Vormoderne Konfliktbewältigung aus regionalgeschichtlicher Perspektive

Vormoderne Konfliktbewältigung aus regionalgeschichtlicher Perspektive

Organisatoren
Christine D. Schmidt (SFB 496 „Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme“); Elizabeth Harding (Graduiertenkolleg „Gesellschaftliche Symbolik im Mittelalter“)
Ort
Münster
Land
Deutschland
Vom - Bis
21.06.2006 - 22.06.2006
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Von
Philipp Dotschev, Graduiertenkolleg Gesellschaftliche Symbolik im Mittelalter, WWU Münster

Auf Einladung von Christine D. Schmidt (SFB 496 „Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme“) und Elizabeth Harding (Graduiertenkolleg „Gesellschaftliche Symbolik im Mittelalter“) fand vom 21.-22. Juni in Münster ein Workshop zum Thema „Vormoderne Konfliktbewältigung aus regionalgeschichtlicher Perspektive“ statt, der sich vornehmlich an Promovierende aus der Geschichtswissenschaft richtete. Daher standen die Vorträge von den zehn Referenten in einem engen thematischen Zusammenhang mit begonnenen oder soeben abgeschlossenen Dissertationsprojekten. Zusätzlich gehörte zur Thematik des Workshops noch der öffentliche Abendvortrag von Prof. Andreas Suter (Bielefeld) im Rahmen der Vortragsreihe „Forum Gesellschaftliche Symbolik“. Ziel der Veranstaltung war die Untersuchung unterschiedlicher Formen der Konfliktbewältigung in Bezug auf deren Potential zur Stabilisierung und Veränderung von Ordnung und Herrschaft. Dabei wurde davon ausgegangen, dass die unterschiedlichen Formen der Konfliktbewältigung, wie z.B. gerichtlich, außergerichtlich; symbolisch, diskursiv, schriftlich oder mündlich die verschiedenen Werteordnungen und Handlungsspielräume der Akteure widerspiegeln.

Der erste Block, der von Prof. Werner Freitag moderiert wurde, vereinigte vier Vorträge zum konfessionellen Zeitalter. Den Anfang machte Andreea Badea (Bayreuth), die die Anfänge der Kurkölner Reformation ausgehend von den Überlegungen von Heinrich Popitz als einen Konflikt zwischen Durchsetzungskraft und Innovationskraft auf der Ebene institutionalisierter Macht deutete. Während der Kölner Erzbischof Hermann von Wied (1515-1547) seine Reformationsbestrebungen v.a. mit Hilfe von politischen Bündnissen und informellen Mechanismen, also mit Innovationskraft erreichen wollte, setzte dagegen das reformunwillige Domkapitel auf die Durchsetzungskraft juristischer Mittel. In diesem Fall siegte die Durchsetzungskraft, da der Kölner Erzbischof nach päpstlicher Exkommunikation 1546 und kaiserlicher Achterklärung 1547 resignierte.

Auch Christine Schmidt (Münster) ging auf das konfliktreiche Verhältnis zwischen Fürstbischof und Domkapitel ein. Ihr Beispiel des Streits um die Verhängung der Kirchenbuße aus dem gemischtkonfessionellen, alternierender Sukzession unterworfenen Fürstbistum Osnabrück zeigte, dass die Nichtentscheidung eines Konfliktes systemstabilisierend wirken konnte. Die Domherren des ganz überwiegend katholischen Domkapitels wehrten sich in ihrer Funktion als Archidiakone mit unterschiedlichsten Mitteln gegen die gesetzlichen Einschränkungen ihrer archidiakonalen Gerichtsbarkeit durch ihre zeitweise evangelischen Landesherren. Obwohl sich die beteiligten Akteure und die strukturellen Rahmenbedingungen auf beiden Seiten immer wieder änderten, zog sich der Konflikt ungelöst über den gesamten Zeitraum des 17. und 18. Jahrhunderts hinweg. Die Nichtentscheidung des Konflikts wurde jedoch von der Referentin nicht als Stillstand, sondern dynamisch gedeutet, da Handlungsspielräume entstanden waren und nicht näher bestimmte Grenzen ausgelotet werden konnten.

Judith Becker (Heidelberg) führte dagegen die unterschiedliche Handhabung von Konfliktbewältigung in ihrem Vortrag über den Kirchenrat als Streitschlichter in den Londoner Fremdengemeinden im 16. Jahrhundert auf unterschiedliche Gemeindekonzeptionen der niederländischen und der französischen Fremdengemeinde zurück. Daneben wurden sowohl die Formen des Konfliktaustrags als auch der Konfliktbewältigung auch durch die Persönlichkeit der Pfarrer und Ältesten geprägt.

Martina Dlugaiczyk (Aachen) untersuchte den Waffenstillstand als Mittel der Konfliktbewältigung aus kunsthistorischer Perspektive. Auf der Suche nach geeigneten Sinnbildern für das neue Sujet des Waffenstillstandes, das nach dem Vertrag zwischen den Spanischen Niederlanden und den Generalständen von 1609 entstanden war, wurden die bildlichen Medienereignisse selbst zu Agenturen des politischen Handelns und somit zu Konfliktbewältigungsmitteln.

In seinem öffentlichem Abendvortrag lenkte Andreas Suter (Bielefeld) das Erkenntnisinteresse auf die Praktiken, die nach dem Konfliktaustrag im engeren Sinne stattfanden, wozu er drei Beispiele zwischen Deutschem Bauernkrieg 1525 und Schweizerischem Bauernkrieg von 1653 analysierte. Allen Fällen gemeinsam war die rituelle Unterwerfung der Unterlegenen, d.h. der Bauern. Dabei bedeutete das Ritual nicht nur ein Schuldeingeständnis der Unterworfenen, sondern es ermöglichte es auch den siegreichen Fürsten, ohne Gesichtsverlust Milde zeigen zu können. Neben der Unterwerfung tauchen in allen Fällen als weitere gemeinsame Strukturmerkmale die Unterzeichung eines Sühnevertrages sowie die Bekräftigung der neuen Ordnung durch den Eid auf. Insgesamt stabilisierten diese symbolischen Formen der Konfliktbewältigung in der Vormoderne die Herrschaftsverhältnisse.

Die zweite Sektion zur Frühen Neuzeit wurde von Frau Prof. Stollberg-Rilinger moderiert. Tim Neu (Münster) untersuchte in seinem theoriegeleiteten Referat den Zusammenhang von Verfahrensautonomie und landständischer Konfliktbewältigung am Ende des Ancien Régime. Wieder einmal handelte es sich bei der einen Konfliktpartei um ein Domkapitel, in diesem Fall das münstersche von 1781, dem auf der anderen Seite die Städtekurie gegenüberstand. Die Klage vor dem Offizialatsgericht durch Vertreter der Städtekurie, deren Äußerungen in einer geheimen Sitzung des Domkapitels als Lügen bezeichnet worden waren, lässt darauf schließen, dass es sich aus städtischer Sicht um einen Beleidigungskonflikt vormodernen Typs handelte. Dagegen lässt sich die Einstufung des Ereignisses als Nicht-Konflikt durch die Mehrheit des Domkapitels als modern deuten, da diese Einschätzung auf dem Ideal der Verfahrensautonomie, verbunden mit Stimmfreiheit und Geheimhaltung der Beratung, beruhte.

Zwischen Domkapitel und Städtekurie gab es als weiteren Landstand im Fürstbistum Münster die adlige Ritterschaft, deren Aufschwörungsritual Elizabeth Harding (Münster) auf das Konfliktbewältigungspotential hin untersuchte. Die Beeidigung der Wappentafel von in die Korporation der Ritterschaft Beitrittswilligen diente der rituellen Selbstvergewisserung und hatte symbolisch-identitätsstiftende Funktion. Als Mittel der Konfliktbewältigung war dies jedoch nur kurzfristig erfolgreich, da es zwei parallel praktizierte Zulassungsformen zur Aufschwörung gab. Da dieses Vorgehen nicht zur Homogenisierung des Ritterstandes beitrug, und die Ritterschaft sich folglich auch nicht auf allgemeingültige Regeln verständigen konnte, erfolgte auch keine dauerhafte Konfliktlösung.

Michael Hecht (Münster) zeigte an Beispielen aus der Salzstadt Halle an der Saale, dass trotz der spezifischen Gemengelage mehrerer um das Salz konkurrierender Konfliktparteien Bewältigungsmechanismen gefunden werden konnten, die über eine lange Zeit eine stabile Ordnung begründeten. Landesherr, Solgutsbesitzer, siedeberechtigte Pfänner und Stadtrat erneuerten ihren gemeinschaftlich gefundenen Konsens, der für alle Beteiligten einen zentralen Grundwert darstellte, regelmäßig in rituellen Formen wie Lehntafelhalten und Friedewirken. Der vergleichsweise harmonische Konfliktaustrag kam auch durch die hohe Kommunikationsdichte der sich zunehmend amalgamierenden Gruppen zustande.

Der dritte und letzte Block, von Prof. Andreas Suter moderiert, widmete sich Beispielen aus dem Spätmittelalter und wurde von Doktoranden bestritten, die die regionalgeschichtliche Perspektive aus süddeutscher Sicht einbrachten, setzte somit einen gelungenen Kontrapunkt zu den vorherigen norddeutsch-frühneuzeitlich orientierten Vorträgen. Sebastian Zwies (Heidelberg) deutete spätmittelalterliche Stiftungen am Beispiel der Reichsstadt Esslingen als Instrument vormoderner Konfliktbewältigung. Der Referent trat für eine Erweiterung des Stiftungsbegriffs jenseits der gewohnten Zuschreibungen von Caritas und Memoria ein, da die Stiftung innovatives Potential zur innerstädtischen Herrschaftsstabilisierung und –sicherung sowie zur Konfliktbeilegung gehabt habe. Neben ritueller Wiederherstellung eines verletzten Rechtszustandes durch anniversarische Sühnestiftungen können Stiftungen auch die Funktion haben, städtische Ordnungskonflikte zu lösen, wie am Beispiel der Totengräberstiftung von 1344 und der Hebammenstiftung ab 1496 gezeigt werden konnte.

Einen territorialgeschichtlichen Zugriff auf das Thema wählte dagegen Julia Eulenstein (Gießen), die die Fehdepolitik Erzbischof Balduins von Trier (1307-1354) untersuchte. Balduin, für den die aktive Fehdeführung einen hohen Stellenwert im Territorialisierungsprozess hatte, setzte als Sieger zahlreicher Konflikte durch, dass die Sühnebestimmungen den Zwang zur Allodialauftragung des unterlegenen Gegners und eine Regelung künftiger Konfliktfälle enthielten, z.B. durch Ernennung von Schiedsrichtern oder Verpflichtung zur Gerichtsnahme vor dem Erzbischof.

Der letzte Vortrag des Workshops wurde von Julian Holzapfl (München) bestritten und widmete sich mit dem kanzleimäßigen Fürstenbrief einem wichtigen Medium des Konfliktaustrags. An Beispielen fürstlicher Briefwechsel des bayerischen Herrscherhauses aus dem 15. Jahrhundert wies Holzapfl auf Rechts-, Ordnungs- und Gegenseitigkeitsvorstellungen hin, die für die kanzleisprachliche Verbalisierung von Konflikten zur Verfügung standen. Dabei betonte er, dass die vermeintlich formelhaften Anreden und Grußadressen keineswegs hohle Stereotype darstellten, sondern als performative Chiffren für gegenseitige Verpflichtungen zu deuten seien.

Zieht man nun Bilanz, so fallen die vielfältigen Formen der Konfliktbewältigung, die vorgestellt und diskutiert wurden ins Auge. Es gab z.B. informelle, juristische, symbolische, außergerichtliche oder vertragliche Formen. Oft kamen auch mehrere Formen in einem Konflikt zur Anwendung. Ferner zeigten die gewählten Beispiele das Vorhandensein einer großen Bandbreite von Konfliktkonstellationen auf. Hierarchische Konfliktmuster wie Domkapitel gegen Fürstbischof, Domkapitel gegen Stadt, Gemeinde gegen Pfarrer, Bauern gegen Fürsten, Kurfürst gegen Kleinfürsten, wechselten mit innerständischen Ordnungskonflikten, die zwischen Angehörigen einer Gruppe wie der Ritterschaft, dem Stadtbürgertum oder Familienmitgliedern eines Herrscherhauses ausgetragen wurden. Auch die Bedeutung der Medien der Konfliktbewältigung wurde am Beispiel von Bildern und Briefen herausgearbeitet. Hier schließt sich die Frage nach der Reichweite des Konfliktbegriffs an, der auch in der Abschlussdiskussion angesprochen wurde. Insgesamt wurde davon ausgegangen, dass der Konflikt als ein allgemeiner Bestandteil gesellschaftlicher Prozesse anzusehen ist. Gerade deshalb kann der Workshop als Anregung dazu verstanden werden, noch deutlicher zwischen Konflikten unter Gleichen und Konflikten innerhalb hierarchischer Figurationen zu unterscheiden. Zur weiteren Differenzierung wurden Unterscheidungsmöglichkeiten, wie z.B. gewalttätig – gewaltfrei, oder legal – illegal diskutiert. Dabei ist jedoch zu bedenken, dass die Unterscheidung von legalen und illegalen Konflikten das Vorhandensein übergeordneter Ordnungsrahmen voraussetzt. Dies kann man für die Moderne erwarten, für die Vormoderne sicher nicht in jedem Fall. Dieser Aspekt führt zur Frage nach Metakonflikten, also Konflikte um Konfliktaustragung, mit denen zu rechnen ist, wenn keine übergeordnete Ordnung vorhanden ist. Kann demnach das Zurückgehen von Metakonflikten als Kennzeichen des Übergangs zur Moderne aufgefasst werden? Außerdem wurde in der Diskussion auch angeregt, stärker einzelne Phasen der Konfliktbewältigung in Betracht zu nehmen. Abschließend lässt sich als Ergebnis festhalten, dass die Untersuchung von Formen der Konfliktbewältigung einen überaus instruktiven Zugang zur Erforschung gesellschaftlicher Wertesysteme darstellt. Über den erfolgreichen fachwissenschaftlichen Austausch hinaus hat der Workshop aber auch in gelungener Weise zur Vernetzung der einzelnen Doktoranden beigetragen und ein gutes Beispiel für die Kooperation der Forschungsverbünde Graduiertenkolleg und Sonderforschungsbereich gegeben.


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