Eigentum und Handlungsrechte im Zeitalter der Propertization. Sozial- und kulturwissenschaftliche Perspektiven auf die Entgrenzung des Eigentums

Eigentum und Handlungsrechte im Zeitalter der Propertization. Sozial- und kulturwissenschaftliche Perspektiven auf die Entgrenzung des Eigentums

Organisatoren
Projektgruppe "Entgrenztes Eigentum" am Zentrum für Höhere Studien/ Institut für Kulturwissenschaften, Universität Leipzig
Ort
Leipzig
Land
Deutschland
Vom - Bis
27.01.2006 - 28.01.2006
Url der Konferenzwebsite
Von
Isabella Löhr

In den letzten Jahren werden eine Reihe neuer Formen von und Umgangsweisen mit Eigentum debattiert, die in Formulierungen von der „Entgrenzung“ des privaten Eigentums, der „Ausuferung“ des geistigen Eigentums und der „Propertization“ von Kommunikation und Wissen ihren Niederschlag finden. Dabei geht es um so unterschiedliche Prozesse wie die Privatisierung von Industrie und Landwirtschaft in den postsozialistischen Gesellschaften, die europa- und weltweite Aufwertung privateigentumsförmiger Handlungsrechte im Gefolge der Liberalisierung und des partiellen Rückzugs des klassischen Interventions- und Wohlfahrtstaats, die Verschärfung der Tendenz, Texte, Bilder, Wissen, Informationen und Herstellungsverfahren rechtlich zu schützen, die Privatisierung des öffentlichen Raums in den Shopping Malls und den umzäunten Wohnvierteln der Reichen und um den Verkauf von Körperteilen und die private Vermietung von Söldnern, wodurch sich die klassische Frage des Eigentums am eigenen Körper neu stellt.

Diese Beobachtungen haben, so Hannes Siegrist in der Tagungseinleitung, zu einer stärkeren Hinwendung zu Eigentum in der sozial- und kulturwissenschaftlichen Forschung geführt, die Eigentumsverhältnisse und den Umgang mit Eigentum nicht mehr nur rechtlich, wirtschaftlich und politisch erklären, sondern kulturelle Differenzen und Differenzierung zunehmend als Motor gesellschaftlicher Veränderungen und damit als einen maßgeblichen Impuls für ein sich scheinbar wandelndes Eigentumsverständnis annehmen.

Die Tagung unternahm den Versuch, sich dieser bisher nur ansatzweise erforschten Reformulierung von Eigentumsbeziehungen unter dem Stichwort Propertization anzunähern. Geht man davon aus, dass Eigentum den Umgang mit sozialen Beziehungen in Bezug auf materielle wie immaterielle Gegenstände und Bündel von Rechten repräsentiert und regelt, meint Propertization, dass die Leitidee des privaten Eigentums vorherrschend und zur zentralen, handlungsleitenden und –regelnden Institution wird. In dieser Perspektive interessieren Eigentumsrechte im Sinne von Handlungsrechten und es wird nach ihrer jeweiligen sozialen und rechtlichen Verfasstheit gefragt, nach den Formen der Institutionalisierung und Verregelung und nach der Art, wie diese Handlungsrechte gesellschaftliche Wirklichkeit formen, prägen und verändern. Eingeladen zur Tagung hatte die interdisziplinäre Projektgruppe „Entgrenztes Eigentum“ an der Universität Leipzig, die aus Juristen, Politikwissenschaftler, Historikern, Soziologen und Philosophen bestehend ihre bisherigen Überlegungen zum Thema mit Wissenschaftlern anderer Standorte und Disziplinen wie der Ethnologie und der Musikwissenschaft diskutierte. Die Tagung unternahm den Versuch, sich unter dem Stichwort Propertization der Neuformierung von Handlungs- und Eigentumsrechten aus unterschiedlichen disziplinären Perspektiven anzunähern, um über eine präzise Phänomenbeschreibung und Eingrenzung der Aufgaben, die sich einer wissenschaftlichen Bearbeitung vor allem in der Überkreuzung verschiedener Disziplinen stellen, einen belastbaren analytischen wie empirischen Zugang zu dem Phänomenkomplex zu gewinnen.

Propertization im Sinne einer Ausweitung eigentumsförmiger Verregelungen und Zuordnungsfunktionen widmeten sich einige Vorträge aus rechtswissenschaftlicher Perspektive. Für das moderne Recht ist Eigentum eine zentrale Figur, die ursprünglich ein mehr oder weniger eindeutig benennbares Set an Gegenständen umfasste. Diese Eindeutigkeit in der Benennung und Zuordnung von Eigentum verlor bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts mit der Einführung der Figur des geistigen Eigentums an Kontur, weil die nun ins Spiel gebrachte immaterielle und persönlichkeitsrechtliche Dimension des Eigentums an einem geistigen Werk klassische, mehrheitlich an beweglichen Gütern fest gemachte Eigentumsvorstellungen entgrenzte. Das führte zu einer Verkomplizierung von Eigentumsbegriff und Eigentumsrecht im Vergleich zu traditionellen Rechtsgebieten wie dem Sachenrecht und zu einer bis heute andauernde Uneinigkeit über den Ort des geistigen Eigentums innerhalb der Rechtsdogmatik (Horst-Peter Götting, Technische Universität Dresden; Elmar Wadle, Universität des Saarlandes, Saarbrücken). Ein Einblick in aktuelle rechtssystematische Herausforderungen zur Bestimmung von Kontur, Reichweite und Zuordnungsfunktionen des geistigen Eigentumsrechts wurde am Beispiel des Informationsrechts (Christian Berger, Universität Leipzig) und des Arbeitnehmer-Urhebers (Albrecht Götz von Olenhusen, Freiburg) gegeben.

Die gegenwärtige Diskussion um das Informationsrecht und die Frage, inwieweit eine Information ein tauglicher Gegenstand von Zuordnung sein kann ohne dabei freien Informationsfluss zu verhindern, wies den Weg zur Grenzziehung zwischen privat und öffentlich, die in mehreren Beiträgen als ein zweiter analytischer Zugang zu Begriff und Phänomen der Propertization vorgeschlagen und am Beispiel der Grenze zwischen Privateigentum und Gemeinwohl (Christian Bumke, Bucerius Law School, Hamburg), der Privatisierung öffentlicher städtischer Räume (Sylke Nissen, Universität Leipzig) und der Verbindung von Eigentum, Menschenrechten und Persönlichkeit (Wolfgang Fach/ Rebecca Pates, Universität Leipzig) ausgeführt wurde. Anhand der Beobachtung einer gegenwärtig immer stärker verschwimmenden Grenze zwischen beiden Sphären widmeten sich die Beiträge der Schwierigkeit, individuelle und private Interessen und Eigentumsansprüche trennscharf von gesellschaftlich geschaffenen Gegenständen, staatlichen Fürsorgepflichten und öffentlichen Interessen zu unterscheiden. So standen in allen drei Beispielen Nutzungskonflikte im Zentrum, die die Frage nach der Präsenz und Rolle des Staates bei der Lösung von Interessenskonflikten zwischen Eigentümern, Dritten und der Allgemeinheit aufwarfen. Die Vorträge veranschaulichten die Schwierigkeit, dass staatliche Eingriffe in die gesellschaftliche Ausgestaltung von Eigentumsverhältnissen immer sowohl Gemeinwohl fördernde als auch zerstörende Aspekte implizieren, die nur über eine explizite Reflektion in der Balance gehalten werden können, um einen Ausgleich zwischen Privatnützigkeit und Sozialpflichtigkeit des Eigentums zu bewahren. Die Vorträge zeigten aber auch, wie sich der Bereich individueller Lebensführung der rechtlichen Ausgestaltung von Eigentumsverhältnissen entzieht und wie von dort aus Exklusionsprozesse gesellschaftlicher Teilgruppen, staatliche Kontrollverluste oder die Bevorzugung privater Nutzungsrechte zu Ungunsten öffentlicher Interessen ihren Ausgang finden können.

Eine dritte Thematik war das Spannungsverhältnis zwischen positivem Recht, Rechtsnormen und deren institutioneller Verankerung einerseits und dem gesellschaftlichen Umgang mit Eigentum andererseits. Grundsätzlich von dynamischen gesellschaftlichen Beziehungen ausgehend, stand die Frage im Raum, wie eine permanente Aus- und Umformung kultureller Handlungsrechte in der gesellschaftlichen Praxis sich zur Institutionalisierung und Verregelung von Eigentum verhält (Pirmin Stekeler-Weithofer, Universität Leipzig). Wann entsteht Eigentum und in welchem Verhältnis stehen Rechtsnormen, ihre Aushandlung und ihre Reformulierung zueinander?

Das Auseinanderdriften von Eigentum als Rechtsinstitution und des gesellschaftlichen Umganges mit Eigentum demonstrierten verschiedene Vorträge. Am Beispiel der Marke wurde die Haltung von Verbrauchern gezeigt, die Marke als ein Medium zur Ausbildung von Vertrauen und sozialen Beziehungen, nicht aber als einen Gegenstand von Rechtsbeziehungen wahrzunehmen. Das heißt, die Marke besitzt in dieser Perspektive Bedeutung nur in ihrer kommunikativ-sozialen Funktion, an die Ansprüche der Unveränderlichkeit etc. gestellt werden, die durchaus mit den Rechtsbefugnissen der Markeninhaber in Konflikt geraten können (Kai-Uwe Hellmann, Universität Leipzig). Für die Musik wurde anhand neuer Bearbeitungstechniken und Formen künstlerischer Aneignung musikalischer Werke gezeigt, dass eine trennscharfe Unterscheidung von Original, Bearbeitung, Plagiat und neuem Werk nicht immer möglich ist. Das bedeutet, die rechtliche Zuordnung von Werk und Autor bleibt bisweilen uneindeutig und kann sich nur in Grenzen auf einen soliden Eigentumsbegriff berufen. In der Konsequenz öffnet dies Rechtsstreitigkeiten über Autorschaft und Werkhoheit Tür und Tor, weil die Reichhaltigkeit der künstlerischen Praxis Misch- und Übergangsformen zwischen Plagiieren, Bearbeiten und neu Schaffen erlaubt, die in einem deutlichen Kontrast zur Forderung nach eindeutigen Kategorien der Gesetzgebungen steht (Friedemann Kawohl, Villingen; Sebastian Klotz, Universität Leipzig).

Ein vierter systematischer Zugang führte schließlich den Gedanken fort, Eigentum im Sinne von Handlungsrechten und -regeln mit bestimmten sozialen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Funktionen aufzufassen, die zwar institutionalisiert und verregelt, dennoch aber stetig Gegenstand gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse sind (Nicole Grochowina, Friedrich-Schiller-Universität Jena). In diesem Sinne nahmen einige Beiträge gesellschaftliche Umbruchsituationen in den Blick, in denen der Wandel im Umgang mit Eigentum die Verschiebung von Deutungshorizonten anzeigt und so die Prägung von Eigentumsvorstelllungen durch unterschiedliche Interessenslagen deutlich kenntlich macht. Die Instrumentalisierung von Eigentum für die Formulierung neuer gesamtgesellschaftlicher, gruppenspezifischer oder individueller Identitätsentwürfe zeigten zwei Vorträge anhand des Umgangs mit Bodeneigentum in Osteuropa im Verlauf des 20. Jahrhunderts. Am Beispiel eines ungarischen Dorfes wurde der stetig abnehmende soziale Wert von Bodeneigentum über die verschiedenen politischen Regime hinweg zugunsten einer Aufwertung von Konsumgütern beschrieben. Trotz der Reprivatisierung des Bodeneigentums nach 1990 dauerte seine soziale und symbolische Unterbewertung an, weil mit dem Rückgang von Landwirtschaft der Besitz von Boden an sozialem Prestige verlor und Bodeneigentum als eigenständigen Wert sekundär werden ließ (Chris Hann, Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung, Halle). Ähnliches lässt sich für den Umgang mit Bodeneigentum in Rumänien und Jugoslawien in der Zwischenkriegszeit sagen, wo weniger der Boden als materieller Wert, sondern vielmehr die Integration ländlicher Räume in ein zentral gesteuertes nationales Projekt im Vordergrund stand (Dietmar Müller, Universität Leipzig). Im Gegenzug zeigte ein Beitrag, wie der kontinuierliche Ausbau und die Verankerung geistiger Eigentumsrechte seit dem Ende des 18. Jahrhunderts im kulturellen Feld diese Rechtsinstitution krisenfest gegenüber den großen politischen Krisen des 20. Jahrhunderts machte. Die Institutionalisierung des geistigen Eigentums in Form von Verrechtlichung, Kommerzialisierung des Marktes, Aufbau von bürokratischen Strukturen und der Professionalisierung der Akteure brachte ein Moment der Kontinuität, das nur wenig und nicht in seinen Tiefenstrukturen von Nationalismus und Faschismus in der ersten Hälfte und vom Staatssozialismus in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts berührt wurde (Hannes Siegrist, Universität Leipzig). Eigentum als Gegenstand und Medium sozialer Aushandlungsprozesse und Interessenskonflikte wurde schließlich aus der Perspektive eines ethnologischen Rechtspluralismus beleuchtet. Am Beispiel Indonesien wurde das Nebeneinander von staatlichem, islamischen und Gewohnheitsrecht geschildert. Diese Überlagerung der drei Rechtssysteme erlaubt Grenzüberschreitungen, die individuellen und kooperativen Akteuren neue Handlungsspielräume eröffnen. So können im Sinne einer ‚Umrechtung’ ganz neue Vermögenswerte entstehen (Genome, Bodenschätze), aber auch, wie das Beispiel des Erbrechts zeigte, eine Flexibilisierung bei der Übertragung von Vermögenswerten (Franz von Benda-Beckmann, Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung, Halle).

In der Diskussion herrschte Einigkeit darüber, dass Eigentum keine Größe an sich ist, sondern eine definierte Zuordnung zu einem Rechtsträger. Das heißt, die Menge an Eigentum ist potentiell unendlich (Martin Kretschmer, Centre for Intellectual Property Policy & Management, Bournemouth University), und vor allem ist Eigentum als Vermögens- und Zuordnungsbeziehung immer präsent und konstitutiv für ein soziales Gemeinwesen. Problematisch und für die Frage nach den Prozessen der Propertization relevant ist das Zusammenspiel von Eigentum als Produkt von Aushandlungsprozessen und Interessenslagen auf der einen Seite und als Gegenstand von Rechtsnormen, Rechtspraxis und gesellschaftlichen Institutionen auf der anderen Seite. Wie kann man diese beiden Aspekte forschungspraktisch miteinander ausbalancieren? Hier wurde vor allem von Seiten der Rechtswissenschaftler davor gewarnt, die Rechtsnormen gegenüber den Aushandlungsprozessen zu sehr unterzubewerten. Aus rechtlicher Perspektive muss Eigentum auf eine bestimmte Weise definiert werden, um Rechts- und damit Handlungssicherheit schaffen und die Komplexität von Rechtsfällen handhaben zu können. Ein ähnliches Vorgehen wurde für die geistes- und sozialwissenschaftliche Forschung vorgeschlagen, die den Wandel von Eigentumsordnungen, -vorstellungen und damit verbundenen Handlungsrechten erforschen solle ausgehend von traditionellen Konzepten und Formen von Eigentum. Denn dann, so das Argument, könne man anstelle einer Auflistung sich ablösender Eigentumsformen viel konzentrierter den Moment fokussieren, in dem sich Handlungsrechte im Sinne von Zuordnungsbeziehungen von Rechtsgütern zu einem neuen Eigentumsverständnis verdichten und das Recht dann dieser Entwicklung nachgibt, indem es sich mittels Reform dem Zeitgeist anpasst (Thomas Dreier, Universität Karlsruhe).

In diesem Zuge wurde die immer wieder aufgeworfene Frage nach den Akteuren in Prozessen der Neu- und Umformung von Eigentumsvorstellungen gestellt (Andreas Busch, University of Oxford, Hertford College). Ihre Interessen und Motive sind zentral für die Skizzierung von Aushandlungsprozessen. Das impliziert zugleich die Möglichkeit, eine um sich greifende eigentumsförmige Verregelung nicht als einen einseitigen Prozess oktroyierenden Charakters zu begreifen, sondern stattdessen die Beidseitigkeit von Aushandlungsprozessen und damit auch Abwehrverhalten zu betonen. Daran anknüpfend wurde warnend auf die konnotativen Bedeutungsebenen des Begriffs Propertization verwiesen, der zuweilen negativ besetzt den Gedanken einer ausschließenden Privatisierung von Eigentum verfolgt und dabei übersieht, dass neue Eigentumsformen nicht nur Freiheitschancen verschließen, sondern sie auch eröffnen können, wie open source Projekte und das Beispiel des Rechtspluralismus zeigen.

In Anbetracht der Vielzahl nationaler Rechtssysteme und der in den Vorträgen angerissenen Komplexität von Eigentum als Gegenstand von Prozessen der Verregelung und Institutionalisierung, der Formulierung kultureller Handlungsrechte und als Medium für Akteure zur Aushandlung und Positionierung eigener Interessen wurde schließlich vor einer zu deutschen Perspektive auf Prozesse der Entgrenzung von Eigentum gewarnt und für mehr Vergleich besonders von Rechtskulturen und Rechtsverflechtungen plädiert.


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