Shadow economies and non-regular work practices in urban Europe (16th to early 20th centuries)

Shadow economies and non-regular work practices in urban Europe (16th to early 20th centuries)

Organisatoren
Philip Hoffmann (Konstanz); Thomas Buchner (Linz); Reinhold Reith (Salzburg); Sigrid Wadauer (Salzburg)
Ort
Salzburg
Land
Austria
Vom - Bis
17.02.2006 - 18.02.2006
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Von
Georg Stöger, Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Univ. Salzburg

Der von Philip Hoffmann (Konstanz), Thomas Buchner (Linz), Reinhold Reith (Salzburg) und Sigrid Wadauer (Salzburg) organisierte Workshop zum Themenkomplex nicht regulärer bzw. nicht "legaler" städtischer Arbeit fungierte als vorbereitende Tagung zum XIV. International Economic History Congress in Helsinki (21.-25. August 2006, vgl. http://www.helsinki.fi/iehc2006). Die während der zwei Tage präsentierten Papers deckten unterschiedlichste Epochen, geographische Regionen und Tätigkeitsbereiche ab und erlaubten erste Einblicke in einen bislang noch unzureichend erforschten Aspekt urbaner Wirtschaftsgeschichte.

Einleitend wies Thomas Buchner (Linz) auf gegenwärtige sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Diskurse zur Fragestellung hin, welche mehrheitlich dazu tendieren, informelle ökonomische Aktivitäten als modernes oder gar postmodernes Phänomen zu deuten. Erste empirische Studien widerlegen diese Annahmen jedoch grundlegend: Für die Vormoderne sind umfassende und vielfältige "informelle" Sektoren und Märkte rekonstruierbar, die einen bedeutenden Anteil an der Gesamtwirtschaft stellen konnten und somit nicht nur in wirtschaftsgeschichtlicher Hinsicht eine grundlegende Neubewertung vormodernen Wirtschaftens durch die Forschung notwendig machen würden.

Die Konzepte zur Analyse dieser informellen Märkte und Marktmechanismen divergieren: neoklassische Ansätze interpretieren nicht formelle Märkte als vollkommen unreguliert und flexibel, als "Prototypen" eines freien Marktes, der einem "anderen Pfad" folge, Gegenkonzepte betonen vor allem die Relevanz von Inklusion und Exklusion bei der Konstitution informeller Märkte. Rezente Studien haben gezeigt, dass eine Abgrenzung "formeller" von "informellen" Sektoren bzw. Märkten kaum möglich (und wenig sinnvoll) ist, die Kategorien "legal" und "nicht legal" erscheinen - in kontemporärer wie historischer Dimension - höchst flexibel, Übergänge fließend. Die Verbindungen zwischen "formell" und "informell" sind vielfältig, sozialer, wirtschaftlicher, räumlicher und personeller Natur, auch erscheint der "informelle" Sektor oftmals nicht exkludiert und zudem nicht unreguliert.

"Illegale" Arbeit im städtischen Handwerk zum Ende des 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts, deren Wahrnehmung, Kontrolle und Sanktionierung stand im Mittelpunkt des Vortrages von Philip Hoffmann (Konstanz). Erst im Verlaufe des 16. Jahrhundert scheinen sich politische Diskurse zu "informellen" Akteuren im Gewerbe zu intensivieren - so eine zentrale These Hoffmanns. Nicht legale Arbeit wird als politisches und soziales Problem, als der Gemeinschaft schadend und die Ordnung bedrohend präsentiert - der "Störer" fungiert als diametrales Gegenbild zum Zunfthandwerker. Hier erscheint die Frage berechtigt, wie weit diese Darstellungen einer "allgemeinen" zeitgenössischen Wahrnehmung folgen oder auf Stigmatisierungsbestrebungen der Zünfte reduziert werden können, bleiben doch die "Kategorien" "legal" und "nicht legal" oftmals vage. Die Palette der außerhalb von Zünften tätigen Handwerkern ist jedenfalls breit und umfasste Akteure unterschiedlichster sozialer Herkunft wie etwa Soldaten oder Dienstboten. Zur Regulierung und Unterbindung dieser nicht zünftischen Arbeit wurden im Regelfall Dekrete etabliert, die z.T. den Zünften umfassende Kontrollrechte einräumten, was mancherorts Konflikte mit städtischen Obrigkeiten nach sich ziehen konnte.

Dem Beitrag Hoffmanns folgten empirische Detailstudien, beginnend mit Anne Montenachs (Université de Provence) Analyse des Lyoner Lebensmittelhandels während des 17. Jahrhunderts. Montenach verwies auf den bedeutenden informellen Sektor im Lyoner Lebensmittelhandel und die räumliche Dimension dieser Aktivitäten: Stadtraum werde durch Akteure sozial gestaltet und geprägt, damit vom formellen genauso wie vom informellen Sektor bestimmt. Waren konnten überall in der frühneuzeitlichen Stadt ausgetauscht und gehandelt werden - Märkte konstituierten sich somit auch neben und außerhalb institutionalisierter Örtlichkeiten, etwa auf Straßen und öffentlichen Plätzen. Diskontinuitäten des formellen Sektors förderten offenbar den informellen Lebensmittelhandel, zudem kann - so Montenach - ein Zusammenhang zwischen dem Bevölkerungswachstum und dem Anstieg informeller Handelstätigkeiten hergestellt werden. Die städtische Obrigkeit reagierte mit relativer Toleranz auf nicht legale Verkaufstätigkeiten im Lebensmittelhandel: Ein totaler Ausschluss informeller Akteure schien infolge der wichtigen Versorgungsfunktion nicht möglich, ohnehin stellten völlig "legale" Tätigkeiten aufgrund der unklaren Gesetzeslage eher den Ausnahmefall dar. Der informelle Lebensmittelhandel bildete eine wesentliche Strategie der Haushaltsführung unterer sozialer Schichten, offerierte Verdienstmöglichkeiten für Frauen und Kinder, war gleichzeitig aber ähnlichen "Regeln" unterworfen, wie der formelle Markt (etwa die Relevanz von Vertrauen betreffend). Montenach betonte, dass es wenig zielführend sei, in der Analyse formelle Sektoren von informellen zu trennen, da beide Bereiche doch "zwei Seiten derselben Ökonomie" darstellen, deren Verflechtungen - in räumlicher wie sozialer Dimension - als vielfältig und überaus komplex zu erachten seien. Kategorien wie "legal" und "illegal" erscheinen hier - ein weiteres Mal - überaus variabel und keineswegs eindeutig.

Handel und Warenproduktion außerhalb der frühneuzeitlichen Zünfte haben auch im Falle Venedigs (obgleich in ersten Studien umfangreiche außerzünftische Aktivitäten rekonstruiert wurden, beispielsweise im Gebrauchtwarenhandel) bislang kaum systematische historiographische Betrachtung nach sich gezogen, damit sei ein wesentlicher Bereich der städtischen Ökonomie negiert worden, so Patricia Allerston (Edinburgh). Ähnlich sei die Absenz der Spitzenproduktion in der Venezianischen Wirtschaftsgeschichte zu erklären: Spitzen, die während des 17. Jahrhunderts bedeutende Luxusartikel für den Export darstellten, wurden nicht im Rahmen eines zünftisch regulierten oder andersartig konzessionierten Handwerks hergestellt - somit ist die Venezianische Spitzenproduktion zwar als informell, jedoch nicht als illegal zu erachten. Es lag offenbar im Interesse der städtischen Obrigkeit, die Herstellung von Spitzen nicht formell zu regulieren, da mit deren Erzeugung und vor allem deren Export eine wesentliche Wertschöpfung verbunden war. In der Produktion waren vor allem Frauen tätig, die Spitzen in Heimarbeit (über die Stadt und die Inseln verteilt, z.T. kam es zur Herausbildung kleinerer Produktionszentren) herstellten, die Spitzenerzeugung wurde auch in den religiösen und karitativen Institutionen Venedigs betrieben und stellte für diese Einrichtungen eine überaus wichtige Finanzquelle dar. Konflikte mit "formellen" Akteuren entstanden nicht in der Produktion, sondern in der Distribution: Textilgroßhändler, die das Verkaufsmonopol für Spitzen beanspruchten, traten hier gegen den Eigenverkauf durch Frauen und andere Verkäufer oder Hausierer auf.

Christof Jeggle (Bamberg) diskutierte die Effizienz obrigkeitlicher Normen und Kontrollmechanismen zur Verhinderung eines informellen Sektors am Fallbeispiel der Münsteraner Leinenproduktion des 17. Jahrhunderts. Münster schrieb eine zentralisierte Plombierung und Taxierung sämtlicher produzierter Leinentücher in der städtischen "Legge" vor, dennoch deuten die vorhandenen Quellen auf eine häufig Umgehung dieser Kontrolle hin, denn zahlreiche Weber verkauften ihre Tücher direkt und ohne Siegelung, was zwar nur einen regionalen Absatz ermöglichte, von der städtischen Obrigkeit aber - offenbar aus sozialen, ökonomischen und rationalen Überlegungen - kaum verfolgt wurde. Gegen informelle Akteure - hauptsächlich gegen (nicht "legale") Frauenarbeit in der Leinenproduktion - trat vor allem die "Weberbruderschaft" auf, erst zum Ende des 17. Jahrhunderts kam es zu umfassenderen obrigkeitlichen Regulierungsversuchen, die eine Intensivierung der Kontrolle über Produktion und Verkauf der Tücher intendierten.

Ein umfangreicher "informeller" Sektor, der den "formellen" offenbar bei weitem überstiegen habe, sei auch im Bereich des frühneuzeitlichen städtischen Gebrauchtwarenhandels zu rekonstruieren, so Georg Stöger (Salzburg) in seinem Beitrag. Basierend auf Salzburger und Wiener Quellen thematisierte Stöger illegale Praktiken konzessionierter und unkonzessionierter Akteure im städtischen Altwarenhandel. Unkonzessionierter Verkauf war als Gelegenheits- genauso wie als Erwerbstätigkeit anzutreffen, der Zugang zum unberechtigten Handel erscheint - ob des geringen finanziellen Einsatzes und der stetigen Nachfrage - relativ einfach. Besonders Mitglieder städtischer Unterschichten, viele weibliche Akteure - v.a. ältere und unversorgte Frauen (Witwen) - Soldaten, Stadtwachen, ehemalige Dienstboten und Handwerker waren im unkonzessionierten Verkauf anzutreffen. Hier kollidierte das Gewohnheitsrecht des Verkaufes alter Gegenstände mit obrigkeitlichen Reglementierungsbestrebungen und den Interessen der autorisierten Händler - ökonomische Zugangshürden und oftmalige zahlenmäßige Begrenzungen im konzessionierten Gebrauchtwarenhandel erschwerten gleichzeitig eine offizielle und lizensierte Tätigkeit. Nicht reguläre Tätigkeiten sind genauso für den konzessionierten Gebrauchtwarenhandel belegt: Kooperationen mit "Störern" aus dem Handwerk erfolgten regelmäßig, zudem sind zahlreiche weitere nicht den rechtlichen Normen entsprechende Praktiken anzutreffen, wie etwa die Problematik des Verkaufes von gestohlenen Gegenständen. Stöger verwies auf die unterschiedlichen Perzeptionen von Akteuren im Gebrauchtwarenhandel: Der wichtigen (und akzeptierten) Rolle in der städtischen Ökonomie stand ein weitgehendes Misstrauen bzw. eine Geringschätzung der oberen sozialen Schichten gegenüber, das sich offenbar auch in Gesetzgebung und Regulierungsbestrebungen widerspiegelte. Es sei, so Stöger, ein oftmaliger "Unwillen" der Behörden festzustellen, gegen "Störer" und damit zugunsten der konzessionierten Akteure zu handeln - vielfach kam es zur Duldung des unkonzessionierten Verkaufes im Falle einer ökonomisch prekären Situation, die Tätigkeit einzelner unautorisierter Akteure konnte deshalb Jahrzehnte überdauern.

Susanne Schötz (Dresden) thematisierte die Tätigkeit nicht legaler weiblicher Akteure im vormodernen Leipziger Detailhandel. Ein wesentlicher Teil des Verkaufes von Lebensmitteln und anderen Kleinwaren vollzog sich seit dem Mittelalter über "Höken", zum größten Teil selbstständig agierende Frauen. Zum Ende des 17. Jahrhunderts begannen neuetablierte Privilegien die Tätigkeit von Kleinhändlern außerhalb der Leipziger Kramerinnung massiv einzuschränken: Das ausdifferenzierte Handelsrecht exkludierte Frauen und andere Detailhändler weitgehend, räumte den Kramern - so Schötz - eine entscheidende sozioökonomische, kulturelle und geschlechterspezifische Vormachtstellung ein. Besonders Frauen waren von den Regulierung des Handels betroffen, da ihnen die Kramerinnung im Regelfall Ausbildung und Aufnahme verweigerte. Viele Frauen wichen deshalb auf andere Marktbereiche wie etwa den Altwarenhandel aus oder setzten ihren Verkauf - weitgehend mobil - ohne Konzession fort. Schötz betonte das erfolgreiche "marktkonforme" Agieren dieser nicht konzessionierten Detailverkäuferinnen, die eine wichtige Rolle am Ende der Handelskette einnahmen - sie fungierten als (im Regelfall mobile) Verkäuferinnen von übrig gebliebenen Waren, bzw. als Zwischenhändlerinnen und Distributoren, denen sich sogar einzelne Kramer bedienten, etwa um das Verbot des Verkaufs an zwei Orten gleichzeitig zu umgehen. Die allgemeine Handelsfreiheit während der Leipziger Messen zog umfangreiche Verkaufsaktivitäten zahlreicher Akteure nach sich, die teilweise die Messezeit überdauerten. Zudem dienten die Messen als Arbeitgeber und Versorger informeller Händler, Waren konnten etwa auf Kommission übernommen und danach verkauft werden. In den Konflikten der Kramerinnung mit nicht legalen Akteuren (vorrangig Handwerkern und Hökinnen) positionierte sich die städtische Obrigkeit zum Ende des 18. Jahrhunderts zunehmend gegen die Interessen der Kramer, kleinere nichtlegale Verkaufstätigkeiten wurden - die Gewerbefreiheit des Jahres 1862 vorwegnehmend - weitgehend geduldet.

Susanne Bennewitz (Basel/Montreal) beleuchtete die Tätigkeit jüdischer Makler in Basel während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Das überaus regulierte Basler Wirtschaftsleben beschränkte die Erwerbsmöglichkeiten städtischer Juden weitgehend auf Nischentätigkeiten, wie etwa der privaten Verkaufsvermittlung, welche zu einem wichtigen Verdienstfeld der Basler Juden wurde. Als Makler tätig zu werden war relativ einfach, der finanzielle Einsatz gering, was auch die Teilnahme ökonomisch schlechter gestellter Schichten ermöglichte. Bennewitz betonte den unterschiedlichen sozialen Status der städtischen Makler, der sich in Fremd- und Eigenbezeichnungen manifestierte - die jüdischen Vermittler ("Schmauser") agierten am unteren Ende der Hierarchie, ihre Tätigkeit blieb lokal begrenzt, der Verdienst weitgehend ärmlich. Die jüdischen Makler fungierten als Informanten, gewährten einen Überblick über den Markt, vermittelten finanzielle Transaktionen, Handelsgeschäfte (traditionellerweise Viehhandel), sogar Heiraten und nahmen dadurch eine wichtige Funktion in der städtischen Ökonomie ein. Obgleich im Regelfall nicht offiziell lizenziert, wurde die jüdische Maklertätigkeit durch die Obrigkeit nicht als illegal wahrgenommen und auch von Akteuren in der städtischen Wirtschaft wohl weitgehend akzeptiert, die Dienste jüdischer Makler häufig in Anspruch genommen - dennoch sind genauso negative Projektionen und Vorbehalte gegen die jüdische Maklertätigkeit anzutreffen: Die (an das in Basel nicht legale Hausierwesen erinnernde) nichtortsfeste Ausübung wurde skeptisch betrachtet, Maklerdienste mitunter nicht als Arbeit wahrgenommen, woraus eine Verweigerung der Vermittlungsgebühr resultieren konnte.

Die Konstruktion "informeller" bzw. "negativer" Arbeit wurde in den beiden letzen Beiträgen - den Bogen zeitlich und thematisch schließend - wieder aufgegriffen. Svenja Kornher (Hamburg) thematisierte Konflikte zwischen formellen und informellen Akteuren im Friseurgewerbe zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Das Friseurgewerbe erfuhr im Verlaufe des 19. Jahrhunderts wesentliche Veränderungen: Zahlreiche ehemalige Perückenmacher strömten in den weiblich dominierten Friseurberuf, was bis ins 20. Jahrhundert fortdauernde Konflikte zwischen männlichen, zünftisch organisierten Friseuren und weiblichen Akteuren, die weitgehend unkonzessioniert im privaten Bereich agierten, zur Folge hatte. Die Tätigkeit der Frauen wurde als ökonomische Bedrohung interpretiert, richtete sich aber auch, als "einfacher Geschlechterneid" - so Kornher - explizit gegen die Eigenständigkeit der weiblichen Akteure. Unkonzessionierte Friseurinnen wurden im (männlich dominierten) Diskurs als niedrig qualifiziert und - die Nähe zur Prostitution betonend - moralisch verwerflich dargestellt, Vorwürfe, die empirisch widerlegt wurden.

Sigrid Wadauer (Salzburg) diskutierte anhand ihres Projekts "Mobilität und Sesshaftigkeit" Grenzfälle von Arbeit, Nicht-Arbeit und "negativer" Arbeit im Österreich der Zwischenkriegszeit. Wadauer verwies auf die Persistenz negativer Deutungsmuster nicht sesshafter Arbeit bis ins 20. Jahrhundert: mobile Erwerbstätigkeiten, besonders im Hausier- oder Wanderhandel, wurden schon in den vorangegangenen Jahrhunderten - ungeachtet der tatsächlichen (hohen) Arbeitsbelastung - selten als reguläre, also "vollwertige" Arbeit angesehen, deren Akteure als zwielichtig und "arbeitsscheu" wahrgenommen, Projektionen, die durch die oftmalige Nähe des Hausierhandels zum Bettel sicherlich begünstigt wurden. Offizielle Berufszählungen entsprechend, scheint der Hausierhandel in Österreich zum Beginn des 20. Jahrhunderts als Erwerbsform generell an Bedeutung verloren zu haben, erst die Wirtschaftskrisen der Zwischenkriegszeit ließen mobile Arbeits- und Verkaufstätigkeiten erneut prosperieren, was rege Diskussionen mit bekannten Vorurteilen nach sich zog: Hausieren wäre, da ohnehin nur mit weitgehend wertlosen Güter gehandelt würde, in ökonomischer Hinsicht "unnötig" und sollte prinzipiell Kriegsinvaliden vorbehalten werden. Dass die ökonomische Bedeutung des mobilen Verkaufes für die darin beschäftigten Akteure jedoch nicht als gering zu erachten ist, unterstreicht die Existenz eines bedeutenden informellen Sektors.

Vor allem ansässige Kleinhändler opponierten, wohl primär aus ökonomischen Gründen, massiv gegen konzessionierten wie unkonzessionierten Hausierhandel, die Unterschiede der eigenen Tätigkeit zu der des Hausierers betonend. Als Hausieren wurde dabei abschätzig eine ganze Bandbreite von Tätigkeiten begriffen, wobei etwa auch der Wanderhandel (der primär eigene Erzeugnisse aus kleingewerblicher bzw. landwirtschaftlicher Produktion vertrieb), der ambulante Handel sesshafter Handwerker und reisende Handelsvertreter mit einbezogen wurden. Die politischen Akteure reagierten mit Einschränkungen in der Vergabe von Hausierkonzessionen, die zudem zeitlich befristet waren. Diese Tendenz der Restriktion und Marginalisierung des Hausierhandels, wurde in der Weltwirtschaftskrise und insbesondere nach der Etablierung des austrofaschistischen "Ständestaates" verstärkt: ab 1934 wurden kaum noch neue Hausiergenehmigungen gewährt. Wenn jeder einen Beruf haben sollte, reichte es auch in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit nicht aus, bloß irgendwas zu unternehmen, um dem Vorwurf der Arbeitsscheu und der in dieser Zeit forcierten Verfolgung von Landstreichern und Bettlern zu entgehen.

Schlussdiskussion/Ausblicke

Die präsentierten Papers behandelten verschiedenste Beispiele und Aspekte des "Informellen", wiesen auf deren wichtige - keineswegs marginale - Rolle in der städtischen Ökonomie hin und betonten die Relevanz nicht formeller Tätigkeiten insbesondere für die Versorgung unterer sozialer Schichten bzw. von anderen Erwerbsarbeiten ausgeschlossener Gruppen. Der Bereich des "nicht formellen" ist als vielschichtig zu erachten, reicht von nichtoffiziellen bis zu nichtlegalen Tätigkeitsbereichen; diese unterschiedlichen "Kategorien" des Informellen äußern sich in divergierenden Deutungen, Projektionen und Diskursen.

Die Unklarheit der Begrifflichkeit "Schattenökonomie" und Definitionsproblematiken hinsichtlich "formell" und "informell" wurden in der Schlussdiskussion erneut aufgegriffen: Sind "Kategorien" legaler bzw. illegaler Arbeit als ausschließlich obrigkeitliche Konstrukte zu interpretieren - wurden nicht offizielle Märkte im zeitgenössischen Sinn tatsächlich als illegal wahrgenommen? In der Praxis - darauf verwiesen die Vortragenden wiederholt - erscheinen die Grenzen zwischen "formell" und "informell" fließend und keineswegs eindeutig, der Umgang mit Regeln pragmatisch. Auch der Umgang der Obrigkeit mit informellen Akteuren divergiert, restriktive Regulierungsversuche sind ebenso anzutreffen wie weitgehende Duldung und Akzeptanz, somit wäre eine diametrale Gegenüberstellung der Kategorien "legal" und "illegal" (und deren Trennung in der Analyse) sicherlich problematisch. Die Anwendung des Konzeptes von Inklusion/Exklusion wurde intensiv diskutiert: Stellen informelle Tätigkeiten eine "Möglichkeit" für exkludierte Akteure dar (besitzt der informelle Sektor hier eine integrative Funktion?), oder bedeutet deren Stigmatisierung eine prolongierte Verweigerung des Zugangs zum formellen Sektor?

Erste Impulse für eine überregionale, vergleichende Analyse informeller Arbeitswelten in der Vormoderne könnten von diesem Workshop und des Ende August folgenden Panels in Helsinki ausgehen, die Notwendigkeit weiterer empirischer Studien (und einer daran anknüpfenden Vernetzung von Forscher/innen) bleibt jedoch unübersehbar.


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