Schiller - Abbe - Haeckel. Jenaer Selbstbilder im Kontext nationaler Erinnerungskultur

Schiller - Abbe - Haeckel. Jenaer Selbstbilder im Kontext nationaler Erinnerungskultur

Organisatoren
Senatskommission zur Aufarbeitung der Jenaer Universitätsgeschichte im 20. Jahrhundert; Friedrich-Schiller-Universität Jena
Ort
Dornburg (bei Jena)
Land
Deutschland
Vom - Bis
17.11.2005 - 20.11.2005
Url der Konferenzwebsite
Von
Justus H. Ulbricht, Jena

Soviel Erinnerung war nie – das zeigt nicht allein ein Blick in die bei H-soz-u-Kult auflaufenden Konferenzberichte, sondern dies signalisieren die seit über zehn Jahren anwachsenden Aufsatz- und Bücherberge zu Fragen der Erinnerungskultur. Dabei sind sämtliche methodischen Probleme von allen denkbaren Seiten beleuchtet worden; Fragen der nationalen Erinnerungskultur haben sich ‚transnational’, ‚translokal’ oder ‚europäisch’ geweitet. Komparatistische Perspektiven versuchen disziplin- und länderübergreifend dem ‚kollektiven Gedächtnis’ (auch dies bekanntlich ein nicht unumstrittener Begriff) auf die Spur zu kommen. Längst haben Fragen des Erinnerns, Gedenkens (und Vergessens) den Bereich akademisch-theoretischer Debatten verlassen und sind Teil des öffentlichen Räsonnements über Geschichte geworden, zumal – in umgekehrter Perspektive betrachtet – in den letzten 20 Jahren bestimmte politische oder kulturelle Anlässe (40 Jahre Kriegsende, „Historikerstreit“, Holocaust-Denkmal, Goldhagen-Debatte, Walser-Bubis-Debatte, Wehrmachtsausstellung, Zentrum für Vertreibung…) selbst erst den Anstoß für weitere wissenschaftliche Diskussionen und die selbstkritische Befragung der Geschichtswissenschaft hinsichtlich ihrer Fachgeschichte gebildet haben.

Vergleichsweise selten dürfte nach wie vor jedoch das sein, was zwischen dem 17. und 20. November 2005 im ältesten der drei Dornburger Schlösser bei Jena versucht worden ist.

Auf Einladung der „Senatskommission zur Aufarbeitung der Jenaer Universitätsgeschichte im 20. Jahrhundert“ an der Friedrich-Schiller-Universität hatten sich 34 Referentinnen und Referenten sowie zahlreiche interessierte Zuhörer aus Universität und Öffentlichkeit zusammengefunden, um „Jenaer Selbstbilder“ auf deren Funktion und Bedeutung in der „nationalen Erinnerungskultur“ Deutschlands zu befragen.
Die Hintergründe dieses Tagungsvorhabens waren unterschiedlicher Natur: Zum einen markierte die Konferenz einen Zwischenstand auf dem Weg der Erinnerung, den die Friedrich-Schiller-Universität beschritten hat, um dereinst in ihrem Jubiläumsjahr 2008 etwas genauer zu wissen, was die Salana (Saale-Universität) einst gewesen ist und mit welcher Geschichte man in die Zukunft gehen möchte. Zum anderen – und darauf verwiesen die drei ‚großen Namen’ im Konferenztitel – war das Schiller-Jahr 2005 – in der Jenaer Perspektive auch ein Erinnerungsjahr an den Wissenschaftler, Industriellen und Mäzen Ernst Abbe (1840-1905). Weltberühmt war (und ist?) zudem der Name des Zoologen und Weltanschauungsdenkers Ernst Haeckel, des dritten ‚Großen’ im Bunde der Namensgeber für die Tagung, dessen Bild und Mythos man folglich auch abzuklopfen versuchte. Leitend war die Frage, ob ein heute medial groß aufbereitetes Ereignis wie die Erinnerung an den 200. Todestag eines der Weimarer ‚Dioskuren’ überhaupt noch nationale Bedeutung besitzt oder ob es – für Jena und Weimar – nur noch lokale Bedeutung hat.

Das Tagungsprogramm gliederte sich in sieben Teile, die Ordnung in die Flut der Inhalte und methodischen Ansätze bringen sollten:
Eingangs erörterten Rüdiger vom Bruch (Berlin, „Universität – ein deutscher Erinnerungsort?“), Jürgen John (Jena, „Jena – ein deutscher Erinnerungsort?“) und Hans-Werner Hahn (Jena, „Ambivalenzen bürgerlicher Erinnerungskultur“) die „Grundfragen“ (I) der Konferenz. Dabei nahm Rüdiger vom Bruch eine Art Erinnerungslücke zum Anlass seiner Überlegungen – weist doch die Sammlung „Deutsche Erinnerungsorte“ kein Stichwort „Universität“ aus. Das hat – so vom Bruch – natürlich auch etwas damit zu tun, dass Hochschulen in einem gerade im Kulturellen föderal organisierten, politisch territorialisierten Land wie Deutschland nur schwer den Status eines nationalen Erinnerungsortes erlangen können, was zudem auch durch die sehr unterschiedliche Struktur der deutschen Universitäten erschwert wird. Hans-Werner Jahn problematisierte die Kategorie „Ambivalenz“ im Titel seines Vortrags und löste ihn auf zur Polyvalenz der örtlichen Erinnerungskultur, wobei er problematische Aspekte des Erinnerns nicht nur im bürgerlichen Feld wahrnahm. Doch ist die „linke“ Erinnerungskultur der Saalestadt bis heute vergleichsweise schlecht erforscht. Jürgen Johns fundamentaler Beitrag, der die grundsätzlichen der Konferenz zugrunde liegenden Überlegungen aufwarf und problematisierte (in Johns Verantwortung lag die gesamte Planung, auf ihn ging das Tagungsprojekt zurück), wies gleich zu Beginn das Ansinnen zurück, man wolle mit der Tagung Jenas nationale Bedeutung als Erinnerungsort unterstreichen oder gar neu begründen. Vielmehr ging es John darum, Strukturen, Konstellationen und Konnotationen Jenaer Erinnerungsbilder in einer panoramaartigen Überschau zu entwickeln und damit eingangs zugleich zu erklären, wie es zu den einzelnen Themenblöcken und Fragestellungen der Tagung gekommen war. Die kritische Perspektive Johns wurde – so zeigten einzelne Statements in der Diskussion – im weiteren Verlauf der Konferenz hingegen nicht immer beibehalten, manch einer schien zu glauben, Jena sei bis heute uneingeschränkt ein nationaler Erinnerungsort von zwangsläufig überregionaler Bedeutung. Entsprechend kontrovers verlief die Debatte, wollte sich doch die Mehrheit der Teilnehmer eine derart lokalpatriotische Perspektive nicht zu Eigen machen.

Im Themenblock Jena-Deutungen“ (II) sprachen Birgit Sandkaulen (Jena, „Das ‚philosophische’ Jena. ‚Jena’ als Chiffre des deutschen Idealismus“), Jan Urbich (Jena, Das ‚romantische Jena’. Deutsche Literaturgeschichte an der Saale“), Daniel Mollenhauer (Erfurt, „Krieg und Erinnerung: Jena 1806“), Gisela Horn (Jena, „Das ‚weibliche’ Jena“) und schließlich ein der Jenaer Universität und der Stadt lebensgeschichtlich besonders eng verbundener Pädagoge, Andreas Flitner (Tübingen, „Das ‚pädagogische’ Jena“).

Dieter Langewiesches (Tübingen) Grundsatzreferat „Akademische Rektoratsreden und Selbstbilder“ eröffnete den Reigen „Universitärer Selbstbilder“ (III). Es folgten Helmut G. Walther („Identitätswandel in den Jenaer Selbstdeutungen während der Gründungsphase der Universität“), Klaus Ries (Jena; „Das nationale Jena“), Holger Nowak (Jena, „Das ‚burschenschaftliche Jena’“), Joachim Bauer (Jena, „’Aufbruch nach Deutschland’? Die Wartburg und die Burschenschaften im akademischen Selbstbild der DDR-Zeit“), Michael Maurer (Jena, „Jenas ‚via triumphalis’ und die akademischen Traditionsbilder“), Antje Blumbach (Jena, „Die Universitätsjubiläen 1858 und 1908“), Stefan Gerber (Jena, Die Universitätsjubiläen 1858 und 1908“) und schließlich Tobias Kaiser (Jena, „Akademische Jenaer Traditionsbilder nach 1945“).

Die folgenden Sektionen der Konferenz widmeten sich den drei ‚Großen’, also den „Schiller-Bildern“ (IV), „Haeckel-Bildern“ (V) und „Abbe-Bildern“ (VI) und versuchten möglichst differenziert drei für die Jenaer Erinnerungskultur unverzichtbare Personal-Mythen daraufhin zu befragen, welche Rolle diese in nationalen Erinnerungskontexten spiel(t)en. Dazu referierten Justus H. Ulbricht (Weimar, „’Ein Weimarer Klassiker in Jena’: die Schillerjahre 1859-2005“), Jörg Bernhard Bilke (Rodach, „’Denn er ist unser: Friedrich Schiller’. Zur DDR-Rezeption eines deutschen Klassikers“), Klaus Manger (Jena, „’Glückliches Ereignis’ oder dioskurisches Isolationsmodell“), Werner Greiling (Jena, „’Schiller 1789’. Deutungsmuster der Historiker?“), Olaf Breidbach (Jena, „Facetten des Haeckel-Mythos/Internationale Haeckel-Deutungen“), Uwe Hoßfeld (Jena, „Haeckel als NS-Philosoph“), Wolfgang Wimmer (Jena, „Abbe und das ‚industrielle Jena’“), Oliver Lemuth (Jena, „Abbe und der Traum vom ‚Dritten Weg’“), Rüdiger Stutz (Jena, „’Gemeinschaft’ statt Emanzipation: Zur Umdeutung des Gründungsmythos der Carl-Zeiss-Stiftung in der NS-Zeit“), Monika Gibas (Leipzig, „Deutungskonkurrenzen: Abbe- und Technikerbilder der DDR-Zeit“) und zuletzt Rolf Walter (Jena, „Abbe in evolutionsökonomischer Sicht“).
Wer jetzt noch Ohr und Atem hatte, konnte sich auf die VII. Abteilung einlassen: „Das ‚alte’ und das ‚moderne’ Jena“, mithin auf die Beiträge von Meike G. Werner (Nashville/USA, „Das ‚moderne’ Jena“), Christoph Hänel (Jena, „’Das andere Deutschland’? – das ‚moderne’ Jena in amerikanischer Sicht“), Birgit Hellmann (Jena, „Die museale Inszenierung des ‚alten Jenas’: 100 Jahre Stadtmuseum – Jubiläumsausstellungen im Vergleich) und Reinhard Jonscher (Jena, „Die Stadtjubiläen 1936 und 1986“).

Dass man sich einer Stadt, ihrer Aura und ihrem Mythos auch literarisch erinnern kann, zeigte auf wunderbare und zum Teil anrührende Weise eine abendliche Lesung durch Martin Stiebert: „Jena – literarisch erinnert“. Dieser dezidiert ‚unwissenschaftliche’ Beitrag erinnerte alle Zuhörer daran, wie stark Kunst und Literatur – bzw. das gemeinsame Wissen um Texte – die öffentliche Erinnerung prägen – und das das künstlerische Wort Dinge vollbringt, die wissenschaftliche Texte allenfalls umschreiben können.

Der abschließende Sonntagvormittag gehörte ganz den aktuellen Problemen und Konturen der Jenaer Erinnerung(skultur) in der Gegenwart. In einem ausführlichen Beitrag skizzierte Marco Schrul (Jena), die „Jenaer Denkmals- und Traditionsdebatten der letzten Jahre“. Anschließend stellten sich drei „Kommunal- und Museumspolitiker“ (der Kulturdezernent Albrecht Schröter, die Leiterin des Kulturamtes Margit Franz und der Direktor der Städtischen Museen Jena, Holger Nowak) den kritischen Fragen des Publikums zum „Jubiläumspaket 2005/2006“. Eine „Spurensuche“, also eine „erinnerungskulturelle Stadtführung“, beschloss diese ungewöhnliche wissenschaftlich-öffentliche Tagung.

Es kann hier allein schon aus Platzgründen nicht der Ort sein, auf einzelne Beiträge der Tagung einzugehen. Gelungen schien sie allemal nicht nur wegen des interdisziplinären Dialogs, sondern auch deshalb, weil Kulturpolitiker, Museumsleute und Kulturmanager in das Programm eingebunden waren. So blieben die ‚Akademiker’ nicht in jedem Falle unter sich und es wurde deutlich, dass nicht allein Historiker und deren Werke sowie Museen und Sammlungen, sondern auch die touristische Nutzung und Vermarktung von bedeutenden Geschichtsdaten und wichtigen Orten die Art und Weise prägen, wie sich Menschen und Nationen erinnern.

Wohl kaum eine Facette der Jenaer Geschichte(n) blieb auf der Konferenz unbeleuchtet, doch verwies – bei aller Unterschiedlichkeit der Themen und Präsentationsweisen – der Mix der Beiträge, vor allem aber die in kollegialer Weise, aber zeitweise höchst kontrovers geführten Diskussionen, auf einige grundlegende Probleme unseres wissenschaftlichen Redens über ‚Erinnern’ und ‚Vergessen’, die es daher kurz zu skizzieren gilt.

Wenn Akademiker die Texte von Akademikern über Universitäten lesen und interpretieren, droht stets ein Übermaß intellektueller Selbstbezüglichkeit. Immer steht die Rekonstruktion akademischer Selbstbilder in der Gefahr, milieu- und standesspezifische Selbstentwürfe und Erinnerungen als Bild ‚der ganzen’ Universität (oder gar der Nation) zu reproduzieren. Dieser Versuchung entging nicht jeder Referent dieser Tagung. Vollkommen ausgeklammert blieb im Übrigen die Frage, welchen aktuellen Interessen akademischer Eliten heute der erinnerungskulturelle Rückblick dient – dies war hingegen ein Thema so mancher Pausengespräche.

‚Die Universität’ sind nicht die Ordinarien und ein Gesamtpanorama müsste stärker als bisher Stimmen aus dem „Mittelbau“ und der Studentenschaft berücksichtigen. Ohnehin ist unklar – worauf u. a. Rüdiger vom Bruch verwies – ob sich die deutsche Universität überhaupt zum nationalen Erinnerungsort eignet. Unsere Kultur kennt eben keine Sorbonne, keine ENS oder ENA, kein ‚Oxbridge’ oder Harvard. Die deutsche Universitäts- und Kulturlandschaft war und ist nicht zentralistisch, sondern föderal, plural, konfessionell differenziert und folglich recht schwer verbindlich zu ‚nationalisieren’ – sei es universitäts- oder erinnerungspolitisch. Zudem ist unsere Universität keine vergesellschaftende Lebensform für alle ihre Mitglieder, folglich prägt sie Lebensgeschichten und Biographien auf andere Weise als die erwähnten Hochschulen in anderen Ländern.

Zu unterscheiden ist eine erinnerungskulturelle Geste, die in den auf Jena bezogenen Beiträgen deutlich wurde, von ihrer Wahrnehmung von außen. Was man also in der Saalestadt zu manchen Zeiten als ‚national bedeutend’ empfunden hat, war oftmals nur eine rhetorische Selbsterhöhung der Provinz und lokaler Milieus. Ob diese selbst generierte Bedeutung im überregionalen, nationalen oder gar internationalen Kontext eine Rolle spielte, ist eine vollkommen andere Frage. Wenn man also – wie in Jena geschehen – Goethe zu „unserem Minister“ und Schiller zu „unserem Kollegen“ umdeutet, verweist dies nicht automatisch auf die nationale Wichtigkeit der Salana und ihrer Stadt, sondern darauf, dass bestimmte Interessengruppen frei flottierende nationale Deutungsmuster an eigene Diskurse ankoppeln, um diesen größere Wichtigkeit zu verleihen. Ob man mit solchen Formen der selbstreferentiellen Bedeutungszuschreibung auch nationale Bedeutung erlangt, müsste man an anderen als nur Jenaer Quellen verifizieren.

Disziplin- und Fakultätsgeschichten bestehen nicht nur aus Erinnerungs-Diskursen. Diese Banalität muss man – wie einige wenige Beiträge der Tagung verdeutlichten – immer wieder betonen. Die Rekonstruktion von disziplingeschichtlichen Entwicklungen und Bedeutungen ist legitim, im Einzelfall sehr erhellend und gehört fraglos zur historischen Selbstverständigung einzelner Fächer und der Universität insgesamt. Disziplingeschichten verweisen jedoch genauso häufig auf internationale Zusammenhänge in der academic und intellectual community und gerade nicht auf nationale Bedingtheiten oder Facetten der eigenen Erinnerungskultur.

Deutlich wurde an manchen, teilweise fast erregt geführten Diskussionen, dass Grenzen und Bezüge der real- bzw. der rezeptionsgeschichtlich perspektivierten Rekonstruktion von Vergangenheiten immer wieder neu ausgehandelt werden müssen. So legitim es ist, gegenüber späteren Instrumentalisierungen, Politisierungen und Mythisierungen die ‚Wirklichkeit’ des Gegenstandes im eigenen historischen Kontext zu betonen, so wenig hilft es – gerade im Zusammenhang erinnerungskultureller Debatten – die ‚Wahrheit’ der Sache gegen die ‚Lüge’ ihrer nachträglichen Deutung auszuspielen. Paradigmatisch formuliert: Nationale Erinnerungspolitik wurde im Falle von „Schiller-Abbe-Haeckel“ nicht auf Grundlage des heutigen historischen Verständnisses gemacht, sondern anhand der Um- und Fehldeutungen der Überlieferung, der selektiven Rezeption, der Mythen um die Personen und nicht der tatsächlicher Biographie.

Trivialisierung – so einst Friedrich H. Tenbruck – ist nicht allein das Schicksal hoch spezialisierten Wissens, sondern auch die Voraussetzung von dessen Verbreitung. Andererseits – und dies zeigte sich auch auf dieser Konferenz – ist es problematisch, wenn Theoreme der Erinnerungskultur-Debatten aus ihren ursprünglichen Bezügen und gelöst werden und dann in sämtliche weitere Diskurse über ‚Erinnern’, ‚Vergessen’ und ‚Gedächtnis“ diffundieren (auch dies ein Begriff aus ursprünglich naturwissenschaftlichem Zusammenhängen). So gingen Kategorien wie „Erinnerungsort“, „Ort der Erinnerung“, „Erinnerungsstätte“, „Gedenkstätte“ – oder gar „Identität“ – und deren sprachliche Mutationen munter durch die Debatten, wurden mal synonym, mal kontrafaktisch verwendet und bezeichneten höchst differente Problemaspekte und Dingwelten.

Dem Wort „Erinnerungsort“ selbst – und das scheint im Blick auf den Untertitel der Jenaer Tagung besonders wichtig – ging so manchmal derjenige Kontext verloren, der allein aus historischer Sicht seine Rolle im ‚kollektiven Gedächtnis’ konstituiert – der Bezug auf Nation und Nationalkultur, wie ihn Pierre Noras entwarf und Hagen Schulzes und Etienne Francois’ im Blick auf Deutschland verwendeten.

So verweist die Frage nach der „nationalen Erinnerungskultur“ letztlich auf die – mit einem ebenso längst umstrittenen Begriff bezeichnete – „nationale Identität“; auf die immer wieder angestellte Suche nach dem Kern unseres historischen Selbstverständnisses und einem denkbaren (wünschbaren?) Kanon des kulturellen Gedächtnisses. Das mögen manche als ‚falsche Frage von Gestern’ bezeichnen; aber dass wir uns in Deutschland und Europa ständig erinnerungsgeschichtlich selbst prüfen, hat wohl mit unserem ‚Heute’ etwas zu tun und ist ebenso sozial getönt wie diejenigen Diskussionen und Diskursformationen, die auf der Dornburg Thema waren.

Unausweichlich – doch im Sinne der Erinnerung an die Erinnerung auch notwendig – wird dieser anregenden Tagung im Herbst 2006 ein Konferenzband folgen, mit dem wohl erstmalig in Deutschland eine Universität und eine Stadt auf deren nationale, erinnerungskulturelle Bedeutung hin umfassend befragt werden.

Etwas anderes aber ist ebenso sicher – und das wusste schon Friedrich Nietzsche: „Es kennzeichnet die Deutschen, dass bei ihnen die Frage ‚was ist deutsch?’ niemals ausstirbt.“