Unternehmenskultur in der Region? (Chemnitz, 27.-29.09.01)

Unternehmenskultur in der Region? (Chemnitz, 27.-29.09.01)

Organisatoren
Sächsisches Wirtschaftsarchiv e.V. und die Industrie- und Handelskammer Südwestsachsen
Ort
Chemnitz
Land
Deutschland
Vom - Bis
27.09.2002 - 29.09.2002
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Von
Steffen Sammler

Das unternehmensgeschichtliche Kolloquium vereint seit 1997 in regelmaessigen Abstaenden Wissenschaftler und Vertreter aus der Wirtschaftspraxis im gemeinsamen Gespraech. Das Saechsische Wirtschaftsarchiv e.V. und die Industrie- und Handelskammer Suedwestsachsen luden die Teilnehmer vom 27. bis 29. September 2001 fuer die dritte Auflage des Kolloquiums in das "saechsische Manchester" ein, um die Entwicklung einer regionalen Unternehmens- und Arbeitskultur in den deutschen Territorien in einer vergleichenden Perspektive zu diskutieren. Mit Blick auf die von Rudolf Boch initiierten Forschungsvorhaben bot sich Chemnitz für den von den Veranstaltern beabsichtigten Brückenschlag von wissenschaftlicher Analyse und unternehmerischer Praxis in besonderem Masse an Der Tagung lag ein Thesenpapier der Historiker Ulrich Hess (Leipzig) und Michael Schaefer (Bielefeld) zu Grunde, die die Veranstaltung inhaltlich konzipiert hatten. Die Beitraege und Diskussionen der einzelnen Arbeitskreise richteten sich an den Fragestellungen des Thesenpapiers aus. Den einfuehrenden Bemerkungen der Veranstalter und Gastgeber folgte ein Problemaufriss der Entwicklung der Industrie im Einzugsbereich der Industrie- und Handelskammer Suedwestsachsen, der vom Geschaeftsfuehrer des Geschaeftsbereiches Industrie Hauptgeschaeftsfuehrer Manfred Goedecke vorgetragen wurde.

Im Mittelpunkt des ersten Arbeitskreises standen methodische Zugaenge und heuristische Modelle, die im Rahmen des Sonderforschungsbereiches "Regionenbezogene Identifikationsprozesse" an der Leipziger Universitaet verfolgt und von den Leipziger Referenten Steffen Sammler, Juergen Schroeckh, Thomas Keiderling und Volker Titel auf die Konstruktion von Wirtschaftsraeumen angewendet wurden. Die Referenten nahmen konkurrierende Regionalisierungen und deren diskursive Stilisierungen im langen 19. Jahrhundert und den wirtschaftlichen Wechsellagen des 20. Jahrhunderts in den Blick, die durch Michael C. Schneider (Dresden) fuer die Zeit des Nationalsozialismus ergaenzt und komplettiert wurden. Die Beitraege provozierten eine lebhafte Diskussion zu Nachteil und Nutzen des Regionenkonzepts fuer die wirtschaftswissenschaftliche und unternehmensgeschichtliche Forschung, die im Abendvortrag des Kolloquiums von Toni Pierenkemper (Koeln) aufgegriffen wurde. Pierenkemper bot eine Zusammenschau des internationalen Forschungsstandes zum Problem von Region und Industrialisierung, die durch Dietrich Ebeling (Trier) fuer den Zeitraum der "Protoindustrialisierung" ergaenzt wurde.

Ein zweiter Themenkreis wandte sich der Bedeutung von Netzwerken fuer die erfolgreiche Gestaltung von Wirtschaftsraeumen zu. Dietrich Ebeling und Martin Schmidt (Euskirchen) untersuchten die Herausbildung eines fruehneuzeitlichen Wirtschaftsraumes am Aachener Beispiel. Sie rekonstruierten die Arbeitsmarktbeziehungen und die damit verbundenen Mobilitaet der Arbeitskraefte. Das von Schmidt ausgemachte Spannungsverhaeltnis zwischen einem gewerblichen Zentrum und benachbarten Orten, die um qualifizierte Arbeitskraefte konkurrierten, wurde von Ulrich Hess am Beispiel von Leipzig und Doebeln fuer die erste Haelfte des 20. Jahrhunderts bestaetigt.

Im Mittelpunkt des Beitrages von Ingo Koehler (Bochum) stand die erfolgreiche Behauptung der Privatbanken bei der Industriefinanzierung in Sachsen am Beispiel des Bankhauses Arnold. Der Blick auf die Geldgeber gewerblicher Investoren sollte ergaenzt werden durch einen Blick auf Genossenschaftsbanken und Sparkassen, nicht zuletzt vor dem aktuellen Hintergrund der Reformen, die im Zuge der europaeischen Einigung bei den kommunalen Finanzdienstleistern anstehen. Eva Pietsch (Chemnitz) beschaeftigte sich mit der regionalen Verteilung der Zulieferer der saechsischen Automobilindustrie, die nach der Gruendung der Auto-Union neu strukturiert wurde.

Martin Kukowskis Blick auf den unternehmerischen Neuanfang der Auto-Union in Ingolstadt nach 1945 lenkte die Aufmerksamkeit auf jene innovativen Milieus, die fuer die wirtschaftliche Dynamik in einer Region verantwortlich sind und einen dritten Schwerpunkt der Diskussion bildeten. Die Handels- und Messestadt Leipzig bot dafuer, wie der von Ulrich Krueger (Leipzig) thematisierte erfolgreiche UEbergang zur Industriestadt im 19. Jahrhundert zeigt, guenstige Voraussetzungen. Heidrun Homburg (Basel) machte am Beispiel der Manager der Leinengrosshandlung Abraham Duerninger dagegen deutlich, wie die Abkehr von einer internationalen Rekrutierungspraxis und die damit verbundene Abkopplung vom international fuehrenden technischen know how zum Niedergang des einstmals bluehenden Handelshauses beigetragen hat.

Die Beitraege des Kolloquiums haben eine Kontextualisierung regionaler "saechsischer" bzw. "rheinischer" Wirtschaftskultur in ihren verschiedenen Auspraegungen vorgenommen. Wolf-Eckardt Heindorf (Leipzig/Chemnitz), Geschaeftsfuehrer des Verbandes der Nord-Ostdeutschen Textil- und Bekleidungsindustrie, hat sie in den Kontext der Entwicklung dieser radikal veraenderten traditionellen Branche saechsischer Industrie gestellt. Dabei ist die Beharrungskraft kultureller Stilisierungen und politisch-institutioneller Strukturen deutlich geworden, die fuer die Rekonstruktion des realen wirtschaftlichen Beziehungsgeflechtes nicht unbedingt hilfreich ist. Hubert Kiesewetter hat in seinem juengsten Buch "Region und Industrie in Europa" dafuer plaediert, die politisch-institutionellen Strukturen in regelmaessigen Abstaenden den wirtschaftlichen Realitaeten anzupassen. Das Scheitern eines solchen Versuches hat Volker Titel am Beispiel der Diskussion um Mitteldeutschland in der Zwischenkriegszeit dokumentiert. Die aktuelle Diskussion beweist allerdings, dass die Suche des Wirtschaftsraumes Leipzig-Halle nach einer adaequaten politisch-institutionellen Einbindung keineswegs der Vergangenheit angehoert. Auf der Ebene der kulturellen Stilisierung scheint es dagegen sinnvoll zu sein, einen durch den mittelstaendischen Unternehmer gepraegten "saechsischen" Wirtschaftsstil festzumachen, der in seiner kulturellen Auspraegung in der Einfuehrung von Michael Schaefer und Ulrich Hess und in den Beitraegen von, Andrea Bergler (Crimmitschau) und Patricia Ober (Berlin) thematisiert worden ist. Michael Rudloff (Leipzig) hat das Spannungsverhaeltnis zwischen unternehmerischen Eliten und ihren aristokratischen Gegenspielern am Beispiel des Konfliktes zwischen dem Kriebsteiner Papierfabrikanten Niethammer und seinen aristokratischen Gegenspielern Sahrer von Sahr nachgezeichnet, das in den Debatten des Vereins Saechsischer Industrieller um die Jahrhundertwende eine zentrale Rolle gespielt hat. Vor diesem Hintergrund beduerfen die Brueche der Jahre 1945 und 1990 einer vergleichenden Untersuchung, die den Innenansichten von Goedecke und Heindorf zur Entwicklung nach 1990 an die Seite gestellt werden koennten. Vor dem Hintergrund der von Goedecke formulierten Herausforderungen an die mittelstaendischen Unternehmer im saechsischen Raum stellt sich auch die Frage nach einer neuen Vielfalt von Unternehmensformen, die es breiteren Kreisen der Bevoelkerung gestatten, sich am unternehmerischen Wettbewerb zu beteiligen. Das Modell einer von allen Beschaeftigten getragenen Beteiligungsgesellschaft, das Wolfgang Uhlmann am Beispiel der Chemnitzer Werkzeugmaschinenfabrik "Union" vorstellte, war Anlass einer ueberaus kontroversen Diskussion. Dabei handelt es sich um ein Modell, das nicht nur in Deutschland weniger Beachtung als in walisischen Bergwerken oder italienischen distretti industriali gefunden hat. Es koennte sich fuer den Osten Deutschlands durchaus als zukunftsfaehiges Modell erweisen. Ein solches Modell bricht den Dualismus von Eigentuemer und abhaengig Beschaeftigtem auf und bietet Anreize fuer eine aktive Gestaltung der Region durch die Bewohner. Selbstbestimmte Taetigkeit stellt ein zentrales Element fuer die Bejahung der Frage nach der Verknuepfung von wirtschaftlichem Erfolg und regionaler Identifikation da, wie Juergen Schroeckh in seinem Beitrag gezeigt hat.

Die Staerken der Beitraege des Kolloquiums lagen zweifellos auf der Praezisierung der fuer die dynamische Entwicklung einer Wirtschaftsregion verantwortlichen innovativen Milieus und in der Verknuepfung wirtschaftshistorischer und aktueller Diskussion. Sie haben deutlich gemacht, dass neben den Arbeitsbeziehungen, familiaere und freundschaftliche Beziehungen in die Untersuchung einbezogen werden muessen und die Frage nach einem im weitesten Sinne zivilgesellschaftlichen Engagement in der Region gestellt werden kann. Ein gelungenes Beispiel dafuer stellten Klaus Bente, Katja Doerner und Edda Stern (Leipzig) am Beispiel der Restaurierung der Gletschersteinpyramide in Leipzig vor. Sie richteten den Blick zurueck auf den "Buergergeist" der Jahrhundertwende 1900 und berichteten gleichzeitig ueber ihr eigenes Engagement bei der Restaurierung 100 Jahre spaeter.

Wie eine vom Team des saechsischen Industriemuseums in Chemnitz organisierte Entdeckungsreise in die industrielle und kulinarische Welt der Region, fuer die vor allem Wolfgang Uhlmann herzlich zu danken ist, gezeigt hat, kommt den Museen bei der Koordination dieses zivilgesellschaftlichen Engagements eine besondere Verantwortung zu. Die Verbindung von wissenschaftlicher Analyse, musealer Umsetzung und der Brueckenschlag zur Wirtschaftspraxis bieten guenstige Voraussetzung fuer eine nur interdisziplinaer und vergleichend zu leistende wissenschaftliche Analyse der Entwicklung der Industriegesellschaft im saechsischen Raum. Die im Rahmen des 3. unternehmensgeschichtlichen Kolloquiums dafuer gelieferten Bausteine stehen auf der homepage des Saechsischen Wirtschaftsarchivs (www.swa-leipzig.de) zur Verfuegung. Eine Publikation der Texte ist vorgesehen.

http://www.swa-leipzig.de
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Region(en)
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Deutsch
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