Römische Zentrale und kirchliche Peripherie. Das universale Papsttum als Bezugspunkt der Kirchen von den Reformpäpsten bis zu Innozenz III

Römische Zentrale und kirchliche Peripherie. Das universale Papsttum als Bezugspunkt der Kirchen von den Reformpäpsten bis zu Innozenz III

Organisatoren
Jochen Johrendt, Deutsches Historisches Institut in Rom; Harald Müller, z.Zt. Universität Leipzig.
Ort
Rom
Land
Italy
Vom - Bis
20.01.2006 - 20.01.2006
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Von
Harald Müller, Institut für Geschichtswissenschaften Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte II, Humboldt-Universität zu Berlin

Der Zentalisationsprozess der mittelalterlichen Kirche, speziell die Epoche von den Reformpäpsten bis zu Innozenz III., wurde bisher vorrangig aus der Perspektive der Päpste und den in päpstlichen Verlautbarungen artikulierten Ansprüchen beschrieben. Die Blickrichtung Roms auf die Gesamtkirche dominiert die Forschung. Der Studientag am Deutschen Historischen Institut in Rom hatte sich jedoch nicht dem komplexen Gesamtthema der Zentralisation gewidmet, sondern sich bewusst auf die Instrumente konzentriert, die den Päpsten zur Durchdringung der lateinischen Kirche zur Verfügung standen. Ziel und Anliegen war es, zu einem besseren Verständnis von der Praxis des Austausches zwischen römischer Zentrale und kirchlicher Peripherie zu kommen, dem Geben und Nehmen zwischen beiden, wobei Zentralisierung als eine Durchdringung der Kirche von Seiten Roms und eine Homogenisierung der lateinischen Kirche in ihrer Gesamtheit verstanden wurde. Aufgrund der beschränkten Zeit konnte dies nur exemplarisch geschehen. Dabei wollte die Veranstaltung nicht einen möglichen Arbeitstitel „Das Papsttum und die Regionen“ lediglich in „Die Regionen und das Papsttum“ umformulieren. Vielmehr sollten beide Perspektiven kontrastiv nebeneinander gesetzt werden. Die Sicht Roms auf die Instrumente, wurde mit deren Akzeptanz und Interpretation in unterschiedlichen Regionen Europas konfrontiert. Dazu wurde die Tagung in zwei Sektionen aufgeteilt, in „römische Zentrale“ und „kirchliche Peripherie“.

Teil 1: Römische Zentrale

Der erste Teil der Giornata fokussierte die Sicht Roms auf ihre Instrumente. Die Referenten konnten hier als ausgewiesene Spezialisten aus ihren eigenen reichhaltigen Forschungen zu den von ihnen abgedeckten Themen schöpfen, die gelungen auf die Fragestellung zugeschnitten waren.

Der erste Vortrag dieser Sektion befasste sich mit dem kanonischen Recht. Lotte Kéry (Bonn) verdeutliche in ihrem Referat mit dem Titel „Post vom Papst - Dekretalenrecht zwischen Zentrale und Peripherie“, dass zwar die wachsende Rechtsgeltung der Dekretalen klar an die Ausbildung des päpstlichen Primats, die Stellung des Papstes als oberstrichterliche Instanz innerhalb der Kirche gekoppelt war. Doch ging es nicht allen Sammlungen um eine systematische Sammlung und Interpretation der Dekretalen, sondern ein Teil orientierte sich bei der Zusammenstellung an den Bedürfnissen sowie Konflikten vor Ort und formte die Rechtsbildung damit durch die eigenen Vorstellungen. Als Bezugspunkt hatte sich zudem Bologna als eine Art Neben-Zentrum herausgebildet, das sich teilweise auch über die Interpretationen Roms hinwegsetzte.

Der Erfassung und Formung des Raums durch die römische Zentrale widmete sich der Vortrag „Wie die urbs zum orbis wurde. Das Papsttum und die Entstehung eines Kommunikationsraumes“ von Thomas Wetzstein (Frankfurt am Main). Mit Leo IX. begann eine völlig neue Erfassung und Durchdringung des Raums durch die Päpste. Das Vorbild der bischöflichen Verwaltung einer Diözese wurde nun auf die päpstliche Verwaltung der Gesamtkirche übertragen. Die mit den Reformpäpsten beginnende Zurückdrängung des Eigenkirchenwesens hatte ein Aufbrechen der kleinräumigen Kommunikationsstruktur zur Folge, was den effektiven Einsatz neuer Instrumente des „Herrschens aus der Ferne“ erst ermöglichte. Begrifflich aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang, dass der Terminus orbis in der Bedeutung des Rechtsraumes, der dem Papst untersteht, nicht vor 1216 nachzuweisen ist.

Die beiden nächsten Referate widmeten sich den beiden Instrumenten, die für die Kirchen der unterschiedlichen Regionen am deutlichsten als päpstliche Mittel der Durchdringung faßbar wurden. Claudia Zey (Zürich) sprach über „Die Augen des Papstes – Päpstliche Legaten als Informations- und Entscheidungsträger“. Richtete sich bei Gregor VII. noch jeder zweite Brief direkt an Legaten und hier schwerpunktmäßig an die ständigen Legaten, so wird dieser Anteil in den Briefen immer geringer, da von Paschalis II. an kaum mehr lokale Amtsträger zu Legaten ernannt wurden. Die Quellensituation spiegelt die Veränderung im Einsatz der Legaten wider. Unter Alexander III. erfolgte eine Monopolisierung der Legationen durch die Kardinäle, lokale Amtsträger wurden nun als nuntii bezeichnet. Die Bedeutung der Kardinallegaten im Kardinalskolleg wird daran deutlich, dass sich die sanior pars im Sinne der legationserfahrenen Kardinäle in den Schismen von 1118, 1130 und 1159 stets auf seiten des später obsiegenden Kandidaten gestellt hatte.

Das Pendant zu den in die Konfliktregionen geschickten Legaten, die aus diesen stammenden Delegaten, behandelte Harald Müller (Leipzig) mit seinem Referat „Entscheidung auf Nachfrage. Die delegierten Richter als Verbindungsglieder zwischen Kurie und Region sowie als Gradmesser päpstlicher Autorität“. Die Appellation an den Papst konnte ihre Ursache im Orientierungsbedarf der Kläger oder der bewußten Überwindung des lokalen Rechtsverbundes haben. Sie bedeutete die Akzeptanz der päpstlichen Autorität im konkreten Klagefall. Die ersten Nachweise reichen bis zu Alexander II. zurück, von einer vollen Entwicklung des Instrumentes kann man aber erst unter Alexander III. ausgehen. Die Summe der Prozesse am Ende des 12. Jahrhunderts verdeutlicht die gestiegene Akzeptanz päpstlichen Handelns vor Ort. Doch fehlen immer noch genügend regionenbezogene Studien, um etwa den Befund, dass die ersten delegierten Richter in Böhmen nicht vor 1188 nachzuweisen sind, in ein Gesamtpanorama der Delegationsgerichtsbarkeit angemessen einordnen zu können, zumal die Forschung immer noch stark durch die Perspektive der Zentrale geprägt ist.

Teil 2: Kirchliche Peripherie

Der zweite Teil der Tagung stand im Zeichen vertiefender Beobachtungen zu einzelnen Landeskirchen. Dabei wurden Kernregionen der lateinischen Christenheit wie Frankreich bewusst einem Land wie Polen gegenübergestellt, das erst spät dem christlichen Glauben römischer Prägung geöffnet wurde, die geographische Nähe Italiens mit der Randlage der iberischen Halbinsel konfrontiert. Diese bewusst asymmetrische Auswahl, so die Erwartung der Veranstalter, sollte nicht nur eine gewisse Bandbreite an Variationen im Verhältnis zu Rom zu Tage fördern. Vielmehr sollte sie den Blick schärfen für die strukturellen Unterschiede des Rom-Kontakts und seine daraus resultierenden uneinheitlichen, möglicherweise auch diskontinuierlichen Entwicklungen.

Den Auftakt machte Ingo Fleisch (Erlangen), der unter dem Titel „In extremis mundi finibus ... – der westiberische Raum und das Papsttum vom 11. bis ins 13. Jahrhundert“ einen dichten Überblick über die vielfältigen Beziehungen beider Partner gab. Die Reconquista schuf hier konkrete Organisationsprobleme, die sich als willkommenes Anwendungsfeld päpstlicher Autorität erwiesen. Fleisch stellte die strukturellen Unterschiede der Kirchenpolitik in den einzelnen Reichen heraus und verwies auf bewusste Rom-Imitation, etwa in Santiago de Compostela unter Diego Gelmirez. Auch die steigende Anzahl juristisch gebildeter Kleriker und deren Einsatz gegen Ende des 12. Jahrhunderts fernab von Rom waren zu konstatieren.

Ein wenig erforschtes, zumindest aber dem durchschnittlichen westlichen Historiker kaum bekanntes Feld eröffnete Przemysław Nowak (Warschau) den Zuhörern mit seinem Beitrag „Die Kirchenprovinz Gnesen und die Kurie im 12. Jahrhundert“. Ganze 31 Papsturkunden weist Polen bis 1198 auf. Nowak bereicherte dieses Spektrum um den nachdrücklichen Hinweis, dass den historiografischen Quellen insbesondere für die Missionen päpstlicher Legaten nach Polen manche Nachricht abzugewinnen sei, und gab einige Kostproben daraus. Der Vortrag wartete zudem mit einigen überraschenden Deutungen auf. So ließ er erkennen, dass das berühmte Exemplar der Collectio Tripartita Ivos von Chartres erst circa 1110 nach Gnesen gekommen sei, und damit später als die Forschung bislang glaubte; man darf auf die Nachweise gespannt sein.

Zwei Beiträge befassten sich mit Italien. Unter dem Titel „Chiesa romana e chiese della Lombardia: prove ed esperimenti di centralizzazione“ widmete sich Nicolangelo D’Acunto (Brescia) einer Region, deren Verhältnis zum Papsttum traditionell schwierig war, weil insbesondere die Kirche von Mailand einen Primat Roms nur widerstrebend anerkennen wollte und sie zudem zumindest partiell unter dem Gebot des Reiches stand. D’Acunto präsentierte daher statt einer geradlinig verlaufenden Zentralisierung die Beziehungslinie zwischen Rom und der päpstlichen Kirche als Sinuskurve. Besonders bemerkenswert erscheint die vom Referenten herausgearbeitete Beobachtung, dass die Versuche der Zentralisierung keineswegs nur im Einsatz vertrauter Mittel bestanden, sondern ein situationsgebundenes Experimentieren erkennen lassen.

Jochen Johrendt (Rom) stellte diesen Betrachtungen einen Vortrag an die Seite, der die Besonderheiten der historischen Entwicklungen vor allem in Kalabrien beleuchtete („Der Sonderfall vor der Haustür – Unteritalien und die Kurie“). In systematischer Auswertung der erhaltenen Zeugnisse unterzog er die gesamte Palette der Mittel, die das Papsttum üblicherweise einsetzte, um seine Autorität in der Ferne zur Geltung zu bringen, einer Überprüfung. Dabei stellte sich heraus, dass die Doppelwahl von 1130 das Verhältnis Unteritaliens zu Rom nachhaltig geprägt hat. Die enge Zusammenarbeit zwischen Anaklet II. und Roger II. von Sizilien erwies sich nach der Niederlage Anaklets als Hypothek; man hatte auf den Falschen gesetzt. Die Zahl der Papsturkunden erreichte nach Beilegung des Schismas nie wieder dieselbe Frequenz wie in den 1120er Jahren. Von einem geradlinig verlaufenden Prozess der Hinordnung der Kirche auf Rom kann also in diesem Fall keine Rede sein. Andererseits rissen die Verbindungen zum Papst auch nicht ab, wie unter anderem päpstliche Bestätigungen von lokalen Schiedsgerichtsurteilen und der päpstliche Weihevorbehalt für einige Äbte dokumentieren.

Rolf Große (Paris), „La fille aînée de l’Église: Frankreichs Kirche und die Kurie im 12. Jahrhundert“ gab einen Überblick über die traditionell engen Beziehungen zwischen Papsttum und französischer Kirche, die sich praktisch auf alle Felder erstreckten, die am Vormittag angerissen worden waren. Trotz der politischen Zersplitterung, die eine Gesamtbetrachtung erheblich erschwert, kann Frankreich als die stabilste Stütze der Päpste angesehen werden. Es gelang Große in überzeugender Weise, nicht nur die Zusammenarbeit zwischen beiden Partnern zu dokumentieren, sondern auch aufzuzeigen, dass in Frankreich das römische Vorbild bereitwillig nachgeahmt wurde – etwa bei der Gestaltung von Bischofsurkunden. Die Quintessenz des Vortrages „Ohne die französische Kirche wäre das Papsttum im 12. Jahrhundert nicht zur universalen Macht aufgestiegen“ verschiebt im Prozess kirchlicher Zentralisierung die Gewichte eindeutig zu Ungunsten Roms.

Abschließend beschäftigte sich Stefan Weiß (Paris) mit dem Verhältnis der römischen Kirche zum Reich, exemplarisch charakterisiert anhand von „Papst und Kanzler – Das Papsttum und der Erzbischof von Köln im 12. Jahrhundert“. Im Mittelpunkt des Beitrags stand die Frage nach römischer Einmischung in die Kölner Bischofs-Erhebungen. Mehr und mehr wurde dabei die beherrschende Rolle des Erzbischofs als Reichsfürst herausgearbeitet, der an politischen Entscheidungen unmittelbar beteiligt war.

Die schwierige Aufgabe der Zusammenfassung oblag Klaus Herbers (Erlangen). Er gliederte seine Beobachtungen in vier Punkte:
1. befand er es für schwierig, die beiden zentralen Begriffe des Tagungstitels „Zentrum“ und „Peripherie“ zuverlässig zu bestimmen. Die suggerierte Unterscheidung unterliege doch zahlreichen differenzierenden Faktoren und werde so der komplexen Situation nur bedingt gerecht. So könne als Zentrum Rom benannt werden, aus der Perspektive der Kanonistik aber auch Bologna und schließlich mit Huguccio der Papst als Person (ubi papa ibi Roma). Zu bedenken sei, ob man nicht eine Terminologie wählen sollte, die sich an aus der Reichsgeschichte vertrauten Parametern orientiert: papstnah und papstfern.
2. ermutigte er dazu, sich auf die genauere Bestimmung von Räumen einzulassen und Themen wie Grenzen, Grenzbewusstsein, Grenzerfahrung und Mischzonen mehr Aufmerksamkeit zu schenken.
3. bestünden thematische Ausbaumöglichkeiten im Hinblick auf die modernen Forschungen zum Kulturtransfer. Diese Perspektive liege aufgrund der Tagungsbefunde nahe, weil mehrere Beiträge gezeigt hätten, dass der Prozess der Zentralisierung keiner Entwicklungslogik folge. Er verlaufe viel mehr von unten nach oben und werde stark von personalen Elementen getragen. Mobilität, Netzwerke, Personenverflechtung könnten möglicherweise noch stärker als bislang geschehen berücksichtigt werden. Auch der Aspekt der „Anverwandlung“ römischer Praxis durch die Kirchen vor Ort verdiene eine noch eingehendere Betrachtung.
4. sei im Sinne gerade dieser Beobachtungen das stete Wechselspiel von Integration und Desintegration, von Zentralismus und Partikularismus im Blick zu behalten.

Die Veranstalter streben an, die Beiträge zu dieser Arbeitstagung, deren Ergebnisse zur weiteren Beschäftigung mit dem umfassenden Themenkomplex nachhaltig ermunterten, möglichst umgehend zu publizieren.


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Region(en)
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Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch, Italienisch
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