Kontinuitätslinien und Paradigmenwechsel in Städtebau und Architektur. Neuere Forschungen zur Bau- und Planungsgeschichte der DDR

Kontinuitätslinien und Paradigmenwechsel in Städtebau und Architektur. Neuere Forschungen zur Bau- und Planungsgeschichte der DDR

Organisatoren
Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung Erkner, Schinkelzentrum der TU Berlin
Ort
Erkner (bei Berlin)
Land
Deutschland
Vom - Bis
19.01.2006 - 20.01.2006
Url der Konferenzwebsite
Von
Frank Betker, Lehrstuhl Planungstheorie und Stadtplanung, RWTH Aachen

Die Werkstattgespräche zur Bau- und Planungsgeschichte der DDR am Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung in Erkner bei Berlin gehen nun ins neunte Jahr und erfreuten sich auch beim diesjährigen Zusammentreffen (19./20.1.06) einer ungebrochenen Beliebtheit bei etablierten, prominenten und Nachwuchswissenschaftlern sowie bei etlichen Zeitzeugen und Akteuren des Bauwesens in der DDR. Die seit 1997 stattfindenden, von Holger Barth begründeten und nun schon seit einigen Jahren von Christoph Bernhardt unter Mitarbeit von Carsten Benke und Beteiligung des Berliner Schinkelzentrums (Harald Bodenschatz) fortgesetzten Werkstattgespräche sind zweifellos zu einer „Institution“ der disziplin- und epochenübergreifenden Forschung zur Bau- und Planungsgeschichte der DDR geworden.
Auch diesmal rekrutierten sich die ca. 75 Teilnehmer aus einem breiten Feld von Disziplinen. Mit jeweils etwa einem Drittel waren die Historiker (darunter auch Kunst- und Bauhistoriker) sowie Stadtplaner und Architekten am stärksten vertreten. Das restliche Drittel teilten sich Sozialwissenschaftler, Denkmalpfleger, Freiraum-, Landschafts- und Regionalplaner sowie vereinzelt auch Juristen, Verwaltungs- und Literaturwissenschaftler.
Die Vorträge behandelten unter anderem die Themen Stadtumbau, Stadterneuerung, Großsiedlungen, Biographisches, Vergleiche, Entwicklungspfade, Landes- und Landschaftsplanung. Daneben wurden ein Fotoarchiv und eine neue Publikation vorgestellt.1

Historische Entwicklungspfade lagen den Veranstaltern besonders am Herzen und folglich waren die Teilnehmer aufgefordert, ihren Blick über die Markierungen der Jahre 1945/49 und 1989/90 hinaus zu weiten. Zwar nicht ganz unerwartet, in dieser Prägnanz aber doch überraschend und mit erhellenden Beispielen illustriert, arbeiteten etliche Beiträge das vermeintliche Paradoxon heraus, dass die Kontinuitätslinien in der räumlichen Entwicklung, in den Leitbildern von Städtebau und Architektur tatsächlich stärker durch Paradigmenwechsel innerhalb der Epochengrenzen und Systemzusammenhänge unterbrochen wurden, als durch die Systembrüche der Jahre 1945 und 1989. Auch in den Biographien von Planern und Architekten spiegelt sich das. Nun liegen über die „Stunde Null“ ja bereits luzide Forschungsergebnisse vor, während das Jahr 1989 natürlich nur zögerlich ins Blickfeld der geschichtswissenschaftlichen Disziplinen rückt. Vor allem die Ergebnisse der diesbezüglich mutigeren raum- und planungswissenschaftlichen Disziplinen können jedoch die Debatte der Historiker befruchten.

Wichtige Impulse für genau diesen geschärften Blick auf die Kontinuitätslinien lieferte der Berliner Historiker Georg Wagner-Kyora mit seinem Beitrag über Abrissplanungen seit den 1960er-Jahren. Am Beispiel der Stadt Halle an der Saale demonstrierte er, wie ignorant und unsensibel die für die Stadtentwicklung Verantwortlichen vor allem mit der historischen Bausubstanz der Innenstadt umgingen. Die „Totalsanierungen“ früherer Stadtplaner- und Architektengenerationen haben die „Stadt als Ganzes“ im Blick gehabt, wendete er das Paradigma der DDR-Stadtplanung ironisch-sarkastisch gegen sich selbst, und sie haben diesen Weg „unverdrossen“ bis zur Revolution 1989 beschritten. Sein zugespitzt kritisch aus einer Gegenwartsperspektive argumentierender Beitrag maß den freilich auch für die Stadtplanung in der DDR wichtigen Paradigmenwechseln, beispielsweise hin zur behutsamen Stadterneuerung ab den späten 1970er-Jahren, kaum Gewicht oder vielmehr kaum eine praktische Relevanz bei. Neben ökonomischen Gründen sei dafür auch eine „einheitliche Ideologie“ ausschlaggebend gewesen, die dem Handeln der verantwortlichen Funktionäre, auch der fachlichen Akteure, zugrunde lag: In der Ideologie der „Stadt als Ganzes“ wurde die Architektur des (historischen) Einzelhauses zu einer zu vernachlässigenden Größe; dem Entwurf des sozialistischen Ensembles und seiner industriellen Ausführung in Plattenbauweise hatte sich alles unterzuordnen.

Die Diskussion zeigte, dass der Wandel städtebaulicher Leitbilder im Berufsalltag der Akteure dennoch eine große Rolle spielte und sich dieser nicht nur in Entwürfen und Plänen, sondern auch in der gebauten Realität widerspiegelte. Unverzichtbar sei es, die schwierigen Rahmenbedingungen für die Architekten und Stadtplaner in der DDR zu reflektieren und deren fachliche Vorstellungen mit den Realitäten und politischen Vorgaben zu kontrastieren. Man könne „nicht heute das verdammen, was damals gedacht wurde“ (Wimmer), war der Standpunkt eines Zeitzeugen. Einigkeit bestand letztlich darin, dass tiefere Einblicke in die Prozesse, Motive, Grenzen und Optionen des Handelns nötig und natürlich auch mit Hilfe weiterer, methodisch abgestimmter Forschungen (Oral History) möglich sind.

Dieses Anliegen rahmte auch den Beitrag von Jolanta Rusinowska-Trojca (Köln) ein, wenn auch ihrer Bilanz des Wiederaufbaus der Forster Altstadt, eines Städtchens in Grenzlage an der Neiße, eine ganz andere städtebauliche Situation zugrunde lag. Während Halle den Krieg weitgehend unzerstört überstanden hatte und der Altstadt bis heute ein Großteil der historischen Bausubstanz erhalten blieb, war das Zentrum der Textilstadt Forst („deutsches Manchester“) weitgehend zerstört. Im Rahmen des „Wiederaufbaus“ ab den 1950er-Jahren wurde nicht mehr am historischen Stadtgrundriss angeknüpft, sondern es wurden relativ „radikal“ moderne Planungskonzepte realisiert, denen die bereits bekannten Ideen der funktionellen Stadt mit modernen Wohnsiedlungen zugrunde lagen. Der trotz seiner „radikalen Lösung“ dennoch „Wiederaufbau“ genannte Städtebau für die Forster Altstadt wird heute als Fehlentscheidung betrachtet. Das Bedürfnis, abermals mit radikalen Lösungen diesmal das Umgekehrte zu tun, die Bausubstanz aus der DDR-Zeit abzureißen und explizit wieder an der Vergangenheit vor 1945 anzuknüpfen, reflektiert nach Meinung der Referentin viel zu wenig, dass die jüngste Phase der Stadtentwicklung, nämlich die der DDR-Zeit, selbst schon wieder historisch und damit vielleicht auch erhaltenswert geworden ist.

Welche Bausubstanz erhaltenswert und welche Phase früherer Stadtentwicklungen nun wertzuschätzen ist, unterliegt dem Wandel kultureller Bedeutungen und Sinnkonstruktionen. Am Beispiel des Umgangs mit der „historischen Stadt“ aus der Zeit vor 1945 in Ost-Berlin diskutierte Florian Urban (Berlin) Paradigmenwechsel und Kontinuitätslinien, um sich damit vor allem dem bislang vernachlässigten letzten Kapitel der DDR-Städtebaugeschichte zu widmen. Eigentlich erst seit den 1970er-Jahren war die „historische Stadt“ (in Ost und West) positiv konnotiert. Sie sei geradezu neu „erfunden“ worden. Ein grundlegender Bewusstseinswandel ging dieser Rehabilitierung, die explizit auch die „jahrzehntelang geschmähten Mietshausviertel“ aus der Gründerzeit des 19. Jahrhunderts einbezog, voraus. Die biologistische „Konzeption der Stadt als Organismus“, der zufolge überalterte Wohngebäude nach dem Ende ihrer „natürlich“ begrenzten und „nicht mehr verlängerbaren Lebensdauer“ aus der Stadt entfernt werden müssen, wich allmählich der Vorstellung von behutsamer Erneuerung. Ohne diesen Bedeutungswandel wäre zum Beispiel der gesamte Prenzlauer Berg abgerissen worden. Auch das was in Forst nur ein Wunschtraum ist, wurde in den 80er Jahren in Ost-Berlin Realität: Das alte Nikolaiviertel entstand neu in einer historisierten Variante. In seinem Ausblick stellte Urban schließlich fest, dass in städtebaulicher Hinsicht die Wende 1989/90 keine „Stunde Null“ markiert, die Kontinuitäten sind augenscheinlich. Bis heute überlagere das Historische die Moderne, ohne jedoch mit ihr zu brechen.

Die Berufsbiographie des Landschaftsarchitekten Johann Greiner stand im Mittelpunkt des Vortrags von Andrea Gerischer (Berlin). Ähnlich wie die Planung der Wohnungsbauten basierte auch die zunehmend fordistisch ausgerichtete städtische Freiraumplanung in der DDR „auf den normativen Regelwerken eines staatsdoktrinären Quantitätsparadigmas“. Mit seiner Arbeit an der Bauakademie der DDR trug Greiner einerseits zur Normierung und damit „zentralstaatlichen Disziplinierung und Kontrolle des Raums“ bei, versuchte aber auch, sich der Logik der staatlichen Richtwerte zu bedienen, um qualitative Anforderungen an die Stadtplanung zu definieren. Mit mäßigem Erfolg, genauso wie seine Bemühungen um eine Dezentralisierung der Freiraumplanung mit dem Ziel, „stärker örtliche Faktoren in den Planungsprozess einfließen zu lassen“. Die Rahmenbedingungen und Motive des Handelns Greiners nachzuvollziehen, folgt einem zentralen Anliegen der Referentin, nämlich den Wandel der DDR-Gesellschaft in seiner Wirkung auf den einzelnen und letztlich der Wirkungsmächtigkeit und Ohnmächtigkeit von Fachleuten nachzugehen.

Ein biografischer Zugriff liegt auch der Untersuchung von Mark Escherich (Weimar) zugrunde, der dem scheinbar paradoxen „Erfolg“ der traditionalistischen „Stuttgarter Bauschule“ in der DDR nachgegangen ist. Eine bislang noch „wenig wahrgenommene, geschweige denn erforschte Tatsache“ sei es, so Escherich, dass die sich seit der Jahrhundertwende (um 1900) als Gegenbild zur Moderne entwickelnde und im Nationalsozialismus populäre Heimatschutzbewegung „in die SBZ/DDR nachwirkte und deren Baugeschehen anfangs mitbeherrschte“. Der Architekt Heinrich Rettig steht beispielhaft für diese Kontinuitätslinie: mit seiner Stuttgarter Ausbildungszeit in den 1920er-Jahren, mit vielen realisierten traditionalistischen Bauprojekten in der NS-Zeit bis in die 1950er-Jahre hinein, als er an der TH Dresden lehrte und projektierte. Rettig steht aber auch, so wäre noch zu ergänzen, mustergültig für den Paradigmenwechsel im Systemzusammenhang der DDR-Zeit, denn in den 1960er-Jahren entwarf er moderne Hochhäuser für das industrielle Bauen, unter anderem in Dresden.

Tiefgreifende Wandlungen durchlebte auch Richard Paulick, einer der bekanntesten und international erfahrendsten Architekten und Städtebauer in der DDR. Allerdings ist seine architektonische Haltung und Biographie mit der Rettigs kaum zu vergleichen. Von 1927 bis 1930 Mitarbeiter bei Gropius, emigrierte er 1933 aus politischen Gründen nach Shanghai. Eduard Kögel (Berlin) widmete sich in seinem Beitrag den Jahren 1945 bis 1949, in denen Paulick als Direktor des Stadtplanungsamtes Shanghai die Planung für Groß-Shanghai leitete und dabei wichtige Erfahrungen für die Tätigkeit in der DDR nach seiner Remigration 1949/50 sammelte. Diese Zeitspanne von knapp fünf Jahren ist bislang in der Forschung noch kaum näher betrachtet worden. Paulick selbst war gezwungen, die Jahre als moderner Stadtplaner in Shanghai nicht allzu publik zu machen. Denn die 1950 in der DDR proklamierten „16 Grundsätze des Städtebaus“ und die Architektur der „Nationalen Tradition“ (in den Augen Paulicks „feudalistische Narrenkappen“) standen seinen in der Bauhaus-Tradition stehenden Auffassungen entgegen. In Shanghai hatte er sich an moderne westliche Stadtkonzepte (Regionalstadtpläne, Neighbourhood-units etc.) angelehnt. Erst in den 1960er-Jahren, mit den modernen Stadtkonzepten für Hoyerswerda, Schwedt und Halle-Neustadt konnte Paulick seine Fähigkeiten und internationalen Erfahrungen in den großen Stadtprojekten in der DDR ausspielen. „Das hätte sonst keiner hingekriegt“, ergänzte Bruno Flierl, nicht ohne darauf zu verweisen, dass Paulick trotz seiner Erfolge in der DDR immer unzufrieden war.

Die folgenden Beiträge waren großen Siedlungsprojekten im internationalen Vergleich gewidmet. Nina Linke (Wien) zeigte mit ihrem Vergleich zwischen Wien (zum Beispiel Großfeldsiedlung) und Berlin (zum Beispiel Marzahn), dass die Bauweisen und etliche Folgeprobleme durchaus international vergleichbar waren: Normierung, Standardisierung, Typengrundrisse, Monotonie, unzureichende Infrastruktur, schlechte Verkehrsanbindung, vernachlässigte Freiräume, um nur einige Probleme zu nennen. Freilich ist auch das Image der Siedlungen heute denkbar schlecht.

Wie die Wahrnehmung in den ersten Jahren einer Großsiedlung ist, dieser Frage ging die Literaturwissenschaftlerin Toni Lorenzen (Paris) nach, und führte damit eine dezidierte Nutzerperspektive in die Debatte ein. Sie stellte zwei Romane einmal nicht als literaturwissenschaftliche Quellen, sondern als „Zeitzeugen“, als „seismographische Instrumente“ vor, die den jeweiligen „Einzug ins Paradies“ reflektieren. Der gleichnamige Roman von Hans Weber von 1979 beschreibt die „Erwartungen, Erfahrungen und Wahrnehmungen aus der Sicht von fünf, künftig benachbarten Familien“ beim Einzug in Berlin-Marzahn. Bei diesem „im Stile des sozialistischen Realismus geschriebenen Roman“ steht das soziale Leben im Vordergrund. Die Debatten kreisten aber auch um eine Frage, die Generationen von Stadtplanern beschäftigte: „Wie muss die architektonische Umgebung beschaffen sein, damit sich die Leute wohlfühlen?“ Der zweite Roman „Les petits enfants du siècles“ von Christiane Rochefort (1961) antwortet zunächst ganz eindeutig darauf: Im nördlich von Paris gelegenen Trabanten Sarcelles galten „Licht, Luft und Sonne“, die zentralen Merkmale der „gegliederten und aufgelockerten Stadt“, als die entscheidenden Faktoren für das Wohlfühlen in einer „architektonischen Umgebung“. Der Roman enthält aber auch ganz überraschende Wendungen: Das Geordnete und Übersichtliche der Umgebung kann auch „labyrinthisch und bedrohlich“ werden. Es fehlen schützende Winkel und Ecken, die die enge und stickige Stadt des 19. Jahrhunderts noch in Hülle und Fülle bot. Monotonie macht sich breit. In dem Begriff „La Sarcellite“ (die Sarcellitis) kommt das Leiden an der Großsiedlung zum Ausdruck, das schließlich auch Marzahn erfasste, als die Menschen feststellten, dass „die langersehnte Neubauwohnung allein die Widrigkeiten und Kompliziertheiten des eigenen Lebens“ nicht zu lösen vermag.

Die soziale und kulturelle Wirklichkeit in der Stadt war auch der zentrale Fokus im Beitrag von Eduard Führ (Cottbus). Anhand der Zentralen Planung, der Planungswirklichkeit und des Alltags in den neuen Städten der DDR wies er auf Grundprobleme der Stadtplanung hin, die die bau- und planungshistorische Forschung noch nicht adäquat in ihren Forschungsansätzen berücksichtige: Die Intentionen der Planung würden überbewertet. Am Beispiel der Stadt Schwedt an der Oder stellte er fest, dass es im langfristigen Verlauf der Planung und Realisierung des Großprojektes zu einem doppelten Bruch kam: Zum einen zogen personelle und programmatische Veränderungen in den politischen Führungen immer wieder grundsätzliche Planneufassungen nach sich. Paradigmen- oder städtebauliche Leitbildwechsel führten in der Bauphase zu Veränderungen, die die Qualitäten der vorangegangenen Planungen infrage stellten, woraus sich letztlich „tatsächlich heterogene und teils dystope urbane Wirklichkeiten“ ergaben. Einen grundlegenden Bruch sah er zum anderen auch in den Divergenzen „zwischen dem Plan und den Lebensansprüchen der Bewohner“. Weil „die Stadtwirklichkeit letztlich eine größere Rolle als die Planungsintention(en) spielt“, so sein Plädoyer, sollte die historische Forschung stärker „zur Analyse von Realitäten übergehen“.

Die Suche nach den urbanen Wirklichkeiten, Symboliken und Identitäten, und damit auch nach aktuellen Anknüpfungspunkten für eine wirksame „Vermarktungsstrategie“ für eine Stadt im industriellen Niedergang, stand im Mittelpunkt des Beitrags von Peter Neumann (Münster). Sein Beispiel Hennigsdorf bei Berlin eröffnete den Reigen von Beiträgen über Traditionslinien und langfristige Entwicklungspfade in den kleineren Städten der DDR. Seit jeher war es für diese schwerer, urbane Qualitäten zu entwickeln; nahezu unmöglich sogar, wenn die Industrie wie im Falle Hennigsdorfs2 über einen langen Zeitraum Stadtgründer und Stadtentwickler war. Ein „urbanes Regime“, womöglich noch getragen von bürgerlicher Kultur und Selbstverwaltungsidee, konnte sich bis in die DDR-Zeit hinein nie entwickeln. Gleichwohl gab es in den 1960er-Jahren Planungen, die wie in vielen Städten der DDR Zentrenstrukturen entwickeln sollten, aber nie oder höchstens fragmentarisch realisiert wurden. Vor allem ab den frühen 1970er-Jahren schritt die Stadtentwicklung in ihrer für die Industriestadt typischen Art als Komplementarität von Industrieansiedlung und industriellem Plattenwohnungsbau voran und schuf jene Defizite, die nach der Wende auf der Agenda der örtlichen Stadtplanung standen. Aber auch für Hennigsdorf gilt, und hier liegen für Neumann die Anknüpfungspunkte für neue urbane Identitäten, dass „über die Jahrzehnte und alle Systembrüche hinweg deutlich Traditionslinien der Stadtentwicklung“ beobachtet werden können.

Das trifft prinzipiell auch auf die Kleinstädte in Mecklenburg zu, mit denen sich Peter Dehne (Neubrandenburg) und Gunther Lüdde (Waren) beschäftigten. Ihr Blickwinkel reichte von den späten 1960er-Jahren bis in unsere heutige Zeit. Dadurch war es möglich, den Einschnitt der Jahre 1989/90 im Hinblick auf Brüche und Kontinuitäten im Städtebau zu befragen. Auch die weniger industriell als vielmehr touristisch geprägten Kleinstädte galten zu DDR-Zeiten zwar als „Stiefkinder der Planung“, die am Ende der Städtehierarchie kaum auf einen regen staatlichen Mittelzufluss zur Umsetzung von Planungen hoffen konnten. Gleichwohl lässt sich am Beispiel der Städte Malchow und Waren zeigen, dass die jeweils gängigen städtebaulichen Leitbilder und die Paradigmenwechsel der Planung auch im ländlichen Raum virulent waren. Wie bereits am Beispiel der Großstadt Halle exemplifiziert, finden sich hier Abriss- und aufwändige Zentrenplanungen in den 1960er-Jahren, moderne Stadterweiterungen und Stadtumbauten in den 1970er-Jahren und dann ab 1982 der Übergang zu Planungsprämissen, die durchaus als Charakteristika einer „behutsamen Stadterneuerung“ bezeichnet werden können. Der Verfall der historischen Innenstädte und die Abrisspolitik konnten erst nach der Wende aufgehalten werden. Ein grundlegender Wandel ist darin aber nicht zu sehen, denn es blieb bei der Leitvorstellung, die historische Stadt zu erhalten, zu erneuern und behutsam umzubauen. Dabei wurde teils auf Planungen aus der letzten Dekade der DDR-Zeit zurückgegriffen.

Celina Kress (Berlin) führte insofern wieder zum Ausgangpunkt der Tagung zurück, als sie die Industrieregion um Halle an der Saale ins Zentrum ihres Vortrages stellte. Hier war bereits seit dem späten 19. Jahrhundert ein "Mitteldeutsches Städteband" entstanden, das grundlegend für die weitere industrielle Entwicklung war (vor allem Chemiestandorte Leuna und Schkopau) und auch zu DDR-Zeiten die entsprechenden Förderungen erhielt. Zwischen Halle und Weißenfels wurde von den ambitionierten städtebaulichen Planungen wesentlich mehr realisiert als andernorts. Dies trifft vor allem auf die Mittelstadt Merseburg zu, wo die innerstädtische Baustruktur in den 1960er-Jahren im Rahmen der Zentrumsplanung „fast vollständig ausgetauscht“ wurde. Ab den 1980er-Jahren weitete sich auch hier der bis dahin sehr „selektive Blick auf das bauliche Erbe“ früherer Jahrzehnte und Jahrhunderte und leitete den bereits erwähnten programmatisch starken, aber in der Umsetzung schwachen Paradigmenwechsel ein.

Daneben stellte eine in ihrer Bedeutung nicht zu unterschätzende historische Kontinuitätslinie seit den 1920er-Jahren einen wichtigen Fokus im Beitrag von Kress dar, der bereits auf den folgenden Tagungsbeitrag von Torsten Meyer (Cottbus) verwies: die Notwendigkeit, in großindustriell geprägten Räumen über die kommunalen Grenzen hinweg auch eine großräumige Planung zu betreiben, die die Siedlungsentwicklung koordinierte: die Landesplanung. Was für die Chemiearbeiter im Großraum Halle – Merseburg – Weißenfels von Bedeutung war, galt auch für die Bergleute im Niederlausitzer Braunkohlenrevier: „Intermediäre Instanzen“ hatten für die Ordnung des Raumes zu sorgen. In seinem historisch auf die Institutionen der Landesplanung fokussierten Beitrag schlug Meyer einen weiten Bogen von der 1929 gegründeten „Planungsgemeinschaft Niederlausitz“ bis zum „Büro für Territorialplanung Cottbus“ und dessen Arbeit in den 1970er-Jahren zu DDR-Zeiten. Auch in den Aufgaben und praktischen Handlungen spiegelten sich hier Brüche und Kontinuitäten der Landesplanung: Neben die „Pflege des überkommenen Landschaftsbildes“ trat ab den 1950er-Jahren mehr und mehr die „Nachnutzungsplanung für die Bergbaufolgelandschaft“.

Das Erholungsgebiet Senftenberger See ist ein Beispiel für solch eine „erstmals planmäßige“ Rekultivierung, die einen langen Vorlauf hatte, letztlich aber Ideale „sozialistischer Zukunftsgestaltung“ widerspiegelte. Axel Zutz (Berlin) stellte in seinem Beitrag anhand dieses aus dem Tagebau Niemtsch hervorgegangenen Sees die Programmatiken im Wandel der Zeit von den 1920er- bis zu den 1970er-Jahren in den Mittelpunkt. Seiner Meinung nach war die „Kontinuität von Ideen und Konzepten“ evident. In beiden Teilen Deutschlands sei nach dem Krieg an den Idealen der Natur- und Heimatschutzbewegung nach 1918 und den Vorstellungen der nationalsozialistischen Landschaftsanwälte beim Bau der Reichsautobahnen angeknüpft worden. Stärker als je zuvor erwartet, drängte sich allerdings ab den 1960er-Jahren die Aufgabe, die Erholung für die städtische Bevölkerung zu organisieren, in den Vordergrund. Für Ulrich Hartung Anlass zu einem grundlegenden Einwand gegen die Kontinuitätsthese: Die Landschaftsplanung am Beispiel der Reichsautobahn hatte zu NS-Zeiten etwas Archaisches oder Archaisierendes, dagegen trage die Erholungsplanung der Nachkriegszeit eher städtische Züge und sei ein urbanes, ergo ein modernes Phänomen. Nichtsdestotrotz sei jedoch, so Zutz in seiner Replik, der „Heimatschutz als Kulturlandschaftsideal“ das Verbindende zwischen Vor- und Nachkriegszeit. Der Blick auf Biographien löste die Kontroverse schließlich auch nicht auf, im Gegenteil. Das zeigte Zutz anhand der Biographie des in der Niederlausitz tätigen und sehr angesehenen Landschaftsgestalters Otto Rindt (1906-94), dem „Vater des Senftenberger Sees“.

In einer außergewöhnlichen Projektvorstellung stand dann die Hauptstadt der DDR im Vordergrund. Unter dem Titel „Stadtbilder“ berichteten Benedikt Goebel und Andreas Butter (beide Berlin) von ihrer Aufgabe, das Fotoarchiv des Bezirksbauamtes Berlin mit insgesamt etwa 50.000 Fotografien und Farbdias (Stadtfotografien, Planreproduktionen und Modellfotos) zu erschließen und digital zu inventarisieren, um es damit für die Forschung zugänglich zu machen (noch in diesem Jahr per Internet). Nicht nur die tatsächlichen Veränderungen des Stadtraumes zwischen 1945 und 1990 sind in einer enormen Dichte dokumentiert, auch die zahlreichen stadtplanerischen Alternativentwürfe und architektonischen Varianten: für Jahre oder gar Jahrzehnte ein Fundus für die Bau-, Kunst- und Planungsgeschichte. Das Fotoarchiv befindet sich seit 1991 in der Architektursammlung der Berlinischen Galerie.3

Abschließend stellte Frank Betker (Aachen/Vaals) den gerade erschienenen Band 3 der neuen Reihe „Beiträge zur Stadtgeschichte und Urbanisierungsforschung“ vor.4 Die Institutionengeschichte der örtlichen Stadtplanung seit dem Beginn des sozialistischen Aufbaus und die Erfahrungen der hier beschäftigten Stadtplaner und Architekten stehen im Mittelpunkt. Die Fragen, denen der Band unter anderem nachgeht: Wie viel Eigenständigkeit ließen die Herrschaftsverhältnisse zu? Konnten eigensinnig handelnde Stadtplaner und Architekten Professionalität und eine eigene Berufsethik bis zum Ende der DDR bewahren? Auf welche Traditionsbezüge, soziale und kulturelle Wurzeln beruft sich eigensinniges Handeln? Und wie kam es im Bild der Stadt zum Ausdruck?

„Aus der Sicht eines Stadtplaners und Sozialwissenschaftlers“ resümierte schließlich Harald Bodenschatz (Berlin) die Tagung. Eine weitere Konsolidierung der DDR-Planungsgeschichte sei geleistet worden. Ein wichtiger Eckpunkt war die „Multidisziplinarität“, die unterschiedliche Sichtweisen zutage treten lässt und den einzelnen Wissenschaftler und die einzelne Wissenschaftlerin konstruktiv der „Querkritik“ aus anderen Disziplinen aussetzt. Damit werde die in Deutschland so weit verbreitete „Harmonie in geschlossenen wissenschaftlichen Zirkeln“ ein wenig aufgebrochen. Perspektivisch verwies Bodenschatz auf die Internationalisierung und Europäisierung des Blicks, auf die Frage nach dem Umgang mit der vormodernen Stadt und den jeweiligen Legitimations- und Begründungsstrategien des stadtplanerischen Handelns sowie auf die Frage nach der Tiefe des Einschnitts 1989/90. Desiderate der Forschung seien darüber hinaus vor allem eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem stadtplanerischen Vokabular („Begriffsarbeit“), deutlicher zwischen Planidealen und Wirklichkeiten zu unterscheiden und die soziale Nutzerperspektive beim historischen Blick auf Stadtplanungen und Architekturen zu schärfen.

Die Beiträge werden in der Reihe „Regio Transfer“ des Instituts für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) etwa Ende des Jahres 2006 / Anfang 2007 publiziert.

Anmerkungen:
1 Programm siehe bei H-Soz-u-Kult unter http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/termine/id=4721
2 Ab 1910 nahm die AEG hier Einfluss.
3 Informationen zu den Sammlungen siehe die Website der Berlinischen Galerie unter http://www.berlinische-galerie.de/
4 Frank Betker, „Einsicht in die Notwendigkeit“. Kommunale Stadtplanung in der DDR und nach der Wende (1945-1994), Stuttgart 2005.

Kontakt

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Flakenstraße 28-31
15537 Erkner

03362793-280 (Infos)
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Carsten Benke
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