Begriffe, Metaphern und Imaginationen in Philosophie und Wissenschaftsgeschichte (60. Wolfenbütteler Symposion)

Begriffe, Metaphern und Imaginationen in Philosophie und Wissenschaftsgeschichte (60. Wolfenbütteler Symposion)

Organisatoren
Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel Leitung: Lutz Danneberg und Margarita Kranz (Berlin); Idee: Friedrich Niewöhner
Ort
Wolfenbüttel
Land
Deutschland
Vom - Bis
21.06.2006 - 23.06.2006
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Von
Lutz Danneberg, Berlin

Mit dem Abschluss des Historischen Wörterbuchs der Philosophie und einiger jüngerer begriffsgeschichtlicher Unternehmen in den Einzeldisziplinen hat sich der Stand und auch die Aufgabe der Begriffsgeschichte gegenüber den Anfängen in den 1960er Jahren erheblich verändert. Damals suchte sie als eine neue historiografische Disziplin auf dem Felde der Philosophiegeschichte in Abgrenzung von Ideen- und Problemgeschichte ihren Platz; in der Geschichtswissenschaft wurde sie zu einem gänzlich neuen, in der Folge vieldiskutierten ‚Paradigma’. In den heutigen Forschungen um Wissenskonstitutionen und Wissenswandel ist Begriffsgeschichte unverzichtbar geworden. Doch ebenso gewiss ist, dass sich nicht allein anhand des Blicks auf die Begriffsgeschichte die aufgeworfenen Fragen zur Dynamik von Wissen klären lassen. Das 60. Wolfenbütteler Symposion stellte daher zwei andere Elemente gleichwertig an die Seite der Begriffe: Metapher und Imagination.

Die zuweilen unscharfe Grenze zwischen Begriff und Metapher in philosophischen Texten mag dazu verleiten, den Metapherngebrauch analog zum Begriffsgebrauch in seinen historischen Wandlungen zu untersuchen und dies als eine Weiterführung bisheriger begriffsgeschichtlicher Unternehmungen aufzufassen. Die Unterschiede sind jedoch erheblich: Weder lassen sich bei Metaphern analytische (semantische) Unter- und Überordnungen, noch szenarien- oder schemaorientierte Nebenordnungen vollziehen; Teilmetaphern lassen sich nicht zu übergreifenden Großmetaphern zusammenschließen, um herauszustellen, was ‚mitgemeint’ ist.

Auch dem dritten Element, den Imaginationen (etwa Gedankenexperimenten), kommt in bestimmten Kontexten Argumentcharakter zu. Das kann sogar dann der Fall sein, wenn die Imaginationen in ihrem argumentativen Kontext ausdrücklich als kontrafaktisch präsentiert werden. Im Vergleich zu Begriff und Metapher bildet die kontrafaktische Imagination genau die Mitte: Wie die begriffliche Darstellungsweise ist die kontrafaktische nichtmetaphorisch, aber ihr fehlt der explizite Wahrheitsanspruch. Wie die Metapher ist sie offenkundig falsch, aber ihren kontrafaktischen Charakter verliert sie nicht durch Metaphorisierung.

In dem Symposion Begriffe, Metaphern und Imaginationen in Philosophie und Wissenschaftsgeschichte, das vom 20. bis 23. Juni 2006 in der Herzog August Bibliothek abgehalten wurde, ging es angesichts der komplexen Präsentation von Wissensansprüchen in argumentierenden Kontexten sowie der verschiedenen Muster der Verhandlung ihrer Geltung um das spannungsreiche Zusammenspiel der Elemente Begriff, Metapher und Imagination. Organisiert und geleitet wurde das Symposion von Margarita Kranz (Berlin) und Lutz Danneberg (Berlin) nach einer Idee von Friedrich Niewöhner, dessen überraschender Tod im November 2005 die Veranstaltung traurig überschattete. Im Bibelsaal der Bibliotheca Augusta kamen Philosophen, Theologen und Literaturwissenschaftler zusammen, um in konzentrierter Atmosphäre Fragen der Begriffsgeschichte an ihren Grenzen zur Metapherngeschichte sowie Formen und Funktionen der Imagination in Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte zu diskutieren. In historischer Perspektive bildete das 17. und 18. Jahrhundert einen Kernzeitraum des Interesses.

Eingeleitet wurde das Symposion durch einen Überblicksvortrag von Gottfried Gabriel (Jena) über Fragen der Begriffsgeschichte, der Gabriel eine stärker problemhistorische Orientierung empfahl, sowie der Metapherntheorie mit ihren notorischen Problemen der Unterscheidung zwischen Metapher und Katachrese sowie zwischen poetischen und philosophischen Metaphern. Für letztere schlug Gabriel in der Diskussion vor, poetische Metaphern als solche des Überflusses, philosophische als solche des Mangels zu verstehen – eine Bestimmung, die im weiteren Verlauf der Diskussionen öfters wieder aufgegriffen wurde. Es folgte ein Beitrag von Helmut Hühn (Berlin) mit dem Titel „Unterscheidungswissen. Begriffsexplikation und Begriffsgeschichte“. Hühn zeigte in einem historischen Zugriff, dass und wie die Konzeption einer Begriffsgeschichte weit ins 19. Jahrhundert zurückreicht und im Umkreis von Philosophen wie Adolf von Trendelenburg bereits intensiv diskutiert wurde.

Andreas Kablitz (Köln) machte im Anschluss daran in einem metapherntheoretischen – an Ansätzen wie der Interaktionstheorie Max Blacks und darauf aufbauenden Einlassungen Monroe C. Beardsleys orientierten – Vortrag deutlich, dass Metaphern als Figuren der Sprachverwendung sowie als differenzielle und relationale Aussagen verstanden werden müssen, bei denen die Konnotationen die Oberhand über die Denotationen gewinnen. Metaphern setzten einen semantischen Prozess in Gang, innerhalb dessen es zu einer Verknüpfung der Konnotationen von proprium und translatum komme. Sie böten so einen Spielraum für die Kreativität des Rezipienten und transportierten stets Spuren der kulturellen Praxis und ihrer Verwendungskontexte. In einem Vortrag über „Das Bild vom Sprachbild. Die Metapher und das Visuelle“ argumentierte Petra Gehring (Darmstadt) vehement gegen die in rezenten Metapherntheorien von Hans Blumenberg, Jacques Derrida, George Lakoff und Mark Johnson einflussreiche Vorstellung, Metaphern seien eine Art von Bildern und hätten in diesem Sinne etwas mit einer wie auch immer gearteten Ähnlichkeit der einzelnen Aussageelemente zu tun und machte stattdessen sprachpragmatische Aspekte stark.

Die metapherntheoretischen Überlegungen wurden durch metaphernhistorische Beiträge empirisch ‚aufgefüllt’. Die Anordnung des Materials in solchen Beiträgen kann von unterschiedlichen Aspekten her organisiert sein: dem Bildspender, dem Bildempfänger oder dem Autor der Texte, die auf Metaphern hin untersucht werden. Die metaphernhistorischen Vorträge boten Perspektiven auf alle drei Aspekte. Carlos Spoerhase (Berlin) stellte die Bedeutung des ‚Tons’ als ‚epistemologischer’ Metapher im 18. Jahrhundert dar, insbesondere am Beispiel von Texten Gotthold Ephraim Lessings, Immanuel Kants und Johann Gottlieb Fichtes. Ralf Klausnitzer (Berlin) präsentierte daraufhin umfangreiches Material zu Ideengeschichte und Figurationen des Metaphernkomplexes ‚unsichtbare Fäden, unsichtbare Hand’ vom 17. bis zum 19. Jahrhundert, vornehmlich am Beispiel von Bildquellen unterschiedlichster Provenienz. Christian Strub (Osnabrück) stellte mit Kette, Gebäude und Organismus drei prominente Bildspender für Systemmetaphern in ihren historischen Ausprägungen vor und argumentierte dafür, Metaphern eine eigene Erkenntnisleistung und eine Eigenlogik gegenüber begrifflicher Rede zuzugestehen. Dirk Werle (Siegen) rekonstruierte einige Fälle von Methodenmetaphern in der Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte und diskutierte an diesem Beispiel die Frage der Leistungen und Grenzen metaphernhistorischer Untersuchungen. Roland Kany (München) zeigte am Beispiel der ‚Edelmetapher’ des Palimpsests, dass die Bedeutung einer Metapher auch auf Missverständnissen über die Bedeutung des Bildspenders beruhen kann. Jaime de Salas (Madrid) ging auf das Verhältnis von Kommunikation und Metapher im Werk von José Ortega y Gasset ein, und Axel Rüth (Köln) zeigte schließlich am Beispiel der Annales-Geschichtsschreibung, inwiefern in der Historiografie die Verwendung spezifischer Metaphern und Imaginationen im Zusammenhang mit Thesen über die Beschaffenheit des darzustellenden Gegenstands stehen kann.

Im auf den metaphernhistorischen Teil der Tagung folgenden Block über Imaginationen in der Wissenschafts- und Philosophiegeschichte machte Lutz Danneberg (Berlin) auf die wichtige Rolle kontrafaktischer Annahmen in der Geschichte der Hermeneutik aufmerksam, insbesondere auf die verschiedenen Implikationen der Behauptung, jemand habe einen Autor besser verstanden als dieser sich selbst. Anselm Steiger (Hamburg) beschrieb im Anschluss daran mit Blick auf die Schriften Martin Luthers Kontrafaktizität als Signatur des Glaubens und der Erfahrung. Theo Verbeek (Utrecht) verglich René Descartes’ und Baruch de Spinozas Theorien über die Beschaffenheit der Einbildungskraft und die Vorstellung möglicher Welten, und Thomas Behme (Berlin) referierte Samuel Pufendorfs Überlegungen zur fictio contrarii als methodischem Werkzeug in der Naturrechtslehre.

Den Abschluss des Symposions bildete die Vorstellung und Diskussion von Forschungsprojekten zur Metaphorologie. In diesem Zusammenhang präsentierte Dirk Mende (Dresden) eine philosophische Skizze zum Verhältnis von Metakinetik und Latenz im Anschluss an Blumenberg, und Boris Dunsch (Greifswald) stellte ein Forschungsvorhaben aus dem Bereich der Klassischen Philologie vor, das durch die Interpretation nautischer und maritimer Metaphorik in der augusteischen Literatur Beispiele vormoderner Bildlichkeit zu geben sich anschickt.

Das Symposion bot die Gelegenheit zu intensiver Diskussion offener Fragen und erlaubte es, theoretische und historische Aspekte der Erforschung von Begriffen, Metaphern und Imaginationen in Philosophie und Wissenschaftsgeschichte zu verknüpfen. Eine Publikation der Beiträge ist in Planung.


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