Späte Hexenprozesse

Organisatoren
Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis Interdisziplinäre Hexenforschung (AKIH), dem Lehrstuhl Frühe Neuzeit der Universität des Saarlandes und dem Institut für Geschichtliche Landeskunde der Universität Tübingen
Ort
Weingarten (Oberschwaben)
Land
Deutschland
Vom - Bis
29.09.2005 - 02.10.2005
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Von
Kathrin Mutterer (Tübingen)

Das Ende der Hexenprozesse gilt als Beweis für Europas Weg in die Moderne. Oft wird dabei allerdings übersehen, dass auch nach den großen Debatten des 17. Jahrhunderts und noch weit ins Zeitalter der Aufklärung hinein Hexenprozesse geführt und „Hexen“ legal hingerichtet wurden. Das Anliegen der Tagung war es, Licht in das Dunkel dieser späten, so gar nicht zur Identität des fortschrittlichen Europas passenden Hexenprozesse zu bringen und dabei den Umgang mit dem Phänomen Hexerei und die Bedingungen für das Festhalten am Hexenparadigma zu beleuchten. Des Weiteren sollten über den Kernbereich Westeuropas hinaus Vergleiche zu späten Prozessen in Russland, Südamerika und China sowie zur gegenwärtigen Welt in Afrika gesucht werden.

In Verbindung mit dem Arbeitskreis Interdisziplinäre Hexenforschung (AKIH) wurde die Tagung vorbereitet und geleitet von Dieter R. Bauer (Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Referat Geschichte), Professor Dr. Wolfgang Behringer (Universität des Saarlandes, Historisches Institut, Lehrstuhl Frühe Neuzeit) und Professor Dr. Sönke Lorenz (Universität Tübingen, Institut für Geschichtliche Landeskunde und Historische Hilfswissenschaften).

Zu Beginn der Studientagung gab Wolfgang Behringer (Saarbrücken) eine Einführung in die Thematik der späten Hexenprozesse. Dabei umriss er, ausgehend von den späten Hexenprozessen in Westeuropa, die Debatten der Aufklärung und beleuchtete anschließend kurz die gegenwärtige Hexereiproblematik in Ländern wie Südamerika, Afrika und Indien.

1. Sektion: Außereuropäische Länder

Gerrie ter Haar (Den Haag) und Stephen Ellis (Leiden) wiesen in ihrem Vortrag „The History of Witchcraft Accusations and Persecutions in Africa“ darauf hin, dass das Wort Hexerei nicht zu jeder Zeit und an jedem Ort die gleiche Bedeutung hatte und hat. Ihre Arbeit über Südafrika ließ sie zu folgender einstweiligen Definition von Zauberei gelangen: „A manifestation of evil believed to come from a human source.“ Zauberei ist in Afrika immer nur ein Teilaspekt eines größeren Ganzen, eines Glaubens an eine von unsichtbaren spirituellen Wesen bewohnten Welt.
Der Begriff der Hexerei ist, ebenso wie seine Auswertung durch Gelehrte, durch historische Faktoren bedingt. Erstens: Hexerei ist deswegen ein Gegenstand der Anthropologie geworden, weil sie in der eigenen Gesellschaftsgeschichte eine Rolle spielt. Zweitens: Europäer betrachten Hexerei in evolutionärer Ansicht als Charakteristikum einer vormodernen Gesellschaft; und drittens: Kolonisation und Christianisierung führten in Afrika zu einem Wechsel in der Beziehung zwischen den Menschen und der spirituellen Welt. Die traditionelle afrikanische Religion besitzt keine geschriebenen Dogmata und ist nicht von anderen „aspects of power“ getrennt. Ursprünglich war man der Ansicht, dass die Kräfte von „spirits“ gut oder böse sein können, in Abhängigkeit von der Person, die sie betreffen. Diese Haltung wurde später von der Vorstellung verdrängt, dass „spirits“ an sich immer böse sind. Im Unterschied zur westlichen Literatur, die Hexerei als soziales Phänomen betrachtet, sehen afrikanische Autoren diese als Bedrohung der moralischen oder kosmologischen Ordnung. Der Vergleich der Geschichte Afrikas mit der Europas erfordert, dass den sehr unterschiedlichen politischen und institutionellen Kontexten der Hexenverfolgungen auf zwei verschiedenen Kontinenten Rechnung getragen wird.

Christine Worobec (DeKalb/IL) stellte in ihrem Vortrag „Late Witchcraft Trials in Ninetheenth Century Russia“ ihre aktuellen Forschungsergebnisse für die Zeitspanne zwischen 1775 und den 1850er Jahren vor. Obwohl das „Provincial Administrative Statute“ von 1775 die Anwendung der Hexerei als Resultat von „stupidity, ignorance, and fraud“ ansah sowie die Vorstellung verneinte, dass Hexerei eine Realität sei, welche die Gesundheit und das Leben von Menschen nachteilig beeinflussen könnte, und das Statut somit den Prozess der Dekriminalisierung von Zauberei und Hexerei einleitete, blieben dennoch der Glauben an Hexerei in allen sozialen Schichten und die Widersprüche im russischen Recht bestehen. Die Rolle der Orthodoxen Kirche bei der Bestrafung von Hexen und Zauberern und die kirchliche Sichtweise, die die Hexerei potentiell bejahte, halfen der Aufrechterhaltung älterer Hexereivorstellungen und unterstützten den vorherrschenden Glauben im Volk. Erst die Intervention der Medizin mit der Diagnose von Krankheiten wie Hysterie und Melancholie überzeugte die Richter und säkularen Autoritäten nach und nach, dass Hexerei nicht möglich sei. Dennoch blieb auch nach 1853 Hexerei ein Delikt in den Gesetzbüchern, und das juristische System des imperialen Russlands folgte der Austreibung von Hexenglauben und Zauberei nicht. Vielmehr entstand ein Keil zwischen den Bauern, die ihren Glauben an Hexerei und Zauberei beibehielten, sowie der Orthodoxen Kirche auf der einen Seite und einer gebildeten Schicht auf der anderen Seite, die sich mit der Zeit vom Hexenglauben distanzierte.

In ihrem Vortrag „Späte Zauberei- und Hexereiprozesse vor amerikanischen Inquisitionstribu¬nalen“ ging Iris Gareis (Frankfurt a.M.) zunächst auf die Besonderheiten der Zauberei- und Hexereivorstellung in Südamerika ein. Zur Fusion indigener, afrikanischer und europäischer Einflüsse kam es meist nur bei den unteren sozialen Schichten, während sich die höheren sozialen Schichten von jeglicher Art des Volksglaubens zu distanzieren suchten. Der Unterscheidung zwischen Hexerei- und Zaubereidelikt kam in Südamerika eine elementare Funktion in den Prozessen zu, was vor allem an folgenden Punkten fixiert wurde: Zum einen beinhaltete der Hexereivorwurf den expliziten statt den impliziten Teufelspakt, und zum anderen wurden Hexen und Zauberern unterschiedliche Fähigkeiten zugewiesen. Während den Hexen die üblichen Fähigkeiten wie Nachtflug, Tierverwandlung und Wetterzauber nachgesagt wurden, brachte man Zauberer nur mit magischen Ritualen in Verbindung. Am wichtigsten war die Bedeutung des Maleficium, welches mit Hexerei assoziiert wurde. Zum größten Teil wurden in den Inquisitionstribunalen jedoch Zaubereidelikte verhandelt; Hexereidelikte waren eher selten. Im kolonialen Amerika gab es insgesamt nur drei Inquisitionstribunale (1570 Lima, 1571 Mexiko-Stadt und 1610 Neu-Granada). Brasilien verfügte über kein eigenes Tribunal, sondern war dem Inquisitionsgericht in Lissabon unterstellt. In den weit abgelegenen Gebieten wurden leichte Fälle direkt vor Ort verhandelt; nur die schweren Fälle wurden vor das zuständige Tribunal bzw. nach Lissabon gebracht. Die drei Tribunale bestanden bis zum Ende der Kolonialzeit fort (Lima bis 1818, Mexiko-Stadt 1820, Cartagana 1821). Sie führten allerdings in den letzten Jahren ihres Bestehens kaum noch Prozesse durch.

Einen ersten Einblick in die „Chinese Sorcery Scares in the 18th Century“ und damit in die späte imperiale Periode der chinesischen Geschichte, gab Barend ter Haar (Leiden). Er stellte eine Kategorie von Hexerei vor, die nicht nur stereotype Furcht vor magischen Handlungen, sondern auch die Brandmarkung und Verfolgung menschlicher Täter umfasst. Was unter anderem auch die Furcht vor „Auntie Old Tiger“, dem Diebstahl von Lebenskräften (z.B. durch das Stehlen von Organen und Föten), Angriffen von fliegenden Objekten und dem Diebstahl von lokalem Wasservorkommen durch so genannte Dürre-Dämonen beinhaltete. Im Gegenzug zu dem Vorschlag, den Begriff der Hexerei als allumfassende Bezeichnung zu verstehen, angelehnt an historische europäische Denkmuster, die die grundlegende Erscheinung für Europa im späten 18. Jahrhundert enden lassen und sie andernorts als Indikator für fehlende oder mangelhafte Moderne sehen, plädierte der Referent für einen erweiterten Ansatz. Dieser weiter gefasste Begriff soll ermöglichen, dass die Fortdauer ähnlicher Phänomene im Westen (vgl. McCarthyismus) miteinbezogen und auf die Annahme einer Verbindung zwischen Modernität und dem Fehlen von Hexereianklagen verzichtet werden kann.

2. Sektion: Europäische Länder

Über „die späten Hexenprozesse in den böhmischen Ländern und auf dem Gebiet der heutigen Slowakei“ informierte Petr Kreuz (Prag), der den letzten nachweisbaren Hexenprozess für die böhmischen Ländern auf 1755/56 datiert. Bis ins 15. Jahrhundert hinein lässt sich für Böhmen und Mähren nur ein einziger Hexenprozess nachweisen. Zur ersten belegten Hinrichtung einer angeblichen Hexe kam es in Böhmen 1498. Die Höhepunkte der Verfolgungen lassen sich in zwei Wellen darstellen – die erste vom letzten Drittel des 16. Jahrhunderts bis in die ersten zwei Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts und die zweite Welle im letzten Viertel des 17. Jahrhunderts. Bis auf drei bekannte Ausnahmen in Böhmen und eine Ausnahme in Mähren hatten alle durchgeführten Prozesse individuellen Charakter. Das gerichtlich geahndete Delikt der Zauberei trug in den böhmischen Ländern bis zur zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in der Regel den Charakter verschiedener abergläubischer Praktiken oder bezog sich auf den Einsatz schädigender Zaubertränke; nur in vereinzelten Fällen wurde Kontakt mit dem Teufel vorgeworfen. Bis auf Einzelfälle gewann das Delikt der Zauberei in Böhmen ebenfalls nie die Gestalt der Apostasie, der Teilnahme am Hexensabbat oder der Zugehörigkeit zu einer Hexensekte; dasselbe gilt für Mähren bis zum Ausbruch der nordmährischen Hexenverfolgungen im Jahre 1678. Auch für die Slowakei sind hauptsächlich Individualprozesse nachweisbar. Die Verfolgungswelle hatte hier ihren Höhepunkt Ende des 17. und erstreckte sich bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts. Das geahndete Delikt der Zauberei hatte in dieser Periode in der Slowakei in seinen realen Äußerungen in der Regel die Form von verschiedenen Praktiken der Volksmagie oder der Volksmedizin. Der Teufelspakt tauchte zwar in vielen Fällen der Hexenverfolgung auf, trat aber selten in den Vordergrund.

Um „Hexenprozesse in Polen im Zeitalter der Aufklärung“, genauer: um Prozesse zwischen 1728 und 1795, ging es im Vortrag von Jacek Wijaczka (Torun). Er stellte dar, dass Hexenverfolgungen in Polen in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts keine Seltenheit waren. Die Bandbreite der Vorwürfe reichte von Milch- und Bierverderbung, über Liebeszauber, das Anhexen von Krankheiten bei Mensch und Vieh, angebliche Krankheitsheilung durch Magie sowie Wetterzauber bis hin zu Besenritt und Teufelspakt. Des Weiteren war der Glaube an Werwölfe, Vampire und Hexen sowohl in der Unterschicht als auch im Adel weit verbreitet. Als Begründung, warum in Deutschland zur gleichen Zeit keine Hexenprozesse mehr stattfanden, wurde damals seltsamerweise das niedrigere Bildungsniveau Polens genannt, weswegen die Hexen alle von Deutschland dorthin umgezogen seien. Vor allem ab den 1760er Jahren gab es in Polen immer wieder Bemühungen, die Hexereiverfolgung zu beenden. Zeitschriften, Broschüren, Bücher erschienen und verbreiteten neben den Ideen der Aufklärung auch immer wieder die Forderungen nach der Abschaffung der Wasserprobe, der Folter, der Bestrafung vermeintlicher Hexen und nach einem öffentlichen Strafverfahren. Obgleich 1766 das Verbot der Folter verhängt wurde, war der Hexenglauben weit verbreitet und konnte sich bis ins 20. Jahrhundert halten. Der oft in der älteren Literatur genannte letzte Hexenprozess in Polen von 1775 in Doruchów fand jedoch nicht statt. Dafür ist ein Prozess in Kleinpolen aus dem Jahre 1785 bezeugt. Gründe für die lang anhaltende Prozesstätigkeit sind vor allem im Fehlen einer juristischen Ausbildung der Stadtrichter und einer vorgesetzten Gerichtsbehörde zu suchen.

Rainer Decker (Paderborn) stellte in seinem Vortrag die „Hexen- und Magieprozesse im Kirchenstaat während des 19. Jahrhunderts“ dar. Wurde die päpstliche Inquisition in Italien spätestens mit den napoleonischen Kriegen abgeschafft, konnte sie sich im Zuge der Restauration im Kirchenstaat regenerieren und bis zu dessen Ende 1861/70 halten. Als Ursachen für die Ahndung weißer und schwarzer Magie sind das Festhalten der katholischen Kirche an der Möglichkeit von Hexerei und Teufelspakt zu nennen. Des Weiteren führte Decker die – wegen der relativ fairen Prozesse – fehlende schockierende Erfahrung von Folter- und Gewaltexzessen an. Die Delikttypen des 18. Jahrhunderts: „blasphemia“, „sollicitationes“, „propositiones haereticales“, „polygamia“, „superstitio“ und „maleficium“, wurden unter dem Eindruck der italienischen Nationalbewegung durch die Zugehörigkeit zu der „secta carbonariorum“ oder der „secta liberalium“ erweitert.

3. Sektion: Deutschsprachige Länder

Zu einer Sektion über letzte einzelne Hexenverfolgungen lassen sich die folgenden Vorträge zusammenfassen. Erika Münster-Schröer (Ratingen) stellte den letzten Hexenprozess am Niederrhein vor, der zugleich der erste in der Region seit etwa 200 Jahren war: „Tödliche Gelehrsamkeit. Ein Richter, seine Karriere und seine Opfer: der Düsseldorfer Hexenprozess 1737/38“. Zwei Frauen wurden unter dem Vorwurf, Hexen zu sein, Devotionalien gefälscht und Wunder vorgetäuscht zu haben, die Teufelsbuhlschaft eingegangen zu sein und sich der Tierverwandlung und der Hostienschändung schuldig gemacht zu haben, mit dem Tod durch Verbrennung bestraft. In der Begründung wurden mehr als 30 führende Dämonologen und Juristen aufgeführt. Zusammenfassend lassen sich als Gründe dieses sowohl zeitlich als auch örtlich isolierten Hexenprozesses und der Hinrichtung der beiden Frauen folgende fünf Faktoren nennen: die Befürwortung der Hexenverfolgung und Untermauerung auf wissenschaftlicher Basis, die strikte Ablehnung aufgeklärter Verfolgungsgegner, Strafverschärfung als Maßnahme des absolutistischen Staates, Rekatholisierungsabsichten und in starkem Maße auch persönliche Karrieregründe des Amtsrichters.

Johannes Dillinger (Trier) sprach in seinem Vortrag „Von der Giftmischerin zur Hexe: der Prozess gegen Katharina Reitterin aus Eglofs 1743“ über einen späten Prozess im Allgäu. Zunächst als Giftmörderin angeklagt, gestand Katharina Reitterin ohne äußeren Druck die Teufelsbuhlschaft und legte ein vollständiges Hexengeständnis ab. Es lässt sich zeigen, dass die Deutungskategorie „Hexerei“ in der Bevölkerung immer noch akzeptiert war. Schließlich wurde ein Rechtsgutachten angefordert, welches aufgrund des Geständnisses die Todesstrafe empfahl.

Ebenfalls durch Selbstbezichtigung wurde „der letzte Hexenprozess im Reich: der Fall der Anna Maria Schwägelin 1775 in der Fürstabtei Kempten“ ausgelöst. Durch mehrere Schicksalsschläge hatte sich bei Anna Maria Schwägelin die Vorstellung entwickelt, einen Pakt und sexuellen Kontakt mit dem Teufel gehabt zu haben. Da sie mehrfach selbst über diese Einbildung sprach, kam der Fall dem Landrichter zu Ohren. Schwägelin wiederholte freiwillig, ohne jeglichen Druck, den Pakt und die Teufelsbuhlschaft. Wolfgang Petz (Kempten) konnte durch das Auffinden der für verschollen gehaltenen Prozessakten nachweisen, dass die Angeklagte nicht, wie bisher angenommen, hingerichtet, sondern das Todesurteil suspendiert wurde.

Klaus Graf (Freiburg i.Br.) berichtete über die wohl letzte Hinrichtung einer „Hexe“ im heutigen Baden-Württemberg: den „Endinger Hexenprozess gegen Anna Trutt von 1751“. Anna Trutt wurde zunächst wegen des Vorwurfs, einen verheerenden Brand in Endingen gelegt zu haben, verhaftet. Unter Folter gestand sie allerdings, dass sie eine Hexe sei, einen Teufelspakt geschlossen und das Feuer absichtlich gelegt habe. Aufgrund dieser Aussagen wurde sie am 24. April 1751 vor einer riesigen Zuschauermenge erdrosselt und dann auf dem Scheiterhaufen verbrannt. In den Gerichtsprotokollen findet sich die vorsichtige Begriffswahl „veneficium“, was sowohl Hexerei als auch Giftmischerei bedeuten konnte.

„Hexenjagd am Alpenrand: die Verfolgungen in der Innerschweiz 1670–1754“ war Gegenstand des Vortrags von Philippe Bart (Zürich). Vor diesem Zeitraum folgte die schweizerische Hexenverfolgung dem mitteleuropäischen Verfolgungszyklus mit drei Wellen, danach fanden in der Innerschweiz keine Massenprozesse mehr statt. Nach gut einem halben Jahrhundert ohne Hexenverfolgungen kam es 1737 im Stand Zug aufgrund einer Selbstanzeige der 16jährigen Katharina Kalbacher, die auch andere Personen der Hexerei bezichtigte, zu einer letzten Hexenverfolgung, in deren Verlauf acht Personen ihr Leben verloren. Angetrieben durch immer neue Anschuldigungen weiteten sich die Verfolgungen von Zug auf die benachbarten Stände Luzern und Obwalden aus. Allerdings hielt sich die Obrigkeit in diesen Ständen zurück und ließ die Angelegenheit nach einigen Verhören ruhen, sodass sich festhalten lässt, dass hier im 18. Jahrhundert der Ausgang der Verfahren stark von den obrigkeitlichen Vertretern abhängig war, welche die Prozesse führten.

Sieben Frauen fielen den „späten Hexenprozessen in der Reichsabtei Marchtal 1745–1757“ zum Opfer. Wie Constanze Störk-Biber (Tübingen) darlegen konnte, ging die Initiative vom lokalen Verfolgungseifer des Dorfes Allenhausen aus. Das Deutungsmuster Hexerei diente hier den betroffenen Bauern grundsätzlich als Interpretationsfolie für verschiedene Schadensfälle. In den überlieferten Gutachten zu den Prozessen zeigen sich Versuche, die Existenz von Hexerei nachzuweisen. Die Argumentation in Bezug auf Hexenprozesse hatte in Gutachten aus den Jahren 1745–1747 bei den Maximen der Peinlichen Halsgerichtsordnung begonnen und endete schließlich bei der „natürlichen Vernunft“ zur Erklärung der Existenz von Hexen als evidentem Paradigma. Die Beendigung der Hexenprozesse in Marchtal kann letzten Endes auf zwei Momente zurückgeführt werden: zum einen auf den inhaltlichen Bruch mit der magischen Sinnwelt durch die Dorfelite aus Alleshausen und zum anderen durch juristische Kritik der zwei Gutachten aus dem Jahre 1757, durch die fassbar wird, dass die Juristen Hexerei nicht mehr als Option im Kanon strafbarer Delikte wahrnahmen.

4. Sektion: Debatten

Mit dem Zusammenhang zwischen „Enlightenment and Witchcraft“ beschäftigte sich Dries Vanysacker (Leuven). Obwohl im Zeitalter der Aufklärung mit einer großen intellektuellen Bewegung die Existenz des Teufels und dadurch auch die Existenz der Hexen in Frage gestellt wurden und Hexerei als vulgäre Ansicht, hervorgebracht durch Ignoranz und Leichtgläubigkeit, betrachtet wurde, wies Vanysacker darauf hin, dass auch das Zeitalter der Aufklärung weit davon entfernt war, als frei von Hexereivorstellungen gelten zu können. Es leitete zwar das Ende der großen Hexenverfolgungen und die Dekriminalisierung der Hexerei ein (dies im größeren Zusammenhang eines Wandels der juristischen Geisteshaltung), aber die aufgeklärten und gebildeten Katholiken und Protestanten hatten nach wie vor mit dem Gedanken, dass die Existenz des Teufels auf göttliche Vorsehung zurückzuführen sei, zu kämpfen. Ein Dilemma, das sich bis heute in unserer „supermodernisierten“ europäischen Gesellschaft gehalten hat. Obwohl der Glaube an Hexen mittlerweile weitgehend verschwunden zu sein scheint, blieb der Glaube an übernatürliche Kräfte, ob gut oder böse, erhalten.

H. C. Erik Midelfort (Charlottesville/VA) stellte in seinem Vortrag „Johann Joseph Gassner und die Modernisierung der teuflischen Besessenheit“ einen Mann vor, der mit zur „Entzauberung der Besessenheit“ beitrug. Gassner (geboren 1727) begann mit Exorzismen Teufelsbesessenheit zu heilen. Sprach er 1773 noch davon, dass Hexerei oder Schadenzauber Krank¬heiten verursachen könnten, nahm er seit 1774 davon Abstand. Indem er feststellte, dass der Teufel und seine Besitzungen in einer modernen Welt nur ohne die schwindende Schlag¬kraft des Zaubers überleben könnten, bejahte er zwar die trügerischen Handlungen des Teufels; die Kraft und Verantwortlichkeit einer Hexe oder eines Zauberers bestritt er aber. Somit wurde der traditionelle Zusammenhang zwischen Teufelsbesessenheit und Hexerei gelöst.

Eine über die „Aufarbeitung der Hexereivorstellungen im Strafrecht um 1800“ hinausgehende übergreifende juristische Betrachtung der Hexenprozesse und ihrer Voraussetzungen lieferte Wolfgang Schild (Bielefeld). Anhand einzelner Rechtsfälle und unter Berücksichtigung der Rechtsquellen der jeweiligen Zeit sowie ihres Einflussgebiets konnte er einen komplexen rechtsgeschichtlichen Überblick vor Augen stellen.

Der Titel „Späte Hexenprozesse“ impliziert ein Ende der Hexenverfolgungen, was – wie die Tagung deutlich zeigte – so nur für den europäischen Raum Geltung hat. Weltweit kann man dagegen eine neue Dimension der Hexenverfolgungen erkennen, die mit den europäischen Verfolgungen der Frühen Neuzeit nur bedingt etwas gemein hat, vielmehr von der eigenen Geschichte und Kultur beeinflusst ist. So stellt sich nun die Frage, ob sich das Wort „Hexerei“ auf diese Phänomene übertragen lässt und ob mit einem Wort alle seine unterschiedlichen Bedeutungen gefasst werden können. Um interkulturelle Vergleiche anstellen zu können, muss zunächst geklärt werden, was eine „Hexe“ im engeren Sinn eigentlich ist. Für die weitere Handhabung des Hexereibegriffs einigte man sich darauf, ihn als historischen Begriff zu verstehen, um dann mit dieser Definition einen interkulturellen Vergleich anstellen zu können.

Ein Tagungsband ist in Vorbereitung. Es ist zu hoffen, dass dafür auch die drei Beiträge zur Verfügung gestellt werden, die bedauerlicherweise ausfallen mussten: Über „den Weg von den ‚weisen Frauen’ zu den Geburtshelferinnen: Hexenglaube und medizinisches Wissen um Geburtswesen im Ungarn des 18. Jahrhunderts“ wollte Lilla Krász (Budapest) sprechen, Hubert Giger (Chur) über „die letzten Hexenprozesse in Graubünden im 18. Jahrhundert“ und Walter Hauser (Zürich) über „den Hexenprozess gegen Anna Göldi im Jahr 1782 in der Beurteilung der Zeitgenossen“.

Das Buch soll in der Reihe ‚Hexenforschung’ erscheinen. Der bisher letzte Band dieser Reihe (Bd. 9: „Dämonische Besessenheit. Zur Interpretation eines kulturhistorischen Phänomens“) wurde in Weingarten im Rahmen eines festlichen Abends vorgestellt. Anlass für die kleine Feier gab ein „Arbeitsjubiläum“: 20 Jahre zuvor, im April 1985, war von einer Akademietagung am selben Ort der Impuls zur Gründung des Arbeitskreises Interdisziplinäre Hexenforschung (AKIH) ausgegangen.