The Solace of History in Coming to Terms with Dictatorial Pasts: Southern and Eastern Europe Compared

The Solace of History in Coming to Terms with Dictatorial Pasts: Southern and Eastern Europe Compared

Organisatoren
Geisteswissenschaftliches Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas an der Universität Leipzig (GWZO), Historisches Institut der Universität Warschau in Kooperation mit dem Willy Brandt Zentrum für Deutschland- und Europastudien der Universität Breslau
Ort
Warschau / Kazimierz Dolny
Land
Poland
Vom - Bis
08.06.2006 - 11.06.2006
Url der Konferenzwebsite
Von
Susan Baumgartl, Institut für Kulturwissenschaften der Universität Leipzig

Die Trostfunktion von „Geschichte“ in Krisenzeiten nationaler Kollektive, die Hans Magnus Enzensberger mit der Metapher des „Kuscheltiers“ belegt hat, war titelgebend für einen internationalen Workshop zu den postdiktatorischen Geschichtskulturen Süd- und Osteuropas in der polnischen Haupstadt sowie dem Weichselstädtchen Kazimierz Dolny. Das Treffen fand im Rahmen eines seit 2002 laufenden und von der VolkswagenStiftung geförderten Forschungsprojekts zum Thema „Diktaturbewältigung und nationale Selbstvergewisserung an der Semi-Peripherie Europas: Geschichtskulturen in Polen und Spanien im Vergleich“ statt, welches das Geisteswissenschaftliche Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas an der Universität Leipzig (GWZO) gemeinsam mit polnischen und spanischen Partnerinstitutionen durchführt.1 Die zusammen mit dem Historischen Institut der Universität Warschau sowie in Kooperation mit dem Willy Brandt Zentrum für Deutschland- und Europastudien der Universität Breslau organisierte Tagung erweiterte den polnisch-spanischen Vergleichsrahmen um die Fallbeispiele Portugal, Griechenland, Bulgarien, Rumänien, Ukraine und Lettland – nicht zuletzt, um Vorarbeiten zu einem Folgeprojekt zur Historisierung von Diktaturen in einem breiteren transeuropäischen Vergleich zu leisten.

Den Tagungsauftakt im Senatssaal der Universität Warschau bildete die Podiumsdiskussion „Dictatorial Pasts between Politics, Civil Society and Academe: The Cases of Spain and Portugal“ mit der baskischen Historikerin Amaia Lamikiz vom Europäischen Hochschulinstitut Florenz, dem Warschauer Zeithistoriker Pawel Machcewiz von der Polnischen Akademie der Wissenschaften und dem Leiter des Leipziger GWZO-Projekts Stefan Troebst als Moderator.

Amaia Lamikiz, Autorin einer grundlegenden Studie über das Entstehen baskischer Zivilgesellschaft in der späten Franco-Zeit, zeichnete die „lange Reise“ der spanischen Gesellschaft „vom Verschweigen und Vergessen zur Ausbildung eines demokratischen Gedächtnisses“ nach, wobei sie die Bedeutung „alternativer Erinnerungen“ auch und gerade während der Diktatur betonte. Entsprechend, so ihre These, sei die spanische Erinnerungskultur der Gegenwart deutlich differenzierter als die übliche Rechts-Links-Aussensicht vermuten lasse, wie auch die Zahl der Akteure in Politik, Zivilgesellschaft und Wissenschaft – einschließlich der divergierenden Interessen - hoch sei. Mit Blick auf die erinnerungskulturelle Wende, die im Zeitraum 2000-2004 einsetzte, konstatierte sie eine auffällige Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, ein breites Überlappungsfeld francistischer Gedenkkultur mit neuen, demokratischen Erinnerungsinitiativen. Und aus ihrer Sicht als Historikerin besonders positiv wertete sie Vorstöße im politischen Raum, das der Forschung weitgehend entzogene, da im Besitz der privaten „Stiftung Francisco Franco“ befindliche, Archivgut des innersten Kreises der Diktatur der Forschung frei zugänglich zu machen.

Pawel Machcewicz, der von 2000 bis 2005 als stellvertretender Leiter des der Gauck-Birthler-Behörde nachempfundenen polnischen Instituts für das Nationale Gedenken tätig war, berichtete mit Blick auf das Polen der Nach-Wende-Zeit von einem weitgehenden Fehlen eines politischen Konsenses bezüglich des gesamtgesellschaftlichen Umgangs mit der kommunistischen Vergangenheit: Einer „Schlußstrichmentalität“ auf postkommunistischer Seite stehe ein messianischer Drang zu absoluter Aufklärung auf der national-katholischen Seite gegenüber – mit entsprechend deutlichen Kurswechseln polnischer Vergangenheitspolitik im Falle jedes Regierungswechsels. Desgleichen konstatierte er ein anhaltendes Spannungsverhältnis in der öffentlichen Perzeption von „guter“, da „wahrer“ und „nationaler“ Erinnerungskultur und „schlechter“ bzw. „verfälschender“, da „parteipolitischer“ Geschichtspolitik – auch hier sei der Zustand eines „agree to disagree“ noch nicht erreicht. Verkompliziert werde diese Frontstellung dadurch, dass sämtliche politischen Gedächtnisakteure auf den Bezugsrahmen „Nationalgeschichte“ rekurrierten – die Gebrüder Kaczynski mit ihrer Betonung des Warschauer Aufstands 1944 ebenso wie Armeegeneral a. D. Jaruzelski mit seiner Selbststilisierung als Retter des Vaterlandes mittels Kriegsrecht 1981.

In der anschließenden Diskussion wurden neben einer Reihe prinzipieller Unterschiede sowie frappierender Parallelitäten von Diktatur, Übergangsphase und Demokratisierung in Polen und Spanien auch die gänzlich unterschiedliche gegenseitige Wahrnehmung thematisiert: Während Spanien für Polen seit dem frühen 19. Jahrhundert eine intellektuelle wie politische Referenzfolie, gar einen „Spiegel“ (Jan Kieniewicz) darstellt, war und ist Polen aus spanischer Sicht eine veritable Terra incognita. Moderator Troebst verwies zusätzlich auf eine strukturelle Gemeinsamkeit beider Entwicklungsverläufe: Sowohl die 1989 an die Regierung gelangte polnische Opposition wie die Architekten der spanischen „transición“ seit 1975 agierten anfänglich unter dem – tatsächlichen oder nur vermeintlichen - Damoklesschwert militärischer Reaktion, in dem einen Fall seitens des Warschauer Pakts, im anderen seitens der eigenen Armee. In beiden Fällen ist ein unmittelbarer bremsender Einfluß auf Aufarbeitungsverve und Säuberungsdrang zu vermuten. Gleichfalls als zentraler Faktor wurde die Präsenz bzw. das Fehlen von Gewalt und/oder Krieg beim Übergang von der Diktatur zur Nicht-Diktatur markiert.

Der Hauptteil des Workshops fand in Kazimierz Dolny an der mittleren Weichsel statt – einem bedeutenden Handelszentrum des polnisch-litauischen Commonwealth der Frühen Neuzeit, in dessen Geschichte Mitorganisator Wlodzimierz Borodziej von der Universität Warschau kundig einführte.
Unter Anknüpfung an seine Begriffsprägung vom „Diktaturerinnerungsvergleich“ verwies Stefan Troebst (Leipzig) einleitend auf frühe Ansätze aus der Transformationsforschung, die die Sichtweise auf Erinnerungsprozesse und die Herausbildung geschichtskultureller Muster in post-diktatorischen Gesellschaften bereichern könnten. Vor allem der partiell bereits wieder vergessene „Klassiker“ von Juan Linz und Alfred Stepan „Problems of Democratic Transition and Consolidation“ aus dem Jahr 1996 böte diesbezüglich neben gewagten Thesen überraschende Einsichten. Unter Verweis auf Maurice Duvergers bekanntes Zitat von der permanenten Diktaturbedrohung seiner Generation, hob Troebst überdies die generationsspezifische Ausprägung von Diktaturerfahrung und -erinnerung hervor, die es im Kontext der historischen Forschung zu Erinnerungskultur und Geschichtspolitik stärker zu berücksichtigen gelte.

Wie nach dem Ende der kommunistischen Herrschaft auf subjektiver Ebene Diktaturerfahrung verarbeitet, vergessen, re-aktiviert und re-konstruiert wird, steht im Mittelpunkt eines neuen und ebenfalls von der VolkswagenStiftung geförderten Projektes „Remembering Communism: Methodological and Practical Issues of Approaching the Recent Past in Eastern Europe“.2 Maria Todorova (Urbana-Champaign), die gemeinsam mit Stefan Troebst dieses auf Bulgarien und Rumänien fokussierte Projekt leitet, umriss die Konturen dieses interdisziplinär angelegten Vorhabens, das die unterschiedlichen theoretischen und historiographische Ansätze zu Gedächtnis und Kommunismus zu einer vergleichenden Studie über Prozesse individueller Kommunismuserinnerung zusammenführen will. Dabei stehen der subjektive Zugang zu Geschichte, die spezifische Erfahrung von Diktatur und der Einfluss gegenwärtiger Faktoren auf die Ausformung historischen Bewusstseins im Vordergrund. Praktisches Ziel des Projektes ist es, eine umfassende Materialsammlung in einer weitläufig zugänglichen Datenbank anzulegen. Die komparativ angelegte Studie zu den beiden zentralen südosteuropäischen Fallbeispielen nimmt dabei die bereits besser erforschten Fälle DDR und Polen als „Kontrollgruppen“.

Den Weg der polnischen Geschichtswissenschaft von der „volkspolnisch“-parteiideologischen Meistererzählung zu einem neuen teils nationalen, teils europäischem historischen Großnarrativ beschrieb Krysztof Ruchniewicz (Wroclaw) anhand von Streitpunkten, die auch und gerade im öffentlichen Diskurs kontrovers rezipiert werden. Zentral seien Fragen nach der staatlichen Souveränität der Volksrepublik Polen, nach dem totalitären Charakter und dem Modernisierungspotential des kommunistischen Systems sowie nach den bestehenden Herrschaftsverhältnissen. Historiographischer Konsens bestehe weitestgehend bezüglich der politischen Verfassung der Volksrepublik als Form polnischer Staatlichkeit mit begrenzter Souveränität. Über Strukturen und Mechanismen der Abhängigkeit vom sowjetischen Machtbereich könne man ohne ausreichenden Zugang zu den entsprechenden Archiven jedoch noch keine detaillierten Aussagen treffen. Gründe für den totalitären Charakter des Systems sehe man u. a. in der Monopolisierung der politischen, wirtschaftlichen und informationellen Macht, den fehlenden Liberalisierungstendenzen und der starken wirtschaftlichen Abhängigkeit der Bürger. Das Verhältnis von Machthabern und Gesellschaft werde mehrheitlich differenziert betrachtet. Für die wirtschaftliche Entwicklung der Volksrepublik habe das sowjetische Modell keinerlei Modernisierungsimpulse gebracht.

Kommentator Christoph Boyer (Salzburg) hatte insofern eine schwierige Aufgabe, als ein vorgesehener spanischer Referent ausgefallen war, was das Ziehen eines Vergleiches zwischen dem polnischen und dem spanischen Fall erschwerte. In seinen Bemerkungen verknüpfte Boyer drei der von Ruchniewicz vorgestellten Aspekte zu der Frage nach einem möglichen Paradigma in der polnischen Historiographie. Er bemerkte, die Bedeutung des Nationalen und die starke Betonung des totalitären Charakters in der Auseinandersetzung um die staatssozialistische Vergangenheit verwiesen möglicherweise auf die Tendenz, dieses Kapitel aus der polnischen Geschichte auszuschließen. Als Tertium comparationis für eine vergleichende Betrachtung polnischer und spanischer Diktaturgeschichtsschreibung schlug Boyer vor, nach dem Verhältnis von Diktaturvergangenheit und nationaler Identität sowie nach Prozessen der Modernisierung durch Diktatur zu fragen.

Der Fall Lettland zeigt deutlich die Schwierigkeiten von Erinnerungskonflikten und Gedächtnisbildung in Zeiten des Umbruchs. Daina Bleiere (Riga) gab einen Einblick in Problemlagen und Kontroversen bezüglich der vierfachen Diktaturerfahrung in Lettland. Bisher gebe es kaum Anzeichen für die Herausbildung einer kollektiven Geschichtserinnerung. Der Zugang zur Vergangenheit von Seiten der Politik, der Medien und der Gesellschaft sei zu gegensätzlich für eine offene und umfassende Auseinandersetzung mit den verschiedenen Regimen. Konfliktlinien bestünden nicht nur zwischen der erfahrungsgeprägten Erinnerung zahlreicher lettischer Bürger und den kritischen Stimmen der Exil-Letten, sondern auch zwischen russischstämmigen und ethnisch lettischen Bevölkerungsgruppen. Die jahrelange Stilisierung der Letten als Opfervolk verkompliziere die Identitätsbildung und behindere die Beschäftigung mit dem Nazismus und der post-stalinistischen Zeit. Ein positives Geschichtsnarrativ sei nötig und möglicherweise im Gedenken an die Tage der Barrikaden im Januar 1991 zu festigen. Ein Großteil der Gedenk- und Erinnerungsarbeit werde bisher lediglich von privaten bzw. nicht-staatlichen Initiativen geleistet.

Anders als in Lettland findet in der Ukraine die Nationalisierung der Geschichte bereits im zweiten Anlauf – in paralleler Entwicklung zur Ablösung von der Sowjetunion und im Rahmen weltweiter Globalisierungsprozesse – statt. Heorhiy Kasianov (Kiev) begründete das seit 1991 enorm gestiegene Interesse an „authentischer“, nationaler Geschichtsschreibung mit dem Legitimationsbedarf des neuen Systems, dem Einfluss ukrainischer Exil-Wissenschaftler und der Herausbildung einer revisionistischen Geschichtsbetrachtung durch die Rehabilitierung und Kanonisierung ‚klassischer’ historiographischer Konzepte. Im Rahmen der Nationalisierungsbestrebungen stellt vor allem die Beschäftigung mit der sowjetischen Periode ein zentrales Problem für die Gestaltung eines kollektiven Gedächtnisses dar. Als Beispiel vielfältiger und willkürlicher Inbesitznahme von Vergangenheit erläuterte Kasianov Praktiken und Konjunkturen im Umgang mit der Großen Hungersnot (Holodomor) 1932/33. Die Erinnerung an das Massensterben - zunächst zur kritischen Distanzierung von der sowjetischen Vergangenheit aktiviert, dann zunehmend als Instrument des parteipolitischen und ideologischer Schlagabtausches verwandt - sei fest aber diffus im historischen Bewusstsein der ukrainischen Bevölkerung verankert. Die Verurteilung des sowjetischen Regimes als „totalitär“ ziehe keine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Kommunismus nach sich. Weder auf politischer noch auf gesellschaftlicher Ebene sei gegenwärtig ein konsequentes geschichtspolitisches Vorgehen bzw. eine öffentlich wirksame erinnerungskulturelle Debatte zur Herausbildung eines kollektiven Gedächtnisses auszumachen. Besonders erhellend war in diesem Zusammenhang sein Verweis auf eine Diskussion innerhalb der „beamteten“ ukrainischen Historikerschaft darüber, ob Lenin in Gesamtdarstellungen zur Geschichte der Ukraine in der offiziellen Namensform „V. I. Lenin“ oder nicht besser – wie zu sowjetischen Zeiten – in der persönlicheren, ja familiär-intimeren Namensform „Vladimir Il’ic“, gar nur „Il’ic“, figurieren solle.

Dietmar Müller (Leipzig) verwies in seinem Kommentar auf die Gefahren einer einseitig auf Okkupation und Repression ausgerichteten nationalen Geschichtserzählung, die eigene Verstrickungen ausblende und vor-sowjetische Zeiten verkläre. Für die Analyse des Umgangs mit Diktaturvergangenheit sprach er sich für eine Differenzierung der Kategorien nach Erinnerungsgegenstand oder individuellen Merkmalen wie Generation, Ethnie, Geschlecht, Beruf u. ä. sowie für eine stärkere Beschäftigung mit dem Einfluss von Exilanten auf nationale Erinnerungsdiskurse aus. Er regte an, die von Bleierle konstatierte geschichtspolitische Ignoranz gegenüber der post-stalinistischen Zeit könne auch als Chance für eine stärkere Wirkungskraft von Alltagserzählungen, vermittels derer ethnische Letten und Ukrainer sowie die russophone Bevölkerung lebensweltliche Gemeinsamkeiten entdecken, verstanden werden.

Als südeuropäisches Beispiel für die Auseinandersetzung mit jüngster Diktaturvergangenheit, stellte Adamantios Skordos (Leipzig) die geschichtspolitischen Maßnahmen in Griechenland seit dem Ende der Junta 1974 dar. In ideologisch umgekehrter Ausrichtung werde auch im post-diktatorischen Griechenland eine revisionistische und polarisierende Geschichtserzählung erkennbar, die auf einer Externalisierung der Ursachen für die historischen Abnormitäten der Nachkriegszeit bis 1974 und auf der Mythologisierung eines einheitlichen griechischen Widerstandes basierte. Gegenläufige Impulse aus wissenschaftlichen Studien konzentrierten sich vor allem auf interne Ursachen für den Sturz der Demokratie, wie politische Exklusionsmechanismen oder die Rolle des Militärs. In welchem Maße diese Erkenntnisse auf die kollektive Erinnerungsbildung Einfluss nehmen, sei ein Desiderat weiterer Forschung.

Einen interessanten Zugang zu portugiesischen Wegen der „Vergangenheitsbewältigung“ bot Manuel Loff (Porto) in seiner Analyse der Auseinandersetzungen mit dem Salazarismus seit Mitte der Siebziger Jahre. Von der nachrevolutionär-faschistischen Einordnung des Regimes über den Schweigekonsens der Achtziger Jahre bis zur Re-Aktivierung von Diktaturerinnerung seit 1994 arbeitete er dabei das Verhältnis von Deutungseliten, geschichtspolitischen Strategien und dominanten Erinnerungsdiskursen heraus. Die sozio-ökonomische Situation einer gesellschaftlichen Gruppe in einer spezifischen Zeit habe direkten Einfluss auf die Wahrnehmung der Diktatur. Die allgemeine Wertschätzung der freiheitlichen und moralischen Errungenschaften der Nelkenrevolution von 1974 verdecke jedoch nicht die offenen Konflikte über den Charakter der autoritären Vergangenheit. So gebe es bisher weder ein zentrales Museum noch eine Forschungseinrichtung zur Dokumentation und Vermittlung der Diktaturerfahrung. Eine angemessene und kritische Beschäftigung mit den Kolonialkriegen stehe ebenfalls noch aus.

Zweifel an der Vergleichbarkeit von griechischer und portugiesischer Diktatur meldete Augusta Dimou (Ioannina) mit Verweis auf qualitative Kriterien wie Wesen und Profil, Dauer, Niedergang sowie Art der Diktaturerinnerung an. Während öffentliche Erinnerungsdiskurse in Griechenland konsensbildend wirkten, verhinderten die konträren Positionen in Portugal die Ausformung einer kollektiven Geschichtserinnerung. Bezüglich des Umgangs mit der kolonialen Vergangenheit sei mit Blick auf den portugiesischen Fall daher eher ein Vergleich mit der französischen Herrschaft in Nordafrika gegeben.
Wie stark gegenwärtige Bedingungen den Grad der Auseinandersetzung mit historischen Lasten bestimmen, zeigt das Beispiel Bulgarien. Die Konzentration auf tagespolitische Probleme und aktuelle Herausfordungen sowie der allgemeine Wunsch nach einer besseren Zukunft lassen die Menschen dazu neigen, einen Schlussstrich unter das kommunistischen Kapitel ihrer Geschichte zu ziehen, so Vanja Stojanova (Sofija). Geschichtspolitisch würde diese Tendenz unterstützt, wie die Maßnahmen der Regierung zum Umgang mit den gefledderten Saatsicherheitsakten zeigten. Angesichts des nahen EU-Beitritts Bulgariens, habe man die Dokumente staatlicher Kontroll- und Repressionsmechanismen aus dem politischen Kontext verbannt, indem strafrechtliche Schritte ausgeschlossen und die Akten der Historikerzunft überlassen wurden.

Ein traumatisches Verhältnis zur kommunistischen Vergangenheit konstatieren Cristina und Dragos Petrescu (Bukarest) für Rumänien. Diktaturerinnerung sei zwar vielfältig, im öffentlichen Diskurs aber instrumentalisiert, manipuliert und monopolisiert. Deutungseliten setzten ihre Lesart der Ceausescu-Zeit als Periode des beispiellosen Terrors, des versuchten Widerstands und des großen Leids durch. Die historische Schuld werde der Kommunistischen Partei und der effizenten Arbeit des Geheimdienstes Securitate zugewiesen, gegen die jede Form des Widerstands unmöglich war. Dieses Phänomen des kollektiven Opferstatus verquickt mit dem Mythos der weiteroperierenden Securitate, die auch für die Revolution 1989 und selbst für nachfolgende Missstände verantwortlich gemacht werde, charakterisierten die Historiker als (erinnerungs-)kulturelles Syndrom, das die kritische Auseinandersetzung mit der Diktatur enorm behindere.
Valeska Bopp (Bukarest/Leipzig) unterstrich in ihrem Kommentar die Komplexität der Vergangenheitsdiskurse in Bulgarien und Rumänien, die in beiden Fällen weitestgehend ohne eine öffentliche Wirkung wissenschaftlicher Expertise stattfänden. Zur Erfassung des Phänomens „kollektives Gedächtnis“ sollten verstärkt auch die Rolle der Medien sowie Formen interpersoneller und generationsspezifischer Erinnerungsvermittlung einbezogen werden.

In der abschließenden Diskussion zur Historisierung der Diktaturen Süd- und Osteuropas im 20. Jahrhundert wurden auf zentrale Aspekte gesellschaftlicher Diktaturerinnerung sowie historischer Rahmenbedingungen eingegangen. Die Teilnehmer sprachen sich für eine Erweiterung des „Diktaturerinnerungsvergleichs“ von Polen und Spanien auf zusätzliche ost- und südeuropäische Fallbeispiele aus – bei vergleichender Einbeziehung außereuropäischer Fälle. Diesbezüglich wurden vor allem Argentinien und Marokko genannt. Desgleichen zeichnete sich ein Konsens dahingehend ab, dass die Beschäftigung mit der Übergangsphase zur Demokratie mittlerweile bereits ein eigenständiges Feld erinnerungskultureller Forschung darstellt – neben der Beschäftigung mit der diktatorischen Periode selbst. Sämtliche Beteiligten des Workshops, an dessen Rande Besichtigungen der „Galerie der Kunst des Sozialistischen Realismus“ in Zamoyski-Palast in Kozlowka bei Lublin sowie des hauptstädtischen „Museum des Warschauer Aufstandes“ stattfanden, hoben den Erkenntnisgewinn durch den transeuropäischen Vergleich hervor, der – bei aller anfänglichen Ungewohntheit – die Europäizität europäischer Diktaturen und der Erinnerung an sie erst hervortreten lasse.

1 Zu weiteren Projektaktivitäten vgl. etwa den HSK-Tagungsbericht von Julia Macher (Internationaler Workshop „Diktaturbewältigung, Erinnerungspolitik, Geschichtskultur ¬ Polen und Spanien im Vergleich“, 11. 8. 2003, URL http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=277) samt der HSK-Besprechung des daraus resultierenden Tagungsbandes durch Hans Hesse (Ruchniewicz, Krzysztof; Troebst, Stefan (Hg.), Diktaturbewältigung und nationale Selbstvergewisserung. Geschichtskulturen in Polen und Spanien im Vergleich. Wroclaw 2004, 13.04.2005, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2005-2-03).
2 Siehe die HSK-Projektbeschreibung von Troebst, Stefan, Remembering Communism: Methodological and Practical Issues of Approaching the Recent Past in Eastern Europe, 31.03.2006, URL http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/projekte/id=169.


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