Die Rückkehr der Condottieri? Krieg und Militär im Spannungsfeld zwischen Verstaatlichung und Privatisierung. Die Entwicklung vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart

Die Rückkehr der Condottieri? Krieg und Militär im Spannungsfeld zwischen Verstaatlichung und Privatisierung. Die Entwicklung vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart

Organisatoren
Arbeitskreis Historische Friedensforschung; Arbeitskreis Militärgeschichte; Arbeitskreis Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit; Hamburger Institut für Sozialforschung; Militärgeschichtliches Forschungsamt; Bonn International Center for Conversion
Ort
Potsdam
Land
Deutschland
Vom - Bis
12.05.2006 - 14.05.2006
Url der Konferenzwebsite
Von
Markus Pöhlmann, München

Mit der Privatisierung ist es so eine Sache: Nicht nur in den Bereichen Kommunikation, Verkehr und Energiewirtschaft begibt sich der Staat heute seiner Aufgaben, ja selbst bei der Kriegführung scheint zusehends ein internationaler Gewaltmarkt das gute alte Gewaltmonopol in Frage zu stellen. Ob es sich hierbei um ein historisch neuartiges Phänomen handelt oder ob sich nicht Prozesse der Verstaatlichung und Privatisierung schon in früheren Epochen finden, darüber wurde in letzter Zeit wiederholt in den Feuilletons diskutiert – an Herfried Münklers Beitrag zu den „Neuen Kriegen“ sei in diesem Zusammenhang erinnert. Ein derart Epochen übergreifendes und Interdisziplinarität einforderndes Thema ruft natürlich nach einer ebensolchen wissenschaftlichen Herangehensweise, und die Veranstalter der hier zu besprechenden Tagung hatten diesen Ruf erhört.

Noch vor wenigen Jahren hätte man die folgende Liste der Mitveranstalter schlicht für inkompatibel gehalten: Arbeitskreis Historische Friedensforschung, Arbeitskreis Militärgeschichte, Arbeitskreis Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit, Hamburger Institut für Sozialforschung und Militärgeschichtliches Forschungsamt, sowie unterstützend das Bonn International Center for Conversion. Im Tagungshotel am Templiner See wurde also auch im Hinblick auf die Kooperationsmöglichkeiten der im weiteren Sinne mit akademischer Militärgeschichte befassten Institutionen in Deutschland ein Versuchsballon gestartet. Nach der Begrüßung durch Hans Ehlert (Potsdam) und der Einführung durch Corinna Hauswedell (Bonn) wurden in der ersten Sektion zunächst einige Langzeitperspektiven erörtert: Martin Zimmermann (München) führte in einer Tour d’Horizon durch die griechische und römische Geschichte, die er als Prozess der Durchsetzung des Gewaltmonopols beschrieb, der nur in Krisenphasen und an den Peripherien der Reiche durch parastaatliche Gewaltakteure (Piraten) retardiert blieb. Martin Hoch (St. Augustin) stellte kurz die Gewaltverhältnisse in den mittelalterlichen Kreuzfahrerstaaten vor, um hiervon ausgehend Entwicklungsbrüche hin zur Moderne und auch einige als „mittelalterlich“ konnotierte Trends in der modernen Privatisierung aufzuzeigen. Herbert Wulf (Pinneberg) argumentierte, dass sich die Privatisierung von Gewalt zunächst einmal aus den dominierenden Wirtschaftslehren und -ordnungen (Merkantilismus versus Liberalismus) ergäbe. Christopher Daase (München) schließlich behandelte das durch die von beiden Parteien im „Krieg gegen den Terror“ definitorisch verunklarte Verhältnis von Terrorismus und Krieg.

Die zweite Sektion vertiefte die Untersuchung der Ökonomie als Triebkraft militärischen Handelns. Dabei stellte Uwe Tresp (Leipzig) Böhmen als Söldnermarkt im 15. und 16. Jahrhundert vor. Demnach hätten hier nicht demographisch-ökonomische Zwänge zum Entstehen der Söldnertums beigetragen. Vielmehr konnten die regionalen Kriegsunternehmer aus einem Reservoir an taktisch geschulter, gut geführter und gleichzeitig preiswerter Infanterie schöpfen, das sich im Zuge der Hussitenkriege herausgebildet hatte. Jutta Nowosadtko (Essen) hinterfragte in ihrem Beitrag die historische These von der Überwindung der vermeintlich anachronistischen frühneuzeitlichen Kompaniewirtschaft durch die scheinbar effizientere Heeresverwaltung und interpretierte Erstere als Beispiel für die heutzutage in Wiederkehr begriffene Selbststeuerung der Verantwortlichen durch betriebswirtschaftliche Budgetierung. Marc von Boemcken (Bonn) stellte den boomenden und mittlerweile internationalisierten Markt privater Sicherheitsfirmen vor. Durch die Fokussierung des Medieninteresses auf den Sonderfall Militär- und Söldnerfirmen bestünde die Gefahr, die mit der Privatisierung von Sicherheitsfunktionen einhergehenden gesellschaftlichen Implikationen und strukturellen Rahmenbedingungen zu übersehen. Genau diese erwähnten Private Military Firms (PMF) untersuchte Andrea Schneiker (Münster) am Beispiel der Verpflichtung der südafrikanischen PMF Executive Outcomes in Sierra Leone 1995/96. Die PMF habe den Bürgerkrieg zwar rasch zugunsten ihres Auftraggebers, der Regierung, beendigen können. Allerdings sei es zu keiner nachhaltigen Befriedung des Landes gekommen. Die Abhängigkeit der Regierung von der PMF habe vielmehr den weiteren Staatsverfall gefördert.

Unter dem Titel „Ordnungen der Gewalt“ befasste sich die dritte Sektion mit den europäischen Kriegen des 16. bis 18. Jahrhunderts. Dabei trat Reinhard Baumann (München) mit seiner Untersuchung des Kriegsunternehmertums deutscher Condottieri erstmals dem titelgebenden Akteur der Tagung näher. Als Voraussetzung für dessen Erfolg im frühneuzeitlichen Gewaltmarkt nannte er ein solides Eigenkapital, militärischen Erfolg und die Fertigkeit, innerhalb kurzer Frist Truppen aufstellen zu können. Einschränkend stellte Baumann fest, dass das Kriegsunternehmertum in Deutschland letztlich immer eingeschränkt blieb: So sei ein Engagement gegen den Kaiser aufgrund der Lehens- und Treueverpflichtungen undenkbar gewesen.

Marian Füssel (Münster) stellte dann eine Truppengattung vor, die sich in einer Epoche zunehmender Reglementierung und Hegung des Krieges durch ethnische Alterität und irreguläre Kampfweise auszeichneten: die russischen Kosaken und Kalmyken des Siebenjährigen Krieges. Eine Tendenz zur Verstaatlichung des „Kleinen Krieges“ und seiner Akteure machte anschließend Martin Rink (Potsdam) für die Ära zwischen dem Österreichischen Erbfolgekrieg 1740-1748 und den preußischen Befreiungskriegen 1813-1815 aus. Im einzigen Beitrag zur Marinegeschichte zeichnete Jann M. Witt (Eckernförde) die Entwicklung der Kaperei in der europäischen Seefahrtsgeschichte auf. Wie der Pirat sei auch der Kaperer privat organisiert gewesen, habe aber primär nicht zur persönlichen Bereicherung sondern im staatlichen Auftrag geraubt.

Thema der vierten Sektion war der „Export europäischer Gewaltstrukturen“ nach der kolonialen Peripherie. Anja Bröchler (Köln/Düsseldorf) definierte dabei zunächst die spanischen Konquistadoren als private Unternehmer und schilderte dann die Bemühungen um eine Hegung des von diesen entfachten Eroberungskrieges in Spanisch-Südamerika. In der Hispanidad blieb auch der Beitrag von Ludolf Pelizaeus (Mainz) angesiedelt, der sich mit dem Entstehen der Guerilla und paramilitärischer Verbände in Spanien und Südamerika im 19. Jahrhundert befasste. Die Violenz des antinapoleonischen Krieges erklärte er dabei mit einer spezifischen Gewaltkultur, die vom regellosen Krieg gegen die Mauren und den Kampf der Konquistadoren in Südamerika geprägt gewesen war. Mit den Cazadores de Valmaseda stellte Andreas Stucki (Bern) ein internationales Söldnerbataillon vor, das zwischen 1868 und 1898 auf Kuba als Schocktruppe für Counterinsurgency operierte. Mit der Entwicklung der Militärverhältnisse in der Kolonie Deutsch-Ostafrika zwischen 1885 und 1918 befasste sich das Referat von Tanja Bührer (Bern), die, vom eigentümlichen Beginn der Kolonisierung durch eine private Chartergesellschaft ausgehend, den Aufbau einer regulären Schutztruppe 1891 schilderte, die sich aber 1914 nach dem Abriss der Verbindungen zum Mutterland zu einem in Taktik und soldatischen Mentalitäten „afrikanisierten“ Verband aus Schutztruppe, Siedlermiliz, afrikanischer Hilfstruppe und zeitweise verbündeten indigenen Alliierten entwickelte. Von einem bloßen „Export“ von Gewaltstrukturen nach Afrika könne daher keine Rede sein.

Die fünfte und letzte Sektion behandelte private Akteure, die auf unterschiedliche Weise unter Bedingungen des staatlichen Gewaltmonopols arbeiteten. Heinrich Lang (Bamberg) untersuchte die italienischen Condottieri im 15. und 16. Jahrhundert mit dem Fokus auf ihr Bemühen, Geld und militärische Fähigkeit in politische Herrschaft zu transformieren, wodurch diese privaten Kriegsunternehmer letztlich zu „Katalysatoren staatsgenetischer Prozesse“ werden konnten. Eine ganz heterogen motivierte, private Rebellion gegen den italienischen Staat seit dem 19. Jahrhundert versuchte Christian Jansen (Bochum) in den Garibaldinern, den Briganten, der faschistischen Squadre, dem antifaschistischen Widerstand, der Mafia und der Roten Brigaden auszumachen. Über den Einsatz weißer Söldner im kongolesischen Bürgerkrieg 1964 berichteten Torsten Thomas und Gerhard Wiechmann (Oldenburg), wobei sie auch auf die Rezeption des Söldnermythos in den populären Medien, etwa in Filmen wie „Katanga“ oder „Die Wildgänse kommen“, eingingen. Corinna Hauswedell (Bonn) schloss die Sektion mit ihrem Überblick über die Entwicklung des Paramilitarismus in Nordirland, der in seiner charakteristischen Überschneidung von politischen und konfessionellen Konfliktlinien zu einer friedenshemmenden soziokulturellen Absicherung lokaler Gewaltordnungen geführt habe.

An der von Andreas Gestrich (Hamburg) geleiteten Schlussdiskussion nahmen Stig Förster (Bern), Bernd Greiner (Hamburg), Beatrice Heuser (München), Lothar Höbelt (Wien) und Peter Waldmann (Augsburg) teil. Da aber einige der Diskutanten die vom Moderator vorgeschlagene Strukturierung souverän ignorierten, hielt sich hier der Erkenntniswert in Grenzen. Fasst man aber die Diskussionen zu den Sektionen und des Schlusspanels zusammen, so ergibt sich gleichwohl eine Reihe interessanter Fragen respektive Ergebnisse: So wurden als Ursachen von Verstaatlichungs- bzw. Privatisierungstendenzen vornehmlich statische Friedensstrukturen wie politische Verfasstheit oder Wirtschaftsordnung ausgemacht. Bis auf einzelne Beiträge zu Kriegen an der kolonialen Peripherie blieb dagegen unterbelichtet, welche dynamischen Prozesse im Verlauf von Kriegen selbst die bestehenden Gewaltverhältnisse – auch über die Dauer der Kriege hinaus – verändern könnten.

Mit Blick auf die Akteure privater Militär- und Kriegsorganisation ergab sich als Epochenunterscheidung, dass die Protagonisten der Frühen Neuzeit vornehmlich charismatische Unternehmerpersönlichkeiten waren. Die Condottieri agierten in einem Umfeld, in dem der Staat und sein Gewaltmonopol tendenziell im Aufschwung begriffen war, und konnten davon unter Umständen sogar profitieren. In der Neuzeit, konkreter noch: in der Gegenwart, handelt es sich bei den privaten Gewaltakteuren um korporative Organisationen, die von der Schwäche des Gewaltmonopols profitierten. Beide Akteurstypen weisen aber interessanterweise durchaus Bindungen auf, die über die formalen Konditionen des Kontrakts, der die ökonomische Grundlage und militärische Legitimation darstellt, hinausgehen. Die Lehensbindung deutscher Kriegsunternehmer an den Kaiser, die kontrovers diskutierte Interpretation Garibaldis als „modernen Condottieri“ und das Selbstbild der Kongosöldner der 1960er Jahre vor Augen, fasste Michael Sikora (Münster) diese Problematik dann auch in der Pointe zusammen: „Wie viel Idealismus darf man haben, um noch Söldner sein zu dürfen?“

Bei der Bewertung der Folgen von Privatisierung ergab sich ein fast schon verdächtig einheitliches Meinungsbild. So wurde die Gleichsetzung von „privat“ ist gleich „gefährlich“ zurückgewiesen, zumal diese Annahme die Gefahr einer Idealisierung zwischenstaatlicher Kriegführung in sich bürge. Vielmehr wurde am Beispiel der Interventionen von Privaten Militärfirmen in Afrika darauf hingewiesen, dass die Alternative der Intervention interessierter Staaten oder internationaler Organisationen nicht gegeben gewesen sei bzw. kaum nachhaltigere Resultate gezeitigt hätte.

Wenngleich das tatsächliche Ausmaß der heutigen Krise des Fürsorge- und Verfassungsstaates umstritten blieb, war doch unstrittig, dass diese zwangsläufig in einer Krise des Gewaltmonopols resultieren müsse. Bei der Frage nach dem erforderlichen Umgang des Staates mit den Privatisierungstendenzen gewann in der Diskussion die Erkenntnis Raum, dass es sich in vielen Fällen nicht um einen Verlust des Gewaltmonopols an die privaten Akteure des Krieges handelt, als vielmehr eine mehr oder weniger kontrollierte Delegierung von militärischer Gewalt. In diesem Falle wäre allenfalls noch kritisch zu prüfen, inwieweit hierdurch etablierte kriegsvölkerrechtliche Normen gefährdet würden und sich die Bereitschaft, Krieg als Instrument der Konfliktlösung einzusetzen, zum Nachteil verändere. Die durch Delegation von Gewaltorganisation und -ausübung an Private erhöhte „Deniabilty“ des Staates bürge überdies die Gefahr, dass Krieg als Konfliktlösungsstrategie der Öffentlichkeit gegenüber weniger dringend legitimiert werden müsse und dies wiederum auf Seiten der Öffentlichkeit in einer eingeschränkten Wahrnehmung des Phänomens Krieg resultieren könne.

Im Ergebnis kann der Versuch einer mehrere Mitorganisatoren umfassenden militärgeschichtlichen „Großtagung“ jenseits der Tagung der Internationalen Kommission für Militärgeschichte (CIHM) als guter Erfolg gewertet werden. Das Thema erwies sich als überaus geeignet für den interdisziplinären und Epochen übergreifenden Zugriff; die Diskussionen waren weitgehend zielführend, streckenweise lebendig und erfreulich undogmatisch. Eine wie immer gestaltete Institutionalisierung dieses Veranstaltungstyps – vielleicht mit einer etwas stärkeren Einbindung internationaler Teilnehmer und eines prägnanten und stärker Thesen zur Diskussion stellenden Einführungsreferats – wäre also rundum zu begrüßen.