Quality Control and Assurance in Scientific Policy Advice

Quality Control and Assurance in Scientific Policy Advice

Organisatoren
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Interdisziplinäre Arbeitsgruppe „Wissenschaftliche Politikberatung in der Demokratie“, in Zusammenarbeit mit dem Institut für Wissenschafts- und Technikforschung, Universität Bielefeld, und der Britischen Botschaft, Berlin
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
12.01.2006 - 14.01.2006
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Von
Justus Lentsch, Interdisziplinäre Arbeitsgruppe „Wissenschaftliche Politikberatung in der Demokratie“ der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und Institut für Wissenschafts- und Technikforschung (IWT), Universität Bielefeld

Wie kann eine verantwortliche Praxis und Organisation wissenschaftlicher Politikberatung aussehen? Und welchen Beitrag kann die Wissenschaft als Institution dazu leisten? Ereignisse wie die BSE-Krise haben zu einem Vertrauensschwund in eine, wie es heißt, politisierte Politikberatung geführt. Diese Karriere wissenschaftlicher Politikberatung in den letzten Jahren wirft daher nicht allein Fragen nach der Rolle des Experten und seiner Expertise auf, sondern rückt vor allem auch die institutionelle Dimension wissenschaftlicher Politikberatung in den Vordergrund. Vor allem ist zu fragen, wie es um die „Beratungsfähigkeit“ der Wissenschaft und ihrer institutionellen Strukturen bestellt ist1: Besteht ein Zusammenhang zwischen Organisationsform von wissenschaftlicher Politikberatung und ihrer Funktion und Qualität? Ist eine Tendenz zur Professionalisierung wissenschaftlicher Politikberatung zu beobachten? Welches sind die ethischen wie professionellen Normen, die wissenschaftliches Beratungshandeln in den jeweiligen institutionellen Arrangements leiten? Welches Bedeutungsspektrum besitzt der Begriff der Qualität in der wissenschaftlichen Politikberatung?

Den Zusammenhang zwischen Organisationsformen wissenschaftlicher Politikberatung und ihrer Funktion zu beleuchten, hat sich die interdisziplinäre Arbeitsgruppe „Wissenschaftliche Politikberatung in der Demokratie“ der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften zum Ziel gesetzt. Darüber hinaus wird sie mit einem Mandat der Akademie unter der Leitung von Peter Weingart Leitlinien für gute Praxis wissenschaftlicher Politikberatung in Deutschland erarbeiten. Einen wichtigen Meilenstein der Arbeit stellte das Expertensymposium „Quality Control and Assurance in Scientific Policy Advice“ mit führenden Vertretern wissenschaftlicher Beratungsorganisationen, Wissenschaftshistorikern und -soziologen dar, welches die interdisziplinäre Arbeitsgruppe in Zusammenarbeit mit der Britischen Botschaft vom 12. bis 14. Januar 2006 veranstaltet hat.2 Das Symposium sollte erstmals einen repräsentativen Überblick über die Probleme, Standards und Verfahren der Qualitätssicherung wissenschaftlicher Politikberatung geben sowie weiterführende Forschungsperspektiven aufzeigen.

Dazu wurde das Thema der Qualitätssicherung wissenschaftlicher Politikberatung aus der Perspektive von „Modellorganisationen“ wissenschaftlicher Politikberatung diskutiert. Unter Modellorganisationen sind Einrichtungen zu verstehen, die, historisch gesehen, entweder als Vorbild oder als Referenz für die Organisation anderer Einrichtungen wissenschaftlicher Politikberatung in Europa und den USA fungiert haben – wie etwa die deutschen Ressortforschungsinstitute.

Das Thema der Qualitätssicherung ist für das Verständnis der Entwicklung des Verhältnisses zwischen den Systemen Wissenschaft und Politik von großer Bedeutung: Die Selbststeuerung der Wissenschaft durch die interne Qualitätskontrolle qua organisiertem Skeptizismus, vor allem durch Peer Review, ist die zentrale Institution der Wissenschaft; ihre historischen Ursprünge lassen sich bis auf die Royal Society und ihr Publikationsorgan, die Philosophical Transactions, zurückverfolgen.3 Mit der zunehmenden Bedeutung von Anwendungskontexten auch für die Produktion wissenschaftlicher Expertise wird allerdings augenfällig, dass die etablierten Mechanismen der Qualitätssicherung (wie eben traditioneller Peer Review) an ihre Grenzen stoßen, wenn es um die Bewertung von wissenschaftlicher Expertise für die Beratung der Politik geht.4 Zudem variiert das, was jeweils unter 'Qualität' verstanden wird, mit den Produktions- und Anwendungskontexten wissenschaftlicher Expertise und Politikberatung.5 „Qualität“ im Sinne von „fitness for function“ ist daher zu einer zentralen Norm in der wissenschaftlichen Politikberatung avanciert.6 Allerdings stellen, wie die Wissenschaftsforschung gezeigt hat, Qualitätskontrolle und -sicherung in der wissenschaftlichen Politikberatung weder eine einheitliche und wohl definierte noch eine politisch und gesellschaftlich unproblematische Klasse von Verfahren dar.7

In seinem Eröffnungsvortrag illustrierte Sir David King, wie es Großbritannien mit der Institution des leitenden Wissenschaftsberaters auf eindrucksvolle Weise gelingen konnte, verantwortliche und öffentlich akzeptierte wissenschaftliche Expertise im Kern des Regierungshandelns zu verankern: Auf den Glaubwürdigkeitsverlust, welche die wissenschaftliche Politikberatung durch ihre Rolle in der BSE-Krise erfahren hat, wurde dort mit einer offensiven und progressiven Umgestaltung des Systems der wissenschaftlichen Politikberatung reagiert; Großbritannien wurde damit zum Impulsgeber für ähnliche Entwicklungen in anderen Ländern Europas. Mit der Institution des leitenden Wissenschaftsberaters hat ein herausragender und unabhängiger Wissenschaftler einen Platz und eine Stimme am Kabinettstisch – ohne jedoch weisungsgebunden zu sein, wie es beispielsweise bei der Ressortforschung der Fall ist. Zudem ist in Großbritannien mit der Aufstellung von Richtlinien guter wissenschaftlicher Politikberatung, welche Sir David King und sein Vorgänger, Lord Robert May, und der Karriere „evidenzbasierter Politikgestaltung“ eine zunehmende Professionalisierung der wissenschaftlichen Politikberatung zu beobachten.

Das Kommissions-Modell der wissenschaftlichen Politikberatung wurde an den Beispielen einer internationalen und einer nationalen Kommission diskutiert: nämlich erstens im Vortrag von Christian Streffer am Beispiel der 1928 von der International Society of Radiology gegründeten International Commission On Radiation Protection und zweitens von Susan Owens anhand einer nationalen Expertenkommission, der britischen Royal Commission on Environmental Pollution. In ihrem Vortrag zeigte Owens wie eine derartige Kommission durch die Etablierung von Konzepten wie dem der Nachhaltigkeit langfristig politische und gesellschaftliche Diskurse prägen konnte.8

Instruktiv für die aktuelle deutsche Diskussion um die (zukünftige) Rolle der Akademien in der Politikberatung und einer eventuellen Nationalen Akademie, wie sie der Wissenschaftsrat gefordert hat,9 war insbesondere der Vortrag von Peter Blair: Er verglich das Modell der amerikanischen National Academies bzw. ihres operativen Arms, des National Research Council (NRC), mit dem des Office for Technology Assessment (OTA) am amerikanischen Kongress, welches Pate für viele ähnliche Einrichtungen der Technikfolgenabschätzung in Europa gestanden hat. Die Wirksamkeit des NRC-Modells liegt, wie Blairs Vortrag zeigte, in seinen authoritativen Empfehlungen zu spezifischen Politikoptionen begründet, während die Funktion des OTA-Modells vor allem im Anstoß und in der Rahmung öffentlicher Debatten bestand.

Die Bedeutung der institutionellen Arrangements und ihrer Rahmenbedingungen wurden besonders deutlich an dem niederländischen „Polder Model“ der wirtschaftswissenschaftlichen Politikberatung, welches auf den Nobelpreisträger Jan Tinbergen zurückgeht. Seit der Gründung des Central Planning Bureau durch Tinbergen 1948 hat es die Entwicklung der wissenschaftlichen Beratung der Wirtschaftspolitik in den Niederlanden entscheidend geprägt. Vorgestellt wurde dieses Modell der „industriellen Organisation von Politikberatung“ von Frank den Butter. Kern dieses Modells ist die Vorstellung einer klaren Trennung zwischen dem Erzielen eines Konsenses über die Mechanismen der Ökonomie, einem Kompromiss zwischen verschiedenen Politikzielen und schließlich einer unabhängigen Erhebung einer möglichst objektiven Datengrundlage, die in den Niederlanden durch ein unabhängiges Institut, das Central Bureau of Statistics, geleistet wird. Die klare Aufteilung und Zurechnung der Verantwortlichkeiten sollte die Qualität wissenschaftlicher Expertise unter gleichzeitiger möglichst umfassender öffentlicher Beteiligung sicherstellen. Der Erfolg dieses Modells scheint erst einmal gegen eine Verwischung oder gar Aufhebung der Grenzen zwischen Wissenschaft und Politik in der wissenschaftlichen Politikberatung zu sprechen, wie sie im Anschluss an die These von der Herausbildung und Vorherrschaft eines Modus-2 der Wissenschaft immer wieder diagnostiziert wird.10 Sein Erfolg lässt sich allerdings auch auf die besonderen historischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in den Niederlanden zurückführen: eine geringe Zahl politischer Akteure, eine korporatistisch geprägte Beratungskultur und eine hohe personelle Durchlässigkeit zwischen Wissenschaft und Politik.

Bert de Wit stellte mit den niederländischen Sektorräten ein weiteres interessantes Modell der Politikberatung vor: Die seit den 1970er Jahren eingerichteten Sektorräte produzieren nicht selbst Expertise, sondern leisten strategische Beratung und fungieren damit als eine Art „Knowledge Broker“ oder „Boundary Organisation“. Ihre Aufgabe ist es, Forschungsbedarf für die Politikberatung zu erkennen sowie entsprechende Programme zu entwerfen. Weiterhin geben sie Empfehlungen darüber ab, wie wissenschaftliche Expertise besser auf den Beratungsbedarf der Politik abgestimmt werden kann.

Zusammenfassend habe das Symposium gezeigt, dass, wie es Mitchell G. Ash in seinem Impulsbeitrag zu der Abschlussdiskussion formulierte, eine adäquate Analyse wissenschaftlicher Politikberatung den internen Zusammenhang zwischen der Evolution der Vielfalt und Komplexität wissenschaftsbasierter Beratungsorganisationen, die historische Entwicklung von Qualitätsstandards und -begriffen und die zunehmende Reflexivität von Beratungseinrichtungen gemeinsam in den Blick nehmen muss. Weiterhin ist deutlich geworden, dass Qualitätskontrolle und -sicherung in der wissenschaftlichen Politikberatung weder eine einheitliche und wohl definierte noch politisch und gesellschaftlich unproblematische Klasse von Verfahren darstellen. Dies ist, wie Sheila Jasanoff in ihrem Vortrag gezeigt hat, nicht zuletzt darin begründet, dass erstens für die wissenschaftliche Beratung der Politik andere “Produkte” mit anderen Fragestellungen und anderen Zeithorizonten gefordert sind, als sie beispielsweise die akademische Grundlagenforschung liefern kann. Zweitens dient die Qualitätssicherung in der wissenschaftlichen Politikberatung nicht primär interner Selbststeuerung, sondern der Balancierung von Autonomie und Unabhängigkeit beratender Wissenschaft in epistemischer Hinsicht gegenüber ihren Verantwortlichkeiten in Bezug auf die Belange, Werte und Perspektiven von Politik, Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft in politischer Hinsicht. Diese Spannung wirft weiterhin die Frage nach der Professionalisierung wissenschaftlicher Beratungspraxis auf. Die Diskussion der Modellorganisationen wissenschaftlicher Politikberatung lässt vermuten, dass es wohl auch in Zukunft keine universelle und standardisierte „institutionelle Antwort“ geben wird. Deutlich geworden ist allerdings auch, dass eine komparativ angelegte Untersuchung von Beratungseinrichtungen durchaus im Sinne eines Benchmarkings zur Identifikation spezifischer Lösungen zur Qualitätssicherung wissenschaftlicher Politikberatung beitragen kann.

Anmerkungen
1 Vgl. dazu die Anamnese von Peter Graf Kielmansegg in: Heidelberger Akademie der Wissenschaften (Hrsg.), Politikberatung in Deutschland, Wiesbaden 2006, S. 13f.
2 Nähere Information zu dem Symposium und der Arbeitsgruppe unter: http://www.bbaw.de/Forschung/Forschungsprojekte/politikberatung
3 Merton, Robert K., „Recognition“ and „Excellence“: Instructive Ambiguities, in: Storer, Norman W. (Hrsg.), The Sociology of Science: Theoretical and Empirical Investigtions, Chicago/London 1973; zuerst erschienen in: Yarmolinsky, Adam (Hrsg.), Recognition of Excellence: Working Papers, New York 1960, S. 297-328.
4 Eine historische Rekonstruktion der Entstehung der öffentlichen Figur des Experten aus der Ambiguität zwischen objektivem Wissenschaftler und Anwalt, erzählt am Beispiel des Experten vor Gericht, findet sich in: Golan, Tal, Laws of Men and Laws of Nature: The History of Scientific Expert Testimony in England and America, Cambridge/M 2004.
5 Vgl. dazu: Weingart, Peter, Die Stunde der Wahrheit? Zum Verhältnis der Wissenschaft zu Politik, Wirtschaft und Medien in der Wissensgesellschaft, Weilerswist 2001. Vgl. insb. Kap. 4 und 7. Einen Überblick über die Facetten der Beziehung zwischen Wissenschaft und Politik gibt weiterhin: Bogner, Alexander / Törgensen, Helge, Wozu Experten? Ambivalenzen der Beziehung von Wissenschaft und Politik, Wiesbaden 2005.
6 Vgl. Funtowicz, Silvio, Peer Review and Quality Control, in: Baltes, Paul / Smelser, Neil (Hrsg.), International Encyclopedia of the Social and Behavioral Sciences, Amsterdam u.a. 2001, S. 11179-83.
7Locus classicus ist immer noch: Jasanoff, Sheila, The Fifth Branch: Science Advisers as Policymakers, Cambridge/M 1990. Eine gute Einführung in die aktuelle Debatte gibt: Weingart, Peter / Maasen, Sabine (Hrsg.), Democratization of Expertise? Exploring Novel Forms of Scientific Advice in Polical Decision-Making, Sociology of the Sciences, Bd. 24, Dordrecht 2005.
8 Vgl. zu der Geschichte und dem Einfluss der „Royal Commission on Environmental Pollution“ auch: Owens, Susan, The Royal Commission on Environmental Pollution, in: Altner, G. / Simonis, U.E. /von Weizsäcker, E. U. et al. (Hrsg.) Jahrbuch Ökologie 2004, München 2003, S. 96-103.
9 Wissenschaftsrat. Empfehlung für die Einrichtung einer Nationalen Akademie in Deutschland, Berlin 2004.
10 Nowotny, Helga / Scott, Peter / Gibbons, Michael, Wissenschaft neu denken: Wissen und Öffentlichkeit in einem Zeitalter der Ungewissheit, Weilerswist 2004.


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