Fama: Die Kommunikation der Gerüchte

Fama: Die Kommunikation der Gerüchte

Organisatoren
Dr. Jürgen Brokoff, Prof. Dr. Jürgen Fohrmann, Dr. Hedwig Pompe, Dr. Brigitte Weingart, Institut für Germanistik, Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft in Verbindung mit dem Zentrum für Kulturwissenschaft/Cultural Studies Gefördert durch die Volkswagen-Stiftung
Ort
Bonn
Land
Deutschland
Vom - Bis
04.10.2006 - 06.10.2006
Url der Konferenzwebsite
Von
Hedwig Pompe, Universität Bonn

Anlass des Symposiums war die Überlegung, dass über das Thema "Fama" sich zahlreiche Beziehungen zwischen historischen und aktuellen Kommunikationsformen und deren jeweiligen Theorien in unterschiedlichen Wissensbereichen herstellen lassen. Aus den kulturgeschichtlich äußerst reichhaltigen Spektren, die sich mit Formen und Figurationen von Fama verbinden, wurde schließlich der Aspekt der Gerüchtekommunikation als Tagungsthema ausgewählt. Der Ruhm als Komplementärfigur des Gerüchts sollte nachfolgenden Veranstaltungen vorbehalten bleiben. Durchgeführt wurde die Tagung vom Institut für Germanistik, Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft an der Universität Bonn in Verbindung mit dem Zentrum für Kulturwissenschaft/Cultural Studies der Universität. Jürgen Fohrmann, Jürgen Brokoff, Hedwig Pompe und Brigitte Weingart haben die Tagung konzipiert und ausgerichtet. Die VW-Stiftung hat die Veranstaltung finanziert.

Programm, Teilnehmerinnen und Teilnehmer
Das Symposium erstreckte sich über drei Tage mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen in folgenden Sektionen: Medien und Rhetoriken des Gerüchts / Die Nachricht des Gerüchts und ihre Felder / Epidemische Ausbreitung: Kommunikation und Kontamination. 1 Die kulturwissenschaftlich breite Ausrichtung erlaubte es den Veranstaltern und Veranstalterinnen, Forscherinnen und Forscher aus unterschiedlichen Disziplinen für die Tagung zu gewinnen.2 Die Referate kamen so aus den Bereichen der klassischen Philologie (Dorothee Gall), der Literaturwissenschaft (Natalie Binczek, Daniela Gretz, Albrecht Koschorke, Hans-Joachim Neubauer), der allgemeinen Medien- und Filmwissenschaften (Lorenz Engell, Rembert Hüser, Mathias Mertens, Brigitte Weingart), der Film- und Fernsehwissenschaften (Irmela Schneider), der Erziehungswissenschaften (Birgit Althans), der allgemeinen Kulturwissenschaft (Olaf Briese) und der Wirtschaftswissenschaft (Birger P. Priddat). Als Diskutanten nahmen außerdem Volker Roelcke (Medizingeschichte) und Georg Stanitzek (Literaturwissenschaft/Medientheorie) an der Tagung teil.

Schwerpunkte des Tagungsprogramms
Trotz der besonders auf den Gebieten der Soziologie, Psychologie, der Kommunikations- und Geschichtswissenschaften vorliegenden älteren und neueren Arbeiten zum Gerücht ist die Tagung mit ihrem fächerübergreifenden Spektrum offensichtlich einem aktuellen Bedürfnis entgegengekommen, sich über die Funktionsweisen des Gerüchts in der allgegenwärtigen ,Informationsgesellschaft' neu zu verständigen. 3 Das bezeugte nicht zuletzt die große Aufmerksamkeit von Presse und Rundfunk für die Veranstaltung. Dies ist im Nachhinein vielleicht nicht erstaunlich, wenn man davon ausgeht, dass die Formate ,ungesicherter Informationen' nicht nur wissenschaftsintern eine Rolle spielen, sondern in allen Kommunikationen eine Bedeutung haben. Eine solche, auch historisch universalistisch zu wendende Perspektive konnte und wollte der Symposion allerdings nicht einholen; in seinen auswählenden Zugriffen ging es unter anderem darum, 1. Gerüchtekommunikation anhand spezifischer Darstellungsmöglichkeiten etwa von Literatur oder Film zu beobachten, 2. die Angebote bisher geleisteter Theoriebildung zu verfolgen und 3. das Gerücht als epistemologischen Reflexionshorizont für Kommunikationsvorgänge, in unterschiedlichen Zeiten und differenten Medien, weiter zu erproben. Die zur Tagung veröffentlichten Abstracts geben Interessierten einen ersten Überblick über die verschiedenen Ansätze, mittels welcher Formen und Funktionen des Gerüchts analysiert wurden. 4

Immer wieder stand während der Vorträge und Diskussionen im Raum, ob und wie man des Gerüchts habhaft werden könnte, gerade weil in jedem Gerücht Momente des Entzugs enthalten sind. Der Entzug der Quelle, auf die man sich beruft, indem man kolportiert, 'was man gehört' habe, ist bereits die Grundfigur der überlieferten antiken 'Urszenen' der Gerüchtekommunikation. Es ist ein doppelter Entzug, der nicht nur Kolportagepraktiken, sondern auch die Bestimmung dessen, was ein Gerücht ist, betrifft. So zeigte der Vortrag von Dorothee Gall über die antike Begriffsgeschichte und Deutungen von griechischer "pheme" respektive römischer "fama", dass hier bereits zahlreiche Bedeutungsvarianten im Umlauf sind, die sich auf Reden, Gerede, Stimme, Klang, Wahrheit, göttliche und menschliche Botschaften und die darin inbegriffen, positiven wie negativen Bewertungen von pheme und fama beziehen. Diese vielschichtigen Begriffs- und Sinngeschichten speisen sich bis in die Gegenwart aus den Kontexten politischer, philosophischer, historiografischer und literarischer Herkunft und sozialer Praxis; pheme und fama durchdringen mündliche und schriftliche Formate, sie dienen heiliger, politischer und alltäglicher Kommunikation, sie repräsentieren allgemeine Rede und hängen mit exklusiver Arkankommunikation zusammen, sie betreffen Individuen und Kollektive, Krieg und Frieden.

Zwischen Kontrolle und Entzug, zwischen Instrumentalisierung und unverfügbarer Proliferation von Gerüchten lagen die Pole, die in allen Vorträgen in der einen oder anderen Weise zur Sprache kamen. Ein Ergebnis der Tagung ist es nicht zuletzt gewesen, anzuerkennen, dass 'das Gerücht' von jeher keiner sozialen Praxis, keiner Wissenschaft allein gehört. Die historische und gesellschaftliche Ubiquität des Gerüchts sollte allerdings nicht, darin waren sich die Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Tagung einig, in die Annahme münden, das nun 'alles' als Gerüchtekommunikation beschreibbar wäre. Im Gegenteil, spannend wird es dort, wo man das Gerücht als Störung von differenzierten Szenarien begreift, die sich oft genug als 'ein Anderes' des Gerüchts setzen möchten. Die Reaktionen auf das Phänomen Gerücht gehen vielfach mit Akten der Negierung einher.

Deutlich wurde dies etwa anhand der Nachrichtenwerttheorien des 20. Jahrhunderts, die Irmela Schneider in ihrem Vortrag diskutierte. Gegen die dort geübte Abstinenz gegenüber der Frage, was die eigenen Theoreme mit dem Gerücht zu tun haben könnten, stellte Schneider die These einer "parasitären" Beziehung, die zwischen Gerücht und Nachricht herrsche. Diese müsste in einer neuen Nachrichtentheorie dann auch berücksichtigt werden. Unter dem Stichwort von "Quasi Fakten" führte Hans-Joachim Neubauer 'Nachrichten' aus dem Netz, die als Texte und Fotos vorliegen, kritisch an ihren Gerüchtestatus heran. Die überkommene Frage der Herkunft und der Entstehung eines Gerüchts schreibt sich natürlich in neue Medien und Mediendifferenzen ein. Auch Mathias Mertens beobachtete die aktuelle Internetkommunikation, unter anderem an den Formen kollektiver Autorschaft und über die Frage, wie das Netz seine Daten als Informationen technisch signiert: als verlässlich, neu, wichtig oder produktiv für die Weiterbearbeitung. Im web 2 sind die Grenzen zwischen Bejahung und Verneinung der Gerüchtekommunikation recht flüssig geworden und Beschreibungsmodi für das, was im Netz passiert, müssen selbst sehr flexibel reagieren.

Auf eine anders gelagerte Selbstverständlichkeit im Umgang mit Gerüchten ging Birger P. Priddat in seinen Thesen zur Beziehung zwischen "Märkten und Gerüchten" ein. Priddat sprach über die umstandslose und schnelle Funktionalisierung von Gerüchten in der Wirtschaftskommunikation. Gerüchte als 'singulär' für den, der sie als erster zu vernehmen meint, und als das, was doch zugleich 'in aller Munde' ist, sind in diesem Kontext "entscheidungserregend" (Priddat). Aufgeregte Gerüchte über kommende Transaktionen, Geldmarktentwicklungen etc. sind also von den auf dem Geldmarkt professionell Engagierten gerade nicht zu ignorieren, weil Gerüchte als Informationen ebenso gut wahr wie falsch sein könnten. Man macht besser mit, als mit einer falsch gehenden Ignoranz beim nächsten Gewinn 'außen vor zu bleiben' oder ökonomisch abzustürzen. Die Handlungsweisen der Börsenspezialisten und Analysten sind also in einem Höchstmaß kommunikationsabhängig. Dies scheint lebenspraktisch an Klugheitsmaximen des 17. Jahrhunderts anzuschließen, allerdings bei einem völlig anderen Tempo der Bewältigung von 'gewinnbringenden' Entscheidungen.

Überkommene Formen der Negation des Gerüchts lassen sich eher noch als Figurationen des 'ausgeschlossenen Eingeschlossenen' betrachten. So Albrecht Koschorke in seinem Referat über "das Volk als Gerücht" im barocken deutschen Drama. Koschorke führte diese These anhand der Sinnbezüge der dramatischen Ordnung der theatralischen Bühne vor: Hier tritt 'das Volk' nicht auf, aber dem Herrscher im Zentrum wird über die höfischen Zuträger das, was im Volk geredet wird, laufend kolportiert. Der Herrscher, der selbst als Ursupator an die Macht gekommen ist, fürchtet nun die Macht der ungeregelten Menge und deren 'Übertretungen'.

Daniela Gretz ging für ihren Vortrag über Will Eisners Comic, die "wahre Geschichte der Protokolle der Weisen von Zion" von Adornos Diktum aus, "der Antisemitismus ist das Gerücht über die Juden". Dieser Vortrag reflektierte die Frage, wie sich 'Original', 'Plagiat', 'Fälschung' und 'Zitat' im Gerücht über die angebliche 'jüdische Weltverschwörung' zueinander verhalten. Im Raum der Gerüchtekommunikation und ihrer politischen Instrumentalisierung steht immer auch die Frage nach der von Fall zu Fall postulierten 'Wahrheit' dessen, was gesagt, geschrieben oder anders kolportiert wird, auf dem Spiel.

Andere Vorträge legten eher den Akzent auf die Produktivität der Gerüchtekommunikation und deren ästhetische Weiterbearbeitung. Beides hängt seinerseits mit einer kulturtheoretisch fortzuentwickelnden Epistemologie des Gerüchts zusammen, was auch ein zentrales Anliegen der Tagung insgesamt gewesen ist. Für eine mögliche Epistemik und Ästhetik des Gerüchts und deren geschichtlichen Dimensionen kann auch von den zahlreichen künstlerischen und medialen (neuzeitlichen) Wiederaufnahmen der antiken Modelle (wie Ovids "Haus der Fama" und Vergils personifizierter Fama) ausgegangen werden. Einige solcher Transformationen wurden auf der Tagung vorgestellt. Natalie Binczek führte an Thomas Bernhards Kalkwerk einen exzessiven, gerüchteanalogen Narrationsgestus vor, der auch als eine Schreibstrategie der entzogenen Autorstimme verstanden werden kann. Lorenz Engells Film-Lektüre von Orson Wells' Citizen Kane und Rembert Hüsers Diskussion eines (wieder neu zu entdeckenden) Films von Mauricio Kagel, Ludwig Van (1969), verwiesen beide auf die komplementäre Bewegung von Ruhmes- und Gerüchteproduktion. Besonders Hüser stellte heraus, dass das eine, der Ruhm oder auch der Kanon, ohne das andere, die Trivialisierung, Verunreinigung oder den Abfall, nicht zu haben ist. Auf die aktuellen Formate der Fernsehshows, die nicht zuletzt den Ruhm von Moderatoren und Moderatorinnen produzieren, ging Birgit Althans ein. So wenig Gerüchte über Personen im ideologiefreien Raum zirkulieren, so wenig ist auch ihre Performanz frei von dem, was sich unter Aspekten von 'Gender' als kulturelles Know-how der Inszenierung beobachten lässt. Das in seiner langen Geschichte zumeist 'weiblich' konnotierte Schwätzen ist im Format bestimmter Talkshows mittlerweile auf 'männliche' Moderatoren übergegangen, mit einer komplementären Aneignung 'seriös-politischen' Redens (ursprünglich als Männerdomäne anzusprechen) bei weiblichen Moderatorinnen. So die These, die Althans anhand von Beispielen ausführte. Am Ende der Tagung stand dann auch noch einmal die Metapher der "Übertragung" selbst, die eine Wechselbeziehung zu Modellen der Gerüchtekommunikationen unterhält, im Zentrum. Olaf Briese zeichnete eine Geschichte der medizinischen Konzepte nach, die um das Phänomen der "Ansteckung" kreisen. Nach Briese gelingt im 19. Jahrhundert der bis heute nachwirkende kommunikative Austausch zwischen biologischen und mentalen Szenarien, die "Übertragung" und "Ansteckung" zwischen natürlicher und sozialer Ausstattung des Menschen reflektieren. Diese Spuren des Gerüchts und seiner Theorien konnte Brigitte Weingart im letzten Vortrag aufgreifen und anhand der Suggestivität, mit welchen Theorien der Massenkommunikation (Le Bon und andere) im frühen 20. Jahrhundert von "epidemischer Ansteckung" ausgehen, weiter ausführen. Ein US-amerikanischer Propagandatrickfilm aus den 1940er Jahren über die 'komischen' Gefahren der Gerüchtekommunikation, den Weingart vorführte, schlug nicht nur ikonografisch den Bogen zurück zum ersten Vortrag von Gall über antike Konzepte von pheme und Fama.

So lagen am Ende der äußerst produktiven Tagung zahlreiche Anregungen für mögliche Ausweitungen und Vertiefungen des Themas vor, die von den Veranstaltern und Veranstalterinnen gerne aufgegriffen werden. Eine Publikation der Tagungsreferate ist vorgesehen.

Anmerkungen
1 Folgende Website informiert über das Thema, das Programm, die Vortragenden und enthält auch die Abstracts der Tagung sowie Kontaktadressen: <http://www.fama.uni-bonn.de > (31.10.2006)
2 Zu nennen wären aus den einschlägigen Arbeiten der Beteiligten insbesondere folgende Publikationen: Neubauer, Hans-Joachim, Fama. Eine Geschichte des Gerüchts, Berlin 1998; Althans, Birgit, Der Klatsch, das Sprechen und die Arbeit, Frankfurt am Main 2000; Stanitzek, Georg, Fama/Musenkette. Zwei klassische Probleme der Literaturwissenschaft mit den "Medien", in: Vosskamp, W. (Hg.), Schnittstelle: Medien und Kulturwissenschaften, Köln 2001, S. 135-150; Weingart, Brigitte; Mayer, Ruth (Hgg.), VIRUS! Mutationen einer Metapher, Bielefeld 2004; Pompe, Hedwig, Zeitung/Kommunikation. Zur Rekonfiguration von Wissen, in: Fohrmann, Jürgen (Hg.), Gelehrte Kommunikation. Wissenschaft und Medium zwischen dem 16. und 20. Jahrhundert, Wien 2005, S. 157-203.
3 Aus der umfänglichen (internationalen) Forschungsliteratur über Gerüchte seien hier nur wenige neuere Arbeiten genannt: Farge, Arlette, Lauffeuer in Paris. Die Stimme des Volkes im 18. Jahrhundert, Stuttgart 1993; Fine, Gary Allen; Turner, Patricia (Eds.), Whispers on the color line: rumor and race in America, Berkeley 2001; Froissart, Pascal, La rumeur. Histoire et fantasmes (= Débats Belin), Paris 2002; Bruhn, Manfred; Wunderlich, Werner (Hgg.), Medium Gerücht. Studien zur Theorie und Praxis einer kollektiven Kommunikationsform (= Facetten der Medienkultur; 3), Bern 2004; Loewy, Hanno (Hg.), Gerüchte über die Juden. Antisemitismus, Philosemitismus und aktuelle Verschwörungstheorien, Essen 2005.
4 Vgl. dazu die in Anmerkung 1 genannte Website: http://www.fama.uni-bonn.de.


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