"Sparzwang oder Kaufrausch? Spar- und Konsumverhalten im Wandel“. Sparkassenhistorisches Symposium

"Sparzwang oder Kaufrausch? Spar- und Konsumverhalten im Wandel“. Sparkassenhistorisches Symposium

Organisatoren
Wissenschaftsförderung der Sparkassen-Finanzgruppe e.V.
Ort
Nürnberg
Land
Deutschland
Vom - Bis
21.09.2006 - 22.09.2006
Url der Konferenzwebsite
Von
Rebecca Belvederesi, Lehr- und Forschungsgebiet Wirtschafts- und Sozialgeschichte, RWTH Aachen

In diesem Jahr hat die Wissenschaftsförderung der Sparkassen-Finanzgruppe e.V. zum Sparkassenhistorischen Symposium „Sparzwang oder Kaufrausch? Spar- und Konsumverhalten im Wandel“ nach Nürnberg eingeladen. Auftakt war in den Abendstunden des 21. Septembers ein Vortrag von Wolfgang Gerke (Universität Erlangen-Nürnberg), der die aktuelle Diskussion um Vorsorge und Fürsorge in einen internationalen Kontext einzubetten versuchte. Am Folgetag widmeten sich im Haus der Sparkasse Nürnberg sechs Referenten - Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen sowie „Sparkassenpraktiker“ - dem eigentlichen Thema der Veranstaltung.

So befasste sich Paul Thomes (RWTH Aachen) ausgehend von einer lebensweltlichen Perspektive mit den „Auswirkungen gesellschaftlichen Wandels auf das Privatkundengeschäft der Sparkassen seit 1945“. Im Gegensatz zur Selbstwahrnehmung der bundesdeutschen Sparkassen als progressive Institution betonte er die Dominanz reaktionärer Momente bis zur Mitte der sechziger Jahre. In der Nachkriegszeit seien sie ebenso wie die Bevölkerung in einem aus der nationalsozialistischen Ära stammenden, „überkommenen Denken“ verhaftet gewesen. Die gesamte Gesellschaft habe sich bis weit in die 1950er Jahre nicht von tradierten Sparsamkeitsidealen emanzipiert und sich weiterhin als Spargesellschaft begriffen. Begründet wird die These durch eine wirtschaftshistorische Rekonstruktion des Mangelzustandes, wie er seit der Weltwirtschaftskrise für rund zwei Dekaden zur Norm avancierte, und obendrein durch personelle Kontinuitäten. Die Akteure seien nach 1945 sowohl in der Sparkasse als auch im Privatkundengeschäft dieselben. Sozialisiert in einem totalitären Regime, das den Konsumverzicht in bislang ungekanntem Ausmaß forcierte, haben sie das Sparsamkeitsethos internalisiert. Der dadurch „eingeübte Sparzwang“ der Sparkassen überdauere jedoch jenen der Bevölkerung; was sich in ihrer abschätzigen Bewertung des Konsumentenkredits und Ratenkaufs, trotz real existierender Konsumwünsche, bis Ende der fünfziger Jahre artikuliere. Ähnliches lasse sich auch für das zu jener Zeit aufkommende Geschäftsfeld des Wertpapierhandels konstatieren. Bis 1965 versäumten die Sparkassen im Zuge der Volksaktien-Emissionen eine Profilierung auf dem Aktienmarkt. Insofern ignorierten sie gesellschaftliche Modernisierungstendenzen. Dies ändere sich erst ab Mitte der 1960er Jahre. In Anbetracht des alle Lebensbereiche ergreifenden sozialen Wandels samt seiner Individualisierungsschübe öffneten sie sich, begünstigt durch die Liberalisierung des Marktes, den heterogenen Bedürfnissen einer „konsumistischen“ Wohlstandsgesellschaft. Um sich in Zeiten des verschärften Wettbewerbs als modernes Institut auf dem Kapitalmarkt zu behaupten, differenzierten sie ihr Dienstleistungsangebot und umwarben es offensiv. Ihr Privatkundengeschäft hielt für die folgenden Jahrzehnte mit dem gesellschaftlichen Wandel Schritt. Im letzten Vierteljahrhundert kristallisierten sich jedoch neue Trends, die in Zukunft noch gewichtiger werden, heraus: der demographische und der verteilungspolitische Wandel. Die relativ wohlhabende „Fünfzig-Plus-Generation“ gehöre ebenso wie der bedürftige „Harz-IV-Empfänger“ zu der Klientel der Sparkassen, die ihren Präferenzen und Bedürfnissen entsprechend auch weiterhin „gut bedient, gut beraten“ werden möchte.

Hieran anknüpfend stellt sich Horst Gischer (Universität Magdeburg) die Frage, was denn nun die heutige „Fünfzig-Plus-Generation“ in den nächsten 25 bis 45 Jahren von ihrer Kapitalanlage zu erwarten hätte. Unter Betonung des prognostischen Charakters seines Themas analysiert er die Beziehung zwischen „Kapitalmarkt und demographischer Wandel. Droht ein ‚Asset-Meltdown’?“. Letztere in der Volkswirtschaftlehre seit den 1990er Jahren kursierende und durchaus kontrovers diskutierte These besagt, dass „alternde“ Gesellschaften tendenziell niedrige Sparquoten und insgesamt eine geringere Nachfrage nach Kapitalanlagen aufweisen, weshalb deren Renditen schrumpfen. Wenn die geburtenstarken Jahrgänge der 1960er Jahre um 2030 in Ruhestand gehen und ihre Anlagen abstoßen, führe dies, aufgrund der demographisch bedingten Nachfragereduzierung nach Kapitalanlagen, zum Preisverfall beziehungsweise Zusammenschmelzen bestehender Kapitalmarktwerte. Demzufolge wäre die Babyboomer-Generation unzureichend im Alter versorgt. Die Asset-Meltdown-Hypothese impliziert folglich einen direkten Zusammenhang zwischen der Altersstruktur einer Nationalökonomie und ihrer privaten Spar- oder Anlagetätigkeit. Insofern versteht sie sich als Weiterentwicklung der Lebenszyklushypothese von Franco Modigliani, nach der Haushaltmitglieder im Alter von 40 bis 60 Jahren das Sparen forcieren, um dadurch im Ruhestand ihren Alterskonsum zu finanzieren. Allerdings, so die Einschränkung Gischers, hänge das private Spar- und Anlageverhalten von der Erwerbstätigkeit ab; eine hohe Arbeitslosenquote begünstige Entsparungsprozesse. Außerdem müsse die Beschaffenheit des Vorsorgesystems berücksichtigt werden. Eine empirische Analyse, welche demographische Faktoren, gesamtwirtschaftliches Konsum-, Spar- und Anlageverhalten, Arbeitslosenzahlenentwicklung und Außenbeitragsquote sowie die (inter-)nationalen Kapitalmarkttrends einbeziehe, bestätige jedoch weder eindeutig noch gesichert die Kernaussage des Asset-Meltdowns. Zumal in der Realität jegliche ceteris paribus Bedingungen wie beispielsweise in der Politik hinfällig würden. Ein demographisch bedingtes Schmelzen bestehender Vermögenswerte sei dementsprechend, zumindest im nächsten Vierteljahrhundert, unwahrscheinlich.

Dies scheinen auch die Resultate einer von der Sparkassen-Finanzgruppe e.V. in Auftrag gegebenen Forschungsarbeit, von Diethard B. Simmer (International School of Management Dortmund) unter dem Titel „Sparpotentiale privater Haushalte - Aktuelle Trends und Perspektiven“ vorgestellt, zu bestätigen. Die in Kooperation mit der BUB Dr. Benölken Unternehmensberatung GmbH durchgeführte Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, dass sich die Spartätigkeit privater Haushalte unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen Entwicklungsdynamik in den nächsten Jahren merklich verändern, nicht jedoch abnehmen, wird. Vielmehr findet eine signifikante Verschiebung statt, weg von dem derzeit praktizierten „freien“ Sparen hin zu einem seitens des Staates durch Anreize „geförderten“ Sparens. Diese Verlagerung beeinflusse künftig in erheblichem Umfang die Geschäftstätigkeit deutscher Kreditinstitute hinsichtlich ihrer Refinanzierung. Für die Sparkassen bedeute dies „neue Produkt- und Refinanzierungsstrategien zu entwickeln, die der wachsenden Bedeutung des ‚Altersvorsorge-Marktes’ Rechnung tragen“.

Nach der Durchleuchtung privater Sparpotentiale fokussierte Rüdiger Szallies (ICON ADDED VALUE GmbH) die andere Seite der Einkommensverwendung. Dabei konzentrierte er sich auf Kaufmotivationen und deren Herbeiführung qua Werbung. Unter der plakativen Überschrift „… und was kommt nach dem Geiz?“ veranstaltete er ein bildreiches „Feuerwerk“, welches verstärkt auf auditive und visuelle Impulse setzte. Werbespots, die bereits erfolgreich im deutschen und us-amerikanischen Fernsehen ausgestrahlt wurden, dienten als lebhafte Beispiele marketingwissenschaftlicher Thesen. Grundtenor bestand im wörtlichen Sinne darin zu zeigen, dass Konsumenten auf einer emotionalen Ebene, die nach neuropsychologischen Erkenntnissen übrigens am effektivsten über Bildsequenzen zu erreichen ist, angesprochen werden könnten/sollten/wollten. Werbeerfolgkontrollen bestätigen, dass nicht allein die Qualität oder der Preis des Produkts zum Kauf motiviere, sondern vielmehr das damit verbundene „Gefühl“. Konsumenten wollten sich in der Marke wieder finden und dies falle ihnen umso leichter, wenn deren Image mit dem persönlichen Wahrnehmungs- und (Selbst-)Erfahrungshorizont korreliert. Positiv geweckte Assoziationen ermöglichen demzufolge eine emotionale Bindung an Produkt und Unternehmen. Dabei unterstrich der Vortrag, die „Dürre in der deutschen Konsumlandschaft“ sei perzeptiv bedingt: Es mangele eher an kreativ-innovativen Konzepten, die durch ihren Optimismus die Erlebniswelt des potentiellen Kunden bereichern, als an der Konsumbereitschaft der deutschen Bevölkerung.

Eine genauere Vorstellung von Lebens- und Erlebniswelten heutiger und morgiger Sparkassenkunden vermittelte Christa Liedke (Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie) dem Plenum mit ihrem Beitrag „Trendsetter oder Postmaterialist? Lebensstile und Wirtschaften im Jahr 2020“. In gesellschaftsdiagnostischer Manier skizzierte sie soziale und demographische Trends wie Globalisierung, Individualisierung, Rationalisierung, Arbeitslosigkeit, wissensbasierte Ökonomie und reflektierte deren möglichen Konsequenzen für das Privat- und Firmenkundengeschäft der Sparkassen. Im nächsten Schritt stellte sie anhand des Sinus-Milieu-Kartoffeldiagramms, das sich an „alltagswirklichen“ bzw. lebensweltlichen und eben nicht mehr an rein schichtspezifischen Kategorien orientiert, die gesellschaftlichen Milieus sowie deren inhaltliche Bedeutung und ihre prozentualen Anteile an der deutschen Gesamtbevölkerung im Jahr 2006 vor. Das für 2020 erstellte Sinusdiagramm bestätige ihrer Meinung nach den aktuellen Trend der milieuspezifischen Modernisierung. Er indiziere, dass „moderne“ Milieus an relativem Gewicht gewinnen während „traditionelle“ weiter verblassen. Fast ein Drittel der deutschen Bevölkerung avanciere in den kommenden 14 Jahren zu Postmaterialisten (12%), Experimentalisten (12%) und Hyper-Experimentalisten (6%); was sich zum einen auf die Personalrekrutierung der Sparkassen, zum anderen auf die soziologische Schichtung ihres Kundenkreises auswirke. Eine sich aus solch „modernen“ Milieus zusammensetzende Kundschaft bedürfe innovativer, auf die persönliche Alltagswirklichkeit zugeschnittener Dienstleistungsangebote. Von daher ginge es nicht länger darum, so wie heute noch, ausschließlich „Etablierte“ und „Konservative“ sowie die „bürgerliche Mitte“ anzusprechen, sondern sich auf die Experimentier- und Risikofreudigen von morgen einzustellen.

Als sechster und letzter Referent stellte Werner Dumberger (Sparkasse Nürnberg) zunächst die Nürnberger Sparkasse in Zahlen vor, hauchte ihr dann aber durch Bilder und Fotographien Leben ein. Anschließend widmete er sich gemäß seinem Vortragstitel „Der private Kunde in der Sparkasse Nürnberg. Wertewandel – Herausforderungen und Chance“ dem sich bereits gewandelten und in der Gegenwart permanenten wandelnden Kundenverhalten und den daraus resultierenden Aufgaben für die Sparkassen. Im Zuge dessen betonte er mit Blick auf die Vergangenheit die geschäftspolitische Bedeutung der Vermögenssicherung und der Altervorsorge seit den 1990ern. Während noch in den „langen fünfziger Jahren“ die materielle Grundsicherung auf Grund des Wiederaufbaus und des privaten ebenso wie staatlichen Nachfragerückstaus die Sparkassentätigkeit dominierte, habe sie sich in den siebziger und achtziger Jahren mehrheitlich darauf ausgerichtet, dem Wunsch nach Vermögensaufbau nachzukommen. Da sich jedoch die Einkommens- und Vermögensschere heutzutage wieder weiterspreize und zudem die Überalterung immer markantere Züge annehme, widme sich die Sparkasse Nürnberg erstens der Aufgabe, bestehende Anlagen vermögenswirksam zu verwalten und zweitens, der jüngeren Generation durch ein entsprechendes Produktangebot eine auf (semi-)privater Basis gesicherte Zukunft selbst im Rentenalter zu ermöglichen. Dies sei jedoch ob des gewandelten Kundenverhaltens kein leichtes Unterfangen, denn Binsenweisheiten wie „Der Kunde ist treu“ oder „Drum prüfe, wer sich binde“ erscheinen heute, in einer vernetzten und auf Schnäppchen-Suche ausgerichteten Welt geradezu anachronistisch. Um auch in Zeiten des stärkeren Rationalisierungsdrucks wettbewerbsfähig zu bleiben, müssten sich die Sparkassen „zum Holgeschäft mit ganzheitlicher Beratung“ entwickeln. Sie sollten nicht mehr nach der „Bring“ (-Dein-Geld-zur-Sparkasse-)Philosophie handeln, sondern auf eine offensive Verkaufsförderung setzen.

Insgesamt hat das Symposium die Komplexität des Themas vor Augen geführt. Dass die Sparkasse ein Kreditinstitut ist, welches sich in einer ständig wandelnden Umwelt permanent hinterfragt und stets aufs Neue entdecken muss, und dies in der Vergangenheit schon einige Male getan hat, zeigt ein Blick in ihre Unternehmensgeschichte. Um Marktanteile zu halten, kann sich die Finanzgruppe nicht sozioökonomischen Trends widersetzen. Die Sparkassen müssen sie, wenn schon nicht aufspüren, so doch wenigstens rechtzeitig erkennen, sich darauf einstellen und sich angemessen, mit Hilfe ihrer bereits gesammelten Erfahrungen positionieren. Dies kann ihnen – so die Quintessenz - nur gelingen, wenn sie die soziale Herkunft, Schichtung und/oder Milieu ihrer Kundschaft berücksichtigen, denn sowohl der eine als auch der andere Teil des Titels treffen zu. „Sparzwang oder Kaufrausch“ schließen sich in der Bundesrepublik nicht unweigerlich aus; sie manifestieren sich in alltäglichen Konsumentscheidungen und haben gleichermaßen Existenzberechtigung – derzeit handelt es sich daher vielmehr um ein sich ergänzendes Gegensatzpaar.


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