>> Past forward. Zur Darstellung von Geschichte in verschiedenen Medien

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Organisatoren
Bettina Effner, Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde; Kathrin Kollmeier, Humboldt-Universität Berlin; Jessica Kraatz Magri, Humboldt-Universität Berlin; Studienstiftung des deutschen Volkes
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
07.10.2005 - 09.10.2005
Url der Konferenzwebsite
Von
Bettina Noack, Univ. Duisburg-Essen, Kulturwissenschaftliches Institut Essen

Die Debatte um die Narrativität der Geschichtsschreibung hat ein Einfallstor für konkurrierende Geschichtsbilder aus verschiedenen Medien eröffnet. Haben Historiker wie Marc Ferro und Robert A. Rosenstone den Spielfilm diskussionswürdig gemacht, kommen nun auch noch andere Produkte der Massenkultur wie der Comic und das Computerspiel hinzu. Zudem nehmen diese populären Geschichtsbilder wahrscheinlich viel stärkeren Einfluss auf allgemein verbreitete Geschichtsvorstellungen als die Ergebnisse der Geschichtswissenschaft.

Gefördert wurde das Forschungskolloquium von der Studienstiftung des deutschen Volkes. Die Veranstalterinnen, Bettina Effner, Kathrin Kollmeier und Jessica Kraatz Magri, sind Historikerinnen und Museumspraktikerinnen. In ihrer Einleitung gaben sie an, dass es für sie bei der Auswahl der Beiträge wichtige Kriterien waren, dass sich diese der Beziehung von Bild und Objekt bzw. Text widmen, außerdem ging es ihnen um Interdisziplinarität und die Begegnung von Praktikern und Wissenschaftlern. Insgesamt hatten sie ein Programm aus durchaus heterogenen Vorträgen zusammengestellt, das jedoch einen klaren Problemkern besaß.

Philipp Müller und Remigius Bunia zielten mit ihren einführenden Vorträgen direkt auf diesen Kern: die Fiktionalität der historischen Erzählung. Mit den neuen Medien stellt sich dieses Problem in veränderter und verschärfter Form. Beide Referenten versuchten auf theoretischer Ebene Lösungen anzubieten: Für Müller ist das Unternehmen, den Unterschied zwischen Wahrheit und Fiktion ontologisch zu entscheiden, gescheitert, und er schlägt stattdessen eine sprachpragmatische Lösung vor: Es gehe darum, das Handlungskalkül der Akteure zu berücksichtigen. Eine Fiktion ist, was vom Adressaten als Erfindung gedeutet wird. Bunia gab aus der Perspektive von Niklas Luhmanns Differenztheorie zu bedenken, dass Fiktionen den Vorteil größerer Unverbindlichkeit haben. Dabei besitzen sie dasselbe Potenzial wie faktische Berichte, brauchbare Unterscheidungen zu unterstützen.

Barbara Picht legte in einem Vortrag über den George-Kreis dar, dass Hayden White und Roland Barthes in den Siebzigerjahren nicht die Ersten waren, die sich des Problems der ästhetischen Dimension von Geschichtsschreibung bewusst wurden – dass es dieses Bewusstsein schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gab.

Eine Vorläuferschaft anderer Art versuchte Jens Meinrenken nachzuweisen: Der Teppich von Bayeux, der wahrscheinlich zwischen 1075 und 1080 entstanden ist und die Schlacht von Hastings zeigt, hat eine reiche Wirkungsgeschichte entfaltet und wird von ihm als textiler Vorbote moderner Kriegsbilder gedeutet. Beispielsweise spannte man den schmalen, 68 Meter langen Streifen im 19. Jahrhundert auf zwei Zylinder, um ihn als eine Art bewegliches Panorama zu präsentieren. Oder man reproduzierte ihn: 35 Frauen stickten 1885 eine Kopie für England.

Eine frühzeitige Dynamisierung des Bildes stellte auch Jörn Münker bei einem Flugblatt von 1688 fest: Hier ist es der Blick des Betrachters, der in Bewegung gerät. Alternativ zur kritischen Linearität von Geschichtsschreibung und ihren schriftlichen Quellen entsteht so ein Komplex an Leseweisen. Bleibt einzuwenden, dass Teppich und Flugblatt als Massenkultur avant la lettre Konstruktionen im Nachhinein bleiben.

Der Spannungsreichtum zwischen Bild und Text, der sich in einem frühneuzeitlichen Flugblatt ausmachen lässt, wird in der Moderne durch das Amorphe der Fotografie erneut virulent. Dieser Spannung bedienen sich, wie Thomas von Steinaecker vortrug, beispielsweise Bertolt Brecht in seiner Kriegsfibel (1944-55) und Alexander Kluge in der Schlachtbeschreibung (vierte Fassung, 1978) - der eine für sein unzweideutig moralisches Klassenziel, der andere für ein opakes Aufklärungsprojekt.

Die Reflexion über den Wahrheitsstatus des Bildes ist natürlich genuines Sujet postmoderner Künstler: in der Literatur, im Film und sogar im Comic. Julia Apitzsch referierte Don DeLillos Überlegungen zum kollektiven Bilder-Gedächtnis, und Julia Mai stellte die halbdokumentarische Medienreflexion des Filmemachers Chris Marker LEVEL FIVE (1996) vor. In der Diskussion kam die Frage auf, ob Letzterer bei aller Dekonstruktion seines Materials nicht einen Rest Wirklichkeit zu zeigen sucht. Hier zeichnete sich die Möglichkeit einer „realistischen“ Wende ab – wenn nicht bei Marker selbst, so doch in den Beiträgen der Tagungsteilnehmerinnen und -teilnehmer.

Zu Markers Medienreflexion gehören nicht nur das filmische Dokumentarmaterial, sondern auch Ausschnitte von Computerspielen. Dass man über solche Spiele mit historischem Hintergrund in geschichtstheoretischen Kategorien diskutieren kann, legte am zweiten Tag Gunnar Sandkühler dar: So sind Wirtschaftssimulationen beispielsweise einer Makroperspektive vergleichbar, Ego-Shooter der Mikroperspektive; so genannte Cross-Genre-Spiele ermöglichen Übergänge zwischen beiden Ebenen.

Der zweite Tag war im Wesentlichen der historischen Ausstellung gewidmet: So ging es um Geschichtsbilder, die in den Museen entstehen, und die die Aufgabe haben, akzeptiertes historisches Wissen zu vermitteln. Kommentiert wurde dieser Teil der Veranstaltung von der Museologin Léontine Meijer.

Die Vorträge von Tasja Langenbach und Gorch Pieken stellten die problematischen Beziehungen heraus, die das Museum mit den Medien eingehen kann: Langenbach führte die multimediale Dekonstruktion des Museums durch den Künstler George Legrady vor. Das Museum ist ihm Sinnbild einer positivistischen Geschichtsschreibung. Auf einer CD-Rom setzt er dem den Grundriss eines abgerissenen Museums entgegen, das sich als Archiv seiner persönlichen Erinnerungen herausstellt.

Pieken, zum Tagungszeitpunkt Leiter der Multimedia-Abteilung des Deutschen Historischen Museums in Berlin, stellte eine Fernsehreihe vor, die diese Institution zusammen mit ZDF/Arte produziert hat. Die Hochglanzbilder, die er vorführte, zeigten, dass das Fernsehen mit dem Museum eine fruchtbare Verbindung eingehen kann. Diese ist dabei weniger spannungsvoll, als manche Zuschauerin und mancher Zuschauer das erwartet und vielleicht auch erhofft hätten.

Joachim Baur gab in seinem Vortrag zu Bedenken, dass sich das Museum keineswegs weiter als unantastbarer Ort der offiziellen Geschichte kaprizieren muss. Die postmoderne Debatte um die Ästhetik von Geschichtsdarstellung kann dort fortgesetzt werden, um sich in der Spannung zwischen historischer Ausstellung und Kunstinstallation wiederzufinden. Ulrich Schwarz, Gesellschafter einer Firma für Ausstellungsgestaltung und Professor an der Universität der Künste Berlin, stellte den musealen Anspruch auf Objektivität infrage: Der Ausstellungsgestalter müsse Partei ergreifen. Er müsse sich sein Geschichtsbild und seine Wertvorstellungen, die ja doch unausgesprochen zum Tragen kämen, bewusst machen, um – wie etwa Bertron & Schwarz in einem Segment der Dauerausstellung des Jüdischen Museums in Berlin – klar Position zu ergreifen.

Jane Redlin beschloss diesen Teil der Tagung, indem sie die Ausstellung ÜberLeben – Umbruchzeiten 1945 des Museums Europäischer Kulturen, Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin vorstellte, die an die Alltagsbewältigung in der unmittelbaren Nachkriegszeit erinnert. Die sechs Bereiche „Zwangsemigration“, „Ernährung“, „Kleidung“, „Leben der Kinder“, „kulturelles Leben“ und „Reflektion der Zeit durch die Kunst, einschließlich der Fotografie“ zeigen eine Abkehr in den Museen von der Repräsentation der master narratives und die Hinwendung zu individuellen Leidenserfahrungen.

Äußerst anregend für die Diskussion war das Rahmenprogramm der Tagung. Es gab zwei Filmvorführungen im Zeughauskino des Deutschen Historischen Museums: DAS GOEBBELS-EXPERIMENT (2004, Regie: Lutz Hachtmeister) und DAS HIMMLER-PROJEKT (2002, Regie: Romuald Kamarkar). Anschließend standen die Filmemacher, im Fall des GOEBBELS-EXPERIMENTS der Drehbuchautor Michael Kloft (Spiegel TV), zum Gespräch zur Verfügung, das Rainer Rother moderierte.

In der Diskussion entstand vor allem der Eindruck einer unglücklichen Namensähnlichkeit beider Filme: DAS GOEBBELS-EXPERIMENT, das in den Feuilletons durchaus Anerkennung fand, ist weit davon entfernt, ein Experiment zu sein; der Film ähnelt eher den gängigen Produktionen von Spiegel TV. Die Fernsehjournalisten haben weitgehend unbekanntes Dokumentarmaterial mit Tagebucheintragungen Joseph Goebbels’ (vorgelesen von Udo Samel) montiert. Dies geschah offensichtlich im Bestreben, eine einfache Geschichte im Sinne von „Propaganda-Chef Goebbels gegen seinen populistischen Rivalen Churchill“ zu erzählen. Der Drehbuchautor Kloft wies darauf hin, dass es für das Produktionsteam unproblematisch erschien, die Perspektive des Massenmords auszublenden, weil er Goebbels privat eben auch nicht interessiert hat.

Demgegenüber zeichnet sich Kamarkars Werk durch stärkere Reflektiertheit aus. Er mutet dem Zuschauer Himmlers „Posener Rede“ in ihrer vollen Länge zu. Vorgetragen wird sie über drei Stunden in einer neutralen Kulisse von dem Schauspieler Manfred Zapatka. Der Regisseur konfrontiert uns aus einem Abstand von circa 60 Jahren mit diesem Dokument, das er dem „papierenen Gedächtnis“ des Archivs entrissen hat. Nah- und Großaufnahmen erzeugen Intensität, auch wenn Zapatka ohne jede Emphase vorträgt. An einer Stelle wird der Zuschauer durch einen irritierenden Blick des Schauspielers in die Kamera daran erinnert, selbst in diesem Moment Adressat der Rede zu sein. Andererseits tut der Regisseur viel, um die spärliche Inszenierung aufzubrechen: Die Kamera springt einmal hinter die Kulissen, um dort das unübersichtliche Kabelgewirr zu zeigen; an anderer Stelle lässt er einen „Hänger“ Zapatkas ungeschnitten. Obwohl Kamarkars Film unter anderem den Grimme-Preis erhalten hat, gab es, wie er berichtete, wiederholt Schwierigkeiten bei der Aufführung - während es im Falle von Hachtmeisters Film sogar möglich war, ihn mit einem Goebbels-Plakat zu bewerben.

Am letzten Tag der Konferenz kamen zwei weitere Autorinnen massenkultureller Geschichtsbilder zu Wort, deren Arbeiten während der Tagung ausgestellt waren: die Comiczeichnerinnen Ingrid Sabisch und Elke Steiner. Sabisch hat eine Comicbiografie über Albrecht Dürer angefertigt, Steiner arbeitet an einem ähnlichen Projekt über die vergessenen Mitglieder der Familie Mendelssohn. Bereits erschienen ist der Band Die anderen Mendelssohns – Dorothea Schlegel, Arnold Mendelssohn.

Des Weiteren ging es an diesem Tag um den Kosovo- und Bosnien-Konflikt. Michaela Schäuble und Daniel Šuber zeigten, wie der serbische Film der Neunzigerjahre ein mythisches Zeitbewusstsein zu Tage fördert, in dem Zeit zyklisch ist und der Krieg, seit der 600 Jahre zurückliegenden Schlacht auf dem Amselfeld, nicht endet. Die beiden Forscher hoffen, durch die Vermittlung der Filme der Falle des „Balkanismus“ zu entgehen – einer Konstruktion des Anderen, die das so bezeichnete Territorium als negativen Referenzrahmen nimmt. In ihren Augen eröffnet etwa Emir Kusturicas Spielfilm PODZEMLJE (UNDERGROUND, 1995) dem Zuschauer die Position eines Dritten, der seine eigenen Schlüsse ziehen kann.

Stefanie Diekmann stellte zum Abschluss Joe Saccos Comic Safe Area Goradže (2000) vor. Der Zeichner, der sich 1995/96 in Bosnien aufhielt, reflektiert darin, in einer Art Comic-Journalismus, die Probleme von Zeit und Unmittelbarkeit in der Berichterstattung über den Krieg – in einem Medium, das gerade nicht unbedingt zeitlich ist. Das richtige Timing oder das Zuspätkommen erhalten bei Sacco plötzlich eine moralische Qualität.

Die Vielfalt der Beiträge war eine der Stärken der Tagung, machte es aber andererseits schwer, in der Abschlussdiskussion allgemeine Ergebnisse zu formulieren. Wie Remigius Bunia feststellte, sind Hayden Whites Thesen inzwischen Allgemeingut und bedürfen keiner Erläuterung noch Fürsprache mehr. Eher zeichnen sich Bemühungen ab, neue Lösungen für die Probleme zu finden, die er aufgeworfen hat. Die sind freilich so unterschiedlich wie das Material, mit dem sich die Referentinnen und Referenten befassen. Falls es einen Tagungsband geben sollte, wird dieser zweifellos einen Montagecharakter haben, aber das ist beim Thema „Geschichte in verschiedenen Medien“ nicht nur unvermeidbar, sondern sicher auch produktiv.