Antisemitismus und radikaler Islamismus

Antisemitismus und radikaler Islamismus

Organisatoren
Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
01.12.2005 - 02.12.2005
Url der Konferenzwebsite
Von
Yasemin Shooman, Zentrum für Antisemitismusforschung, TU Berlin

Eine vom Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin vom 1. Bis 2. Dezember 2005 veranstaltete internationale Konferenz widmete sich dem Problem des islamistischen Antisemitismus aus der Perspektive verschiedener europäischer Länder – darunter Frankreich, Schweden, der Niederlande und Großbritannien.

In seiner Begrüßungsrede beschrieb der Leiter des Zentrums, Wolfgang Benz, das Phänomen, dass antisemitische Klassiker, wie die „Protokolle der Weisen von Zion“, die in Europa verfasst wurden, zu Importschlagern radikaler Islamisten geworden sind, obwohl der europäische Rassenantisemitismus der islamischen Welt eigentlich zutiefst wesensfremd sei.
Diesen Aspekt griff auch der Islamwissenschaftler Michael Kiefer auf und sprach in diesem Zusammenhang von einem „islamisierten“ Antisemitismus, der nicht auf den traditionellen Islam zurückzuführen sei, sondern ein Importgut aus Europa darstelle. Kiefer betonte jedoch ebenso wie der Politologe Bassam Tibi, dass der islamistische Antisemitismus sich zu einer eigenständigen Ideologie entwickelt habe, dessen Grundlage das Konstrukt von der ewig währenden Bedrohung des Islams durch die Juden bilde. Als Schlüsseltext für dieses Weltverschwörungsdenken sei die Schrift „Unser Kampf gegen die Juden“ des Ägypters Said Qutb (1906 bis 1966) zu sehen, einem der Mitbegründer der islamistischen Muslimbrüderschaft. Laut Tibi muss jedoch zwischen dem Antisemitismus der Islamisten und dem der arabischen Nationalisten unterschieden werden. Letztere Bewegung sei besonders in ihrer Anfangsphase stark von arabischen Christen getragen worden.

Dem Antisemitismus als ideologisches Moment des arabischen Nationalismus waren auch die Ausführungen von Götz Nordbruch gewidmet, der an einer Dissertation über arabische Reaktionen auf den Nationalsozialismus 1933-1945 in Syrien und Libanon arbeitet. Nordbruch distanzierte sich von dem Begriff des „islamischen Faschismus“, da die nationalistischen Strömungen, die den antisemitischen Diskurs im arabischen Raum in den 1920er und 1930er-Jahren dominierten, überwiegend säkular geprägt gewesen seien.
Die gemeinsame Schnittmenge von Nationalisten und Islamisten bilde, so die Hauptthese des Islamwissenschaftlers und Leiters des Berliner Büros von MEMRI (The Middle East Media Research Institute), Jochen Müller, das kollektive Selbstbild von den Arabern bzw. Muslimen als Opfer der „westlichen Welt“. Diese Eigenwahrnehmung habe ihre Wurzeln in den für diese Länder traumatischen historischen Erfahrungen des Kolonialismus, der Gründung des Staates Israel und der Niederlage im Sechs-Tage-Krieg. Damit einher gehe die Vorstellung, dass mit der Zerstörung Israels das eigene Ohnmachtgefühl überwunden werden könne.

Neben diesen Vorträgen, die sich mit der Geschichte des Antisemitismus in den arabischen bzw. islamischen Ländern beschäftigten, lag der Fokus der Konferenz auf der Situation in den europäischen Ländern, wo in den letzten Jahren der Antisemitismus unter Migranten mit muslimischem Hintergrund zunehmend ins Blickfeld geraten ist.

Der Soziologe Didier Lapeyronnie, der sich eingehend mit dem Alltagsantisemitismus in den Banlieues von Paris beschäftigt hat, beschrieb, wie sich der Antisemitismus in der Sprache der jugendlichen Migranten als identitätsstiftendes Merkmal manifestiert. So wird z.B. das Wort „feuj“ – adaptiert aus dem rückwärts zu lesenden „juif“, also „Jude“ – innerhalb dieser Gruppen als ein Schimpfwort benutzt, mit dem sich der Sprecher im Rahmen der sozialen Ordnung aufzuwerten sucht.

Mikael Tossavainen, der unter anderem zum Thema des arabischen bzw. muslimischen Antisemitismus in Schweden publiziert hat, berichtete von schwedischen Internetseiten, die von Muslimen betrieben werden und auf denen sich typische antisemitische Weltverschwörungs-Stereotype finden lassen, beispielsweise in Form von „Judenlisten“, die Personen des öffentlichen Lebens, die Juden sind oder für Juden gehalten werden, verzeichnen. Diese Listen seien zum Teil einfach von Neo-Nazi-Seiten kopiert. Eine solche Verbindung zwischen islamistischem und rechtsextremem Antisemitismus im Internet spiegele sich ebenso in dem Phänomen der Holocaust-Leugnung wider.

Auch in Deutschland lassen sich zahlreiche solcher Beispiele ausmachen, wie Herbert Müller, Islamismus-Experte beim Verfassungsschutz, ausführte. Dabei sei ein neues Phänomen beobachtbar, wonach sich in der türkischen Community zuweilen rechtsextreme, nationalistische und islamistische Kreise miteinander verbinden, wenn beispielsweise eine mit Zitaten aus „Mein Kampf“ gespickte Schrift der ultranationalistischen „Grauen Wölfe“ auf dem Büchertisch in einer Moschee Verbreitung findet. Die Vernetzung zwischen Islamisten und Neo-Nazis könne aber laut Müller immer nur temporär Bestand haben – auf Dauer sei der ideologische Graben zwischen ihnen zu groß.

Juliane Wetzel, Mitarbeiterin des Zentrums für Antisemitismusforschung und Organisatorin der Konferenz, sprach über die zögerlichen politischen Reaktionen innerhalb der EU auf das Phänomen des Antisemitismus in den Zuwanderergesellschaften. Die Feststellung, dass die Täter von antisemitischen Übergriffen oftmals Angehörige einer gesellschaftlich marginalisierten und häufig selbst unter Diskriminierung leidenden Minderheit sind, dürfe nicht zu einer Ignorierung oder Verharmlosung des Phänomens führen, so ihre Schlussfolgerung.


Redaktion
Veröffentlicht am
Klassifikation
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
Sprache des Berichts