HT 2006: Kriegs-Bilder II - Visualisierung und Intermedialität von Krieg und Zerstörung in der Frühen Neuzeit

HT 2006: Kriegs-Bilder II - Visualisierung und Intermedialität von Krieg und Zerstörung in der Frühen Neuzeit

Organisatoren
Birgit Emich, Universität Freiburg; Gabriela Signori, Universität Konstanz; Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHD)
Ort
Konstanz
Land
Deutschland
Vom - Bis
19.09.2006 - 22.09.2006
Von
Cornel A. Zwierlein, Institut für Neuere Geschichte, Ludwig-Maximilians-Universität München

Die Sektion betraf ausschließlich die Frühe Neuzeit, wurde im Programm aber in die epochenübergreifenden Sektionen eingeordnet, weil sie an den Vormittagsabschnitt „Kriegs-Bilder I“ anschloss. Der Berichterstatter konnte aber nur „Kriegs-Bilder II“ besuchen, weshalb nahe liegende Fragen nach dem Zusammenhang und der thematisch-epochalen Verbindung zwischen Vor- und Nachmittagssektion hier weitgehend unberührt bleiben müssen.

Birgit Emich (Freiburg) umriss zu Beginn als Ziel der Sektion die Erfassung der Visualisierung von Krieg und Zerstörung, wobei ihr insbesondere die Frage nach der Intermedialität, also dem Verhältnis zwischen „inneren“ und „äußeren“, zwischen sprachlichen und „tatsächlichen“ Bildern sowie anderen medialen Formen von Text-Bild- oder Monument-Relationen wichtig war. Sie warnte davor, „nicht zu scharf im visual turn abzubiegen“, sondern die traditionellen Kompetenzen der textorientierten historischen Arbeit weiter zu pflegen und für die Kontextualisierung und verstehende Semantisierung von Bildern einzusetzen. Die Frühe Neuzeit grenze sich mit der Medienrevolution seit dem 15. Jahrhundert und durch die Entwicklungen in der bildenden Kunst und Malerei (mimetische Bildauffassung und Zentralperspektive) auch im Hinblick auf die Bild- und Mediengeschichte markant vom Mittelalter ab, weshalb die Sektion auch die Eigenarten der frühneuzeitlichen Visualisierung von Krieg und Zerstörung in den Mittelpunkt stelle.

Wolfgang Kaiser (Paris) machte das Ende der Herrschaft der katholischen Liga in Marseille und die Vertreibung der spanischen Truppen sowie der Genueser Galeeren in spanischen Diensten durch einen innerstädtischen Aufstand und durch den Einmarsch der königlichen Truppen Heinrichs IV. 1596 zum Thema. Zwar wurde Marseille hierbei nicht zerstört, aber das Ereignis, das einen wichtigen Moment in der Beendigung der französischen Religionskriege und im Prozess der Stabilisierung der bourbonischen Herrschaft darstellte, fand doch ein gewisses mediales Echo in Europa. Kaiser analysierte dabei insbesondere Diskrepanzen zwischen Text- und Bilddarstellungen (in den avvisi- und Flugschrift-Texten wird meist die Gewaltlosigkeit der Aktion hervorgehoben, dass sie durch „Listen“ und „Praktiken“ gelungen sei, während die bildlichen Darstellungen oft topische Versatzstücke aus Schlachten- und Massakerdarstellungen einfügten); er wies auf verschwörungsmotivische Interpretamente hin sowie auf Tendenzen in der nachligistischen Zeit, mediale Darstellungen der Liga-Epoche im Sinne einer damnatio memoriae und zur Friedenswahrung zu unterdrücken.

Birgit Emich nahm dann eine der berühmtesten frühneuzeitlichen deutschen Stadtzerstörungen in den Blick, die bekanntlich auch in der jüngsten Frühneuzeitforschung schon breit untersucht worden ist: die Zerstörung Magdeburgs am 20.05.1631 nach der Belagerung durch Tilly und dem Feuerausbruch im Zusammenhang mit der Eroberung, die neben der Zerstörung der Bauten auch 20.000 Tote forderte. Sie konzentrierte sich dann auf die in der Forschung schon herausgearbeitete zeitgenössische Motivik, die vom Stadtwappen Magdeburgs ausging und die Eroberung und Zerstörung der Stadt sexualisierte: Das Ereignis wurde mit einer „Hochzeit“ oder einer Vergewaltigung durch Tilly parallelisiert. Emich betonte hier den konfessionellen Aspekt, dass in der Ersetzung der Jungfrau (Magd) durch Maria (die Stadt heiße „statt Magde- jetzt Marienburg“) dem Motiv der sexuellen Reinheit insbesondere ein starkes konfessionelles Element zur Seite gestellt wurde: Die Eroberung war eben auch eine konfessionelle Reinigung aus katholischer Sicht; auch deshalb scheint die protestantische Seite länger gezögert zu haben, das Hochzeitsbild zu übernehmen – und wenn, dann nur in Form eines Klagelieds. Emich hob intermediale Aspekte hervor und deutete bestimmte Bildtypen als „performative Bilder“. In der Diskussion präzisierte Jan-Frieder Mißfelder (Zürich) noch, dass das in der zeitgenössischen Visualisierung und Semantisierung des Ereignisses ebenfalls stark präsente Lucretia-Motiv (Magdeburg müsse wie Lucretia die gewaltsame Schändung erleiden, bleibe aber innerlich rein) zugleich als wichtigen Deutungshorizont den epochalen Wechsel zwischen Regierungs- und Staatszuständen impliziere (im Original: vom römischen Königtum zur Republik; Motiv der conversiones rerumpublicarum).

Horst Carl (Giessen) sprach über „Realistische Bilder? – die Technik der Zerstörung in Kriegsdarstellungen des späten 17. und 18. Jahrhunderts“. Er ging dabei von den bekannten Trümmerbildern der deutschen Nachkriegszeit und der Überlegung aus, dass solche Trümmerbilder zur ikonischen Kultur der Bundesrepublik gehörten; er fragte in seinem Vortrag letztlich nach den frühneuzeitlichen Ursprüngen dieser Art der „realistischen“, detailgetreuen, nicht-allegorischen Stadtzerstörungsvisualisierung. Als stilbildend hob er Augustin Coppins Brüsseler Bilder nach der Zerstörung der Stadt im Zusammenhang mit dem Pfälzischen Erbfolgekrieg (1695) und die Darstellung der Ruine der Dresdner Kreuzkirche von 1765 durch Giovanni Bellotto hervor. Bellotto hatte zur Erfassung Dresdens eine camera obscura benutzt, die erst seit den 1670ern auch als transportable Projektionsinstrumente verfügbar waren. Hierin scheint der entscheidende Entwicklungsschritt gelegen zu haben. Die Wirkung der „fotografischen“ Ruinenmalerei, wie sie seit dem Ende des 17. Jahrhunderts aufgekommen sei, habe insbesondere in der Herausstellung der Unterschiedslosigkeit zwischen dem Sakralen und dem Profanen gelegen: „Katholische“ französische Bomben trafen genauso katholische Kirchen im gegenreformatorischen Brüssel wie andere Ziele; der neue fotografische „Realismus“ habe also eine antikriegerische Wirkungskomponente gehabt. Der verwandte „Realismus“-Begriff wurde nicht expliziert.

Marian Füssel (Münster) sprach abschließend über die „Darstellung des Undarstellbaren“, genauer: „Das Bild der Schlacht im 18. Jahrhundert“. Im ersten Abschnitt („Epistemologie des Unbeobachtbaren“) hob er auf das Problem ab, dass selbst für die militärischen Strategen zwar alle logistischen Entscheidungen und Truppenbewegungen vor der Schlacht erfassbar waren, der Ablauf der Schlachten aber auch im 18. Jahrhundert noch gänzlich kontingent erschien und ex-post-Betrachtungen zur Schlacht oft höchst partiell, perspektiven- und ortsabhängig erschienen. In einem zweiten Abschnitt konfrontierte er dann das logistisch-taktische Wunschbild der zeitgenössischen Militärs, wie es sich in den geometrischen Figuren und Koordinationen der Truppenkörper ausdrückte, mit Aussagen zum „tatsächlichen“ Schlachtverlauf (topoi des „Gewimmels“ und des Chaos); wenn nach altem Kriegsrecht die Behauptung der Wallstatt den Sieger zum Sieger machte, wie ging man mit Truppenverschiebungen während und nach der Schlacht und mit der Behauptung des Gegners um, die Wallstatt sei schlicht an einem anderen Ort? – selbst der Ausgang der Schlacht war also umstritten, obwohl die binäre Logik von Sieg/Niederlage eigentlich einen klaren Ausgang des Ereignisses forderte. In einem dritten Abschnitt wandte sich Füssel der Schlacht „in den Köpfen“ der Teilnehmer zu und wies auf verschiedenste Quellencorpora hin, aus denen selbstzeugnisartige Schlachtendarstellungen zu ziehen sind; oft stand hier Gehörtes und Gerochenes gegenüber dem Gesehenen im Vordergrund. Mit diesen Betrachtungen hielt er ein Plädoyer für eine Kulturgeschichte der Schlacht.

Die abschließende Diskussion kam nur sehr zögerlich in Gang, was auch daran lag, dass eine bündelnde Zusammenfassung seitens der Sektionsleiter fehlte – ein Manko, das umso problematischer erschien, als dass die Diskussion zugleich auch als Abschlussdiskussion für die Kriegs-Bilder-I-Sektion vom Vormittag dienen sollte. Zuhörer, die nur an einer der beiden Sektionen teilgenommen hatten, wurden also wenig vorbereitet oder strukturiert noch einmal mit einigen althistorischen Thesen Ulrich Gotters (Konstanz) konfrontiert. Gabriela Signori schaltete sich mit einigen Bemerkungen zur Visualisierungsproblematik im Mittelalter ein. Als einzige übergreifende Frage wurde aus dem Publikum diejenige nach den Epochendifferenzen bezüglich der Täter/Opfer-Darstellung im Kontext von Kriegs- und Zerstörungs-Bildern eingebracht.

Insgesamt erschien dem Berichterstatter die Sektion ein wenig wie eine Mischung aus der Kommunikations- und Medien-Thematik der Augsburger Tagung des Arbeitskreises Frühe Neuzeit 2001 und der Gewalt-Thematik der Berliner Tagung zwei Jahre später. Man konnte viele Anregungen und interessante Beobachtungen im Detail mitnehmen, andererseits ergab sich eher das Bild einer Kontinuität der Arbeit der Frühneuzeitler als der eines forcierten „visual turn“ oder eines fiebrigen Aufbruchs zu neuen Ufern der Erkenntnis. Die Intermedialität, die von Emich als zentrale Problematik der Sektion einleitend hervorgehoben worden war, blieb letztlich ein nur in Emichs Beitrag ansatzweise systematisch problematisierter Begriff für die von allen Beteiligten umkreisten Probleme des Verhältnisses von Performativität und Repräsentationsgehalt von „Bildern“ sowie der Semantisierung von Visuellem und deren Rekonstruktion durch den Historiker. Soweit die Beiträge das Urproblem des Verhältnisses von Bild und Dargestelltem, von Darstellung und „Realität“ berührten (Kaiser beim Nachweis der Text-Bild-Diskrepanzen; Carl im Abheben auf die Entstehung der „fotografischen“, „realistischen“ Darstellung; Füssel in seinem gesamten Beitrag, der im Kern um das kognitive Problem des Verhältnisses von Erwartungs-, Wahrnehmungs- und Darstellungsmustern und dem „real Geschehenen“ kreiste), wird man mit Spannung die schriftliche Form der Beiträge abwarten, um im Detail nachvollziehen zu können, ob und wie hier mit verfeinerten Analysetechniken an der Vertiefung des Verständnisses von Visualisierungsprozessen und Intermedialität gearbeitet wurde.

http://www.uni-konstanz.de/historikertag/
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