Quellen zum 13. Februar 1945. Arbeitsmethoden der Historiker

Quellen zum 13. Februar 1945. Arbeitsmethoden der Historiker

Organisatoren
Landeshauptstadt Dresden in Zusammenarbeit mit dem Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung e. V. der TU Dresden, dem Institut für Geschichte der Technischen Universität Dresden und mit freundlicher Unterstützung des Deutschen Hygiene-Museums Dresden
Ort
Dresden
Land
Deutschland
Vom - Bis
26.04.2006 -
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Von
Constanze Münzner

Unter der Überschrift "Quellen zum 13. Februar 1945. Arbeitsmethoden der Historiker" fand am 26. April 2006 im Deutschen Hygiene-Museum Dresden ein öffentlicher Workshop statt - veranstaltet von der Landeshauptstadt Dresden in Zusammenarbeit mit dem Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung e. V. der TU Dresden, dem Institut für Geschichte der Technischen Universität Dresden und mit freundlicher Unterstützung des Deutschen Hygiene-Museums Dresden. Ein Gremium von Historikern mit der ein wenig sperrigen Bezeichnung „Kommission zur Ermittlung der Zahl der Todesopfer während der Luftangriffe auf Dresden vom 13. bis 15. Februar 1945“ war Ende 2004 vom Dresdner Oberbürgermeister Ingolf Roßberg berufen worden und stellte jetzt der Öffentlichkeit zunächst die Methoden der Forschung vor. Denn die Kommission arbeitet nicht auf einem rein historischen Terrain: Die Zerstörung Dresdens durch alliierte Luftangriffe im Februar 1945 wurde zu einem weltweit bekannten Symbol der Anwendung militärischer Gewalt gegen die Zivilbevölkerung, weil die politische Propaganda das Geschehene für die jeweils aktuelle Politik zu instrumentalisieren versuchte. Dabei haben Zahlen immer die wichtigste Rolle gespielt. Nachdem noch das nationalsozialistische Propagandaministerium wider besseres Wissen die Verbreitung der weit überhöhten Zahl von 200.000 Angriffsopfern veranlasst hatte, bemühte sich in der Nachkriegszeit die kommunale Verwaltung um Tatsachenfeststellung. In den Unterlagen sind etwa 25.000 Todesopfer nachweisbar. Weil aber für die Propagandisten der SED eine antiimperialistische Stoßrichtung der Fakten wichtiger war als die Transparenz der Aktenlage, verzichteten sie bewusst darauf, den Weg der Quellenrecherchen offen zu legen. Bedenken blieben deswegen bestehen, Ergebnisse wurden angefochten und die Diskussion verstummte nicht. Wichtigste Aufgabe der Kommission ist folglich neben der historischen Untersuchung die Beseitigung zahlreicher Unklarheiten, auch wenn wissenschaftliche Rationalität allein sicherlich nicht den letzten unbelehrbaren Zweifler zu überzeugen vermag. Jedenfalls bildete die öffentliche Präsentation der Quellenlage und der Forschungsmethoden im Rahmen einer Arbeitstagung den ersten Schritt.

Nach einem einleitenden Grußwort von Oberbürgermeister Roßberg wies die Stellvertretende Direktorin des Hygiene-Museums, Gisela Staupe, auf die inhaltliche Verbindung zwischen einer aktuellen Ausstellung zum Thema „Mythos Dresden“ am Veranstaltungsort und dem Arbeitsauftrag der Kommission hin. Historische Forschung zielt immer auf die Verringerung der Ungewissheiten, die für Mythen konstituierende Bedeutung haben, und auf die Minimierung bestehender Wissenslücken. Anschließend umriss der Wissenschaftliche Leiter der Arbeitsgruppe, Rolf-Dieter Müller (Potsdam/Berlin), die Kommissionsarbeit, die wesentlich darin besteht, moderne Forschungspotentiale für die Fragestellung zu erschließen. Es werde in jeder Hinsicht ergebnisoffen gearbeitet und an einen Abschluss sei noch nicht zu denken. Der Fokus der Veranstaltung lag darum ausschließlich auf der Vorstellung der Arbeitsmethoden und Forschungsansätze.

Im ersten der insgesamt acht Vorträge sprach Thomas Kübler, Leiter des Stadtarchivs Dresden, zum Sachstand der Quellenauswertung im Stadtarchiv. Er gab zunächst einen Überblick, wo überall die für das Thema der Historikerkommission relevanten Quellen lagern und verdeutlichte mit Beispielen aus den vielen laufenden Metern der Akten deren Relevanz und die Dimensionen der Arbeit. Das Stadtarchiv veröffentlichte mehrfach Presseaufrufe an Zeitzeugen und bat 845 Archive in der gesamten Bundesrepublik Deutschland um Amtshilfe. Bei der Klärung offener Fragen gehe es um folgende Schwerpunkte: Die Zahl nachträglicher Opfer unter den aus Dresden geflohenen oder evakuierten Personen, die Flüchtlingsbewegungen, den Zustrom in die Krankenhäuser der Umgebung. Erfragt wurde außerdem die topografische Mobilität, die Richtung, die Aufenthaltsdauer und die Rückkehr der Flüchtlinge.

Matthias Neutzner von der Interessengemeinschaft „13. Februar 1945“ e.V. (Dresden) referierte über "Bergung und Bestattung von Luftkriegstoten in Dresden/ Organisation und Verlauf". Zu Beginn präsentierte er das von ihm geleitete Teilprojekt "Statistisch-geografische Analyse". Dabei werden sämtliche verfügbaren Informationen von Personen, die bei den Luftangriffen auf Dresden zwischen dem 13. und 15. Februar 1945 getötet wurden, in einem elektronischen Raster erfasst, gezählt und "kartiert" – ein Unterfangen, das weit über die herkömmlichen Möglichkeiten der Forschung hinausweist. Im zweiten Teil ging er auf die damalige Organisation der Planung von Bergung und Identifizierung der Luftkriegstoten ein und stellte den Planungen den realen Ablauf der Leichenbergung gegenüber. Laut Konzeption hätte jeder identifizierte Tote anhand von Kennzetteln 8-fach nachweisbar und jeder nicht identifizierte Tote 6-fach nachweisbar sein müssen. Daher stellt sich die Frage, ob mit den heute nicht zuletzt infolge der Kriegsverluste lückenhaft vorhandenen Nachweisen der Opfer marginale Abweichungen von der Regelerfassung vorliegen oder eine bezüglich aller Opfer unvollständige Registrierung die Regel war.

Der im Stadtmuseum Dresden tätige Friedrich Reichert beschäftigte sich mit den schriftlichen Quellen und ihren Aussagen zum bisherigen Kenntnisstand. Dabei bezog er auch ein Schriftstück aus dem Sächsischen Hauptstaatsarchiv mit ein, Todeserklärungen für vermisste Opfer der Luftangriffe, die bis zum vergangenen Jahr noch nicht bekannt waren. Außerdem ergaben Nachforschungen inzwischen, dass neben den Gräbern auf dem Heidefriedhof und dem Johannisfriedhof weitere 2.416 Luftkriegstote auf anderen Dresdner Friedhöfen bestattet wurden. Weiterhin sollte eine exemplarische Detailuntersuchung innerhalb des Hauptzerstörungsgebietes einen Nachweis für die oft geäußerte Behauptung erbringen, es seien in Dresden komplette Straßenzüge ohne jeden Überlebenden gewesen. Die Wahl fiel auf die schwer zerstörte Mathildenstraße wegen der sehr guten Quellenüberlieferung. Die Ergebnisse widersprechen allerdings den Vermutungen. Gleiches gilt für die große Zahl von Entschädigungsanträgen im Kriegsschädenamt. Vielmehr bestätigten sich alle bisherigen Angaben über die dokumentierten 25.000 Todesopfer.

Nachfolgend berichtete die Landesarchäologin Judith Oexle, Leiterin des Landesamtes für Archäologie (Dresden), über die systematischen Grabungen im Stadtzentrum nach 1993. Die archäologischen Befunde der Keller zeigen Spuren heterogener, aber lokal abgrenzbarer Brandereignisse, angefangen von Rußschwärzungen bis hin zu tief dunklen Rötungen im Sandstein, wobei stark beschädigte Keller direkt an unbeschädigte angrenzen. Die Fundstücke selbst sind zu unterscheiden in solche primären und andere sekundären Ursprungs, da nach 1945 zugunsten der Neubebauung die Oberbauleitung bei der Enttrümmerung die Keller komplett beseitigen und mit Schutt verfüllen ließ. Allerdings ist aufgrund der damaligen Situation auszuschließen, dass der ursprüngliche Herkunftsort des Füllmaterials außerhalb des Schadensgebietes liegen könnte. Nirgends wurden Skelettreste oder Merkmale von Leichenbränden gefunden. Bei Temperaturen von 600 °C bis etwa 700 °C bleiben immer Zähne und Hohlknochen übrig, in jedem Fall hätten organische Überreste identifizierbar sein müssen. Insbesondere Leichenbrände in Primärlage hätte das kalkhaltige Milieu des Verfüllungsschuttes exzellent konserviert und sie wären bei den sorgfältigen Grabungen der Mitarbeiter des Landesamtes entdeckt worden.

Rolf-Dieter Müller, Wissenschaftlicher Direktor des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes der Bundeswehr, widmete sich der Rolle der Wehrmacht bei der Bewältigung der Katastrophe in Dresden und der Haltung ihrer örtlichen Repräsentanten. Er identifizierte das Umfeld des damaligen Dresdner Wehrmachtkommandanten als eine Gerüchteküche, von der möglicherweise die überhöhten Opferzahlen ausgegangen sind. Denn noch am 14. Februar 1945, während Dresden brannte, traf ein neuerlicher Befehl zum weiteren Ausbau des Verteidigungsbereiches ein. In der Folgezeit könnte unter Hinweis auf riesige Opferzahlen der Versuch unternommen worden sein, die Befehle zum Stellungsbau stornieren zu lassen. Die Aussagen ranghoher Offiziere genossen ein allgemein hohes Maß an Glaubwürdigkeit. Faktisch aber geben bis auf Major Eberhard Matthes alle Zeitzeugen nur Informationen aus dritter Hand wieder. Dieser einzige Zeuge wiederum, der authentische Aufklärungen zur strittigen Frage beitragen könnte, blieb während der gesamten Debatte um die Dresdner Opfer, die lautstark in den ost- und westdeutschen Medien ausgetragen wurde, stumm. In Anbetracht dieser und anderer Hinweise sieht Müller in dem erst 45 Jahre später aufgezeichneten Bericht Matthes' eine Fälschung.

Helmut Schnatz (Koblenz) richtete seine Perspektive generell auf die Luftkriegsopfer in deutschen Städten bei Flächenangriffen der Royal Air Force (RAF) von 1942 bis 1945. Bei Vergleichen untersuchte er das Verhältnis zwischen Bombenopfern und abgeworfener Bombenlast der Angriffe. Absicht seiner Berechnungen war eine Wirkungsstatistik der jeweiligen Angriffseffizienz, um darüber zu Aussagen einer grundsätzlichen Größenordnung der personellen Verluste bei den Bombenangriffen der RAF zu gelangen. Insgesamt bezog er 238 Angriffe in die Aufstellung ein. Auf einer abstrakt mathematischen Effizienzskala erziele die Bombardierung Dresdens am 13./14. Februar 1945 bei einer Zahl von 25.000 Toten einen Spitzenwert, der von jeder darüber liegenden Zahl übertroffen würde. Wer also ohne Beweismittel für ein Vielfaches der dokumentierten Opferzahlen plädiere, müsse unbedingt die physikalischen Grundlagen und materiellen Voraussetzungen einer solchen Option nachweisen, um den naheliegenden Vorwurf der Unglaubwürdigkeit auch entkräften zu können. Diese zunächst auf manchen der Anwesenden befremdlich wirkenden technischen Herleitungen verdeutlichen hingegen nachdrücklich die Weite des Forschungshorizonts, dem sich Wissenschaftler stellen müssen bei der Bearbeitung des Themas. Die heute zur Verfügung stehenden modernen naturwissenschaftlichen Methoden bereichern die traditionell hauptsächlich auf die klassische Aktenrecherche gestützte Geschichtswissenschaft erheblich.

Das gilt ebenso für die Ausführungen von Thomas Widera (Hannah-Arendt-Institut, Dresden), der die Analysemöglichkeiten der Temperaturverhältnisse des Flächenbrandes in der Nacht vom 13. zum 14. Februar 1945 skizzierte. Unzulängliche Angaben über Zeitdauer und Ausdehnung des Feuersturms damals erschwerten zwar die Untersuchung der Brandtemperaturen und vorerst müssten neben den Befunden bei der Enttrümmerung der Frauenkirche Ergebnisse von Versuchsreihen herangezogen werden. Da im Freien lediglich Temperaturen von 800 °C bis 900 °C und nur in geschlossenen Räumen bis zu 1200 °C erreicht werden, bezweifeln Rechtsmediziner die massenhafte Verbrennung von Toten zu Asche. Folglich werde eine Arbeitsgruppe des Instituts für Keramik, Glas und Baustofftechnik der TU Bergakademie Freiberg in Zusammenarbeit mit dem Landesamt für Archäologie der Frage nachgehen, wo Voraussetzungen für die komplette Verbrennung von Menschen bestanden. Dazu werden Materialproben archäologischer Funde analysiert. Weiterhin ist ein Brandsimulationsmodell der Dresdner Innenstadt vorgesehen, um mit Hilfe der Modellrechnungen die Brandtemperaturen zu ermitteln.

Abschließend beschäftigte sich Alexander von Plato (Fernuniversität Hagen) mit den methodischen Problemen der Interpretation von Zeitzeugenaussagen. Er legte dar, dass die Berichte die gesamte Dimension des Schreckens wieder geben, weniger die Fakten und realgeschichtlichen Aspekte. Oft entstand eine kollektive Erinnerung durch Überlagerungen des Urerlebnisses mit späteren Erfahrungen, die von Medien, politischen Systemen oder Gemeinschaften von Überlebenden geprägt wurden. Im Unterschied zu den tief verwurzelten Stereotypen des Erinnerns existiere nur eine geringe Zahl von Zeitzeugenaussagen in Form von Briefen oder privaten Berichten aus der Zeit unmittelbar nach den Bombenangriffen, die eine Vielfalt des Erlebens widerspiegeln könnten. Gezielte Zeitzeugeninterviews wurden in den letzten Jahren zum einen von der Interessengemeinschaft 13. Februar 1945, des weiteren vom Zeitzeugenarchiv geführt. Geplant seien noch 70 bis 100 Interviews. Erst dann seien Aussagen über die Bedeutung der Erinnerungskultur auf die Erzählungen zum historischen Geschehen möglich.

Wie häufig bei wissenschaftlichen Veranstaltungen zu zeitgeschichtlichen Problemen meldeten sich zur Diskussion zwischen den Vorträgen mehr die Personen mit persönlichen oder politischen Statements zu Wort als solche mit konkreten Fragen an die Referenten. Der Unmut einiger Besucher, die sich nicht auf diese Gepflogenheiten einlassen, sondern lediglich ihre Meinung kundtun wollten, verdeutlichte nochmals die außerordentliche Emotionalität, die das Thema Bombenkrieg bei vielen Einwohnern Dresdens noch immer hervorruft. Insofern bleibt es zu wünschen, dass die Tätigkeit der Historikerkommission dazu beiträgt, neben dem wissenschaftlichem Erkenntnisgewinn zu einer Versachlichung der Auseinandersetzung beizutragen, damit sie nicht von persönlicher Betroffenheit behindert, sondern künftig durch sie bereichert wird.


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