Medialität der Geschichte und Historizität der Medien

Medialität der Geschichte und Historizität der Medien

Organisatoren
Kulturwissenschaftliches Forschungskolleg "Norm und Symbol" Univ. Konstanz
Ort
Konstanz
Land
Deutschland
Vom - Bis
07.11.2002 - 09.11.2002
Von
Marcus Sandl, Konstanz

Eine interdisziplinäre Tagung des Kulturwissenschaftlichen Forschungskollegs "Norm und Symbol" an der Universität Konstanz (7.-9. November 2002)
Organisiert von Fabio Crivellari, Kay Kirchmann, Marcus Sandl und Rudolf Schlögl.

Medien haben eine Geschichte und Geschichte ist ohne Medien nicht denkbar. Wo immer Medienwissenschaftler ihre Beobachtungen ansetzen, operieren sie in historischem Milieu. Wo immer Historiker kulturwissenschaftliche Fragen entwerfen, berühren sie Kommunikationsprozesse, die notwendig medial fundiert sind. Ausgehend von dieser Feststellung scheint es nicht abwegig, ja geradezu notwendig, die gemeinsamen Grundlagen und vielfältigen Verbindungen der Fächer Medien- und Geschichtswissenschaft zu beleuchten und zu systematisieren. Trotz offensichtlicher Affinitäten fehlt es bis dato weitgehend an Versuchen, die Verbindungslinien auszuarbeiten. Die Tagung "Medialität der Geschichte und Historizität der Medien", die vom 7. bis zum 9. November an der Universität Konstanz stattfand, setzte sich zum Ziel, Möglichkeiten interdisziplinärer Zusammenarbeit auszuloten.

In siebzehn Beiträgen wurde das weite Feld aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet. Neben Vertretern der Medien- (u.a. Lorenz Engell, Peter Gendolla) und Geschichtswissenschaft (u.a. Rainer Wirtz, Habbo Knoch, Frank Bösch) beteiligten sich auch Literaturwissenschaftler (Götz Großklaus, Günter Oesterle), Kunsthistoriker (Judith Prokasky, Norbert Schmitz) und Journalisten (Thomas Fischer) an der Diskussion.
Die Tagung begann mit einem Vortrag von Bazon Brock über die "Geschichte des Nichtgeschehenen", in dem der Vortragende in gewohnt provokativer Weise sicherstellte, dass die angestrebte interdisziplinäre Kooperation nicht von vornherein in gegenseitiges Schulterklopfen oder indifferente Ignoranz mündete.
Einen ersten inhaltlichen Systematisierungsvorschlag entfaltete im Rahmen der Eröffnungsveranstaltung dann der Historiker und Sprecher des Konstanzer Kulturwissenschaftlichen Forschungskollegs "Norm und Symbol" Rudolf Schlögl. Er plädierte für einen kulturwissenschaftlichen Perspektivenwechsel auf die Geschichte als kommunikativem Sinngefüge, dessen historische Transformation(en) es zu untersuchen gelte. Allein schon dadurch, dass Kommunikation notwendiger Weise medial fundiert sei, seien die Interdependenzen von allgemeiner Geschichte und Mediengeschichte offenkundig. Den Medienbegriff entfaltete Rudolf Schlögl in drei Richtungen: Medien seien zum einen Artefakte und Apparate, ohne deren Materialität keine Kommunikation möglich ist; zum anderen müssten Medien funktional als Handlungskoordinatoren bestimmt werden, durch die Erwartungen der jeweils Kommunizierenden stabil gehalten werden könnten. Drittens schließlich seien Medien soziale Institutionen. Diese Konturierungen steckten den Horizont ab, innerhalb dessen sich die Diskussionen der folgenden zwei Tage bewegten.

Die erste Sektion der Tagung beschäftigte sich anhand der Leitfrage, wie Medien historische Vorstellungen von Zeit, Zeitverläufen und Geschichte bestimmten, mit dem Themenfeld ‚Medien und Zeitkulturen'. Zunächst sprach der Gießener Literaturwissenschaftler Günter Oesterle über den konstitutiven Anteil von Intermedialität in der Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts. Am Beispiel von Franz Kuglers und Adolph Menzels textbildlicher "Geschichte Friedrich des Großen" verdeutlichte er Transformationen im Medialen wie im Narratologischen und unterstrich damit die bislang kaum beachtete Bedeutung des Text-Bildverhältnisses in einer entscheidenden Phase der Entwicklung des modernen Geschichtsverständnisses.
In seinem Beitrag "Gedächtnis der Bilder - Beschleunigung der (kata-) strophischen Zeit" thematisierte Götz Großklaus anschließend Fotografien, die kulturelle Erinnerbarkeit verweigern. Er entwickelte dabei die These, dass Bilder von Ruinen oder Massengräbern sowohl eine Enträumlichung als auch Entzeitlichung darstellen, insofern sie Bedingungen des kulturell Erinnerbaren nicht erfüllen, nämlich Identifizierbarkeit und Kontinuität. Der vormals kulturelle Raum erscheine, beispielsweise auf Fotografien, die nach dem Atombombenabwurf in Hiroshima gemacht wurden, entkulturalisiert bzw. enträumlicht und die kulturelle Kontinuität von Vergangenheit - Gegenwart - Zukunft ausgelöscht. Diese Auslöschungsbilder könnten, so Großklaus, in das Funktionsgedächtnis (Assmann) nur dann aufgenommen werden und darin zirkulieren, wenn sie über ihre bloße Indizierung hinaus symbolisch aufgeladen werden (können). Ansonsten stellen sie das latente Jenseits des kulturell Erinnerbaren und Kommunizierbaren dar.
Lorenz Engell, Medienwissenschaftler aus Weimar, ging in seinem Beitrag dann auf den Zusammenhang von Fernsehen und Zeit ein. Er stellte am Beispiel von Fernsehserien die Frage in den Mittelpunkt seiner Überlegungen, inwieweit das Fernsehen eine eigene Historizität ausbilden könne. Drei zentrale Wiederholungsformen, durch welche Vergangenheiten vergegenwärtigt und eine spezifische Geschichtlichkeit ausgebildet werde, machte Engell aus: Die ‚reine Wiederholung' in der Episoden-Serie, die ‚differenzierende Wiederholung' in Fortsetzungsserien sowie die ‚serielle Wiederholung', die zwischen Fortsetzungs- und Episodenserie zu verorten sei. Gerade in der letztgenannten Form besitze die Vergegenwärtigung der eigenen Geschichtlichkeit im Medium Fernsehen einen heterogenen prozessualen Charakter, der nicht einer lineare Zeitkonzeption folge und gleichsam Geschichte als frei verschaltbare Möglichkeitsform zur Darstellung bringe, so Engell.
In seinem die erste Sektion abschließenden Beitrag beschrieb der Siegener Medienwissenschaftler Peter Gendolla die unsere Gegenwart und Zukunft prägende ‚internet-time'. Er charakterisierte sie als Zeitform, die über alle lokalen und geographischen Differenzen hinweg die vollkommene Entqualifizierung und Uniformisierung des Zeitlichen installiere und damit die völlige Gleichschaltung von Ökonomie, Technik, Erziehung etc. ermögliche.

Die zweite Sektion thematisierte unter dem Titel "Geschichte in den Medien" die Frage der konkreten Archivierungs- und Vermittlungsweisen von Geschichte in Medien. Sie begann mit einem Vortrag des Konstanzer Historikers Rainer Wirtz zur Geschichts(re)präsentation in Museen. Wirtz arbeitete darin die Differenz zwischen der wissenschaftlichen, am Medium des Textes orientierten Geschichtsschreibung und der auf ‚Anschaulichkeit' verpflichteten musealen Darstellungslogik heraus und betonte die spezifischen Leistungen des Museums für die Erkenntnis der Geschichte.
Der Thematik unterschiedlicher medialer Logiken widmete auch der Marbacher Historiker Günter Riederer seinen Beitrag über "Hitlers Krieger im Wüstensand - Zur medialen Konstruktion des militärischen Mythos Rommel nach 1945". Ausgehend von der These, dass Filme und ihre Bilder einen Deutungsrahmen konstituierten, innerhalb dessen Menschen Geschichte wahrnehmen und sozialen Sinn konstruieren, entwarf Riederer eine Typologie der Figur ‚Rommel' in Kinofilmen zwischen 1940 und 1970.
Anschließend machte die Berliner Medienwissenschaftlerin Judith Keilbach Praktiken der Produktion, Archivierung und Wiederverwertung von Filmaufnahmen aus dem Nationalsozialismus in Dokumentationssendungen zum Thema. Sie wies darauf hin, dass in der massenmedialen Präsentation nur ein relativ kleiner Korpus an dokumentarischen Geschichtsbildern Verwendung finde und somit ein permanentes Recycling der immer gleichen Bilder stattfände. Mit der Begrenztheit des Bilderfundus bei gleichzeitig differierenden Interessen ergäbe sich ein Prozess je neuer Re-Kontexualisierungen. Damit einher ginge eine jeweilige Umschreibung der Symbolizität der Aufnahmen, was wiederum im Lauf der Zeit vermehrt zu Reflexionen über den Bildstatus und deren Konstruiertheit in den Geschichtsdarstellungen selbst geführt habe.
Aus der Praxis des ‚Fernsehmachers' beschrieb schließlich Thomas Fischer vom SWF das Format ‚Zeitgeschichte' im Fernsehen. Er stellte dabei drei zentrale Tendenzen in den Darstellungsweisen des Geschichtlichen seit den 1980er Jahren in den Mittelpunkt seiner Ausführungen. So komme die Alltagskultur vermehrt in das Blickfeld, das Genre der ‚investigativen Zeitgeschichte' erfreue sich immer größerer Beliebtheit sowie das ‚Doku-Drama', das mit der Mischung von fiktionalen und faktischen Elementen operiere. In diesen Tendenzen zeige sich deutlich, dass die Präsentationsweisen immer stärker an traditionelle fiktionale Narrationen und mündliche Erzählformen angelehnt seien.

Die dritte Sektion, die mit dem Titel ‚Medien und Wissenskulturen' überschrieben war, sollte die Frage nach den erkenntniskonstitutiven Aspekten von Medien in den Mittelpunkt stellen. Sie begann mit Ausführungen des Göttinger Historikers Habbo Knoch zur Geschichte der ‚massenmedialen Sattelzeit' zwischen 1880 und 1960. Knoch entwickelte dabei ein weit ausgreifendes historisches Kommunikationsmodell. Im Untersuchungszeitraum, so Knoch, habe sich nicht nur ein neuartiges massenmediales Ensemble etabliert, sondern es sei auch die Selbstbeobachtung der Gesellschaft als Mediengesellschaft entstanden. Knoch plädierte für eine historische Kommunikologie, die die technischen und medialen Aspekte des Wandels ebenso berücksichtige wie die durch die Massenmedien bedingten Veränderungen von Kommunikationsverhältnissen und deren reflektierender ‚Einschreibung' in die Gesellschaft.
Mit der Frage nach dem "Beitrag der Medienwissenschaften zur Geschichte der Individualität" reformulierte anschließend der Kölner Medienwissenschaftler Jens Ruchatz die Thematik ‚Medien und Wissenskulturen' auf der Ebene eines der wirkungsmächtigsten Konzepte der Moderne. Im Anschluss an Überlegungen von Friedrich Kittler und Michel Foucault zu Vorstellungen des 'autonomen Subjekts' im Medium der Literatur nahm Ruchatz Konzepte von Individualität und Identität im Zeitalter der technischen Speichermedien in den Blick. Anhand transmedialer Diskurse über Originalgenies und 'Stars' rekonstruierte er die Semantik von Individualität nach 1900 und beschrieb die mediale Dialektik der Herausbildung eines Stardiskurses und der Verbreitung des Individualitätspostulats.
Der Kieler Kunsthistoriker Norbert Schmitz vertrat in seinem Vortrag zur "Geschichte als ästhetischer Konstruktion" die These, dass jede künstlerische Darstellung von Geschichte notwendigerweise zu einem mythischen Weltmodell tendiere. Deshalb müsse der Anspruch auf objektive Darstellung und ideologiekritische Abarbeitung von Geschichte, wie sie etwa Sergei Eisenstein in seinen formalästhetischen Entwürfen des russischen Revolutionskino einforderte, in ästhetischen Darstellungsformaten zwangsläufig fehlgehen. Schmitz machte deutlich, dass Geschichte und Erinnerung in einem hohen Maße von medialen Komponenten abhängig sind, genauso aber auch von spezifischen gesellschaftspolitischen Interessen und Institutionen.
In ihrem Vortrag über "Wissen als Film" griff die Züricher Filmwissenschaftlerin Ursula von Keitz diese Fragestellung wieder auf. Sie thematisierte den Einsatz von nicht-fiktionalen Filmen als Lehrmittel in Bildungsinstitutionen zwischen 1918 und 1945. Sie entwickelte dabei die These, dass der Film eine "medialer Arm" pädagogischer Reformkonzepte der Frühen Moderne gewesen sei, durch den der überkommene Logozentrismus zugunsten eines Imagozentrismus relativiert wurde. Der sprach- und modellzentrierten Abstraktion wurden durch den Lehrfilm, so von Keitz, neue Formen der Wissensvermittlung an die Seite gestellt, die einerseits eine Demokratisierung, andererseits aber auch eine Normierung der Lehrinhalte beinhalteten

Die abschließende vierte Sektion versammelte Beiträge zur ‚medialen Struktur historischer Ereignisse'. Die mediale Präfiguration von Wissen(schaft) und gesellschaftlichen Beobachtungsverhältnissen wurde beispielhaft deutlich an zwei Beiträgen: Michael Kempe von Frankfurter MPI für europäische Rechtsgeschichte beschrieb den ‚gelehrten Briefwechsel' als eine mediale Voraussetzung von Wissenschaft im 17. und 18. Jahrhundert. Neben staatlich-universitär reglementierter Wissenszirkulation ergaben sich durch die Korrespondenzen von Forschern ein informelles Netz, in dem Wissen ausgetauscht werden konnte. Der Brief sei, so Kempe, aus dieser Perspektive ein Kommunikationsmittel freier Wissensdiffusion gewesen, das die wissenschaftliche Disziplinbildung innerhalb seines Untersuchungszeitraumes massiv beeinflusste (z.B. im Bereich der Paläontologie).
Den "Skandal als politikprägende Kraft" im Kaiserreich thematisierte der Göttinger Zeithistoriker Frank Bösch. Skandale prägten, so Bösch, sowohl die Berichterstattung über Politik als auch die Politik selbst. In der Zeitung wurde um 1900 die Aufdeckung von Geheimem/Privatem forciert. Dadurch, so argumentierte Bösch, wurden die Sagbarkeitsgrenzen verschoben und es fand eine Erweiterung des Öffentlichkeitsdiskurses statt, der eine neue Qualität der Beobachtungsweisen von politischen Akteuren mit sich brachte und dementsprechend beeinflusste.
Die Visualisierung und Imagination eines Ereignisses, nämlich der Pariser Commune von 1871, war Gegenstand des Vortrags der Kölner Kunsthistorikerin Judith Prokasky. Im Medium der Bilder beschrieb sie die Ausdifferenzierung schichten- und klassenspezifischer Erinnerungskulturen in Frankreich zwischen 1871 und 1914. Gleichzeitig rekonstruierte sie mit Blick auf die Bildergeschichte der Pariser Commune einen mediengeschichtlichen Wandel, in dessen Verlauf sich die Bedeutung der reproduzierten Bilder durch die Entstehung neuer Techniken und organisatorischer Strukturen des Massenjournalismus fundamental wandelte.
Die Tagung wurde mit einem Vortrag von Bernhard Kleeberg, Historiker aus Konstanz, beendet, der die Gesamtfragestellung nach der Medialität der Geschichte und der Historizität von Medien vor dem Hintergrund aktueller erkenntnistheoretischer Diskussionen aufgriff. Im Mittelpunkt seiner Ausführungen stand die aktuelle Renaissance naturalistischer Konzepte in evolutionären Ästhetiken. In den Theorien evolutionärer Ästhetiken werde die These entwickelt, dass Sehen Wahrheit unmittelbar repräsentiere, während kommunikativ vermittelte Wirklichkeitszugänge unter das Verdikt des sprachlichen Relativismus gestellt würden. In kritischer Absicht zog Kleeberg Parallelen zwischen den aktuellen Tendenzen einer nicht-diskursiven Erkenntnistheorie und den Ästhetiken, die im Gefolge der Darwinschen Abstammungslehre im 19. Jahrhundert entstanden.
Die Vorträge und die Diskussionen, die im Rahmen der Tagung stattfanden, haben zweierlei deutlich gemacht. Zum einen, dass es in der Tat eine große Schnittmenge gemeinsamer Themen und Gegenstandsbereiche gibt, die es nahe legen, ja geradezu notwendig erscheinen lassen, über gelegentliche Anleihen hinaus systematische Konzepte interdisziplinärer Zusammenarbeit zu entwickeln. Es wurde aber auch deutlich, dass dazu eine intensive Auseinandersetzung mit den Grundlagen des jeweils anderen Faches notwendig ist. Medienwissenschaftliche Zugriffsweisen auf Kommunikations- und Sinnbildungsprozesse lassen sich nicht ohne weiteres auf der Ebene einer weiteren historischen Subdisziplin ‚Mediengeschichte' adaptieren, sondern beinhalten theoretisch-methodische Fragen nach der Überzeugungskraft bestehender Formen historiographischer Gegenstandskonstitution, der Vorstellung von historischer Wirklichkeit und des wissenschaftlichen Selbstverständnisses. Umgekehrt haben die Medienwissenschaften bislang keinen gemeinsamen, die historische Dimension ihres Gegenstandes einholenden konzeptuellen Rahmen entwickelt. Die Tagung hatte insofern in mancher Hinsicht den Charakter einer ersten Bestandsaufnahme, zeigte aber auch, dass von der Fortführung des interdisziplinären Dialogs beide Fächer profitieren können.

http://www.uni-konstanz.de/FuF/Philo/Geschichte/Lehre/Fruhe_Ne uzeit/Schlogl/Sandl/sandl.html
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