blieb die Arbeitsteilung zwischen Medizin und Pflege erhalten: Während die Mediziner in erster Linie für die Körperheilung zuständig waren, unterstützten die Pflegenden die persönlichen Ressourcen der Patienten.

Die folgende Sektion „Impact of alternative medicine on nursing/history of everyday nursing“ begann mit dem Beitrag „’On grain of Folly’: boundaries of professional nursing with self-help and nature cures in the second half of the 19th century“ von Sabina Roth (Zürich).
Roth wies auf die Arbeit Pflegender hin, die sich nicht primär an der Schulmedizin orientierten, sondern sich eigene Praxisfelder erschlossen. Ausgangspunkt und Gemeinsamkeit der alternativen Medizin war die Annahme, dass der menschliche Körper über selbstheilende Kräfte verfügte, unterschieden wurden vor allem hygienische und therapeutische Faktoren. Eine Erweiterung der Perspektive bietet laut Roth der kulturanthropologische Blick auf die Praxis von Pflegenden. Diskutiert wurde, welche weiteren Formen alternativer Heilmethoden mit Blick auf die Geschichte der Pflege zu untersuchen sind. Gefragt wurde außerdem nach dem Konflikt zwischen den Krankenpflegenden: War dies in erster Linie ein Konflikt zwischen ausgebildeten und Laienkrankenpflegerinnen oder beruhte er hauptsächlich auf der Durchbrechung der Maxime, selbst nicht therapeutisch tätig zu werden.

Der zweite Vortrag von Karen Nolte (Würzburg) „’Truth at the bedside’ - Conflicts between nurses and physicians“ zeigte die Unterschiede im Umgang mit Schwerkranken und Sterbenden von Ärzten und Diakonissen auf. Während für die Diakonisse die Begleitung Sterbender eine der wichtigsten Aufgaben darstellte, entschieden sich die Mediziner im 19. Jahrhundert zunächst gegen die allgemeine Aufklärung der Patienten, wenn sie eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes fürchteten. Die Diakonissen hingegen sahen die wahrheitsgetreue Darstellung des jeweiligen Krankheitszustandes als ihre Aufgabe, wie mehrere Fallbeispiele zeigten. Untersucht wurde nicht nur die Weitergabe der Information selbst, sondern auch die Zusammenarbeit mit den Angehörigen. Aufgrund der schwierigen Quellenlage kann bislang über das Vorgehen katholischer Schwestern bei Schwerkranken nichts gesagt werden, auf evangelischer Seite gab es aber offensichtlich keine Konflikte zwischen den Pfarrern und den Diakonissen, wenn letztere sich am Krankenbett seelsorgerisch betätigten. Gefragt wurde nach den unterschiedlichen Auffassungen in der Frage der Aufklärung der Patienten innerhalb der Ärzteschaft und inwieweit die Ethik der Pflege bereits in den Lehrbüchern des 19. Jahrhunderts behandelt wurde.

Die vierte Sektion „Places of nursing“ wurde von Eric Gruber von Arni (Birmingham) mit dem Vortrag „Nursing in military hospitals during the English Civil Wars and Interregnum, 1642-1660“ eröffnet. Gruber berichtete von dem strengen Regelwerk für die Pflege kranker und verwundeter Soldaten. Mit Hilfe des Schemas der Aktivitäten des täglichen Lebens, einem heute üblichen Instrument der Pflegeplanung von Roper, Tierny und Logan, stellte er die Qualität der pflegerischen Versorgung dar. Die wichtigsten vom Parlament eingerichteten Krankenhäuser waren Savoy Hostel, Ely House in London und Heriot’s Hospital in Edinburgh. In der Diskussion wurde u. a. nach der Patientenzufriedenheit mit der Behandlung und den Klagen der Krankenschwestern gefragt. Die Quellen zeichnen ein überraschend positives Bild dieser Institutionen, die das Parlament innerhalb sehr kurzer Zeit errichtete. Allerdings galt die Fürsorge nur den Militärangehörigen, die Zivilbevölkerung stand nicht im Fokus des Interesses. Grubers Beispiel zeigte zudem, dass es auch „vor Nightingale“ eine professionelle Krankenpflege in England gegeben hat.

Sylvelyn Hähner-Rombach (Stuttgart) stellte in ihrem Beitrag „’Out of the frying pan into the fire’: from private nursing to police assistant, a case study from the turn of the century“ ein Fallbeispiel aus Württemberg vor. Henriette Arendt, die erste Polizeiassistentin im Deutschen Reich, war zuvor einige Jahre als Privatpflegerin tätig. Nach einer Skizzierung der Lebens- und Arbeitsbedingungen in der Privatpflege um die Jahrhundertwende wurde erläutert, warum Arendt nach fünf Jahren ihre Arbeit bei der städtischen Polizei in Stuttgart aufgeben musste bzw. welche Widerstände ihr eine weitere Arbeit unmöglich machten. Ziel des Beitrags war es vor allem, die Konsequenzen für die Schwestern aufzuzeigen, die sich aus dem jeweiligen Arbeitsumfeld ergaben. Im Zentrum der folgenden Aussprache stand die Bedeutung der zeitgenössischen Frauenerwerbsdiskussion des Bürgertums. Gefragt wurde nach den Berufserkrankungen von Krankenschwestern und ihre Absicherung im Krankheitsfall, die Diskrepanz zwischen Erwartung und Realität des Arbeitsplatzes sowie die Rolle der bürgerlichen Frauenbewegung in dem geschilderten Konflikt.

Im Vortrag „Nurses in the welfare work in Germany 1912-1929“ berichtete Ulrike Gaida (Berlin) aus der ambulanten Arbeit gegen die Tuberkulose in der pommerschen Stadt Stettin. Die wichtigsten Aufgaben waren Prävention und die Beratung. Die überwiegende Zahl der Patienten kam freiwillig. Vorgestellt wurde ein Berufsfeld, das zwischen Krankenpflege und Sozialarbeit angesiedelt war und als Vorläufer der sozialen Berufe gesehen werden kann. Erörtert wurden u. a. die erstaunlich hohe Akzeptanz der Fürsorgestelle bei den Patienten sowie die Position der Fürsorgeschwestern, die eigenständig darüber entscheiden konnten, wer materielle Hilfe erhielt und wer nicht. Die Trennung der Arbeitsbereiche von Ärzten und Fürsorgeschwestern ließ auch letzteren größeren Spielraum, der die Selbständigkeit der Schwestern förderte.

Der Beitrag von Lesley McBain (Saskatoon) „Providing healthcare in Northern Sasketchewan: testing nurses’ professional resolve?“ behandelte den Aufbau der Gesundheitsversorgung im Norden der kanadischen Provinz nach 1944. Die Schwesternstationen waren sehr bescheiden eingerichtet, Kontakte oft nur über Funk möglich, die Arbeits- und Lebensbedingungen der isoliert arbeitenden Krankenschwestern waren also extrem schwierig. Daran hat sich, abgesehen von technischen Verbesserungen, bis heute nicht sehr viel geändert. Gefragt wurde nach möglichen Parallelen zu geographisch vergleichbaren Regionen, wie Sibirien, unter anderen gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen. Von Interesse waren auch die Möglichkeiten der Selbsthilfe der Bevölkerung und der Akzeptanz der „Volksmedizin“ durch die Schwestern. Erörtert wurde zudem die Rolle der Berufsverbände und speziell die der Supervisoren.

Der letzte Beitrag von Myra Rutherdale (Toronto) „Nursing citizenship: northern nurses, natives and bodily encounters, 1945-1970” beschrieb den Versuch, die Schulmedizin bei den kanadischen „first nations“ einzuführen. Jede einzelne Schwesternstation war für etwa zweihundert bis vierhundert Menschen auf größtem Raum zuständig. Rutherdale beleuchtete die Differenz zwischen dem Anspruch und der Wirklichkeit der Gesundheitsversorgung im Norden Kanadas. Mehrere Fallbeispiele, darunter die Biographie einer dieser Schwestern, beleuchteten die Konfliktlinien. In der Diskussion ging es u. a. um die gegenseitige Einflussnahme des traditionellen und des modernen Gesundheitssystems und der Behandlungsmethoden. Auch das Frauenbild der kanadischen Pionierinnen stieß auf großes Interesse.

Im Kommentar des Sektionsleiters Robert Jütte (Stuttgart) wurde die Entdeckung und Diskussion ganz unterschiedlicher Quellen betont, wobei die materiellen Quellen – wie so oft – zu kurz gekommen seien. Die „places of work“ sollten nicht so sehr im Sinne von „Arbeitsplätzen“, sondern von „Umgebungen“ bzw. „Milieus“ in den Blick genommen, um dann verglichen zu werden. Auch fehle es noch immer an Forschungen zum Alltagsleben der Pflege, die über eine „Konfliktgeschichte“ hinausgeht. Wichtig für die Pflegegeschichte ist die Einbettung in weitere Kontexte, wie Sozialgeschichte, Wirtschaftsgeschichte (finanzielle Aspekte der Pflege) und Militärgeschichte.

Eine Auswahl der Beiträge wird 2007 in der amerikanischen Zeitschrift Nursing History Review erscheinen.
Die erste englischsprachige Tagung zur Pflegegeschichte in der Bundesrepublik hat den Austausch der international sehr unterschiedlichen Entwicklungen in der Geschichte der Pflege, vor allem hinsichtlich der Professionalisierung, ermöglicht, und so den Blick auf die nationalen Eigenheiten geschärft. Als sehr positiv wurde auch die ausreichende und lebhaft genutzte Diskussionszeit gewertet. Zudem gab die Tagung Anlass, über internationale Kooperationsprojekte nachzudenken.


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