Das Ende des Alten Reiches im Ostseeraum

Das Ende des Alten Reiches im Ostseeraum

Organisatoren
Alfried-Krupp-Wissenschaftskolleg Greifswald; Pilotprojekt 1806; Prof. Dr. Michael North, Greifswald
Ort
Greifswald
Land
Deutschland
Vom - Bis
08.06.2006 - 09.06.2006
Von
Jörg Driesner/Kathleen Jandausch/Robert Riemer

Das Pilotprojekt „1806“ (gefördert von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach Stiftung in Essen 1) hatte in das Alfried-Krupp-Wissenschaftskolleg Greifswald zu einem Symposium über „Das Ende des Alten Reiches im Ostseeraum“ geladen. Die Ziele der Tagung bestanden in der Vorstellung und Diskussion neuer Forschungsergebnisse über die Integration des südlichen Ostseeraums (des Reichsnordens) in das Alte Reich und die Frage nach der „Reichsferne“ Norddeutschlands am Ende des Alten Reiches. Das Symposium war thematisch zweigeteilt und behandelte im ersten Abschnitt die europäische Politik um 1800 sowie die Reaktionen der europäischen und norddeutschen Hauptakteure auf die Ereignisse im Alten Reich. Im zweiten Tagungsteil rückte die Wahrnehmung des Reichsendes durch einzelne Personengruppen (z. B. Greifswalder Professoren) und in verschiedenen Medien in den Vordergrund. Ihren Abschluss fand die Reihe der Referate mit einem Ausblick auf die Zeit der französischen Besetzung unserer Region und die politischen Entwicklungen rund um den 1806 gegründeten und von Napoleon protektionierten Rheinbund, bis hin zur Entstehung des Deutschen Bundes auf dem Wiener Kongress 1814/15.

Der wissenschaftliche Direktor des Kollegs, Prof. Klaus Pinkau, und der Rektor der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, Prof. Rainer Westermann, begrüßten die Referenten und Gäste, bevor dann Prof. North als Veranstalter in das geplante Programm einführte.

Europäische Politik um 1800 / Reaktionen der Hauptakteure

Heinz Duchhardt (Mainz) eröffnete die Reihe der Vorträge mit seinen Ausführungen zu „Ein[em] System in beschleunigter Bewegung oder vor seinem Kollaps? Europäische Staatenpolitik um 1800“ und wies dabei auf die an der Jahrhundertwende stärker werdende Kritik an der Politik der fünf großen europäischen Mächte hin, die vor allem den eigenen Vorteil suchten (z. B. mit der Teilung Polens) und mithin leichtfertig den Krieg und die Existenz des Reiches riskierten. Die mindermächtigen Staaten des Reiches standen dementsprechend vor der Furcht, selbst Teilungsopfer zu werden. Dies ist umso bedeutsamer, als die kolonialen Interessen immer weiter in den Hintergrund traten.

Der Referent führte Paul W. Schröders Theorien an – die Staaten bzw. deren Regierungen bedienten sich einer modernen Medienstrategie, um ihre Interessen zu propagieren, mussten andererseits aber auch die wichtiger werdende öffentliche Meinung berücksichtigen. Dies bedeutete zunächst, dass sich die anderen Großmächte aus den französischen innenpolitischen Verwicklungen zur Zeit der Revolution heraushielten, da letztere auf offene Sympathien in ganz Europa stieß. Das Ausgreifen der Revolution über die französischen Grenzen hinaus führte zur Bildung antifranzösischer Koalitionen.

Um 1800 war das alte Reichssystem endgültig kollabiert, die Pentarchie zur Tetrarchie geschrumpft. Der Aufstieg Napoleons sorgte für Aufsehen, womit erneute Überlegungen zur europäischen Balance begannen, verbunden mit ersten „konstruktiven Visionen“ für ein Europa „ohne den Korsen“. In diese Richtung weisen auch Forschungen zur zeitgenössischen Literatur (z. B. über E. M. Arndts „Germanien und Europa“ [Visionen zu einer neuen Staatengemeinschaft?], die Arndt als einen der ersten „Europapolitiker“ präsentieren), die auf Ansätze zum Konzept eines nachnapoleonischen Europas verweisen.

Torsten Riotte (London) betrachtete mit „Großbritannien und das Ende des Alten Reiches 1806“ eine der europäischen Großmächte und fragte danach, ob das Reichsende aus britischer Sicht als Endpunkt einer Epoche wahrgenommen wurde. Immerhin stammte George III. aus Hannover, sah sich selbst – am Ende des Reiches war er bereits seit 46 Jahren englischer König – aber als Brite. Dieser Haltung entspricht seine Kritik an der hannoverfreundlichen Politik seines Großvaters (George II.). Untersucht man die Flugschriften von 1803, so wird deutlich, dass die Rolle des britischen Monarchen Vorrang vor den Interessen des hannoveranischen Reichsfürsten hatte.

Dennoch war es ausgerechnet George III., der als einziger Monarch und Reichsfürst offiziellen Einspruch gegen die Auflösung des Alten Reiches auf dem Reichstag in Regenburg einlegte. George III. und britische Diplomaten zeigten sich bereits 1803 besorgt um das Alte Reich, hatten aber dessen rasches Ende dennoch nicht vorausgesehen. Nach der Besetzung Hannovers Anfang 1806 hatte ein Wandel im britischen Bewusstsein eingesetzt, man sah die Interessen als Reichsfürst verletzt. Mit dem Aufstieg der Printmedien wuchs, wie schon von Heinz Duchhardt angedeutet, die politische Öffentlichkeit. Sie propagierte Frankreich nach der Besetzung Hannovers als größte britische Bedrohung – die Angst vor einer Invasion der Inseln (England selbst, aber möglicherweise auch Irland) stieg.

Im Bewusstsein der britischen Öffentlichkeit trat das Alte Reich nicht als einheitliches politisches Gebilde auf, sondern stets als eine Ansammlung von Einzelstaaten. Nach dem Reichsende verwendeten britische Journalisten wegen der Unklarheit des Status’ des ehemaligen Alten Reiches den Begriff Deutschland.

Den Auftakt der Diskussion bildeten einige Anmerkungen zu Arndt und die Frage, ob im Reich ab 1803 die Herausbildung einer neuen Außenpolitik erkennbar war. Dies wurde verneint, allerdings setzte um 1800 innerhalb der Territorien eine Verschiebung im politischen Denken ein (Beispiel Hohenzollern, Stein und Hardenberg), wenn auch nicht im Sinne des „europäischen Friedensprojekts“ (Arndt). Die starke Betonung Arndts als Vernunfteuropäer wurde bestritten, da er nicht als Vater des modernen Europas geeignet sei. Darüber hinaus kam der Hinweis, dass der Protest George III. gegen die Auflösung des Reiches lediglich aus Sekundärquellen rekonstruiert werden könne. Dann wurde gefragt, wie es angesichts des französischen Drucks für die süddeutschen geistlichen Fürsten weiter gehen sollte. Die diesbezüglichen Visionen reichten von der Wiederherstellung des Alten Reiches bis hin zum Einheitsstaat mit einem Kaiser an der Spitze, aber auch Teilungen stellten eine Option dar, bei der die alten Fürsten ein Mitspracherecht erhalten sollten. Generell haben sich die geistlichen Fürsten gegen die Machtverschiebung zugunsten Frankreichs und damit auf ihre Kosten gewehrt, jedoch erfolglos.

Gab es Befunde zur Wiederbelebung des Reichsgedankens in Großbritannien? Antwort: London war nicht nur britische Hauptstadt, sondern ebenso europäische Metropole, die die Schaltzentrale des politischen Netzwerks gegen Napoleon bildete. Hier wurden Diskussionen zur Zukunft des Reiches (auch am Beispiel Hannovers) geführt, welches als weitgehend toter Körper angesehen wurde (Stein wollte Deutschland in zwei Einflusssphären teilen). Die Gesundheit Charles James Fox’ ist Thema in der gesamten reichsweiten Presse, da er sich sehr intensiv für die Belange des Reichs einsetzte. Dagegen wurde der Gesundheitszustand George III. weniger thematisiert. Einer der Diskutanten wies darauf hin, dass Hannover immerhin Teil des britischen Empire war – wieso fiel die britische Reaktion auf den Verlust relativ verhalten aus? Antwort: Dem König wurde diese Entwicklung von seinen Diplomaten zunächst verschwiegen (Hannover sollte an Preußen gehen), um jenen vom Zerfall des Empire abzulenken (George III. hatte drei Dekaden zuvor bereits die nordamerikanischen Kolonien verloren).

Jan Kusber (Mainz) vollzog den Sprung vom Westen in den Osten Europas und betrachtete „Russland und das Ende des Alten Reiches 1806“. Zar Alexander I. entwickelte 1801 Vorstellungen von der Etablierung Russlands in einer neuen europäischen Ordnung. Das neu geschaffene russische Außenministerium suchte nach neuen Verbündeten, wofür das Reich als Ganzes nicht in Frage kam. Dagegen stand ein polnischer Staat in den Grenzen vor 1772 mit einem russischen König zur Debatte, die eigenen Handelsinteressen an der Ostsee und am Schwarzen Meer mussten beachtet werden. Dies machte die Stoßrichtung der russischen Interessen nach außen hin schwer nachvollziehbar. Nach 1803 orientierte sich Russland in Richtung Großbritannien und gegen Frankreich, welches besonders nach der Kaiserkrönung Napoleons als militärische Bedrohung wahrgenommen wurde.

Wichtig war für Alexander der Zusammenhalt der großen europäischen Mächte gegen Frankreich. Der Rest des Reiches (fast immer als „Deutschland“ bezeichnet) blieb außen vor. Russland war nach dem Frieden von Tilsit wegen der Kriege gegen Schweden (um Finnland) und Frankreich anderweitig beschäftigt. Ebenso erteilte Alexander auf dem Wiener Kongress einer möglichen Neubelebung des Reiches eine klare Absage.

Thomas Stamm-Kuhlmann (Greifswald) warf in seinen Ausführungen einen Blick auf die Rolle Preußens am Ende des Alten Reiches („‚Für dessen Constitution ich keine drei Kreuzer mehr gebe’: Hardenberg, Preußen und das Alte Reich“). Im Mittelpunkt standen Hardenbergs vier Varianten der Politik:
1. „außer dem Reich“ (Versuch einer Bestimmung der außenpolitischen Rolle Großbritanniens, für welches das Reich/Deutschland ein vorteilhafter Bündnispartner wäre),
2. „unter dem Reich“ (Forderungen nach dem Reichskrieg etwa durch die Reichsritterschaft; Hardenberg – damals in Franken tätig – verbot das Trauergeläut beim Tod des Kaisers 1792; nach Landgewinnen in Franken folgte die Neustrukturierung der Verwaltung, die letztlich nur der Homogenisierung des neuen Königreiches Bayern diente),
3. „im Reich“ (erste reichspolitische Gedanken Hardenbergs 1778 in einem Brief nach London sichtbar – Hannover müsse mit Preußen und Sachsen ein gutes Einvernehmen haben; Argument, dass das Widerstandsrecht der Fürsten gegen den Kaiser unter Umständen rechtmäßig ist; gleichzeitig kommentierte er die Reichsverfassung „für deren Constitution ich keine drei Kreuzer mehr gebe“; starke Revolutionsfurcht auch in den nicht von französischen Truppen besetzten rechtsrheinischen Gebieten nach der Besetzung des linken Rheinufers) und
4. „nach dem Reich“ (1804: Vorschlag an den preußischen König, die Kaiserkrone anzunehmen – Hardenberg rät ab; Teilnahme an Verhandlungen zwischen Preußen und Frankreich zur Erstellung einer neuen Reichsverfassung; Vorstellung eines Entwurfs einer neuen Reichsverfassung im Februar 1806 in Berlin: mit einem Kaiser, sechs Reichskreisen, Abschaffung der Reichslehen aber Wiedereröffnung des Reichstages).
Hardenberg agierte getreu des eingangs zitierten Ausspruchs mit Blick auf die Stärkung der Einzelstaaten und nicht der des Reiches.

Die erste Frage der Diskussion galt einer möglichen Beeinflussung Alexanders durch Denkschriften, die klar zu bejahen war. Das Interesse Alexanders an der Existenz Preußens im Frieden von Tilsit erkläre sich, so Kusber, mit dem guten persönlichen Draht zu Friedrich Wilhelm III. Dagegen rieten die Ratgeber des Zaren, Preußen klein zu halten und sich vorrangig um Polen zu kümmern. Statt die preußische Existenz zu sichern, könne man sich an dessen Territorium bedienen.

Ein Detail von Hardenbergs Leben beleuchtete die Frage nach den Auswirkungen seiner dänischen Liaison, in der sich die ansonsten klare Trennung des öffentlichen und privaten Lebens Hardenbergs vermischte. Die genauen Motive der Verweigerung des Trauergeläuts bleiben unklar – wahrscheinlich schien die Position des Kaisers aus fränkischer Sicht als nicht stark genug, zumal ja auch nicht mehr für Kaiser und Reich in der Kirche gebetet wurde. Die Hardenbergschen Reichsplanungen waren zweifellos rational durchdacht, sind aber nachträglich schwer nachvollziehbar. In ihnen vermengten sich Vorstellungen einer Reichs- mit einer europäischen Ordnung, zumal Hardenberg sich teilweise an fremde Entwürfe anlehnte.

Jens E. Olesen (Greifswald) lenkte den Blick der Tagungsteilnehmer in den Norden Europas, auf „Schweden und Schwedisch-Pommern nach dem Ende des Alten Reiches“. Er legte den Fokus seiner Ausführungen auf 1806/07, das endgültige Ende der schwedischen Großmachtzeit und den Abschluss einer historischen Epoche für Vorpommern. Das Ende des 18. Jahrhunderts war sowohl in Schweden als auch in Vorpommern eine Zeit der Reformen (Visitations- und Matrikelsachen).

Bereits 1798 hatte Schweden versucht, Schwedisch-Pommern an Preußen zu verkaufen. 1806 erhielt Russland ein Kaufangebot, da Schweden nicht ohne Grund befürchtete, durch seine deutsche Provinz in zentraleuropäische Konflikte hineingezogen zu werden. Schweden hatte sich nach dem erneuten Ausbruch des Krieges zwischen Großbritannien und Frankreich (1805) zwar für neutral erklärt, doch Ende Oktober 1805 war der schwedische König in den Krieg gegen Frankreich aktiv eingetreten (u. a. aus dem Bemühen heraus, einem Eingreifen Preußens auf französischer Seite zuvorzukommen).

Kurz vor dem Ende des Alten Reiches erging der Befehl zur Aufhebung der bisherigen Verfassung und der Landstände sowie zur Einführung der schwedischen Verfassung (u. a. des schwedischen Reichsgesetzbuches; Arndt übersetzte die schwedische Verfassung und sollte ab 1808 eine antifranzösische Zeitschrift herausgeben, die sich bald auch mit gesamteuropäischen Fragen beschäftigte.) Die Besetzung Schwedisch-Pommerns durch napoleonische Truppen sorgte für einen (endgültigen) Aufschub dieser Pläne. Nach der Aufgabe des belagerten Stralsunds und dem Frieden von Tilsit war Schweden 1807 isoliert, Preußen und Russland standen an Frankreichs Seite. Der endgültige Verlust Schwedisch-Pommerns 1815 spielte seitdem in der schwedischen Geschichte kaum eine Rolle, im Gegensatz zum Verlust Finnlands, der im schwedischen Bewusstsein bis heute fortlebt.

Kathleen Jandausch (Greifswald) referierte über „Die Situation Mecklenburgs nach der Niederlegung der römischen Kaiserkrone“. Während der Koalitionskriege wahrte Mecklenburg zunächst seine Neutralität. Die Gründung des Rheinbundes bedeutete auch für die mecklenburgischen Gesandten am Reichstag die Zerschlagung des Reiches in der alten Form, während die Diskussion um die Übertragung der deutschen Kaiserkrone an Napoleon in die zukünftigen Planungen der Schweriner Minister mit einbezogen wurde. Möglich war für diese eine Anlehnung an Frankreich, Preußen war angesichts der militärischen Lage bestenfalls zweite Wahl – trotz bester familiärer Beziehungen der Herzöge nach Russland und Preußen.

Trotz erklärter mecklenburgischer Neutralität flohen preußische Truppen nach der Niederlage von Jena/Auerstädt auch durch Mecklenburg und wurden von Franzosen verfolgt. Die angedeuteten Familienbande stellten sich nun als verhängnisvoll heraus – französische Truppen besetzten das Herzogtum und etablierten eine eigene Verwaltung. Die ins Exil verbannten Mitglieder der herzoglichen Familie von Mecklenburg-Schwerin kehrten erst nach dem Frieden von Tilsit mit russischer Unterstützung zurück.

Beide Landesteile traten Anfang 1808 dem Rheinbund bei. Die Herzöge versuchten aus einem Souveränitätsanspruch heraus (aus Reichsende und Mitgliedschaft im Rheinbund), durch innenpolitische Reformen die ständische Verfassung zu beseitigen, was jedoch am Widerstand der Landstände scheiterte. Einen Nutzen zogen die Mecklenburgischen Herzöge aus dem Ende des Alten Reiches demnach nicht, im Gegenteil – sie dienten den Großmächten als potentielles Tauschobjekt zu deren Interessenausgleich, nachdem der verfassungsmäßige Schutz des Reichsverbandes entfiel.

Nils Jörn (Wismar) beschäftigte sich mit einem Teilaspekt der schwedischen und mecklenburgischen Geschichte nach dem Ende des Alten Reiches – „Die Herrschaft Wismar nach der Schwedenzeit und ihre Einbindung in die mecklenburgischen Strukturen“. Seine Ausführungen begannen mit der Herauslösung Wismars aus dem mecklenburgischen Territorium und seiner Einbindung in die schwedischen Reichsbesitzungen. Ähnlich wie im Falle Pommerns versuchte Schweden, Wismar an Mecklenburg-Schwerin zu verpfänden. Die Verhandlungen darüber begannen um 1800, das Tribunal zog 1802 nach Stralsund um. Die Verpfändung wurde 1803 für 100 Jahre vertraglich geregelt. Das Geschäft holte Wismar, Poel und Neukloster nach über 150 Jahren nach Mecklenburg zurück, verschaffte dem Land neben Rostock einen weiteren Hafen und Schweden eine Finanzspritze von 1.250.000 Reichstalern – dem Kaiser wurde die Verpfändung lediglich mitgeteilt. Zur Kompensation des Tribunals sollte ein mecklenburgisches Gericht in der Stadt angesiedelt werden, doch ein neues oberstes Gericht (Oberappellationsgericht) für Mecklenburg wurde nach zehnjähriger Diskussion nicht in Wismar, sondern in Parchim eingerichtet. Es folgte die Auflösung des Konsistoriums, um Schwerin und Rostock zu stärken. Bis 1871 blieb Wismar eine scheinbar eher ungeliebte mecklenburgische Neuerwerbung, erst dann begann die Einbindung in das Land.

Warum konnte Schweden nicht als Garantiemacht für die norddeutschen Reichsterritorien auftreten? Dies war nach der im Wesentlichen gescheiterten schwedischen Außenpolitik nur schwer durchführbar, dennoch gab es 1797 und um 1803 zwei Versuche der schwedischen Gesandten, ihren Anspruch als Garantiemacht des Westfälischen Friedens durchzusetzen. Die Bemühungen scheiterten am Widerstand Napoleons. Schweden war nicht das einzige Land, das mit Pommern und Wismar Reichsterritorien zum Verkauf oder Tausch anbot. Ähnliches versuchte Dänemark zwischenzeitlich mit seinem Reichsbesitz. Worin konnten die Verkaufs- oder Tauschangebote realistischerweise bestanden haben? Eine Möglichkeit bot sich mit einem Austausch gegen russische Eismeergebiete, andererseits war ein Tausch mit Dänemark gegen Norwegen im Gespräch (um 1798/99). Als gänzlich realitätsfern galten mögliche Ambitionen des schwedischen Königs auf die deutsche Kaiserkrone.

Die Angst der mecklenburgischen Landstände vor den herzoglichen Reformen erwies sich als unbegründet. Da die Abschaffung der erstgenannten nicht zur Debatte stand, stellte sich auch nicht die Frage nach einer Unterstützung der Herzöge. Die Angst vor Veränderungen bzw. das Bestehen auf traditionellen Privilegien kostete dagegen Wismar mehrere Jahrzehnte, in denen die Einbindung in das mecklenburgische Territorium stagnierte.

Michael Bregnsbo (Odense) präsentierte in seinem Referat „Die Einverleibung von Holstein im Jahre 1806 und die dänische Reaktion auf die Auflösung des Heiligen Deutsch-Römischen Reiches“ den zweiten nordischen Reichsstand. Die dänischen Könige waren bereits seit mehreren Jahrhunderten Herzöge von Holstein, doch diese Rolle stand mit der Auflösung des Reiches zunächst in Frage. Das Ende des Reiches gab dem dänischen König die Möglichkeit, bereits zuvor gehegte Pläne zur stärkeren Einbindung Holsteins in den dänischen Staat durch die Einführung der dänischen Verfassung zu verwirklichen. Die holsteinischen Gesetze mussten in dänisch oder deutsch ausgeführt werden und auch Beamte erstere Sprache beherrschen. Die Universität in Kiel erhielt einen Lehrstuhl für dänische Sprache und Literatur, während Rendsburg seine Militärschule verlor.

Mit diesen Verwaltungsreformen ging ein verordneter Mentalitätswandel einher – wenn sich ein Holsteiner nun als Deutscher sah, wurde ihm Staatsuntreue vorgehalten. Die Zusammenlegung Holsteins mit Dänemark ging mit einem Wandel vom „Konglomerats-“ zum „Einheitsstaat“ einher (beide Formen wurden miteinander verglichen). Der dänische Staat war ein Konglomeratsstaat, eine Vorform des nationalen Einheitsstaates. Bereits 1802 hatte die dänische Regierung versucht, in Holstein eine Steuerreform durchzusetzen, ohne die Ritterschaft darüber zu informieren – die Folge war eine deutliche Verschlechterung der Beziehungen zwischen Holstein und Kopenhagen gewesen. Nach dänischen Bemühungen, einen Konsens zu finden, ermöglichte schließlich die Auflösung des Reiches eine engere Anbindung der Herzogtümer an das skandinavische Königreich.

Hans-Dieter Loose (Hamburg) griff nach thematischer Abstimmung mit Antjekatrin Graßmann ein erstes „Wahrnehmungsthema“ auf: „Der Verfall der Reichsordnung 1803-1806 in der Wahrnehmung der Bürger der norddeutschen Reichsstädte“. Basis seines Referates bildeten hamburgische Druckerzeugnisse, die den Bürgern als primäre Informationsquellen dienten. Entsprechend versuchte die städtische Obrigkeit, die Printmedien in ihrem Sinne zu beeinflussen – etwa durch Zensur mit dem Argument der Sicherung der inneren Ruhe oder als hilfreiche Unterstützung bei der Verfolgung außenpolitischer Ziele. Dabei vermittelten die Zeitungen zunächst lediglich reine Fakten und kommentierten diese bewusst nicht (um eine Entmündigung des Lesers zu vermeiden). Dagegen werteten die Wochen- und Monatsschriften Nachrichten bereits in vielen Fällen und brachten die Informationen in einem größeren Kontext unter. So kritisierten Teile der hamburgischen Presse die französische respektive napoleonische Politik und betitelten 1804 als das „Jahr der Cäsaren“ (Napoleon I., Franz II./I.). Die in der öffentlichen Presse geprägten Bilder fanden sich auch in verschiedenen privaten Briefwechseln wieder. Allerdings funktionierte die Beeinflussung der Meinung auch – nicht nur in Hamburg – in die entgegen gesetzte Richtung: Patriotische Gesellschaften prägten nicht nur die öffentliche Meinung innerhalb einer Stadt, sondern manipulierten auch die jeweilige Stadtregierung.

Antjekatrin Graßmann (Lübeck) beendete den ersten Tag des Symposiums mit ihren Ausführungen zum Thema „‚Vom reichsfreyen Bürger zum vogelfreyen Republikaner.’ Tradition und Chancen der drei freien Hansestädte nach dem Ende des Alten Reiches“. Die besonderen Chancen Hamburgs, Lübecks und Bremens nach dem Reichsende resultierten aus deren enger Verbundenheit als ehemalige Hansestädte. Ziel der gemeinsamen Anstrengungen war die Erhaltung der inneren Verwaltung und sonstigen Freiheiten, Abstimmung bei Friedensverträgen und gemeinsame Auslegung neuer Gesetze. Auf Beratungen einigte man sich auch auf ein einheitliches Bundessiegel, die Bewahrung alter innerstädtischer Verhältnisse, den Ausbau der Postverbindungen und die Einstellung von diplomatischen Vertretern, die gemeinschaftlich besoldet werden sollten. Ein Hauptaugenmerk lag auf dem Schutz des Seehandels, wobei die Neutralität – besonders gegenüber Preußen – betont wurde. Der Status änderte sich von Reichsstädten hin zu (gleichwohl kurzlebigen) Handelsrepubliken.

Die verstärkte Annäherung wirkte in alle Bereiche der städtischen Verwaltung hinein und somit auch in das Justizwesen. Die Reichsgesetze gehörten fast komplett in den Reliquienschrank, fast vollständige Novellierungen waren gefordert – einhergehend mit Überlegungen zur Einrichtung eines obersten Gerichtshofes. Das Wohl der Städte läge in der gemeinsamen Arbeit mit Rückbesinnung auf die große Zeit der Hanse. Doch die absolute Freiheit währte nur kurz, der vierte Koalitionskrieg holte zuerst Lübeck ein, das von den Franzosen erobert und geplündert wurde; später folgten Hamburg und Bremen.

Aus dem Auditorium kam die Frage, ob man den Fürstenstaat vom Einheitsstaat am Beispiel Dänemarks abgrenzen könne. Das Modell könne in diesem Fall nicht angewendet werden – ein Nationalstaat setze im Idealfall eine einzelne, homogene Bevölkerungsgruppe voraus (ein Staatsvolk), was im Falle der Annäherung Dänemarks und Holsteins nicht gegeben sei. Darüber hinaus sei zwischen dem Machtstaat des 17. und jenem des 18. Jahrhunderts zu unterscheiden. Allerdings gab es in Kopenhagen keine Vorstellung und noch weniger einen Zeitplan zur Dauer der Integration Holsteins. Grundsätzlich hatten die Dänen – anders als die Schweden – fast immer Probleme, wenn Deutsche in der Administration saßen.

Ein Sonderstatus Bremens ist in einigen Details feststellbar, z. B. in seiner Eigenschaft als Produktionsstandort (dies zieht sich bis ins 20. Jahrhundert hinein). In allen drei Hansestädten erfolgte eine Umorientierung vom Reich in Richtung Frankreich, die ehemaligen Reichstagsgesandten präsentierten die Städte nun in Paris.

Wahrnehmung des Reichsendes

Georg Schmidt (Jena) eröffnete den zweiten Teil des Symposiums mit der Frage „Deutschland um 1800 – eine Kulturnation?“ und einer einleitenden Diskussion über den Kulturbegriff. Schwierig ist auch der Begriff der Nation – sind z. B. deutsche Aussiedler an der Wolga Russen oder Deutsche (u. a. auch Danzig, Bern, Riga)? An den politischen/staatlichen Verhältnissen in ihren neuen Heimaten wollten außerhalb des Reiches lebende Deutsche nichts ändern.

Die Staaten der Frühen Neuzeit waren keine Adelsnationen mehr, sondern näherten sich der Charakteristik des modernen Staates an, von dem sie sich durch die nicht vorhandenen überregionalen rechtlichen Ordnungen unterschieden. Manche Publizisten in Jena und Weimar sahen die alte Reichsverfassung als Garanten des Zusammenhalts des Reiches, in Berlin dagegen galt sie als Basis eines alternden Systems. Publizisten, welche die letztere Einstellung vertraten, begrüßten denn auch zunächst die französische Revolution, lehnten sie später aber wegen der Furcht vor einer „neuen Barbarei“ ab (Friedrich Schiller: „Die Deutschen bilden den Kern der Menschheit“). Einheit und Freiheit galten als gemeinsames verbindendes Ziel des Reiches, der deutschen Nation. Gab es eine Äquivalenz von Reich und deutscher Nation? Ein auf das deutsche Reich bezogenes, föderatives Nationalbewusstsein schloss das Zugehörigkeitsgefühl zu Städten und Ländern nicht aus. Die deutsche Nation bildete eine überständische, überkonfessionelle, überregionale, durch Medien verbundene politische Öffentlichkeit, die jedoch rechtlich ungleich war und der eine massenhafte politische Partizipation fehlte.

Wolfgang Burgdorf (München) richtete den Blick der Tagungsteilnehmer auf „‚Funktionseliten im Übergang.’ Wahrnehmung des Endes des Alten Reiches durch die norddeutschen Gesandten auf dem Regensburger Reichstag“ und schilderte dabei die konkreten Ereignisse bei der Auflösung des Alten Reiches. Der Reichstag hatte sich im Sommer 1806 ungewöhnlich zeitig in die Ferien verabschiedet, so dass von den wichtigen Gesandten nur der Vertreter Preußens anwesend war, während die neuen französischen Verbündeten (Rheinbundmitglieder) den Reichstag ohnehin boykottierten.

Als Reaktion auf Napoleons Ultimatum wurden die Gesandten aus den Ferien geholt, um den „letzten Staatsakt des sterbenden Reiches“ zu begleiten und zu vollziehen. Zum Teil war echtes Bedauern nach der kaiserlichen Abdankung zu spüren, verbunden jedoch mit der Erwartung der Annahme der deutschen Kaiserkrone durch Napoleon. Letztlich ging das Reich sang- und klanglos unter – Proteste gab es nur von England bzw. den fremden Reichsständen, wohingegen die deutschen Reichsstände und Diplomaten das Ende des Alten Reiches klaglos hinnahmen und schnell „zur Tagesordnung übergingen“.

Dirk Alvermann (Greifswald) untersuchte das Reichsende aus der Sicht zeitgenössischer Akademiker: „‚Eine schöne Stunde hat dem Vaterlande geschlagen …’ – 1806 in der Wahrnehmung der Greifswalder Professoren“. In den universitären Quellen fand das Ende des Reiches zwar kaum Niederschlag, doch stellte das Ereignis für die Universitäten eine noch nie da gewesene Erschütterung dar – 25 Universitäten wurden aufgelöst, viele andere kämpften um ihr Überleben. Zahlungen von Seiten des Reiches blieben nun aus, die alte Verwaltung inklusive des Kanzlers wurde für kurze Zeit entlassen. Dagegen sind uns unterschiedliche Meinungsäußerungen von mehreren Greifswalder Professoren aus den Jahren um 1806 überliefert. Beispielsweise hatte sich Arndt mit einem kritisch abwägenden Blick schon vor dem Ende des Reiches von diesem abgewandt. Erst um 1815 finden sich wieder verstärkt Aussagen zum Ende des Alten Reiches unter den Greifswalder Professoren, die dieses Ereignis als Erschütterung der alten Ordnung (um 1806) wahrnahmen, in den Nachbetrachtungen ein Jahrzehnt später allerdings bewusst oder unbewusst Umdeutungen mit Blick auf die neue Verfassung vornahmen.

Wie schaffte Schiller eigentlich den Spagat zwischen deutscher Größe und der „Ich-weiß-das- Land-nicht-zu-finden“-Attitüde? Er gab damit lediglich – wie übrigens auch Goethe –Denkanstöße auf der Suche nach einem „geflochtenen inneren Band“, da das staatliche Band nicht mehr gebraucht wurde; immerhin sei das Reich bereits 1795 mit dem Frieden von Basel und dem Austritt Preußens aus der ersten Koalition gegen Napoleon erledigt gewesen.

Aus dem Publikum kam der Hinweis auf die Tendenz, im Zuge der Nationalstaatsbildung Fremdeinflüsse auszusortieren, so z. B. auch bei den Juristen, die das Römische Recht womöglich durch ein germanisches (Natur-)Recht ersetzen wollten. Diese Argumente gab es bereits während der schwedischen Epoche im norddeutschen Raum – die Vorstellung, dass die Deutschen ihr eigenes Recht haben, ist schon alt, das römische Recht wurde als aufgestülpt betrachtet.

Ein Einwand zielte darauf, dass der Topos vom sang- und klanglosen Untergang in den Bereich der Legende gehöre.

Wer war eigentlich existentiell vom Ende des Alten Reiches betroffen? Diese Frage scheint einfacher zu beantworten: es fand letztlich Widerhall in allen Bevölkerungsschichten, beispielsweise auch bei den Bauern, die nun in ihren Möglichkeiten der Gerichtsnutzung (Stichwort RKG/RHR) eingeschränkt wurden.

Holger Böning (Bremen) referierte „Von der ‚unpartheyischen’ Berichterstattung zum Meinungsjournalismus – der pressegeschichtliche Umbruch nach dem Ende des Alten Reiches“. Wurden im 18. Jahrhundert in Zeitungen zunächst nur Fakten abgedruckt (größter Wert wurde auf Auswertbarkeit und Stichhaltigkeit der Nachrichten gelegt, die Meinungsbildung überließen die Schreiber dem mündigen Leser), galt nach dem Ende des Alten Reiches die unparteiliche Berichterstattung als verächtlich, Zensur war alltäglich. Dazu gab es neue Anforderungen an die Zeitungen – der Zeitungsjournalist wollte nicht mehr nur getreuer Diener seiner Leser sein, sondern deren Meinungen bilden.

Um die Zeit der Französischen Revolution kam eine partiell sehr revolutionsfreundliche Berichterstattung auf, doch mit der französischen Besetzung war es mit der politischen Freiheit vorbei. Printerzeugnisse wurden von den Franzosen umfassend zensiert, Korrespondenten durften nicht mehr von überall her berichten (z. B. aus London). Ab 1811 mussten die wenigen noch existierenden Zeitungen im ehemaligen Reich in deutscher und französischer Sprache erscheinen. Dennoch wurden auch Zeitungen gegründet – zu Propagandazwecken. Zeitungen alter Schule, die sich den neuen Formen der meinungsbildenden Zeitungen nicht anschlossen, verloren bald ihre Leserschaft.

Andreas Önnerfors (Lund) widmete sich ebenfalls den Printmedien und betrachtete „Das Ende des Alten Reiches als Medienereignis in schwedischen und deutschen Zeitschriften“. Die kriegerischen Ereignisse in Europa und Naturkatastrophen – beispielsweise in der Schweiz und in Italien – wurden in Jahresgedichten zusammengefasst und als Chaos dargestellt. Schwedens Mitbestimmung in Mitteleuropa durch die Funktion als Garantiemacht des Westfälischen Friedens fiel nach dem Ende des Alten Reiches weg. Die zunächst relativ umfassende Pressefreiheit erfuhr besonders unter Gustav IV. Adolf starke Einschränkungen, einzelne Zeitungen wurden sogar – zumindest einzelne Nummern nach offizieller Prüfung – verboten, darunter besonders ausländische Auflagen aus Großbritannien und Deutschland. Den Wert einer manipulierten Presse wusste der schwedische Könige allerdings zu schätzen und nahm daher eine mobile Felddruckerei auf seine Feldzüge mit, um seine Truppen sowie die Bewohner der Durchzugsgebiete in seinem Sinn zu beeinflussen. Die Nachrichten aus dem Reich erschienen in schwedischen Zeitungen mit einmonatiger Verzögerung. Nur eine Nachricht über die Auflösung des Reiches lässt sich einer Zeitung aus Stockholm nachweisen. Dafür wurde das Thema in der Stralsundischen Zeitung aus Schwedisch-Pommern, die auch nach Südschweden geliefert wurde, um so ausführlicher behandelt.

In der Diskussion wurde nach einer Zäsur von 1806 gefragt – war eine neue Generation von Journalisten feststellbar? Ja durchaus, jedoch war dies nicht mit einem Generationswechsel zu erklären, sondern mit einem Wandel der Arbeitsmethoden der Journalisten. Erst ab 1830 gab es eine neue Generation von Intellektuellen (beispielsweise Arndt für Greifswald). Zur Rezeption der Zeitungen neuen Typs gibt es bisher keine gesonderten Forschungen, doch der Meinungsjournalismus setzte sich in den folgenden Jahren durch.

Die Felddruckereien waren übrigens schon seit längerer Zeit üblich und nicht erst eine Erfindung des schwedischen Königs. Mit ihrer Hilfe konnte gleich in mehreren Sprachen schnell auf aktuelle Ereignisse reagiert und Flugschriften verfasst werden. Die teilweise unklare schwedische Politik der folgenden Jahre erklärt sich aus den unklaren Verhältnissen um 1806, denn mit dem Fortbrechen des Alten Reiches sind die schwedischen Gebiete in Pommern verloren – das Reich hatte einen Puffer gebildet, der auch Vorpommern für Schweden sicherte. Dennoch konnte Gustav IV. Adolf nicht unbedingt davon ausgehen, dass Vorpommern endgültig verloren war, obwohl er sich dies bedingt wünschte – schließlich hatte er selbst versucht, Pommern zu verkaufen oder zu vertauschen.

Robert Riemer (Greifswald) wandte sich einem Ereignis aus der Zeit der französischen Besetzung zu und trug zum Thema „Der Anfang der Befreiung – Ferdinand von Schill in Mecklenburg und Pommern“ vor. Der Schillsche Versuch der Anzettelung einer Revolution im ehemaligen Reich gegen die französischen Besatzer war – trotz Schills letztlich eigenmächtiger Aktion – ursprünglich als Teil einer größeren antifranzösischen Bewegung geplant. Da die französischen Armeen bereits mit dem spanischen Aufstand und den österreichischen Truppen in Bayern beschäftigt waren (letzteres firmiert unter der Bezeichnung der fünften Koalition), schien die Zeit für ein Losschlagen in Norddeutschland günstig zu sein. Der Erhebung des Obersten Dörnberg im Königreich Westfalen gedachte Schill zur Hilfe zu eilen und tat dies gegen den ausdrücklichen Willen Friedrich Wilhelm III. Auf seinem Zug westlich der Elbe zunächst bejubelt, drang Schill, Schrecken verbreitend, in Mecklenburg ein. Sein Ziel war Stralsund, wo er sich – nachdem ihn die Nachrichten von den Niederlagen Dörnbergs und der Österreicher erreicht hatten – verschanzen wollte. Ein Kontakt mit England als Rückversicherung für ein schnelles Ausweichen über die Ostsee kam nicht zu Stande, doch da Stralsund – trotz Schills gegenteiliger Meinung – nicht zu halten war, fielen seine Pläne einer Befreiung Deutschlands (erinnert sei an seinen „Aufruf an die Deutschen“ von Anfang Mai 1809) der überlegenen französischen Armee zum Opfer. Als Deserteur und Tyrann gebrandmarkt, erfuhr der gefallene Schill mit dem Beginn des Befreiungskrieges 1812/1813 seine Rehabilitierung und galt fortan als Held und patriotisches Vorbild.

Hans-Werner Hahn (Jena) beschloss die Reihe der Vorträge mit seinen Ausführungen „Vom Alten Reich zum Deutschen Bund. 1806 und die Suche nach einer politischen Neuordnung Deutschlands“. Der Deutsche Bund galt bei den klassischen Historikern im 19. Jahrhundert als eine Sackgasse der deutschen Geschichte und selbst nach 1945 hielt sich diese Aussage noch lange in den Köpfen. Dies mag daran gelegen haben, dass der Deutsche Bund lediglich als Übergangslösung zwischen dem Alten Reich und einem neuen Deutschland angesehen wurde. Dabei fügte er sich nahtlos in die Entwicklungen in den letzten Jahren des Alten Reiches ein, da man bereits vor 1806 plante, dessen innere Strukturen zu verändern. Ein von Publizisten und zunächst auch Napoleon geförderter Ausbau des Rheinbundes als neue deutsche Konföderation und Konstitution kam schließlich nicht mehr zu Stande – mit einem rheinbündisch geführten deutschen Nationalgefühl konnten sich die Franzosen nicht anfreunden. Der Ausbau scheiterte aber auch am Widerstand einiger ehemaliger Reichsfürsten und ihrem Anspruch auf Souveränität sowie dem Bild der französischen Fremdherrschaft, das heißt der Verbindung rheinbündischer Reformen mit der militärischen Ausbeutung der Territorien durch Frankreich.

Dem Rheinbund ist es nie gelungen, die Verluste aus dem Alten Reich bezüglich eines festen Bezugspunkts und der Reichssymbolik zu kompensieren – er konnte das Alte Reich nie ersetzen. Preußen versuchte in der nördlichen Hälfte des ehemaligen Reiches mit einer Restitution alter Ordnungen und der Gründung eines eigenen Norddeutschen Bundes den Rheinbund auszuhebeln.

Heute sieht man in einer Art Neubewertung im Rheinischen und später im Deutschen Bund eine Neuordnung, die effektiver als die alte Reichverfassung war. Gerade der Deutsche Bund erscheint heute in einem positiveren Licht als noch bis vor wenigen Jahrzehnten. Trotz der teilweisen Ablehnung durch die Zeitgenossen war der Deutsche Bund mit großen Hoffnungen gegründet worden – entsprechend lange setzte man auf ihn, doch nach 1830 wurde der Rückbezug auf das Alte Reich erneut verstärkt.

Das Auditorium wies auf weitere Bestrebungen gegen die französischen Besatzungstruppen hin, wie den Zug des Herzogs von Braunschweig und die Unternehmung der Leutnante Hirschfeld und Katte im Osten Westfalens. Den Versuchen war nur minimaler Erfolg beschieden, da mehrere der Hauptpersonen Doppelrollen spielten (wie der Berliner Garnisonskommandant Graf Chasot, der die Aktion der beiden Leutnante verriet). Anders als bei seinem Vater gab es bei Schill keine persönlichen ökonomischen Motive – er war ein überzeugter, übereifriger und schließlich gescheiterter Patriot.

Kontinuitäten zwischen alter Verfassung und Deutschem Bund sind unübersehbar. Wegen des Zeitdrucks bei der Suche nach einer Lösung der deutschen Frage nach dem Ende des Alten Reiches, den restaurativen Ambitionen der ehemaligen Reichsfürsten und ihrer Gesandten am Wiener Kongress sowie dem Untergang Napoleons blieben völlig revolutionäre Überlegungen außen vor. In den Plänen einer deutschen Neuordnung waren zwar auch viele Elemente enthalten, die nicht für Kontinuität stehen, dennoch wurden immer traditionelle Verfassungselemente bemüht.

Das größte Problem 1806 war wohl jenes, die nunmehr weitgehend leere Hülle des Begriffs „Reich“ zu füllen, dessen Grenzen in weiten Teilen zunächst annähernd gleich blieben. Es erwies sich als schwierig, die Überreste des Reiches in eine allgemeine gemeinsame Ordnung zu bringen, da zusätzlich die Vorstellungen über eine deutsche Nationalität und die Erhaltung des ohnehin brüchigen europäischen Gleichgewichts berücksichtigt werden mussten. Zu beachten ist, dass Diskussionen über ein eventuelles Ende des Reiches in Nord- und Süddeutschland zeitlich differierend erfolgten, im Norden tatsächlich im Jahr 1806, im Süden jedoch bereits 1801/1803 (Frieden von Lunéville/Reichsdeputationshauptschluss). Beachtenswert war auch die Frage, ob es im Reichsnorden nach 1795 (Frieden von Basel) überhaupt noch einen einheitlichen Reichsgedanken gab (besonders in den von Berlin beeinflussten Gebieten). Wenn dies bejaht wird, dann wurde er vor allem von den fremden Reichsständen verfolgt. Die Sprengwirkung lag in der Tatsache, dass es um 1800 im Norden Frieden und im Süden Krieg gab, 1806/1807 war es umgekehrt.

Aus Sicht der Dänen und Schweden galt 1806 ebenfalls als wichtige Zäsur, in ihren Auswirkungen besonders für Schweden eine lang anhaltende – Schweden spielte bis zum Eintritt in die EU keine große politische Rolle auf dem europäischen Spielfeld mehr. Was aber waren die französischen Vorstellungen zum Alten Reich? Gab es einen französischen Diskurs über die Reichsordnung? In der Endphase des Alten Reiches wollten die Franzosen dieses entweder möglichst stark zersplittern (alte französische Konzeption) oder – nach Napoleons Vorstellungen – ein starkes Reich ohne Österreich und Preußen, welches als Sperrriegel besonders vor russischen Bestrebungen in Mitteleuropa schützen sollte.

Die Vorträge und Diskussionsbeiträge des Symposiums lieferten einerseits sowohl einen Überblick als auch Details zum Reichsende im Norden des Alten Reiches – inklusive neuer Forschungsergebnisse, andererseits machten sie die Bandbreite der Einzelthemen im Rahmen der Reichsgeschichte auch in einem vergleichsweise kurzen Zeitabschnitt mehr als deutlich. Erneut konnte die Einbindung der norddeutschen Territorien in das Gesamtsystem Altes Reich nachgewiesen werden, eine politische Ferne dagegen nicht – im Gegenteil: hier regierten jene Landesherren, die sich – letztlich erfolglos – für den Erhalt des Reiches am stärksten einsetzten. Das große Interesse und die rege Beteiligung am Symposium sowie viele weitere Tagungen und Ausstellungen zur Erinnerung an das 200-jährige Ende des Alten Reiches zeigen darüber hinaus dessen anhaltende Bedeutung für die Forschung, die auch vom Pilotprojekt „1806“ unter dem Titel „1806 – Ende oder Neubeginn? Der Untergang des Alten Reiches aus norddeutscher und skandinavischer Perspektive 1789-1815“ weitergeführt wird.

Die Beiträge der Tagung und die Ergebnisse des Projekts sollen in einem Sammelband veröffentlicht werden.

Anmerkung:
1 Vgl. <http://www.uni-greifswald.de/~histor/~neuzeit/fnzfors/1806/Startseite.htm>.

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http://www.uni-greifswald.de/~histor/~neuzeit/fnzfors/1806/Startseite.htm
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